Leitsatz (amtlich)

1. In den Fällen des TbcG § 36 Abs 1 besteht kein Anspruch auf Leistungen nach dem TbcG für die Zeit vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes.

2. Dies gilt auch für Ersatzansprüche der Landesfürsorgeverbände als Träger der Tuberkulosehilfe nach RVO § 1541 idF des TbcG § 31 Nr 1 Buchst c.

 

Normenkette

RVO § 1541 Fassung: 1959-07-23; TbcG § 31 Nr. 1 Buchst. c, § 36 Abs. 1

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen in Celle vom 22. Juni 1960 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt von der Beklagten Ersatz der von ihm für die stationäre Behandlung des bei der Beklagten versicherten Bergmanns Eugen N. (N.) in der Zeit vom 14. Mai 1954 bis 30. November 1957 aufgewandten Kosten. Die Beklagte, die das Vorliegen einer entschädigungspflichtigen Siliko-Tuberkulose nach Ziff. 27 der 5. Verordnung (VO) über die Ausdehnung der Unfallversicherung auf Berufskrankheiten bei N. anerkannt hatte und ihm die Vollrente sowie bis zum 14. Mai 1954 stationäre Heilbehandlung und Familien- und Tagegeld gewährt hatte, lehnte die Übernahme der Kosten für die weitere stationäre Unterbringung des N. mit der Begründung ab, es sei nicht Aufgabe des Trägers der Unfallversicherung, für den Unterhalt eines Erkrankten in einer Heilstätte und in einem Krankenhaus aufzukommen, wenn der Erkrankte ausschließlich aus Gründen seiner Asylierung, d.h. zur Verhütung einer Ansteckung anderer Personen stationär untergebracht worden sei. In solchen Fällen handele es sich um eine gesundheitspolizeiliche Maßnahme, deren Kosten dem auf Grund der Tbc-Hilfe zuständigen Träger zur Last fielen.

Die daraufhin vom Kläger am 28. August 1957 erhobene Klage wurde, nachdem im Laufe des sozialgerichtlichen Verfahrens die Landesversicherungsanstalt Hessen in Frankfurt/M beigeladen worden war, durch Urteil des Sozialgerichts in Gießen vom 10. Juni 1959 abgewiesen.

Die gegen dieses Urteil eingelegte Berufung hat das Landessozialgericht Niedersachsen durch Urteil vom 22. Juni 1960 zurückgewiesen; es hat die Revision zugelassen. Eine Unterstützung nach gesetzlicher Pflicht im Sinne des § 1531 der Reichsversicherungsordnung (RVO) liege nur vor, wenn der Träger der Fürsorge die Unterstützung auf Grund der Fürsorgevorschriften erbracht habe. Bei der Gewährung von Tbc-Hilfe handele es sich aber nicht um Leistungen der öffentlichen Fürsorge, sondern um Leistungen, die der öffentlichen Fürsorge vorgingen. Eine unmittelbare Anwendung des § 1531 RVO sei daher ausgeschlossen. Auch eine analoge Anwendung dieser Vorschrift sei nicht möglich, denn der Träger der öffentlichen Fürsorge solle nur dann Ersatz verlangen können, wenn der Sozialversicherungsträger primär und er selbst nur subsidiär zur Leistung verpflichtet sei. Im übrigen sei der Ersatzanspruch auch deshalb unbegründet, weil die stationäre Unterbringung vom 14. Mai 1954 an nicht in Ausübung der Wohlfahrtspflege, sondern in Ausübung der Gesundheitspolizei erfolgt sei. Wenn die stationäre Unterbringung aber nicht vorwiegend im Interesse des Versicherten gelegen habe, habe insoweit auch eine Leistungspflicht der Beklagten nicht bestanden.

Gegen das dem Vertreter des Klägers am 27. Juli 1960 zugestellte Urteil hat dieser am 17. August 1960 unter Antragstellung Revision eingelegt und diese am 10. September 1960 begründet.

