Leitsatz (redaktionell)

1. Da nach ZPO § 585 für die Erhebung der Restitutionsklage und für das weitere Verfahren die allgemeinen Vorschriften entsprechend gelten, setzt die Statthaftigkeit der Restitutionsklage voraus, daß der Restitutionskläger beschwert ist.

Die Beschwer beurteilt sich ausschließlich danach, inwieweit nach dem Inhalt des rechtskräftigen Urteils, gegen das sich die Restitutionsklage richtet, dem damaligen prozessualen Begehren des Restitutionsklägers entsprochen worden ist oder nicht.

Die Prüfung der Behauptung des Klägers, die Urkunde, die er aufgefunden habe, sei dazu geeignet, daß sie eine für ihn günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würde, betrifft nicht die Beschwer des Klägers als allgemeine Voraussetzung der Statthaftigkeit der Restitutionsklage, sondern die Frage, ob die besonderen Voraussetzungen für die Statthaftigkeit der Restitutionsklage nach ZPO § 589 iVm § 580 Nr 7 Buchst b erfüllt sind; denn ob die Urkunde iS des ZPO § 580 Nr 7 Buchst b eine dem Kläger günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würde, ist Gegenstand des zweiten Teiles des Restitutionsverfahrens und betrifft die Frage, ob die Restitutionsklage begründet ist.

2. Die Prüfung nach ZPO § 580 Nr 7 Buchst b darf durch das Gericht nicht auf die formale Beweiskraft des Inhalts der vorgelegten Urkunde beschränkt werden, also darauf, welcher Urkundenbeweis sich aus dem Erklärungsinhalt der Urkunde ergibt, das Gericht muß vielmehr bei der Beweiswürdigung die durch die Urkunde urkundlich bewiesenen Tatsachen im Zusammenhang mit dem Gesamtergebnis des Vorprozesses würdigen; denn für die Frage, ob iS des ZPO § 580 Nr 7 Buchst b eine Urkunde für den Restitutionskläger ein günstigeres Ergebnis herbeigeführt haben würde, darf außer der Urkunde zwar nur der im Vorprozeß vorgetragene Prozeßstoff berücksichtigt werden - also keine neuen Tatsachen - (BGB 1952-06-26 IV ZR 222/51 = BGHZ 6, 354), die nachträglich beigebrachte Urkunde muß aber mit dem Beweiswert, den sie in ihrer Eigenschaft als Urkunde hat, iVm dem tatsächlichen Vorbringen im Vorprozeß und dem Prozeßstoff, der im Zusammenhang mit der nachträglich vorgelegten Urkunde steht, sowie mit den im Vorprozeß erhobenen Beweisen berücksichtigt werden.

 

Orientierungssatz

Die Prüfung gemäß ZPO § 580 Nr 7 Buchst b, ob die vom Kläger vorgelegten Urkunden zu einer für ihn günstigeren Entscheidung urkundlich geführt hätten, darf nicht auf die formale Beweiskraft des Inhalts der vorgelegten Urkunden beschränkt werden, also darauf, welcher Urkundenbeweis sich aus dem Erklärungsinhalt der Urkunden ergibt. Vielmehr müssen bei der Beweiswürdigung die durch Urkunden urkundlich bewiesenen Tatsachen im Zusammenhang mit dem Gesamtergebnis des Vorprozesses gewürdigt werden.

 

Normenkette

SGG § 179 Abs. 1 Fassung: 1953-09-03; ZPO § 580 Nr. 7 Buchst. b, §§ 585, 589

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 8. Juni 1964 mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Gründe

I

Der Kläger begehrt die Zahlung eines höheren Altersruhegeldes. Er übte nach dem 2. Weltkrieg überwiegend die Tätigkeit eines selbständigen Geflügelzüchters in Mecklenburg aus. Im Mai 1955 flüchtete er aus der sowjetisch besetzten Zone in die Bundesrepublik.

