Leitsatz (amtlich)

1. Ein Prozeßvergleich ( SGG § 101 Abs 1 ) verliert seine das Verfahren beendende Wirkung nicht schon durch spätere Erklärungen der Beteiligten, am Vergleich nicht mehr festhalten zu wollen.

 

Orientierungssatz

1. Eine Zurückverweisung an die Verwaltung ist im sozialgerichtlichen Verfahren grundsätzlich unzulässig.

2. Zur Anfechtbarkeit eines Prozeßvergleichs aufgrund von Willensmängeln.

 

Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 09.09.1959; Aktenzeichen L 2 b U Kg 2381/57)

 

Tenor

Das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 9. September 1959 wird mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen.

 

Tatbestand

I

Der Kläger erlitt am 24. Juli 1952 auf dem Heimweg von der Arbeitsstätte durch Sturz mit seinem Motorrad eine Prellung des linken Kniegelenks mit großem Erguß. Prof. Dr. F. und Dr. L. vom Kreiskrankenhaus G. bewerteten die durch diesen Unfall hervorgerufene Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) zunächst mit 20 v.H. Nachdem der Kläger Ende Oktober 1952 bei der Arbeit infolge Schwäche des linken Kniegelenks gestürzt war und sich abermals das Knie verletzt hatte, schätzten die Sachverständigen die MdE auf 30 v.H. Entsprechend diesen gutachtlichen Vorschlägen gewährte die Beklagte eine vorläufige Rente. Im September 1953 setzte sie diese Rente auf 20 v.H. herab, nachdem Dr. L. eine Besserung der Unfallfolgen festgestellt hatte. Die hiergegen erhobene Klage nahm der Kläger am 13. Mai 1955 zurück. Drei Wochen später machte er jedoch eine Verschlimmerung der Unfallfolgen geltend und verlangte die Erhöhung der Rente auf 30 v. H. Die daraufhin im Juni 1955 veranlaßte Nachuntersuchung durch Prof. Dr. F. und Dr. L. ergab als Befund der Unfallfolgen nur noch eine geringe Schwäche im Streckapparat des verletzten Gelenks, dagegen keinen Muskelschwund mehr am linken Bein. Die Ärzte bewerteten den Zustand mit 10 v.H. Dr. Le. als behandelnder Arzt stimmte der Befunderhebung zu, schätzte jedoch die MdE auf 20 v.H. im Hinblick auf die als Unfallfolge noch verbliebene Standunsicherheit. Die Beklagte ließ hierauf den Kläger noch im K. Krankenhaus in S. untersuchen. Chefarzt Dr. H. und Oberarzt Dr. N. stellten Streckschwäche und geringen Muskelschwund am linken Bein fest und bewerteten die MdE mit 10 v.H. Durch Bescheid vom 14. Oktober 1955 entzog sodann die Beklagte die vorläufige Rente mit Wirkung vom 1. Dezember 1955 an und lehnte die Gewährung einer Dauerrente ab.

Im Klageverfahren hat zunächst Dr. Le. im Januar 1956 bescheinigt, der Kläger sei am 27. Dezember 1955 infolge der noch verbliebenen Unfallfolgen erneut verunglückt; er hat auf den über dieses Ereignis erstatteten Durchgangsarztbericht verwiesen. Das Sozialgericht (SG) hat den Kläger in der Privatklinik J. in U. untersuchen lassen. Der Chefarzt Dozent Dr. Scheidt hat in seinem Gutachten ausgeführt, beim Kläger liege ein Riß des linken Meniskus vor, der zu Einklemmungen führe und eine erhebliche Muskelschwäche des linken Oberschenkels bewirkt habe; dies seien Folgen des Unfalls vom 24. Juli 1952. Begleiterscheinungen des Unfallereignisses vom 27. Dezember 1955 ließen sich hiervon nicht abtrennen. Die MdE seit dem 1. Dezember 1955 betrage 20 v.H. Eine Meniskusoperation sei erforderlich. Der Kläger hat seine Zustimmung zu dem operativen Eingriff verweigert. Das SG hat die Klage abgewiesen.

Mit seiner hiergegen eingelegten Berufung hat der Kläger beantragt, ihm auch über den 30. November 1955 hinaus eine Unfallrente in Höhe von 20 v.H. zu gewähren.

Das Landessozialgericht (LSG) hat Prof. Dr. K. Tübingen, mit der Erstattung eines Gutachtens zur Frage beauftragt, ob der Meniskusschaden des Klägers durch den Unfall vom 24. Juli 1952 verursacht worden sei, und welche MdE deswegen seit dem 1. Dezember 1955 bestehe. Der Kläger hat es jedoch abgelehnt, sich nochmals untersuchen zu lassen. In der mündlichen Verhandlung am 8. Juli 1959 haben die Beteiligten folgenden Vergleich geschlossen:

  1. Die Beklagte erklärt sich bereit, wegen des vom Kläger behaupteten Unfalls vom 27. Dezember 1955 über etwaige Unfallentschädigungsansprüche des Klägers ab diesem Zeitpunkt einen neuen Bescheid zu erteilen.
  2. Der Kläger nimmt dieses Angebot an und erklärt damit das Berufungsverfahren für erledigt.

Diesen Vergleich hat der Kläger mit Schreiben vom 22. Juli 1959 als rechtswidrig zustande gekommen bezeichnet; er hat geltend gemacht, er habe nie einen Unfall vom 27. Dezember 1955 behauptet, vielmehr sei dieses Ereignis nur als Folge des Unfalls vom 24. Juli 1952 anzusehen. Auf Verlangen des Klägers ist erneute Verhandlung auf den 9. September 1959 anberaumt worden, zu welcher der Kläger jedoch nicht erschienen ist. Die Beklagte hat sich in der Verhandlung damit einverstanden erklärt, daß der Vergleich als unwirksam erachtet werde. Das LSG hat in Änderung der SG-Entscheidung die Beklagte verurteilt, dem Kläger einen Bescheid darüber zu erteilen, ob das Ereignis vom 27. Dezember 1955 einen selbständigen Arbeitsunfall darstellt oder eine mittelbare Folge des Unfalls vom 24. Juli 1952 ist. Im übrigen hat es die Berufung zurückgewiesen. Zur Begründung hat das LSG ausgeführt, die Ablehnung der Rentenerhöhung und die Versagung der Dauerrente durch den angefochtenen Bescheid seien gerechtfertigt, da zur Zeit der Bescheiderteilung eine MdE von mindestens 20 v.H. nicht mehr vorgelegen habe. Dies ergebe sich aus den Befunden, die im Juni und September 1955 von Prof. Dr. F. und Dr. L. sowie Dr. H. und Dr. N. erhoben worden seien, und denen auch der behandelnde Arzt Dr. Le. zugestimmt habe. Das Gutachten des Dr. S. stehe dem nicht entgegen; denn es sei erst nach dem Ereignis vom 27. Dezember 1955 erstattet worden, welches offensichtlich zu einer neuen Knieschädigung geführt habe. Es sei unwahrscheinlich, daß sämtliche vorher gehörten Gutachter und auch der behandelnde Arzt Dr. Le. einen Meniskusriß mit Einklemmungserscheinungen übersehen haben sollten. Wahrscheinlicher sei vielmehr, daß erst das Ereignis vom 27. Dezember 1955 diesen Einriß verursacht habe. Es obliege der Beklagten, zunächst durch Verwaltungsakt zu dem Unfallereignis vom 27. Dezember 1955 Stellung zu nehmen.

Gegen das am 26. September 1959 zugestellte Urteil hat der Kläger am 22. Oktober 1959 Revision eingelegt und sie – nach Fristverlängerung bis zum 26. Dezember 1959 – am 23. Dezember 1959 begründet.

Die Revision macht u. a. geltend, eine Gesetzesverletzung liege darin, daß das LSG die Entscheidung, ob das Ereignis vom 27. Dezember 1955 einen selbständigen Arbeitsunfall oder aber eine mittelbare Folge des Unfalls vom 24. Juli 1952 darstelle, in das Ermessen der Beklagten gelegt habe, statt über den Antrag des Klägers selbst zu entscheiden. Das angefochtene Urteil gehe auch zu Unrecht davon aus, daß eine Trennung der Folgen des Unfalls vom 24. Juli 1952 und Ereignisses vom 27. Dezember 1955 möglich sei. In Wirklichkeit sei allein maßgebend der Unfall vom 24. Juli 1952, der alle späteren Schädigungen, auch das Ereignis vom 27. Dezember 1955 zur Folge gehabt habe.

Der Kläger beantragt,

unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger einen Bescheid darüber zu erteilen, daß das Ereignis vom 24. Juli 1952 einen selbständigen Arbeitsunfall darstellt, der Arbeitsunfall vom 27. Dezember 1955 lediglich eine Folge des Unfalls vom 24. Juli 1952 ist, und daß die Beklagte gemäß den Gutachten des Dr. Scheidt und des Dr. L. einen Rentenbescheid zu erteilen hat.

Die Beklagte, der das Urteil am 23. September 1959 zugestellt worden ist, hat in einem am 25. November 1959 ein gegangenen Schriftsatz beantragt,

die Revision als unzulässig zu verwerfen.

Zugleich hat sie Anschlußrevision eingelegt, mit der sie beantragt,

unter Änderung des angefochtenen Urteils die Berufung des Klägers in vollem Umfange zurückzuweisen.

Die Beklagte macht geltend, es sei zweifelhaft, ob der Kläger durch das angefochtene Urteil beschwert sei. Im übrigen sei der Rechtsstreit durch den am 8. Juli 1959 vor dem LSG geschlossenen Vergleich beendet gewesen. Der Kläger habe seine Berufung zurückgenommen. Diese Prozeßhandlung könne er nicht widerrufen. Das Einverständnis der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vom 9. September 1959, „daß der Vergleich als unwirksam erachtet werde”, sei nicht zulässig gewesen und daher rechtlich unerheblich.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes –SGG–), Der Senat hat von der ihm hierdurch gegebenen Befugnis Gebrauch gemacht.

 

Entscheidungsgründe

I

Der Kläger erlitt am 24. Juli 1952 auf dem Heimweg von der Arbeitsstätte durch Sturz mit seinem Motorrad eine Prellung des linken Kniegelenks mit großem Erguß. Prof. Dr. F und Dr. L vom Kreiskrankenhaus G bewerteten die durch diesen Unfall hervorgerufene Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) zunächst mit 20 v. H. Nachdem der Kläger Ende Oktober 1952 bei der Arbeit infolge Schwäche des linken Kniegelenks gestürzt war und sich abermals das Knie verletzt hatte, schätzten die Sachverständigen die MdE auf 30 v. H. Entsprechend diesen gutachtlichen Vorschlägen gewährte die Beklagte eine vorläufige Rente. Im September 1953 setzte sie diese Rente auf 20 v. H. herab, nachdem Dr. L eine Besserung der Unfallfolgen festgestellt hatte. Die hiergegen erhobene Klage nahm der Kläger am 13. Mai 1955 zurück. Drei Wochen später machte er jedoch eine Verschlimmerung der Unfallfolgen geltend und verlangte die Erhöhung der Rente auf 30 v. H. Die daraufhin im Juni 1955 veranlaßte Nachuntersuchung durch Prof. Dr. F und Dr. L ergab als Befund der Unfallfolgen nur noch eine geringe Schwäche im Streckapparat des verletzten Gelenks, dagegen keinen Muskelschwund mehr am linken Bein. Die Ärzte bewerteten den Zustand mit 10 v. H. Dr. Le als behandelnder Arzt stimmte der Befunderhebung zu, schätzte jedoch die MdE auf 20 v. H. im Hinblick auf die als Unfallfolge noch verbliebene Standunsicherheit. Die Beklagte ließ hierauf den Kläger noch im K-Krankenhaus in S untersuchen. Chefarzt Dr. H und Oberarzt Dr. N stellten Streckschwäche und geringen Muskelschwund am linken Bein fest und bewerteten die MdE mit 10 v. H. Durch Bescheid vom 14. Oktober 1955 entzog sodann die Beklagte die vorläufige Rente mit Wirkung vom 1. Dezember 1955 an und lehnte die Gewährung einer Dauerrente ab.

Im Klageverfahren hat zunächst Dr. Le im Januar 1956 bescheinigt, der Kläger sei am 27. Dezember 1955 infolge der noch verbliebenen Unfallfolgen erneut verunglückt; er hat auf den über dieses Ereignis erstatteten Durchgangsarztbericht verwiesen. Das Sozialgericht (SG) hat den Kläger in der Privatklinik J in U untersuchen lassen. Der Chefarzt Dozent Dr. S. hat in seinem Gutachten ausgeführt, beim Kläger liege ein Riß des linken Meniskus vor, der zu Einklemmungen führe und eine erhebliche Muskelschwäche des linken Oberschenkels bewirkt habe; dies seien Folgen des Unfalls vom 24. Juli 1952. Begleiterscheinungen des Unfallereignisses vom 27. Dezember 1955 ließen sich hiervon nicht abtrennen. Die MdE seit dem 1. Dezember 1955 betrage 20 v. H. Eine Meniskusoperation sei erforderlich. Der Kläger hat seine Zustimmung zu dem operativen Eingriff verweigert. Das SG hat die Klage abgewiesen.

Mit seiner hiergegen eingelegten Berufung hat der Kläger beantragt, ihm auch über den 30. November 1955 hinaus eine Unfallrente in Höhe von 20 v. H. zu gewähren.

Das Landessozialgericht (LSG) hat Prof. Dr. K Tübingen, mit der Erstattung eines Gutachtens zur Frage beauftragt, ob der Meniskusschaden des Klägers durch den Unfall vom 24. Juli 1952 verursacht worden sei, und welche MdE deswegen seit dem 1. Dezember 1955 bestehe. Der Kläger hat es jedoch abgelehnt, sich nochmals untersuchen zu lassen. In der mündlichen Verhandlung am 8. Juli 1959 haben die Beteiligten folgenden Vergleich geschlossen:

1. Die Beklagte erklärt sich bereit, wegen des vom Kläger behaupteten Unfalls vom 27. Dezember 1955 über etwaige Unfallentschädigungsansprüche des Klägers ab diesem Zeitpunkt einen neuen Bescheid zu erteilen.

2. Der Kläger nimmt dieses Angebot an und erklärt damit das Berufungsverfahren für erledigt.

Diesen Vergleich hat der Kläger mit Schreiben vom 22. Juli 1959 als rechtswidrig zustande gekommen bezeichnet; er hat geltend gemacht, er habe nie einen Unfall vom 27. Dezember 1955 behauptet, vielmehr sei dieses Ereignis nur als Folge des Unfalls vom 24. Juli 1952 anzusehen. Auf Verlangen des Klägers ist erneute Verhandlung auf den 9. September 1959 anberaumt worden, zu welcher der Kläger jedoch nicht erschienen ist. Die Beklagte hat sich in der Verhandlung damit einverstanden erklärt, daß der Vergleich als unwirksam erachtet werde. Das LSG hat in Änderung der SG-Entscheidung die Beklagte verurteilt, dem Kläger einen Bescheid darüber zu erteilen, ob das Ereignis vom 27. Dezember 1955 einen selbständigen Arbeitsunfall darstellt oder eine mittelbare Folge des Unfalls vom 24. Juli 1952 ist. Im übrigen hat es die Berufung zurückgewiesen. Zur Begründung hat das LSG ausgeführt, die Ablehnung der Rentenerhöhung und die Versagung der Dauerrente durch den angefochtenen Bescheid seien gerechtfertigt, da zur Zeit der Bescheiderteilung eine MdE von mindestens 20 v. H. nicht mehr vorgelegen habe. Dies ergebe sich aus den Befunden, die im Juni und September 1955 von Prof. Dr. F und Dr. L sowie Dr. H und Dr. N erhoben worden seien, und denen auch der behandelnde Arzt Dr. Le zugestimmt habe. Das Gutachten des Dr. S stehe dem nicht entgegen; denn es sei erst nach dem Ereignis vom 27. Dezember 1955 erstattet worden, welches offensichtlich zu einer neuen Knieschädigung geführt habe. Es sei unwahrscheinlich, daß sämtliche vorher gehörten Gutachter und auch der behandelnde Arzt Dr. Le einen Meniskusriß mit Einklemmungserscheinungen übersehen haben sollten. Wahrscheinlicher sei vielmehr, daß erst das Ereignis vom 27. Dezember 1955 diesen Einriß verursacht habe. Es obliege der Beklagten, zunächst durch Verwaltungsakt zu dem Unfallereignis vom 27. Dezember 1955 Stellung zu nehmen.

Gegen das am 26. September 1959 zugestellte Urteil hat der Kläger am 22. Oktober 1959 Revision eingelegt und sie - nach Fristverlängerung bis zum 26. Dezember 1959 - am 23. Dezember 1959 begründet.

Die Revision macht u. a. geltend, eine Gesetzesverletzung liege darin, daß das LSG die Entscheidung, ob das Ereignis vom 27. Dezember 1955 einen selbständigen Arbeitsunfall oder aber eine mittelbare Folge des Unfalls vom 24. Juli 1952 darstelle, in das Ermessen der Beklagten gelegt habe, statt über den Antrag des Klägers selbst zu entscheiden. Das angefochtene Urteil gehe auch zu Unrecht davon aus, daß eine Trennung der Folgen des Unfalls vom 24. Juli 1952 und Ereignisses vom 27. Dezember 1955 möglich sei. In Wirklichkeit sei allein maßgebend der Unfall vom 24. Juli 1952, der alle späteren Schädigungen, auch das Ereignis vom 27. Dezember 1955 zur Folge gehabt habe.

Der Kläger beantragt,

unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger einen Bescheid darüber zu erteilen, daß das Ereignis vom 24. Juli 1952 einen selbständigen Arbeitsunfall darstellt, der Arbeitsunfall vom 27. Dezember 1955 lediglich eine Folge des Unfalls vom 24. Juli 1952 ist, und daß die Beklagte gemäß den Gutachten des Dr. S und des Dr. L einen Rentenbescheid zu erteilen hat.

Die Beklagte, der das Urteil am 23. September 1959 zugestellt worden ist, hat in einem am 25. November 1959 eingegangenen Schriftsatz beantragt,

die Revision als unzulässig zu verwerfen.

Zugleich hat sie Anschlußrevision eingelegt, mit der sie beantragt,

unter Änderung des angefochtenen Urteils die Berufung des Klägers in vollem Umfange zurückzuweisen.

Die Beklagte macht geltend, es sei zweifelhaft, ob der Kläger durch das angefochtene Urteil beschwert sei. Im übrigen sei der Rechtsstreit durch den am 8. Juli 1959 vor dem LSG geschlossenen Vergleich beendet gewesen. Der Kläger habe seine Berufung zurückgenommen. Diese Prozeßhandlung könne er nicht widerrufen. Das Einverständnis der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vom 9. September 1959, "daß der Vergleich als unwirksam erachtet werde", sei nicht zulässig gewesen und daher rechtlich unerheblich.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt ( § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -). Der Senat hat von der ihm hierdurch gegebenen Befugnis Gebrauch gemacht.

II

Die form- und fristgerecht eingelegte und begründete Revision des Klägers ist - obwohl vom LSG nicht zugelassen - auf Grund des § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG statthaft, da mit ihr zutreffend ein wesentlicher Mangel des Berufungsverfahrens gerügt worden ist.

Der Kläger begehrt die Aufhebung des Rentenentziehungsbescheides vom 14. Oktober 1955 und die Weitergewährung einer Rente von 20 v. H. über den 30. November 1955 hinaus. Dieses Begehren hat der Kläger u. a. auf die Behauptung gestützt, die am 27. Dezember 1955 eingetretene weitere Schädigung des linken Kniegelenks sei als eine mittelbare Folge des Arbeitsunfalls vom 24. Juli 1952 anzusehen. Das SG hat die Klage abgewiesen, ohne sich mit diesem Vorbringen auseinanderzusetzen. Auch das LSG hat insoweit das Klagebegehren nicht erschöpft. Seiner Entscheidung hätte das LSG, da ihm eine zusammengefaßte Aufhebungs- und Leistungsklage vorlag, die Sachlage zur Zeit der letzten mündlichen Verhandlung zugrunde legen müssen (vgl. BSG 12, 58 SozR SGG § 54 Bl. Da 18 Nr. 71; 12, 127 SozR a. a. O. Nr. 72); es hätte demgemäß auch selbst prüfen müssen, ob der schädigende Vorgang vom 27. Dezember 1955 als mittelbare Folge des Arbeitsunfalls vom 24. Juli 1952 oder aber als ein selbständiger Arbeitsunfall aufzufassen ist sowie ob und in welchem Grade hierdurch eine Verschlimmerung der Folgen des Arbeitsunfalls vom 24. Juli 1952 bedingt wurde.

Stattdessen hat das LSG in seinem Urteil die Prüfung dieser Frage dem Versicherungsträger übertragen, indem es die Beklagte zur Erteilung eines entsprechenden Bescheides verurteilt hat. Hiermit hat das Berufungsgericht eine Entscheidung über den Klaganspruch, soweit er mit der Geltendmachung einer am 27. Dezember 1955 aufgetretenen Verschlimmerung der Unfallfolgen begründet worden ist, nicht selbst getroffen, sondern sie von dem Ergebnis von Ermittlungen abhängig gemacht, welche die Beklagte anzustellen hätte. Dieses Verfahren kommt im wesentlichen einer Zurückverweisung der Sache an den Versicherungsträger gleich, was im Verfahren über eine Leistungsklage ( § 54 Abs. 4 SGG ) nicht zulässig ist. In dem damit gegebenen Verstoß gegen § 123 SGG ist ein wesentlicher Verfahrensmangel zu erblicken (vgl. SozR SGG § 123 Bl. Da 3 Nr. 9, § 130 Bl. Da 2 Nr. 2, BSG 2, 94). Das Rügevorbringen des Klägers kennzeichnet diesen Verfahrensmangel immerhin noch ausreichend, obwohl es mit der Annahme fehlgeht, das LSG habe die Entscheidung der streitigen Frage in das "Ermessen" der Beklagten gestellt. Darauf, daß in der Revisionsbegründung die verletzte Rechtsnorm nicht bezeichnet worden ist, kommt es nach Lage dieses Falles nicht an (vgl. BSG 1, 227).

Die Annahme der Beklagten, der Kläger sei durch das angefochtene Urteil nicht beschwert, trifft nicht zu. Das dem LSG unterbreitete Klagebegehren, mit dem auch der - allerdings nicht sonderlich klar gefaßte - Revisionsantrag des Klägers dem Sinn nach übereinstimmt, geht darauf hinaus, das schädigende Ereignis vom 27. Dezember 1955 als Folge des Arbeitsunfalls vom 24. Juli 1952 anzuerkennen und dem Kläger eine Rente gemäß dem Vorschlag des Dozenten Dr. S - dieser Sachverständige hatte eine unfallbedingte MdE von 20 v. H. seit dem 1. Dezember 1955 angenommen - zuzusprechen. Diesem Antrag hat das LSG nicht stattgegeben; eine Beschwer des Klägers liegt somit zweifelsfrei vor.

Die Revision des Klägers ist auch begründet; denn bei einem gesetzmäßigen Verfahren wäre das LSG möglicherweise zu einem dem Kläger günstigeren Ergebnis gelangt. Insbesondere ist nicht auszuschließen, daß eine vom LSG selbst vorgenommene Prüfung der Zusammenhangsfrage bezüglich des schädigenden Ereignisses vom 27. Dezember 1955 eine Wahrscheinlichkeit dafür ergeben könnte, daß dieses Ereignis durch den Arbeitsunfall vom 24. Juli 1952 mittelbar verursacht worden ist; damit könnte aber zugleich dem im angefochtenen Bescheid vertretenen Standpunkt, die MdE infolge dieses Arbeitsunfalls habe seit dem 1. Dezember 1955 nur noch 10 v. H. betragen, eine wesentliche Stütze entzogen worden sein.

Das angefochtene Urteil ist mithin aufzuheben und die Sache - da dem erkennenden Senat eine eigene Beurteilung infolge mangelnder Feststellungen nicht möglich ist - zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Das LSG wird indessen, bevor es die im Rahmen der Revision aufgeworfenen Streitpunkte überprüft, sich mit der Frage zu befassen haben, ob es überhaupt in seiner Entscheidung die Beklagte zur Erteilung eines Bescheides verurteilen durfte, nachdem am 8. Juli 1959 durch einen Prozeßvergleich der Beteiligten das Berufungsverfahren seine Erledigung gefunden hatte. Diese Frage hat die Beklagte zum Gegenstand ihrer Anschlußrevision gemacht. Hierbei handelt es sich um eine unselbständige Anschließung ( § 556 der Zivilprozeßordnung - ZPO -), welche grundsätzlich auch im Verfahren vor dem Bundessozialgericht (BSG) erhoben werden kann (BSG 8, 24, 29). Die Beklagte hat ihre Anschlußrevision formgerecht und auch rechtzeitig eingelegt und begründet; der die Anschlußrevision enthaltende Schriftsatz der Beklagten ist am 25. November 1959 beim BSG eingegangen, also innerhalb der bis zum 26. Dezember 1959 verlängerten Frist für die Revisionsbegründung; diese Fristverlängerung kam auch der Beklagten zugute (BSG 8, 30). Die weitere Voraussetzung, daß auch die Beklagte durch das angefochtene Urteil beschwert ist, liegt gleichfalls vor, da das LSG ihrem Antrag auf Zurückweisung der Berufung in vollem Umfang nicht stattgegeben hat.

Die Anschlußrevision ist begründet, da der von der Beklagten gerügte Verfahrensmangel vorliegt. In der mündlichen Verhandlung am 8. Juli 1959 hatten die Beteiligten den unter I wiedergegebenen Prozeßvergleich geschlossen, gegen dessen Zulässigkeit Bedenken nicht ersichtlich sind. Denn unzweifelhaft hielt sich die im Vergleich getroffene Regelung im Rahmen des Verfügungsrechts der Beteiligten ( § 101 Abs. 1 SGG , vgl. BSG 4, 31, 34), zumal da sie offenbar bezweckte, lediglich eine tatsächliche Ungewissheit - nämlich über die Verursachung der Knieschädigung vom 27. Dezember 1955 - beizulegen (vgl. auch Mellwitz, DVBl 1962, 601 ff ). Das LSG hat die erforderliche Prüfung, ob es nach dem Abschluß dieses Prozeßvergleichs überhaupt noch in der Sache entscheiden durfte, unterlassen.

Das angefochtene Urteil enthält hierzu lediglich im Tatbestand die Feststellung, der Kläger habe den Vergleich "angefochten, weil er nie einen Unfall vom 27. Dezember 1955 behauptet habe und der Vergleich in jeder Weise rechtswidrig sei"; die Beklagte habe sich in der Berufungsverhandlung am 9. September 1959 damit einverstanden erklärt, daß der Vergleich als unwirksam erachtet werde. Die Entscheidungsgründe setzen sich nicht mit der Frage auseinander, ob für den Kläger ein Anfechtungsgrund ( §§ 119 ff BGB ) gegeben war; vielmehr wird der Prozeßvergleich nicht mehr angeführt, so daß nicht ohne weiteres ersichtlich ist, unter welchem rechtlichen Gesichtspunkt das LSG eine Unwirksamkeit des Prozeßvergleichs angenommen hat.

Mangels irgendwelcher Anhaltspunkte für sonstige Erwägungen des LSG ist zu vermuten, daß es davon ausgegangen ist, die am 9. September 1959 vorliegenden, im Ergebnis übereinstimmenden Erklärungen der Beteiligten, am Vergleich nicht mehr festhalten zu wollen, genügten, um den Prozeßvergleich als beseitigt anzusehen, das wieder rechtshängig gewordene Berufungsverfahren fortzusetzen und mit einer gerichtlichen Sachentscheidung abzuschließen. Dieser Auffassung pflichtet der erkennende Senat nicht bei.

Zwar hat das Bayerische LSG (Breithaupt 1957, 378) entschieden, die Beteiligten könnten durch gemeinsame Erklärungen (Parteivereinbarung) von einem Prozeßvergleich zurücktreten; dann werde der Vergleich von Anfang an beseitigt, so daß im Regelfall das Urteilsverfahren nach dem Stand des Vergleichsabschlusses seinen Fortgang zu nehmen habe. Im Bereich der Sozialgerichtsbarkeit hat diese Ansicht teils Zustimmung gefunden (vgl. Schwankhart, SozVers 1956, 95, 97 ; s. auch Krebs, DOK 1962, 73 , 78, der jedoch an anderer Stelle - Blätter für Steuerrecht, Sozialversicherung und Arbeitsrecht 1963, 87, 90 - in Fällen dieser Art offenbar ein neues gerichtliches Verfahren für erforderlich hält), teils ist hiergegen eingewandt worden, ein Prozeßvergleich könne durch Parteivereinbarung nicht frei aufgehoben oder geändert werden, da das Gericht die volle Verantwortung für die Form, teilweise auch für den Inhalt trage (vgl. Binter, ZfS 1958, 231 ). Auch der erkennende Senat hält die das Urteil des Bayerischen LSG tragenden Erwägungen für bedenklich, daß beim Prozeßvergleich die verfahrensrechtliche Seite gegenüber der materiell-rechtlichen wesentlich in den Hintergrund trete, daß das einen Prozeßvergleich protokollierende Gericht lediglich als Mittler des Vergleichs fungiere und infolge der im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Dispositionsmaxime nicht auf den sachlichen Inhalt des Vergleichs bestimmend einwirken könne. Eine so weitgehende Berücksichtigung der "Dispositionsmaxime" beim Abschluß von Prozeßvergleichen wird in der Rechtsprechung des BSG abgelehnt (vgl. BSG 4, 31, 34, SozR SGG § 101 Bl. Da 5 Nr. 5).

Ein Prozeßvergleich hat nach herrschender Meinung (vgl. u. a. BGHZ 16, 388, 390 ; 28, 171 ; BVerwG, DÖV 1962, 423 ) eine Doppelnatur: Er ist einerseits ein - im Bereich der Sozialversicherung öffentlich-rechtlicher - Vertrag, welcher den Beteiligten bestimmte materiell-rechtliche Verpflichtungen auferlegt, andererseits eine Prozeßhandlung, welche die Beendigung des Rechtsstreits bewirkt. Die den Prozeß beendigende Wirkung des Prozeßvergleichs entfällt nicht nur bei formellen Mängeln der Prozeßhandlung, sondern auch dann, wenn ein materiell-rechtlich wirksamer Vertrag zwischen den Vergleichspartnern nicht zustande gekommen ist, also insbesondere wenn der Vergleich von vornherein nichtig gewesen oder durch Anfechtung nichtig geworden ist; hinzu kommen noch die Aufhebungsmöglichkeiten durch Abgabe einer vorbehaltenen Widerrufserklärung, durch Verweigerung der vorbehaltenen Zustimmung eines Dritten und in ähnlichen besonderen Fällen, auf die näher einzugehen der hier vorliegende Sachverhalt keinen Anlaß bietet. Wesentlich erscheint dem Senat der Umstand, daß - von vereinzelten Stimmen im Schrifttum abgesehen (Rosenberg, Lehrbuch des deutschen Zivilprozeßrechts, 9. Aufl. S. 630 unter i; die Entscheidung des KG in JW 1930, 2801 Nr. 5 betraf nicht den Vergleich als solchen, sondern die Widerrufsfrist) - die Meinung, ein Prozeßvergleich könne von den Beteiligten nach ihrem freien Belieben durch Vereinbarung (contrarius consensus) aufgehoben werden und stehe dann der Fortsetzung des Rechtsstreits nicht mehr im Wege, keinen Anklang gefunden hat (vgl. RGZ 172, 74 ; BGHZ 16, 389 ; BVerwG aaO). Aber selbst wenn im bürgerlichen Recht, das übrigens Möglichkeiten des Rücktritts vom Vertrage ( §§ 325 , 326 BGB ) kennt, welche im Bereich der Sozialversicherung kaum praktisch anwendbar erscheinen, sich eine solche Beseitigung des Prozeßvergleichs durch freie Parteivereinbarung rechtfertigen ließe, so bliebe immer noch der Gesichtspunkt zu beachten, daß der Prozeßvergleich in der Sozialgerichtsbarkeit materiell ein Vertrag des öffentlichen Rechts ist, dem die in diesem Rechtsgebiet wurzelnde, vom Privatrecht abweichende Rechtsbeständigkeit innewohnt (vgl. Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Allg. Teil, 8. Aufl. S. 256; Hans, DVBl 1951, 721, 724 ).

Dadurch, daß das LSG den Prozeßvergleich vom 8. Juli 1959 ohne nähere Prüfung als nicht mehr wirksam behandelte, hat es gegen § 101 Abs. 1 SGG verstoßen; sein Verfahren leidet also an einem wesentlichen Mangel, den die Beklagte mit der Anschlußrevision zutreffend gerügt hat. Zu einer Entscheidung in der Sache selbst fehlen dem erkennenden Senat auch insoweit die erforderlichen Feststellungen ( § 170 Abs. 2 Satz 2 SGG ). Denn das LSG hat zu den Behauptungen im Schriftsatz des Klägers vom 22. Juli 1959, mit denen er die Rechtswidrigkeit des Prozeßvergleichs geltend gemacht hat, nicht Stellung genommen. Es kann also nicht geprüft werden, ob ein Grund zur Anfechtung des Vergleichs ( §§ 119 , 123 BGB ) oder sonst ein Umstand vorlag, der die Wirksamkeit des Vergleichs beeinträchtigen könnte (vgl. SozR SGG § 102 Bl. Da 4 Nr. 8). Eine Anfechtbarkeit des Prozeßvergleichs auf Grund von Willensmängeln hält der erkennende Senat in Übereinstimmung mit der bisherigen Rechtsprechung (BSG 7, 279) grundsätzlich für zulässig, zumal da besondere Gesichtspunkte des öffentlichen Rechts dem nicht entgegenstehen (Forsthoff aaO; and. Meinung Binter aaO). Die Entscheidung, ob der Prozeßvergleich wirksam oder durch Anfechtung vernichtet ist, hat durch das Gericht, vor dem der Vergleich geschlossen wurde, zu erfolgen (BSG aaO, s. auch BVerwG aaO).

Hiermit rechtfertigt sich die getroffene Entscheidung, ohne daß es eines Eingehens auf die sonstigen Revisionsrügen bedurfte.

Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil des LSG vorbehalten.

 

Fundstellen

Haufe-Index 926526

BSGE, 112

NJW 1963, 2292

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