Orientierungssatz
Ein früherer Lehrhauer, der noch als Maschinenwärter (Lohngruppe 07) tätig sein kann, ist weder vermindert bergmännisch berufsfähig iS des RKG § 45 Abs 2 noch berufsunfähig iS des RKG § 46 Abs 2. Die genannten Tätigkeiten sind der Lehrhauertätigkeit gegenüber im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertig, und sie werden auch von Personen mit ähnlicher Ausbildung sowie gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten in knappschaftlich versicherten Betrieben ausgeübt.
Normenkette
RKG § 45 Abs. 2 Fassung: 1957-05-21, § 46 Abs. 2 Fassung: 1957-05-21
Nachgehend
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 30. Oktober 1973 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahren haben sich die Beteiligten nicht zu erstatten.
Tatbestand
Streitig ist, ob dem im Jahre 1935 geborenen Kläger ab 1. Oktober 1971 eine Knappschaftsrente wegen Berufsunfähigkeit oder die Bergmannsrente wegen verminderter bergmännischer Berufsfähigkeit zu zahlen ist.
Der Kläger war vom 1. April 1950 bis zum 8. September 1971, insgesamt 248 Monate, knappschaftlich als Berglehrling, Schlepper, Gedingeschlepper, Lehrhauer, Lader, 1. Maschinist und Transportarbeiter versichert. Als Lehrhauer war er vom 1. August 1955 bis zum 5. April 1957 und vom 1. Januar 1967 bis zum 31. Mai 1971 tätig.
Einen vom Kläger am 10. September 1971 gestellten Rentenantrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 18. November 1971 ab, weil der Kläger noch als Vermessungshelfer, Wettermeßhelfer, Blindschachtmaschinist, Telefonist und Wettermann tätig sein könne. Der dagegen eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 31. Januar 1972 zurückgewiesen.
Die vom Kläger erhobene Klage war vor dem Sozialgericht (SG) Aachen und dem Landessozialgericht (LSG) für das Land Nordrhein-Westfalen erfolglos (Urteile vom 2. Mai und vom 30. Oktober 1973). Nach den Feststellungen des LSG ist der Kläger im Erwerbsleben insofern beeinträchtigt, als bei ihm nach stärkeren körperlichen Belastungen Schmerzen von Seiten der Wirbelsäule auftreten. Daher ist er nicht in der Lage, schwere körperliche Tätigkeiten oder solche, die mit häufigem Heben und Tragen von Lasten einhergehen, zu verrichten. Eine einseitig fixierte Körperhaltung über längere Zeit ist zu vermeiden. Mit dieser Einschränkung ist der Kläger für leichte bis mittelschwere Tätigkeiten vollschichtig einsetzbar. Hiernach kommt das LSG zu dem Ergebnis, der Kläger sei in der Lage, Tätigkeiten als Maschinenwärter, Lampenwärter, Verwieger 1, Kranfahrer, Hilfsarbeiter im Büro, Telefonist, Lampenstubenarbeiter oder Schrankenwärter mit betriebsüblichen Pausen vollschichtig und regelmäßig zu verrichten. Bei diesen Tätigkeiten werde er weder in seinen körperlichen noch in seinem geistigen Leistungsvermögen überfordert, noch bedingten derartige Arbeiten eine den Zeitraum von drei Monaten übersteigende betriebliche Einweisung und Einarbeitung. Dies ergebe sich auch aus dem bisherigen Berufsleben und dem Alter des Klägers. Auszugehen sei von dem Hauptberuf "Lehrhauer". Seit der Neuordnung des Entlohnungswesens im Aachener und im rheinisch-westfälischen Steinkohlenbergbau ab 1. Juni 1971 sei ein ehemaliger Lehrhauer, der diese Tätigkeit vor diesem Zeitpunkt aufgegeben habe, bei der Prüfung der wirtschaftlichen Gleichwertigkeit im Sinne des § 45 Abs. 2 Reichsknappschaftsgesetz (RKG) der Lohngruppe 09 unter Tage zuzuordnen. Die nach den Lohngruppen 06 über Tage oder höher entlohnten Tätigkeiten des Maschinen- oder Lampenwärters, des Verwiegers 1 oder des Kranfahrers bedingten gegenüber der Lohngruppe 09 unter Tage eine tarifliche Einkommensminderung von weniger als 19%, so daß sie von einem Lehrhauer bei der Prüfung der wirtschaftlichen Gleichwertigkeit in Kauf genommen werden müßten. Es handele sich auch um Tätigkeiten, die im Vergleich zum Lehrhauer von "Personen mit ähnlicher Ausbildung sowie gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten in knappschaftlich versicherten Betrieben" ausgeübt werden. Gegen das Urteil hat das LSG die Revision zugelassen, weil zur Zeit der Urteilsverkündung die Frage, wie der ehemalige Lehrhauer ab 1. Juni 1971 einzuordnen sei, noch nicht höchstrichterlich entschieden war.
Mit der Revision macht der Kläger geltend, seine Einstufung als Lehrhauer lasse sich nach 21jähriger Berufstätigkeit nicht aufrechterhalten. Er sei als Lehrhauer fast ausschließlich im Kameradschaftsgedinge tätig gewesen und die in diesem Gedinge tätigen Lehrhauer hätten die gleiche Bezahlung wie die Hauer erhalten. Außerdem sei zu prüfen, ob der Arbeitsmarkt für die angegebenen bergmännischen Ausweichberufe offen sei. Dagegen spreche, daß er vom Arbeitsamt nicht in einen solchen habe vermittelt werden können. Es sei auch nicht einzusehen, aus welchen Gründen er, dem auffallenderweise zum 31. Mai 1971 gekündigt worden sei, schlechter gestellt werden solle als andere Kollegen, die ihre Tätigkeit nach dem 1. Juni 1971 beendet hätten. In diesem Zusammenhang sei es als Verfahrensfehler anzusehen, daß das LSG die von ihm schriftsätzlich angeführten Arbeitsgerichtsakten nicht beigezogen habe, denn verfahrensrechtlich sei es im Hinblick auf die Daten "31. Mai 1971 und 1. Juni 1971" bedeutsam, warum die Arbeitgeberin gerade zum 31. Mai 1971 gekündigt habe.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide, des Urteils des SG Aachen vom 2. Mai 1973 und des Urteils des LSG für das Land Nordrhein-Westfalen vom 30. Oktober 1973 zu verurteilen, ihm Knappschaftsrente wegen Berufsunfähigkeit,
hilfsweise,
Rente wegen verminderter bergmännischer Berufsfähigkeit ab 1. Oktober 1971 zu zahlen,
hilfsweise,
den Rechtsstreit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision des Klägers gegen das Urteil des LSG für das Land Nordrhein-Westfalen vom 30. Oktober 1973 zurückzuweisen.
Die Beklagte verweist zur Begründung ihres Antrags auf einschlägige Urteile des erkennenden Senats.
Entscheidungsgründe
Die durch Zulassung statthafte Revision des Klägers ist nicht begründet. Der Kläger ist nicht vermindert bergmännisch berufsfähig im Sinne des § 45 Abs. 2 RKG und daher auch nicht berufsunfähig im Sinne des § 46 Abs. 2 RKG.
Da der Kläger die von ihm verrichtete knappschaftliche Arbeit als Lehrhauer nicht mehr ausüben kann, ist er dann vermindert bergmännisch berufsfähig, wenn er außerstande ist, andere im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertige Arbeiten von Personen mit ähnlicher Ausbildung sowie gleich wertigen Kenntnissen und Fähigkeiten in knappschaftlich versicherten Betrieben auszuüben (§ 45 Abs. 2 RKG).
Der Senat hat bereits durch Urteil vom 27. Juni 1974 (SozR 2600 § 45 Nr. 5) entschieden, daß Lehrhauer, die nicht über den 1. Juni 1971 hinaus unter Tage tätig gewesen sind, in Bezug auf ihre Tätigkeit vor dem 1. Juni 1971 nicht als Hauer beurteilt werden können. Zwar sind nach der ab 1. Juni 1971 in Kraft befindlichen Lohnordnung frühere Lehrhauer im Sinne dieser Lohnordnung, wenn ihnen der Betrieb nach zweijähriger Untertagetätigkeit schriftlich bestätigt hat, daß sie die Kenntnisse und Fertigkeiten besitzen, die sie befähigen, die in der Gewinnung, Aus-, Vor- und Herrichtung vorkommenden wesentlichen bergmännischen Arbeiten zu verrichten. Abgesehen davon, daß der Kläger diese Bescheinigung nicht besitzt, kann die nach der Lohnordnung erforderliche Bescheinigung des Betriebes nur für solche Gedingearbeiter lohnmäßige Auswirkungen haben, die über den 1. Juni 1971 hinaus im Gedinge tätig geblieben sind. Jemand der nicht in einer Zeit als Gedingearbeiter tätig gewesen ist, in der die neue Lohnordnung galt, kann auch nicht Hauer im Sinne dieser Lohnordnung gewesen sein. Sozialversicherungsrechtlich kommt es allein auf die Art und die Zeitdauer der vom Kläger tatsächlich ausgeübten Tätigkeit an. Im Rahmen sozialversicherungsrechtlicher Ansprüche kann deshalb auch nicht geprüft werden, ob dem Versicherten zu einem bestimmten Zeitpunkt mit Recht oder Unrecht gekündigt worden ist und dergleichen mehr. Diese arbeitsrechtlichen Fragen wären ggf. im arbeitsrechtlichen Verfahren zu klären gewesen. Da im vorliegenden Rechtsstreit unstreitig ist, daß der Kläger tatsächlich nur bis zum 31. Mai 1971 als Lehrhauer tätig gewesen ist, brauchte das LSG die angeführten Arbeitsgerichtsakten nicht zur Klärung der Frage beizuziehen, warum ihm gerade zum 31. Mai 1971 das Arbeitsverhältnis gekündigt worden ist.
In dem Urteil vom 27. Juni 1974 hat der Senat außerdem entschieden, daß bei einem ehemaligen, vor dem 1. Juni 1971 bereits aus seiner Tätigkeit aus gesundheitlichen Gründen ausgeschiedenen Lehrhauer, den es in der neuen Lohnordnung nicht mehr gibt, unter Berücksichtigung aller sich hieraus ergebenden Besonderheiten bei der Prüfung der im wesentlichen wirtschaftlichen Gleichwertigkeit von diesem Zeitpunkt an von der neuen Lohngruppe 09 unter Tage auszugehen ist, in die der am geringsten entlohnte Hauer eingeordnet ist. Hieraus ergibt sich, daß ein früherer Lehrhauer bei Prüfung der verminderten bergmännischen Berufsfähigkeit auf die unter die neuen Lohngruppen 01 bis 03 über Tage fallenden Tätigkeiten nicht verwiesen werden kann, weil sie nicht mehr im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertig sind, denn die Lohndifferenz zwischen diesen Lohngruppen und der Lohngruppe 09 beträgt mehr als 20 v. H.. Der Senat hat aber auch bereits entschieden, daß gegenüber der Lohngruppe 09 die Lohngruppe 04 bei einer Lohndifferenz von etwa 17,9 v. H. im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertig ist (Urteile vom 29. August 1974 - 5 RKn 8/73 - und - 5 RKn 36/73 - sowie - 5 RKn 37/73 -). Daraus ergibt sich, daß auch die Lohngruppen 05 bis 08 der Lohngruppe 09 im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertig sind. Welche der Tätigkeiten der Lohngruppe 04 von Personen mit einer der eines Lehrhauers ähnlichen Ausbildung sowie gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten in knappschaftlich versicherten Betrieben ausgeübt werden, kann dahingestellt bleiben, weil der Kläger nach den ohne erkennbaren Verfahrensfehler zustande gekommenen Feststellungen des LSG als Maschinenwärter (Lohngruppe 05), Verwieger 1 (Lohngruppe 07) und Kranfahrer (Lohngruppe 07) tätig sein kann. Hierbei handelt es sich um Tätigkeiten, die von Personen mit einer der des Lehrhauers ähnlichen Ausbildung sowie gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten in knappschaftlich versicherten Betrieben ausgeübt werden. Da eine Verweisung auf diese drei Tätigkeiten erfolgen kann, brauchte sich das LSG auch nicht gedrängt zu fühlen zu prüfen, ob der Arbeitsmarkt für die angegebenen Tätigkeiten offen ist. Die Beschlüsse des Großen Senats des Bundessozialgerichts vom 11. Dezember 1969 (BSG 30, 167 ff und 192 ff = SozR Nr. 79 zu § 1246 RVO und Nr. 20 zu § 1248 RVO) sind zur Berufs- und Erwerbsunfähigkeit im Sinne der gesetzlichen Rentenversicherung ergangen. Sie sind bei diesen Versicherungsfällen hinsichtlich des Vorliegens eines praktisch verschlossenen Arbeitsmarktes grundsätzlich nur bei Teilzeitarbeiten erheblich. Bei Vollzeittätigkeiten, die von den Vertragsparteien in den Tarifverträgen erfaßt sind, ist bei diesen Versicherungsfällen - von ganz besonders gelagerten Ausnahmefällen abgesehen - davon auszugehen, daß ein offener Arbeitsmarkt vorhanden ist (SozR Nr. 108 zu § 1246 RVO). Wenn auch dieser Grundsatz nicht undifferenziert auf andere Versicherungsfälle übertragen werden darf, so besteht doch im vorliegenden Fall auch bei Prüfung der verminderten bergmännischen Berufsfähigkeit kein Anhalt dafür, daß dem Kläger der Arbeitsmarkt als Maschinenwärter, Kranfahrer und Verwieger 1 in knappschaftlichen Betrieben in seiner Gesamtheit verschlossen sein könnte, wie dies möglicherweise in bezug auf einzelne dieser Tätigkeiten der Fall sein könnte.
Wenn der Kläger nicht vermindert bergmännisch berufsfähig im Sinne des § 45 Abs. 2 RKG ist, ist er auch nicht berufsunfähig im Sinne des § 46 Abs. 2 RKG.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes
Fundstellen