Entscheidungsstichwort (Thema)
Unfall beim Duschen nach ärztlich verordnetem Thermalbad
Orientierungssatz
Kommt der Versicherte nach einem ärztlich verordneten Thermalbewegungsbad und dem anschließenden Duschen zum Abspülen der Badezusätze im Duschraum des Thermalbades des Kurortes infolge des feuchten Bodens zu Fall, so handelt es sich um einen Arbeitsunfall, da der Versicherte ihn "bei" der in § 539 Abs 1 Nr 17 Buchst a RVO "genannten Tätigkeit" (§ 548 RVO) erlitten hat.
Normenkette
RVO § 539 Abs 1 Nr 17 Buchst a, § 548 Abs 1 S 1
Verfahrensgang
SG Hildesheim (Entscheidung vom 30.04.1985; Aktenzeichen S 11 U 172/84) |
Tatbestand
Die Klägerin befand sich im November 1983 auf Veranlassung und Kosten der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) in stationärer Behandlung von Beschwerden am Skelettsystem. Nach einem ärztlich verordneten Bewegungsbad und anschließendem Duschen rutschte sie am 23. November 1983 im Duschraum des Thermalbades aus und fiel auf den linken Arm. Dadurch zog sie sich mehrfache Speichenbrüche zu. Am 21. Februar 1984 war ihre Arbeitsfähigkeit wiederhergestellt, ihre Erwerbsfähigkeit jedoch darüber hinaus in rentenberechtigendem Grad gemindert.
Die Beklagte lehnte eine Entschädigung ab, da zwischen dem Unfall und der stationären Behandlung (§ 539 Abs 1 Nr 17 Buchst a der Reichsversicherungsordnung -RVO-) kein ursächlicher Zusammenhang bestanden habe. Das Duschen gehöre zum unversicherten, privaten Bereich. Es sei der Heilbehandlung nicht dienlich gewesen. Die Klägerin sei auch nicht einer mit dem Krankenhausaufenthalt verbundenen besonderen Gefahr erlegen (Bescheid vom 20. März 1984, Widerspruchsbescheid vom 12. September 1984).
Das Sozialgericht (SG) hat der Klage stattgegeben (Urteil vom 30. April 1985). Es hat die Beklagte zur Gewährung einer vorläufigen Rente vom 21. Februar 1984 an verurteilt, und zwar nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um zunächst 40 vH bis zum 31. Mai 1984, um 30 vH bis zum 16. August 1984 und um 20 vH vom 17. August 1984 an. Ferner hat es festgestellt, daß folgende Unfallfolgen bestehen: Bewegungseinschränkung und Belastungsbeschwerden im linken Handgelenk nach in weitgehend achsengerechter Stellung knöchern verheiltem handgelenksnahen Speichenbruch mit nachfolgender Sudeck'scher Erkrankung sowie endgradige Bewegungseinschränkung im linken Schultergelenk. Das SG hat einen inneren Zusammenhang zwischen der stationären Behandlung und dem Duschen angenommen, das dem Abspülen der Badezusätze nach dem Thermalbad gedient habe und eine Folge - wenn auch nicht Bestandteil - des ärztlich verordneten Bades gewesen sei. Das Duschen sei hier wie die körperliche Reinigung nach der Arbeit im Betrieb zu werten. Außerdem sei die Klägerin bei der Benutzung des Duschraums einem anderen - höheren - Risiko ausgesetzt gewesen als in ihrer Privatwohnung. Bei der Feststellung der Unfallfolgen und der hierdurch bedingten MdE hat sich das SG auf das von der Beklagten eingeholte, von Dr. L. am 16. August 1984 erstattete Erste Rentengutachten gestützt. Im Anschluß an die Verkündung des Urteils hat das SG auf Antrag der Beklagten mit Zustimmung der Klägerin am 30. April 1985 die Sprungrevision durch Beschluß zugelassen.
Mit der Revision macht die Beklagte geltend, es sei zunächst zu prüfen, ob nicht das Duschen, wie im angefochtenen Bescheid angenommen, als alltägliche Handlung dem privaten Bereich zuzuordnen sei. Es sei auch nicht unzweifelhaft, daß der Duschraum eines Thermalbades ein höheres Risiko bilde als die gewohnte Reinigungsgelegenheit in der Privatwohnung. Bautechnische Mängel an der Unfallstelle habe das SG nicht festgestellt. Jedenfalls aber seien die Ansprüche der Klägerin deshalb unbegründet, weil das Risiko der ärztlichen Behandlung vom Versicherungsschutz nach § 539 Abs 1 Nr 17 Buchst a RVO nicht erfaßt werde. Im Unfallzeitpunkt in der Duschkabine habe sich die Klägerin noch im Rahmen und im Bereich sowie in der Obhut der ärztlich verordneten Behandlung befunden.
Sie beantragt, das Urteil des SG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist nicht begründet.
Das SG hat zu Recht entschieden, daß der Unfall der Klägerin am 23. November 1983 ein Arbeitsunfall war und die Beklagte deshalb wegen der Folgen dieses Unfalls Entschädigung zu leisten hat.
Die Klägerin war während der ihr von der BfA gewährten stationären Behandlung nach § 539 Abs 1 Nr 17 Buchst a RVO gegen Arbeitsunfall versichert (§ 548 RVO). Nach den bindenden tatsächlichen Feststellungen des SG ereignete sich der Unfall am 23. November 1983 nach einem ärztlich verordneten Thermalbewegungsbad und dem anschließenden Duschen zum Abspülen der Badezusätze im Duschraum des Thermalbades des Kurortes. Die Klägerin rutschte auf dem feuchten Boden aus, kam zu Fall und zog sich dadurch Verletzungen zu. Der Unfall war ein Arbeitsunfall, da die Klägerin ihn "bei" der in § 539 Abs 1 Nr 17 Buchst a RVO "genannten Tätigkeit" (§ 548 RVO) erlitten hat.
Der Versicherungsschutz bei der stationären Behandlung ist dadurch begründet, daß der Versicherte sich in eine besondere Einrichtung begeben muß und dort überwiegend anderen Risiken ausgesetzt ist als zu Hause (s ua BSGE 46, 283, 285; 55, 10, 12; BSG SozR 2200 § 539 Nr 56). Der nach § 539 Abs 1 Nr 17 Buchst a iVm § 548 RVO erforderliche ursächliche Zusammenhang zwischen dem Unfall und der stationären Behandlung (s BSG aa0; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 10. Aufl S 475f und g, 484p ff; Lauterbach/Watermann, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl § 539 Anm 97h Buchst d; Gitter SGb 1982, 221) ist hier schon dadurch gegeben, daß sich der Unfall bei einer Betätigung ereignet hat, die der Mitwirkung der Klägerin an der ärztlich angeordneten Behandlungsmaßnahme diente. In tatsächlicher Hinsicht geht auch die Revision zutreffend davon aus, daß aufgrund des vom SG festgestellten Sachverhalts das Duschen nicht als ein von dem Thermalbewegungsbad losgelöster, gesondert zu wertender Vorgang anzusehen ist, sondern - zumal da es zum Abspülen der Badezusätze erforderlich war - mit dem Bad eine einheitliche Betätigung bildete. Der rechtlichen Wertung dieses Vorgangs durch die Revision folgt der Senat demgegenüber nicht.
Die von der Revision aufgeworfene Frage, ob nicht das Duschen, selbst im Anschluß an ein ärztlich angeordnetes Thermalbad, eine alltägliche und damit dem privaten, unversicherten Bereich zuzurechnende Betätigung sei, ist jedenfalls für die hier gegebene Fallgestaltung zu verneinen. Zwar besteht bei Verrichtungen, die wesentlich allein von der stationären Behandlung unabhängigen privaten Interessen des Versicherten dienen, nach § 539 Abs 1 Nr 17 Buchst a RVO ebenso wie im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses nach § 539 Abs 1 Nr 1 RVO kein Versicherungsschutz (s BSG SozR 2200 Nrn 48, 72, 84; BSG USK 79245; Brackmann aa0 S 475g, 484q; Lauterbach/Watermann aa0; Gitter aa0 S 225), es sei denn, im Einzelfall hätte sich der Unfall durch das Wirksamwerden einer mit dem Krankenhausaufenthalt verbundenen Gefahr ereignet (s BSG SozR 2200 § 539 Nr 72; Brackmann aa0; Gitter aa0). Von einer dem privaten Bereich zuzurechnenden üblichen körperlichen Reinigung zB nach dem Aufstehen im Anschluß an die Nachtruhe im Krankenhaus unterscheidet sich der Vorgang, bei welchem sich der Unfall ereignete, jedoch schon wesentlich dadurch, daß das Duschen zum Abspülen der Badezusätze nach dem Thermalbad erforderlich geworden war. Es kommt deshalb insoweit nicht darauf an, ob, wie das SG angenommen, die Revision aber in Zweifel zieht, der Duschraum eines Thermalbades ein allgemein erhöhtes Risiko darstellt, und ob unter diesem Gesichtspunkt der Versicherungsschutz selbst bei Annahme einer eigenwirtschaftlichen Betätigung bejaht werden könnte (s auch BSG USK 80125).
Die Revision macht jedoch außerdem und in erster Linie geltend, der Versicherungsschutz sei ausgeschlossen, weil sich die Klägerin im Unfallzeitpunkt noch im Rahmen, im Bereich und in der Obhut der ärztlich verordneten Behandlung befunden habe. Allerdings hat das BSG bereits mehrfach entschieden, daß das Risiko der ärztlichen Behandlung nicht Gegenstand des Versicherungsschutzes nach § 539 Abs 1 Nr 17 Buchst a RVO ist (s BSGE 46, 283; SozR 2200 § 539 Nrn 56, 71, § 639 Nr 1; USK 81102; Urteil vom 29. Januar 1986 - 9b RU 18/85) und deshalb ein Arbeitsunfall nicht vorliegt, wenn durch eine ärztliche Maßnahme - das Handeln oder Unterlassen eines Arztes oder seiner Hilfskräfte - eine Gesundheitsstörung eintritt (s auch Brackmann aa0 S 475g ff mwN; Bereiter-Hahn/Schieke/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 539 RdNr 30 Buchst a; Gitter aa0 S 224 ff). Das BSG hat insoweit ua ausgeführt, daß die gesetzliche Unfallversicherung nicht für jeden Mißerfolg einer stationären Behandlung einzustehen hat (s BSGE aa0 S 284). Es bedarf aus Anlaß des vorliegenden Falles keiner abschließenden Entscheidung, wie der Bereich näher abzugrenzen ist, der dem vom Versicherungsschutz danach ausgeschlossenen Risiko der ärztlichen Behandlung zuzurechnen ist. Hier jedenfalls könnte für den Eintritt des Unfalls eine ärztliche Maßnahme allenfalls insoweit in Betracht gezogen werden, als die Klägerin durch ärztliche Verordnung überhaupt erst zu dem Bewegungsbad und dem anschließenden Duschen veranlaßt worden ist. Das Risiko der ärztlichen Behandlung selbst war für den Eintritt des Unfalls rechtlich nicht wesentlich.
Die Revision der Beklagten ist danach nicht begründet. Das Urteil des SG ist im Ergebnis zutreffend. Die Bezeichnung der Unfallfolgen und die Festlegung der Höhe der dadurch bedingten MdE ergeben sich aus den bindenden tatsächlichen Feststellungen des SG.
Die Revision ist ua der Auffassung, daß der Senat nicht vor September 1986 entscheiden könne, da der Beschluß des SG über die Zulassung der Sprungrevision keine Rechtsmittelbelehrung enthalte. Selbst wenn man mit der Revision davon ausgeht, daß der den Beteiligten zugestellte Beschluß über die Zulassung der Sprungrevision keine Rechtsmittelbelehrung enthält, steht dies einer Entscheidung des Senats vor Ablauf der Jahresfrist des § 66 Abs 2 Satz 1 SGG nicht entgegen, nachdem die Beklagte die Sprungrevision eingelegt hat (vgl BSG Urteil vom 28. März 1958 - 6 RKa 20/56 -; Meyer-Ladewig, SGG, 2. Aufl, § 66 RdNr 12; Peters/Sautter/Wolff, Komm zum SGG, 4. Aufl, § 66 Anm 3g; Bley, Sozialgesetzbuch -Sozialversicherung- Gesamtkomm, § 66 SGG Anm 7 Buchst a; Eyermann/Fröhler, VwGO, 8. Aufl, § 58 RdNr 13; aA Redeker/von Oertzen, VwGO, 8. Aufl, § 58 RdNr 15). Dies gilt jedenfalls dann, wenn - wie hier - seit Einlegung der Revision eine Revisionsbegründungsfrist von zwei Monaten eingehalten worden ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen