Leitsatz (redaktionell)

Auslegung des AVG § 36 Abs 3:

Die Zeiten des Militärdienstes und der Kriegsgefangenschaft dürfen bei der Berechnung der Halbdeckung nicht von der Versicherungsdauer abgesetzt werden.

 

Normenkette

AVG § 36 Abs. 3 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1259 Abs. 3 Fassung: 1957-02-23

 

Tenor

Das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 6. April 1960 wird aufgehoben.

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 25. September 1959 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

Das Landessozialgericht (LSG) verurteilte die Beklagte, bei der Berechnung des Altersruhegeldes des Klägers die Zeiten seiner Arbeitslosigkeit vom 14. September 1948 bis 22. April 1950 und vom 5. Dezember 1950 bis 1. Juni 1953 als Ausfallzeiten anzurechnen. Die Beklagte hatte dies abgelehnt, weil die Zeit vom Eintritt in die Versicherung bis zum Eintritt des Versicherungsfalles (Versicherungsdauer), die beim Kläger 325 Monate beträgt, nicht mindestens zur Hälfte mit Beiträgen i. S. von § 36 Abs. 3 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) belegt ist; solche Beiträge kann der Kläger nur für 142 Monate nachweisen. Das LSG bejahte demgegenüber die Halbdeckung, indem es von der Versicherungsdauer vor ihrer Halbierung erst noch die Zeit des Wehrdienstes und der Gefangenschaft des Klägers absetzte (325 - 77 = 248: 2 = 124 Monate). Diese Berechnungsart entspreche dem Willen des Gesetzgebers, Kriegsteilnehmer und Heimkehrer vor Nachteilen zu bewahren; bei der Fassung des § 36 Abs. 3 AVG sei offenbar ein Redaktionsversehen unterlaufen.

Die Beklagte legte die zugelassene Revision ein mit dem Antrag,

das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung des Klägers - die das LSG schon teilweise zurückgewiesen hatte - nunmehr in vollem Umfange zurückzuweisen.

Sie rügte eine Verletzung des § 36 Abs. 3 AVG.

Der Kläger beantragte die Zurückweisung der Revision. Die Beteiligten sind damit einverstanden, daß der Senat ohne mündliche Verhandlung entscheidet.

Die Revision ist zulässig und auch begründet.

Der Kläger kann nicht verlangen, daß die Zeiten seiner Arbeitslosigkeit in den Jahren 1948 bis 1953 bei der Rentenberechnung (§§ 31, 35 AVG) berücksichtigt werden. Das LSG hat schon zu Recht ausgeführt, daß diese Zeiten keine Ersatzzeiten i. S. der §§ 27, 28 Abs. 1 Nr. 1 AVG sind. Ersatzzeit ist diejenige Zeit einer (unverschuldeten) Arbeitslosigkeit, die sich an den Militärdienst oder die Gefangenschaft anschließt. Welcher zeitliche Zusammenhang damit gemeint ist, bedarf keiner Entscheidung (zur Bedeutung des Wortes "anschließend" in § 36 Abs. 1 Nr. 4 AVG vgl. BSG 17, 129). Ein Anschluß ist jedenfalls zu verneinen, wenn nach der Gefangenschaft - wie hier - wieder eine mehrmonatige versicherungspflichtige Beschäftigung aufgenommen wurde und die Arbeitslosigkeit erst dieser folgt. Die streitigen Zeiten der Arbeitslosigkeit könnten darum nur als Ausfallzeiten i. S. des § 36 Abs. 1 Nr. 3 AVG berücksichtigt werden. Entgegen der Ansicht des LSG dürfen sie jedoch auch als solche nicht angerechnet werden, weil dem § 36 Abs. 3 AVG entgegensteht. Zu der wörtlich gleichen Parallelvorschrift des § 1259 Abs. 3 der Reichsversicherungsordnung hat das Bundessozialgericht bereits entschieden (BSG 14, 154), daß die Zeiten des Militärdienstes und der Kriegsgefangenschaft bei der Berechnung der Halbdeckung nicht von der Versicherungsdauer abgesetzt werden dürfen. Dem schließt sich der erkennende Senat für die Auslegung des § 36 Abs. 3 AVG an. Der Wortlaut ist insoweit eindeutig, er läßt keine Kürzung der Versicherungsdauer um Wehrdienst, Gefangenschaft oder sonstige Ersatzzeiten zu. Der für die Berechnung der Halbdeckung maßgebende Zeitraum reicht danach vom Eintritt in die Versicherung bis zum Eintritt des Versicherungsfalles. Für ein Redaktionsversehen des Gesetzgebers findet sich kein Anhalt. Die Vorschrift fügt sich im Gegenteil zwanglos in die Bestrebungen der Rentenreform ein, dem Versicherungsprinzip wieder in stärkerem Maße Rechnung zu tragen. Deshalb ist es durchaus sinnvoll, Ausfallzeiten bei der Rentenberechnung (Rentenhöhe) nur zu berücksichtigen, wenn diese Vergünstigung durch eine ausreichende Zahl von Beiträgen gerechtfertigt wird. Unbilligen Nachteilen für Kriegsteilnehmer und Heimkehrer begegnet der Gesetzgeber im Bereich der Rentenversicherung auf andere Weise. Er tut dies vor allem dadurch, daß er Wehrdienst, Gefangenschaft und eine anschließende Krankheit oder unverschuldete Arbeitslosigkeit als Ersatzzeiten (§ 28 Abs. 1 Nr. 1 AVG) anrechnet. Weitere Nachteile werden durch die Übergangsvorschrift des Art. 2 § 14 Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetz ausgeglichen, die - unter gewissen Voraussetzungen - die Anrechnung pauschalberechneter Ausfallzeiten gestattet. Beide Vorschriften sind dem Kläger zugute gekommen; sie haben dazu geführt, daß ihm neben 142 Pflichtbeiträgen eine Ersatzzeit von 83 Monaten (einschließlich der Arbeitslosigkeit von April bis September 1947) und eine pauschale Ausfallzeit von 14 Monaten angerechnet worden sind. Die Berücksichtigung weiterer Ersatz- oder Ausfallzeiten ist nach dem Gesetz nicht statthaft.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2380696

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