Die Beklagte gewährte ihm durch Bescheid vom 21. April 1960 vom 1. Februar 1959 an vorzeitiges Altersruhegeld gemäß § 1248 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung. Sie lehnte es ab, bei der Berechnung der Höhe des Altersruhegeldes die Zeit vom 1. Januar 1948 bis zum 7. März 1954 als weitere Versicherungszeiten anzurechnen (Bescheid vom 18. Juli 1960). Das Sozialgericht (SG) gab der Klage statt (Urteil vom 28. Februar 1961). Das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht (LSG) wies durch rechtskräftiges Urteil vom 10. September 1962 die Klage mit der Begründung ab, unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände könne die vom Kläger begehrte Anerkennung zusätzlicher Zeiten als Versicherungszeiten nicht erfolgen, da es an einer hinreichenden Glaubhaftmachung fehle. Gegen dieses Urteil hat der Kläger Restitutionsklage erhoben, die das LSG in dem angefochtenen Urteil als unzulässig verworfen hat; es hat die Revision nicht zugelassen. Der Kläger hat gleichwohl dieses Rechtsmittel eingelegt und rügt als wesentliche Mängel im Verfahren des LSG, die zur Statthaftigkeit der Revision führen sollen, Verletzung des § 128 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) iVm § 179 SGG und § 580 Nr. 7 Buchst. b der Zivilprozeßordnung (ZPO).

Der Kläger beantragt sinngemäß, das angefochtene Urteil und das Urteil des Schleswig-Holsteinischen LSG vom 10. September 1962 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Lübeck vom 28. Februar 1961 zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt, die Revision als unzulässig zu verwerfen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

II

Die Revision des Klägers ist zulässig und insofern begründet, als das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das LSG zurückzuverweisen ist.

Obgleich das LSG die Revision nicht gemäß § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG zugelassen hat, ist sie nach § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG statthaft, weil ein wesentlicher Mangel im Verfahren des Berufungsgerichts gerügt wird, der auch vorliegt (BSG 1, 150). Das LSG hat bei seinem Verfahren die Vorschriften des § 128 Abs. 1 und des § 179 SGG iVm § 580 Nr. 7 Buchst. b ZPO nicht hinreichend beachtet.

Das LSG hat in der Urteilsformel des angefochtenen Urteils die Restitutionsklage als unzulässig verworfen. Es hat angenommen, gegen die Zulässigkeit der Klage ergäben sich keine Bedenken, soweit es darum gehe, ob die Klage an sich statthaft sei, ob sie also gegen ein rechtskräftiges Urteil gerichtet sei, ob die gesetzliche Form des § 587 ZPO und schließlich die nach § 586 ZPO einzuhaltende Frist gewahrt worden sei; sie sei aber nicht zulässig hinsichtlich des Schreibens des Rats des Kreises U vom 12. Dezember 1955, weil es insoweit an der auch für die Restitutionsklage notwendigen Beschwer fehle. Der Kläger stütze sich auf § 580 Nr. 7 Buchst. b ZPO, wonach die Klage dann stattfinde, wenn die Partei eine andere Urkunde auffinde oder zu benutzen in Stand gesetzt werde, die eine ihr günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würde. Das von dem Kläger vorgelegte Schreiben des Rats des Kreises Ueckermünde vom 12. Dezember 1955 an seine geschiedene Ehefrau A E beweise urkundlich nur, daß für den Kläger für die Jahre 1951 bis 1953 nachträglich Sozialversicherungsbeiträge entrichtet worden seien. Diese Urkunde würde für diesen Zeitraum zwar eine für den Kläger günstigere Entscheidung herbeigeführt haben, doch habe die frühere Beigeladene des Verfahrens - die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte - bereits in ihrem Ergänzungsbescheid vom 14. Mai 1963 die Versicherungszeiten vom 1. Januar 1951 bis 31. Dezember 1953 rentensteigernd berücksichtigt, so daß insoweit für den Kläger kein Rechtsschutzbedürfnis mehr bestehe. Weitere Schlüsse ließen sich aus dieser Urkunde urkundenbeweislich nicht ziehen. Ob sie freibeweislich solche Schlüsse rechtfertige, sei für die Restitutionsklage unerheblich. Für § 580 Nr.7 Buchst. b ZPO komme es allein darauf an, ob die förmliche Beweiskraft des Urkundeninhalts den Anspruch, so wie er im Vorprozeß geltend gemacht worden sei, berühre. Sei der Kläger aber innerhalb des rechtlich bedeutsamen Inhalts der Urkunde nicht beschwert, so sei die Restitutionsklage - da sie wie jede andere eine Beschwer voraussetze - insoweit unzulässig.

Hierzu trägt die Revision vor, der Kläger habe in dem früheren Verfahren die Tatsachen oder Umstände für die Berechtigung seiner Rentenansprüche nicht zu beweisen, sondern nur hinreichend glaubhaft zu machen gehabt. Sie rügt, die Prüfung des LSG hätte sich daher im Restitutionsverfahren nicht darauf beschränken dürfen, die formale Beweiskraft der Inhalte der Urkunden zu prüfen, sondern es hätte auch prüfen müssen, ob etwa im Wege freier Beweiswürdigung der Kläger eine günstigere Entscheidung hätte erreichen können, wenn er die Urkunden in dem früheren Verfahren, in dem Glaubhaftmachung ausgereicht habe, hätte vorlegen können. Der Kläger habe durch die von ihm beigebrachten Unterlagen hinreichend glaubhaft gemacht, daß er einen Geflügelbrutbetrieb errichtet gehabt habe und daß er selbständiger Unternehmer gewesen sei und somit der Versicherungspflicht zur Rentenversicherung in der Sowjetzone unterlegen habe. In dem früheren Verfahren vor dem LSG sei der Zeuge H vernommen worden, der die Angaben des Klägers bestätigt habe. Auch das LSG habe in dem Vorprozeß ausgeführt, daß die Behauptungen des Klägers, da an seiner Selbständigkeit mindestens seit dem 1. Januar 1948 kein Zweifel gewesen sei, zur Glaubhaftmachung seiner Ansprüche, die sich auf die Zeit vom 1. Januar 1948 an bezogen hätten, ausgereicht hätten, wenn nicht gewisse Zweifel bestanden hätten. Hätte der Kläger insbesondere das Schreiben des Rates des Kreises U vom 12. Dezember 1955 vorlegen können, so wären die Zweifel des LSG ausgeräumt gewesen, und zwar für die ganze vom Kläger geltend gemachte Zeit von der Errichtung und Führung der Lohnbrüterei an. Wenn das LSG ausführe, daß die Frage, ob aus der Urkunde vom 12. Dezember 1955 Schlüsse freibeweislich zu ziehen seien, für die Restitutionsklage unerheblich seien, so widerspreche diese Feststellung der ordnungsgemäßen Beweiswürdigung und sei auch rechtsfehlerhaft. Das LSG hätte die Prüfung nicht auf die formale Beweiskraft der Urkunde beschränken dürfen, sondern es hätte auch prüfen müssen, ob die Vorlage dieses Schreibens in dem früheren Verfahren eine günstigere Entscheidung für den Kläger herbeigeführt hätte. Es hätte prüfen müssen, da in dem früheren Verfahren freibeweislich Schlüsse zulässig gewesen seien und es dort auch nur auf die Glaubhaftmachung der Ansprüche angekommen sei, welche Bedeutung diese Urkunde für den Kläger in dem früheren Verfahren gehabt hätte. Das LSG habe in mehrfacher Weise gegen die Regeln der Beweiswürdigung verstoßen und es habe die vorgelegten Beweise unrichtig gewürdigt. Der Kläger sei für die jetzt noch streitige Versicherungszeit auch beschwert geblieben.

Soweit die Ausführungen der Revision dahin zu verstehen sind, das LSG habe zu Unrecht anstatt in der Sache zu entscheiden ein Prozeßurteil gefällt, indem es die Restitutionsklage als unzulässig verworfen habe, greift die Rüge nicht durch.

Das LSG hat allerdings zu Unrecht angenommen, für die vom Kläger erhobene Restitutionsklage fehle es an der Beschwer und an dem Rechtsschutzbedürfnis, soweit das vorgelegte Schreiben vom 12. Dezember 1955 in Frage stehe. Mit der Restitutionsklage verfolgt der Kläger den Anspruch auf Zahlung eines höheren Altersruhegeldes weiter. Diesen Anspruch begründet er, wie das LSG in dem angefochtenen Urteil selbst einleitend dargelegt hat, damit, daß die Zeiten vom 1. Januar 1948 bis 31. Dezember 1950 und vom 1. Januar bis 7. März 1954 zusätzlich als anrechnungsfähige Versicherungszeiten zu berücksichtigen seien. Da nach § 585 ZPO für die Erhebung der Restitutionsklage und für das weitere Verfahren die allgemeinen Vorschriften entsprechend gelten, setzt die Statthaftigkeit der Restitutionsklage voraus, daß der Restitutionskläger beschwert ist. Seine Beschwer beurteilt sich indessen nicht danach, ob er "innerhalb des rechtlich bedeutsamen Inhalts der Urkunde nicht beschwert ist", wie das LSG meint, sondern ausschließlich danach, inwieweit nach dem Inhalt des rechtskräftigen Urteils vom 10. September 1962, gegen das sich die Restitutionsklage richtet, dem damaligen prozessualen Begehren des Restitutionsklägers entsprochen worden ist oder nicht (Wieczorek, ZPO § 578 Anm. C Ia 1, § 511 Anm. B IIc; Rosenberg, Lehrbuch des deutschen Zivilprozeßrechts, § 156 IV - S. 782 -, § 134 III - S. 665 unten -). Da in dem Urteil vom 10. September 1962 die Klage auf Zahlung eines höheren Altersruhegeldes mit der Begründung abgewiesen worden ist, die Zeiten vom 1. Januar 1948 bis 7. März 1954 könnten nicht als Versicherungszeiten rentensteigernd angerechnet werden, der damaligen Rechtsbehauptung des Klägers also nicht zuerkennend entsprochen ist und der Kläger nunmehr einen Teil dieser Zeiten als Versicherungszeiten berücksichtigt haben will, ist er durch das rechtskräftige Urteil beschwert, so daß die Zulässigkeit der Restitutionsklage nicht mangels Beschwer verneint werden kann.

Das LSG hat nicht berücksichtigt, daß der Kläger mit der Urkunde vom 12. Dezember 1955 nicht beweisen will, daß er in der Zeit vom 1. Januar 1951 bis 31. Dezember 1953 als Selbständiger in der Sowjetzone versicherungspflichtig war und für ihn Beiträge entrichtet worden sind, sondern daß durch den urkundlichen Beweis dieser Tatsachen glaubhaft gemacht werden soll, daß er auch in den Zeiten der Versicherungspflicht unterlegen und Beiträge entrichtet habe, die von ihm als weitere Versicherungszeiten geltend gemacht werden. Der Kläger meint, die Urkunden, die er aufgefunden habe, seien dazu geeignet, daß sie eine für ihn günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden. Die Prüfung, ob diese Voraussetzungen vom Kläger schlüssig behauptet sind, betrifft nicht die Beschwer des Klägers als allgemeine Voraussetzung der Statthaftigkeit der Restitutionsklage, sondern die Frage, ob die besonderen Voraussetzungen für die Statthaftigkeit der Restitutionsklage gemäß § 589 iVm § 580 Nr. 7 Buchst. b ZPO erfüllt sind.

