Entscheidungsstichwort (Thema)
MdE. besondere berufliche Betroffenheit. Beweiswürdigung. richterliche Überzeugungsbildung
Orientierungssatz
Beantragt der Kläger vor dem SG, die besondere Berufsbetroffenheit auf 30 vH festzusetzen und macht er diesen Antrag im Berufungsverfahren zum Gegenstand seiner Berufungsschrift, so verletzt das LSG § 128 Abs 1 SGG, wenn es zwar feststellt, daß der Kläger sinngemäß Rente nach einer MdE um 100 vH begehre und damit möglicherweise den Antrag des Klägers, die MdE wegen besonderer beruflicher Betroffenheit auf 30 vH festzusetzen, berücksichtigt, in den Gründen des Urteils jedoch die Frage der beruflichen Betroffenheit völlig übergeht.
Normenkette
SGG § 128 Abs. 1
Verfahrensgang
Hessisches LSG (Entscheidung vom 26.07.1966) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 26. Juli 1966 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
1957 wurden beim Kläger allgemeine Leistungsminderung nach Haftzeit sowie traumatische Hirnleistungsschwäche nach Schädelbruch mit Hirnquetschung und Narben sowie Knochendefekt als Schädigungsfolgen anerkannt und Versorgungsbezüge nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 70 v. H. gewährt. In einem weiteren, auf § 62 Abs. 1 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) gestützten Bescheid vom 13. Oktober 1960 wurde die Leistungsminderung nach Haftzeit nicht mehr als Schädigungsfolge aufgeführt und die MdE unter Berücksichtigung des erlernten Berufs gemäß § 30 Abs. 2 BVG auf 60 v. H. beziffert. Widerspruch und Klage blieben erfolglos. Das Landessozialgericht (LSG) wies die Berufung des Klägers mit Urteil vom 26. Juli 1966 zurück. Die Berufung sei zulässig, weil das Sozialgericht (SG) eine allgemeine Leistungsminderung nach Haftzeit als nicht feststellbar erachtet habe (§ 150 Nr. 3 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -). Eine solche liege entgegen der Auffassung der Sachverständigen der Universität Gießen nicht mehr vor.
Mit der nicht zugelassenen Revision rügt der Kläger, das LSG habe unter Verletzung der §§ 123, 128 und 157 SGG den Anspruch des Klägers auf Höherbewertung der MdE wegen besonderer beruflicher Betroffenheit übergangen. Die durch die Hirnverletzungsfolgen bedingte MdE sei wegen eines beruflichen Betroffenseins im Bescheid vom 13. Oktober 1960 von 50 auf 60 v. H. erhöht worden, der Kläger habe auch geltend gemacht, daß diese Erhöhung nicht ausreichend sei. § 157 SGG sei verletzt, weil das LSG den Streitfall nicht im gleichen Umfange wie das SG geprüft habe.
Der Kläger beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen. Der Beklagte beantragt, die Revision als unzulässig zu verwerfen. Der Kläger habe mit Schriftsatz an das SG vom 28. Februar 1966 zum Ausdruck gebracht, daß seinem Begehren auf Rentenerhöhung wegen besonderer beruflicher Betroffenheit ab 1. Dezember 1960 entsprochen worden sei, in der Berufungsbegründung werde eine weitere MdE-Erhöhung nicht gefordert.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs. 2 SGG) einverstanden erklärt.
Die Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und auch statthaft, da der Kläger einen wesentlichen Verfahrensmangel gerügt hat, der vorliegt (§§ 162 Abs. 1 Nr. 2, 164, 166 SGG).
Zutreffend rügt die Revision, daß das LSG den Anspruch des Klägers auf höhere Bewertung der MdE wegen besonderer beruflicher Betroffenheit übergangen habe. Der Kläger hat in seinem Schriftsatz an das SG vom 28. Februar 1966 entgegen der Auffassung des Beklagten deutlich zum Ausdruck gebracht, daß er mit einer Erhöhung der MdE um 10 v. H. wegen beruflicher Betroffenheit nicht einverstanden ist. Er hat zwar dort ausgeführt, daß wegen besonderer beruflicher Betroffenheit ab 1. Dezember 1960 eine Erhöhung um 10 v. H. erfolgt sei, jedoch gleichzeitig ausdrücklich unter Ziffer 3 beantragt, die besondere Berufsbetroffenheit auf dreißig (30) vom Hundert festzusetzen. Das SG hat demgemäß auch zur Frage der Berücksichtigung des Berufs kurz Stellung genommen. Im Berufungsverfahren hat der Kläger erklärt, daß er die Begründung und die Anträge zu 1 - 3 im Schriftsatz vom 28. Februar 1966 zum Gegenstand seiner Berufungsschrift mache. Im Berufungsschriftsatz vom 20. Mai 1966 hat er zur beruflichen Betroffenheit ausgeführt, er sei im Justizdienst nicht wieder verwendet worden, auch eine Bewerbung bei der Bundeswehr sei fehlgeschlagen; daher sei er 1957 mit seinem Gehalt von 1945 in den Ruhestand versetzt worden; ihm fehlten also zu seiner Pension 12 Besoldungsdienstjahre.
Das LSG hat zwar festgestellt, daß der Kläger sinngemäß Rente nach einer MdE um 100 v. H. begehre und damit möglicherweise den Antrag des Klägers, die MdE wegen besonderer beruflicher Betroffenheit auf 30 v. H. festzusetzen, berücksichtigt. In den Gründen des Urteils hat es jedoch die Frage der beruflichen Betroffenheit völlig übergangen. Das LSG hat damit entgegen der Vorschrift des § 128 Abs. 1 SGG bei seiner Entscheidung das Gesamtergebnis des Verfahrens zu einem wesentlichen Teil unberücksichtigt gelassen. Jedenfalls sind im Urteil entgegen der Vorschrift des § 128 Abs. 1 Satz 2 SGG die Gründe nicht angegeben, die insoweit für die rechtliche Überzeugung maßgebend gewesen sind. Der darin liegende wesentliche Verfahrensmangel macht die Revision statthaft. Diese ist auch begründet, da die Möglichkeit nicht auszuschließen ist, daß das LSG bei Vermeidung dieses Verfahrensmangels anders entschieden hätte. Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben. Da der Senat mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen zur Frage des Ausmaßes der beruflichen Betroffenheit in der Sache nicht selbst entscheiden konnte, war der Rechtsstreit gemäß § 170 Abs. 2 Satz 2 SGG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Die Kostenentscheidung bliebt der das Verfahren abschließenden Entscheidung vorbehalten.
Fundstellen