Er ist der Ansicht, für die analoge Anwendung des § 1531 RVO komme es darauf an, ob der Träger der Tbc-Hilfe subsidiär und die Beklagte primär verpflichtet seien. Aus den §§ 545, 555, 558 RVO und aus § 3 der Tbc-VO ergebe sich aber, daß der Träger der Fürsorge bei Behandlung einer Tbc, die zugleich Berufskrankheit sei, nur subsidiär eintreten solle, da der Fürsorgeträger Tbc-Hilfe nur gewähren müsse, wenn die erforderliche Hilfe nicht anderweitig sichergestellt sei. N. sei im Gegensatz zur Auffassung des Landessozialgerichts auch hilfsbedürftig gewesen, da er mit seiner Rente von 170,-- DM die Kosten der stationären Behandlung nicht hätte tragen können. Es sei weiter nicht richtig, daß die stationäre Behandlung, die nach den nicht angreifbaren Feststellungen des Landessozialgerichts zwar vorwiegend der Asylierung gedient habe, keinesfalls Sache der Beklagten sei. Das Gegenteil ergebe sich aus § 558 d Abs. 4 Ziff. 2 und Abs. 4 RVO. Durch diese Vorschrift übernehme die Berufsgenossenschaft auch gesundheitspolizeiliche Aufgaben, da hiernach Heilanstaltspflege zu gewähren sei, um die Ansteckung Dritter zu verhüten. Die Ansicht des Berufungsgerichts, daß es sich um eine gesundheitspolizeiliche Maßnahme gehandelt habe, da die stationäre Unterbringung vorwiegend zum Zwecke der Asylierung erfolgt sei, sei im übrigen nicht richtig. Eine solche Maßnahme liege nur dann vor, wenn die Tbc ansteckend sei, die konkrete Gefahr der Verbreitung bestehe, diese nicht durch mildere Schutzmaßnahmen, wie zB Absonderung in der Wohnung, ab gewehrt werden könne und wenn die für die Anordnung dieser Maßnahmen zuständige Stelle die gesundheitspolizeiliche Notwendigkeit festgestellt habe. Zumindest an dem letzten Erfordernis fehle es aber. Eine Befreiung der Berufsgenossenschaft von der Leistungspflicht trete aber, wenn überhaupt, allenfalls dann ein, wenn eine echte gesundheitspolizeiliche Maßnahme vorliege.

Der Kläger beantragt,

unter Aufhebung des angefochtenen Urteils des Landessozialgerichts Niedersachsen in Celle vom 22. Juni 1960 und des Urteils des Sozialgerichts in Gießen vom 10. Juni 1959 die Beklagte zu verurteilen, ihm die von ihm für den stationären Aufenthalt des Versicherten Eugen N., geb. am 2. Dezember 1901, in der Zeit vom 14. Mai 1954 bis 30. November 1957 in der Heilstätte Falkenstein entstandenen Aufwendungen in Höhe von 11 919,33 DM einschließlich 4 % Zinsen seit Klageerhebung zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Da eine Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) erhoben sei, müsse das Recht angewendet werden, das zur Zeit der/letzten/mündlichen Verhandlung gelte. Maßgebend sei also das Tuberkulosehilfegesetz, nicht dagegen die seit dem 1. Oktober 1959 außer Kraft getretene VO über die Tbc-Hilfe. Der Ersatzanspruch des Klägers richte sich daher gemäß § 31 Ziff. 1 Buchst. c nach den §§ 1541, 1531 RVO. Da die stationäre Behandlung des N. nach, den nicht angreifbaren Feststellungen des Landessozialgerichts vorwiegend der Asylierung gedient habe, sei die Revision unbegründet, denn eine solche Behandlung gehöre nicht zu ihren Aufgaben. Die vom Kläger vertretene gegenteilige Ansicht treffe nicht zu. Sie könne lediglich Krankenbehandlung gemäß §§ 558 ff RVO gewähren. Diese solle die unfallbedingten oder auf Berufskrankheiten beruhenden Gesundheitsstörungen oder Körperbeschädigung und die darauf beruhende Erwerbsunfähigkeit beseitigen und ein Verschlimmerung verhüten. § 1 der VO vom 14. November 1928 erfasse zwar auch Fälle, in denen Krankenbehandlung zur Linderung der Leiden erforderlich sei, nicht aber Fälle, in denen vorwiegend etwas anderes bezweckt und die Behandlungsmaßnahmen allenfalls eine erstrebenswerte Nebenfolge seien. Die §§ 558 ff RVO i.V.m. § 1 der VO vom 14. November 1928 rechtfertigten daher nicht eine andauernde stationäre Behandlung zum Zwecke der Asylierung. Aus § 558 d Abs. 4/Ziff. 2/I.V.M. Abs. 6 ergebe sich im Gegensatz zur Auffassung des Klägers nur die Entbehrlichkeit der Zustimmung zu einer der in § 558 d Abs. 1 RVO genannten Maßnahmen. Schließlich ergebe sich auch aus § 35 Abs. 2 Tuberkulosehilfegesetz eine gesetzliche Vermutung dafür, daß bei länge als einem Jahr währender stationärer Krankenbehandlung die fort zu gewährende stationäre Dauerbehandlung eine reine Asylierungsmaßnahme sei. Einer gesundheitspolizeilichen Anordnung bedürfe es im Gegensatz zur Auffassung des Klägers für die Annahme einer Asylierung nicht. Derartige Anordnungen würden auch kaum getroffen. Wenn in § 35 Abs. 1 Tuberkulosehilfegesetz die Berufsgenossenschaften nicht erwähnt seien, so beruhe dies nur darauf, daß ihre Leistungen auf dem Gebiet der Tbc-Bekämpfung gegenüber den Leistungen der anderen Leistungsträger völlig zurückträten. Irgendwelche Folgerungen für die Leistungspflicht der Berufsgenossenschaft könnten daraus nicht gezogen werden. Die Pflicht zur Krankenbehandlung sei im vorliegenden Falle auch deshalb ausgeschlossen, weil sie dann, wenn die stationäre Behandlung vorwiegend dem Zweck der Asylierung diene, nicht mehr auf einem Arbeitsunfall oder einer Berufskrankheit beruhe, also der nach § 1244 Abs. 7 RVO erforderliche Kausalzusammenhang nicht mehr gegeben sei.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist frist- und formgerecht eingelegt und begründet worden; sie ist auch statthaft, da das Landessozialgericht sie zugelassen hat. Bedenken gegen ihre Zulässigkeit bestehen somit nicht. Es mußte ihr jedoch der Erfolg versagt bleiben.

Zu Recht hat das Berufungsgericht den Anspruch des Klägers abgelehnt, weil es an einer Anspruchsgrundlage fehlt.

§ 1541 RVO in der durch § 31 Nr. 1 c des Gesetzes über die Tuberkulosehilfe vom 23. Juli 1959 (BGBl I 513 ff) - THG - geänderten Fassung i.V.m. § 1531 RVO, wonach auch den Landesfürsorgeverbänden als Trägern der Tbc-Hilfe Ersatzansprüche im Sinne des § 1531 RVO zustehen, kann auf den erhobenen Anspruch nicht angewandt werden. Die für die Anspruchsbegründung maßgebenden Sachverhalte - der Krankenhausaufenthalt des N. und die Leistung des Klägers an das Krankenhaus - sind bereits vor dem Inkrafttreten des THG (1. Oktober 1959) eingetreten, so daß sie von dem THG noch nicht erfaßt werden. Denn grundsätzlich ist ein neues Gesetz nur auf Sachverhalte anzuwenden, die sich nach seinem Inkrafttreten ereignen. Etwas anderes gilt nur dann, wenn sich das neue Gesetz rückwirkende Kraft beigelegt hat. Nun enthält § 36 Abs. 1 THG zwar eine Rückwirkungsanordnung, die bestimmt, daß das Gesetz auch auf Kranke und Genesene anzuwenden ist, deren Behandlungsbedürftigkeit bereits vor Inkrafttreten des Gesetzes festgestellt worden ist. Ob damit auch Ersatzansprüche der Fürsorgeverbände erfaßt sind, ist zumindest zweifelhaft. Selbst wenn man dies aber annehmen würde, könnte eine vor dem Inkrafttreten des THG festgestellte Behandlungsbedürftigkeit eines Kranken oder Genesenen doch zu Ansprüchen neuen Rechts erst für die Zeit vom Inkrafttreten des THG an führen. Wenn auch ein neues Gesetz kraft einer Rückwirkungsanordnung auf Tatbestände anzuwenden ist, die bereits vor seinem Inkrafttreten eingetreten sind, so ist damit noch nicht entschieden, ob die auf Grund dieses alten Sachverhalts nach neuem Hecht entstehenden Ansprüche bereits von dem Zeitpunkt des Eintritts dieses Sachverhalts oder aber erst vom Zeitpunkt des Inkrafttretens des neuen Rechts an zur Entstehung gelangen. Wenn auch, anders als etwa in Art. 2 § 25 Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetz (ArVNG), diese Frage im THG nicht ausdrücklich geregelt ist, so ist doch aus dem Gesamtzusammenhang dieses Gesetzes zu schließen, daß neue Ansprüche frühestens mit dem Inkrafttreten des Gesetzes entstehen sollen. Dafür spricht die Fassung des Abs. 2 des § 36 THG, in welchem angeordnet ist, daß die nach neuem Recht zuständige, d.h. zur Leistung verpflichtete Stelle dann, wenn sich der Kranke im Zeitpunkt des Inkrafttretens des THG in stationäre Behandlung befindet, noch nicht einmal mit Inkrafttreten des Gesetzes zuständig, d.h. zur Leistung verpflichtet ist, daß vielmehr weiterhin (längstens bis zu sechs Monaten) noch die nach altem Recht zuständige Stelle verpflichtet bleibt. Wenn hierin auch keine ausdrückliche Regelung dieser Frage erblickt werden kann, so macht diese Vorschrift doch hinreichend den Ausgangspunkt des Gesetzgebers deutlich, nach welchem sich bis zum Inkrafttreten des Gesetzes die Zuständigkeit und damit die Verpflichtung zur Leistung noch nach altem Recht richtet; eine Neuverteilung der Lasten für die Vergangenheit sollte also nicht stattfinden. Es wäre auch kaum verständlich, wenn für bereits abgelaufene Zeiten noch eine Lastenneuverteilung vorgenommen werden sollte. Da es sich bei den geltend gemachten Ansprüchen des Klägers um solche für Zeiten vor dem Inkrafttreten des THG handelt, kann daher das THG und damit auch § 31 Nr. 1 c auf sie keine Anwendung finden.

Der geltend gemachte Anspruch könnte daher nur nach § 1531 RVO unmittelbar begründet sein. Dessen Voraussetzungen liegen aber, wie das Berufungsgericht zu Recht angenommen hat, nicht vor. Nach dieser Vorschrift steht dem Fürsorgeträger ein Ersatzanspruch nur dann zu, wenn er nach gesetzlicher Pflicht einen Hilfsbedürftigen für eine Zeit unterstützt, für die dieser einen Anspruch nach der RVO hatte oder noch hat. Wie das Bundessozialgericht bereits in Übereinstimmung mit der in der Literatur allgemein vertretenen Ansicht entschieden hat, liegt eine Unterstützung nach gesetzlicher Pflicht im Sinne von § 1531 RVO aber nur dann vor, wenn von einem Fürsorgeträger Unterstützung auf Grund der Verordnung über die Fürsorgepflicht vom 13. Februar 1924 (RGBl I 100) und der sie ergänzenden Vorschriften gewährt wird (BSG 6, 61, 67; Verbandskomm. zur RVO, 5. Aufl. § 1531 Anm. 4; Lauterbach, Unfallversicherung, 2. Aufl. § 1531 Anm. 3; Mitgl. Komm. zur RVO, Bd. 1, § 1531 Anm. 1; Brackmann, Handb. d. Sozialversicherung, S. 970 c; RVA in Breith. 1933, 292). Wie das Bundessozialgericht in diesem Urteil ebenfalls entschieden hat, kann diese Vorschrift auch nicht analog auf Leistungen nach der Tbc-Verordnung angewandt werden. Da sie bewußt nur für Leistungen nach der Verordnung über die Fürsorgepflicht erlassen ist, muß angenommen werden, daß damit die Beziehungen dieser Art zwischen dem Fürsorgeträger und dem Sozialversicherungsträger abschließend geregelt werden sollten. Dann aber ist für eine ausdehnende analoge Anwendung kein Raum. Es besteht kein Anlaß, die bisherige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts aufzugeben. Da die Regelung des § 1531 RVO als abschließend anzusehen ist, kann aber auch eine Ausweitung der Ersatzverpflichtung der Versicherungsträger nicht durch eine entsprechende Anwendung der Vorschriften über die Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 677 ff des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -) oder der Vorschriften über die ungerechtfertigte Bereicherung (§§ 812 ff BGB) erfolgen (vgl. dazu auch BGH LM Nr. 7 und 8 zu § 683 BGB). Der Anspruch des Klägers ist daher schon aus diesem Grunde nicht gegeben, ohne daß es einer Prüfung bedurfte, ob er auch deshalb abzulehnen gewesen wäre, weil die Beklagte ihrem Versicherten N. gegenüber nicht zur Tragung der Kosten der Heilanstaltspflege verpflichtet gewesen ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 38

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge