Orientierungssatz
Ein früherer Lehrhauer, der noch als Verwieger 1 und als Maschinist 1 der Lohngruppe 07 über Tage, der ab 1971-06-01 geltenden Lohnordnung, tätig sein kann, steht die Bergmannsrente nicht zu, weil diese Tätigkeiten noch als dem Hauerberuf der Lohngruppe 09 im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertig anzusehen sind und von Personen mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten iS des RKG § 45 Abs 2 ausgeübt werden.
Normenkette
RKG § 45 Abs. 2 Fassung: 1957-05-21
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 27. November 1975 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten haben sich die Beteiligten nicht zu erstatten.
Tatbestand
Streitig ist, ob dem im Jahre 1936 geborenen Kläger die Bergmannsrente wegen verminderter bergmännischer Berufsfähigkeit nach § 45 Abs. 1 Nr. 1 Reichsknappschaftsgesetz (RKG) zu zahlen ist.
Der Kläger war im Bergbau als Schlepper, Gedingeschlepper und Lehrhauer tätig, zuletzt vom 22. Januar 1968 bis zum 27. Mai 1971 als Lehrhauer. Vom 28. Mai bis zum 7. Juni 1971 war er arbeitsunfähig, vom 8. Juni bis zum 6. Juli 1971 hatte er Tarifurlaub, vom 7. Juli 1971 bis zum 28. März 1972 war er wieder arbeitsunfähig. Dem Kläger wurde eine Verlegungsschicht für den 29. März 1972, eine Kurzarbeitsschicht für den 30. März 1972 und zwei Feiertagsschichten für den 31. März (Karfreitag) und für den 3. April 1972 (Ostermontag) nach der Lohngruppe 08 bezahlt; diesen Schichten lag aber keine tatsächliche Arbeitsleistung zugrunde. Vom 4. April 1972 an war er als Bandwärter unter Tage (Lohngruppe 04) tätig, seit dem 29. April 1974 arbeitet er als Telefonist über Tage (Lohngruppe 04).
Den am 14. Januar 1972 gestellten Rentenantrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 26. April 1972 und dem Widerspruchsbescheid vom 11. Juli 1972 ab. Auf die dagegen erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) Gelsenkirchen mit Urteil vom 12. Januar 1973 die angefochtenen Bescheide abgeändert und die Beklagte verurteilt, dem Kläger ab 1. Februar 1972 Bergmannsrente wegen verminderter bergmännischer Berufsfähigkeit zu zahlen. Auf die dagegen von der Beklagten eingelegte Berufung hat das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen das Urteil des SG abgeändert und die Klage abgewiesen. Nach Ansicht des LSG ist "die bisher verrichtete knappschaftliche Arbeit" im Sinne des § 45 Abs. 2 RKG nicht - wie das SG angenommen hatte - die Hauertätigkeit nach der ab 1. Juni 1971 geltenden Lohnordnung, sondern die Tätigkeit als Lehrhauer. Wenn auch der Kläger die Tätigkeit des früheren Lehrhauers aufgrund seines Gesundheitszustandes nicht mehr ausüben könne, so sei er doch imstande, andere im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertige Arbeiten von Personen mit ähnlicher Ausbildung sowie gleichwertigen Kenntnissen und Fertigkeiten in knappschaftlich versicherten Betrieben auszuüben. So könne er auf die Tätigkeit des Verwiegers 1, die in die Lohngruppe 07 der Lohnordnung über Tage eingestuft sei, verwiesen werden. Auch eine Verweisung auf die Tätigkeit als Maschinist 1 (Lohngruppe 07) und als Maschinenwärter (Lohngruppe 06) sei in Betracht zu ziehen. Gegen das Urteil hat das LSG die Revision zugelassen.
Mit der Revision vertritt der Kläger die Ansicht, bei Prüfung der verminderten bergmännischen Berufsfähigkeit sei als Hauptberuf vom Hauer und nicht vom Lehrhauer auszugehen. Er habe alle Voraussetzungen erfüllt gehabt, die seine Zeche genötigt hätten, ihm ab 1. Juni 1971 die Hauerkenntnisse zu bestätigen. Zeiten der Arbeitsunfähigkeit und Urlaubszeiten müßten so angesehen werden, als hätte der Versicherte eine Tätigkeit ausgeübt. Dafür spreche auch das Urteil des erkennenden Senats in der Sache 5 RKn 14/75 vom 26. November 1975, denn nach diesem Urteil sei die Zeit der Arbeitsunfähigkeit der tatsächlichen Arbeitsverrichtung gleichzustellen. Es wäre nicht verständlich, wenn Zeiten der Arbeitsunfähigkeit mit Lohnfortzahlung zwar keinen Anspruch auf die Bergmannsrente 2 nach § 45 Abs. 1 Nr. 2 RKG auslösen, aber bei der Bergmannsrente 1 für die Festsetzung des Hauptberufs im Sinne des § 45 Abs. 2 RKG bedeutungslos sein sollten. Als Hauer sei er vermindert bergmännisch berufsfähig, im übrigen sei er es sogar als Lehrhauer. Für die Einstufung des Verwiegers 1 in die Lohngruppe 07 der Lohnordnung über Tage sei nämlich Zuverlässigkeit, Verantwortungsbewußtsein und Genauigkeit von besonderer Bedeutung. Deshalb beständen aus gesundheitlichen Gründe stärkste Bedenken dagegen, ihn auf diesen Beruf zu verweisen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des LSG für das Land Nordrhein-Westfalen vom 27. November 1975 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Gelsenkirchen vom 12. Januar 1973 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision des Klägers gegen des Urteil des LSG für das Land Nordrhein-Westfalen vom 27. November 1975 zurückzuweisen.
Nach Ansicht der Beklagten ist bei der Prüfung der verminderten bergmännischen Berufsfähigkeit vom Hauptberuf "Lehrhauer" und nicht vom "Hauer" auszugehen, weil der Hauptberuf nur eine bisher verrichtete, also eine tatsächlich ausgeübte Arbeit sein könne. Der Kläger habe bis zum Inkrafttreten der neuen Lohnordnung für den rheinisch-westfälischen Steinkohlenbergbau am 1. Juni 1971 lediglich den Status eines Lehrhauers gehabt. In der Zeit ab 1. Juni 1971 habe er auch nicht über eine einzige Schicht hinweg Gedingearbeiten ausgeführt. Sein beruflicher Status könne sich daher nach dem 31. Mai 1971 nicht mehr zu seinen Gunsten verändert haben. Es könne nicht darauf ankommen, ob er noch nach dem 1. Mai 1971 wegen Arbeitsunfähigkeit und tarifmäßigen Urlaubs aus der vorherigen Gedingearbeit heraus Krankengeld und Lohn erhalten habe, oder ob ihm sein Betrieb vielleicht, wenn er aus gesundheitlichen Gründen nach dem 31. Mai 1971 noch in der Lage gewesen wäre, seine frühere Tätigkeit fortzusetzen und sie auch fortgesetzt hätte, schriftlich bestätigt hätte, daß er die Kenntnisse und Fähigkeiten besitze, die ihn befähigten, die in der Gewinnung, Aus-, Vor- und Herrichtung vorkommenden wesentlich bergmännischen Arbeiten zu verrichten. Das LSG habe bedenkenfrei festgestellt, daß der Kläger bei seiner gesundheitlichen Situation fähig sei, als Verwieger 1 - Lohngruppe 07 über Tage - tätig zu sein. Diese Arbeit sei sogar der Hauertätigkeit gegenüber im wesentlichen wirtschaftlich und qualitativ gleichwertig und daher selbstverständlich auch gegenüber die Tätigkeit eines Lehrhauers.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision des Klägers ist nicht begründet. Das LSG ist zu Recht zu dem Ergebnis gekommen, daß der Kläger nicht vermindert bergmännisch berufsfähig ist.
Nach § 45 Abs. 1 Nr. 1 RKG erhält ein Versicherter auf Antrag Bergmannsrente, wenn er vermindert bergmännisch berufsfähig ist und - wie der Kläger - die Wartezeit von 60 Kalendermonaten erfüllt hat. Vermindert bergmännisch berufsfähig ist nach § 45 Abs. 2 RKG ein Versicherter, der infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte weder imstande ist, die von ihm bisher verrichtete knappschaftliche Arbeit auszuüben, noch imstande ist, andere im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertige Arbeiten von Personen mit ähnlicher Ausbildung sowie gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten in knappschaftlich versicherten Betrieben auszuüben.
Der Kläger war bis zum 27. Mai 1971 als Lehrhauer tätig. Danach hat er auch nach Inkrafttreten der neuen Lohnordnung am 1. Juni 1971 keine Gedingearbeit mehr verrichtet und keinen Hauerlohn erhalten; er ist lediglich für den Tarifurlaub, die Verlegungsschicht, die Kurzarbeitsschicht und zwei Feiertagsschichten nach der Lohngruppe 08 der neuen Lohnordnung entlohnt worden. Er ist also weder als Hauer tätig gewesen noch als Hauer entlohnt worden, so daß er an sich nicht unter eine der Hauertätigkeiten der neuen Lohnordnung fällt. In Übergangsfällen müssen aber Versicherte, die ihre Tätigkeit bereits vor dem 1. Juni 1971 aufgegeben haben, zur Beurteilung der verminderten bergmännischen Berufsfähigkeit bis zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung fiktiv in die neue Lohnordnung eingeordnet werden, wenn die letzte mündliche Tatsachenverhandlung nach dem 31. Mai 1971 liegt. Da die neue Lohnordnung den Lehrhauer nicht mehr kennt, hat der Senat bereits entschieden, daß in diesen Fällen bei einem früheren Lehrhauer fiktiv von der Lohngruppe 09 auszugehen ist (SozR 2600 § 45 Nr. 5). Da der Kläger weder seine bisherige Tätigkeit noch die eines Hauers nach Lohngruppe 09 der Lohnordnung vom 1. Juni 1971 verrichten kann, hängt die Frage, ob er vermindert bergmännisch berufsfähig ist, davon ab, ob er noch imstande ist, Arbeiten zu verrichten, die denen der Lohngruppe 09 im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertig sind und die von Personen mit ähnlicher Ausbildung sowie gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten in knappschaftlich versicherten Betrieben ausgeübt werden. Das LSG hat festgestellt, daß der Kläger als Verwieger 1 tätig sein kann und aus seinen Ausführungen ist zu entnehmen, daß dies auch für den Maschinisten 1 gelten soll. Es kann hier dahingestellt bleiben, ob die Einwendungen der Revision gegen die Verweisung auf den Verwieger 1 durchgreifen, denn jedenfalls kann der Kläger auf die Tätigkeit eines Maschinisten 1 verwiesen werden. Der Maschinist 1 wird nach der Lohngruppe 07 der Lohnordnung über Tage entlohnt. Zu dieser Tätigkeit hat der Senat bereits entschieden, daß es sich dabei im Verhältnis zu Tätigkeiten der Lohngruppe 09 um eine im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertige Tätigkeit handelt, die von Personen mit ähnlicher Ausbildung sowie gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten ausgeübt wird (vgl. Urteil vom 27. Juni 1974 - 5 RKn 40/72 -, Urteil vom 26. Februar 1975 - 5 RKn 1/74 - und Urteil vom 22. Mai 1975 - 5 RKn 29/74 -). Auch wenn man in Betracht zieht, daß sich möglicherweise wegen der inzwischen-besonders infolge der ab 1. Juni 1971 geltenden Lohnordnung mit ihrer Aufspaltung in drei Arten von Hauertätigkeiten mit unterschiedlicher Entlohnung - eingetretenen Veränderungen im Lohngefüge die prozentuale Höhe der wesentlichen wirtschaftlichen Gleichwertigkeitsgrenze verändert haben könnte, ist doch jedenfalls die Entlohnung nach Lohngruppe 07 der Entlohnung nach Lohngruppe 09 noch als im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertig anzusehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Fundstellen