Da die Zeit vom 1. Januar 1951 bis 31. Dezember 1953 bereits rentensteigernd berücksichtigt ist, wäre für ein Klagebegehren auf Zahlung eines höheren Altersruhegeldes das Rechtsschutzbedürfnis zu verneinen, soweit der Kläger begehrt, diese Zeiten zusätzlich als Versicherungszeiten anzurechnen. Mit der Restitutionsklage begehrt der Kläger aber, wovon das LSG in dem angefochtenen Urteil selbst ausgegangen ist, daß die Zeiten vom 1. Januar 1948 bis 31. Dezember 1950 und vom 1. Januar bis 7. März 1954 als weitere Versicherungszeiten bei der Berechnung der Höhe seines Altersruhegeldes berücksichtigt werden. Da diese Zeiten bisher nicht als anrechnungsfähige Versicherungszeiten berücksichtigt sind, kann die Zulässigkeit der Restitutionsklage mangels Rechtsschutzbedürfnisses nicht verneint werden.

Wird berücksichtigt, daß das LSG bei seiner Entscheidung selbst davon ausgegangen ist, daß die Restitutionsklage sich gegen das rechtskräftige Urteil vom 10. September 1962 nur insoweit wendet, als die Zeiten vom 1. Januar 1948 bis 31. Dezember 1950 und vom 1. Januar bis 7. März 1954 nicht als anrechnungsfähige Versicherungszeiten bei der Berechnung der Höhe des Altersruhegeldes berücksichtigt sind, so hat das LSG in Wahrheit - so müssen seine Entscheidungsgründe insgesamt, auch soweit sie sich auf das Schreiben vom 13. Dezember 1955 beziehen, verstanden werden - nicht die Zulässigkeit der Restitutionsklage, sondern ihre Begründetheit verneint, und zwar deshalb, weil die vom Kläger vorgelegten Urkunden keine ihm günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden; denn ob die Urkunden im Sinne des § 580 Nr. 7 Buchst. b ZPO eine dem Kläger günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden, ist Gegenstand des zweiten Teiles des Restitutionsverfahrens und betrifft die Frage, ob die Restitutionsklage begründet ist (RG 14, 329; 75, 53ff; 151, 203ff; BGH 2, 245 ff; Rosenberg aaO S. 778, 782; Peters/Sautter/Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, §§ 179, 180 S. III/86 - 12 -). Insbesondere ergibt sich dies aus den Ausführungen, die das LSG zu den weiteren vom Kläger zur Rechtfertigung seiner Restitutionsklage vorgelegten Urkunden vom 6. April 1954 und 3. August 1953 gemacht hat.

Das LSG hat hierzu dargelegt, auch die an den Kläger gerichtete vorläufige Abrechnung 1953 des Rates des Kreises Ueckermünde zur Einkommen, Umsatz- und Gewerbesteuer sowie zu den Sozialversicherungsbeiträgen für Selbständige vom 6. April 1954 rechtfertige die Wiederaufnahme nicht; denn sie lasse lediglich erkennen, daß für das Jahr 1953 Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 175,20 DM Ost zu zahlen gewesen und darauf bisher 100,- DM Ost gezahlt worden seien. Sie betreffe also den Zeitraum, der dem Kläger bereits rentensteigernd als Versicherungszeit angerechnet worden sei. Der Hinweis, daß vom 1. Vierteljahr 1954 an ein vierteljährlicher Sozialversicherungsbeitrag von 67,- DM Ost zu zahlen sei, beweise urkundlich nichts über tatsächlich erfolgte Zahlungen. Ebensowenig sei aus dieser Urkunde eine Sozialversicherungspflicht des Klägers für die Jahre 1948 bis 1950 und die ersten drei Monate des Jahres 1954 zu entnehmen, deren rentensteigernde Berücksichtigung der Kläger begehre. Eine solche Folgerung lasse sich schließlich auch nicht aus dem vom Kläger vorgelegten Schreiben des Rates des Kreises Ueckermünde, Abteilung Finanzen, vom 3. August 1953 an seine geschiedene Ehefrau über Abgabenrückstände ziehen. Wenn es in dieser Urkunde heiße, "Sie schulden SV-Beiträge aus 1951 und früheren Jahren von 217,54 DM", so könne nicht festgestellt werden, ob und in welchem zeitlichen Umfang auch die Zeit vor 1951 gemeint sei. Demnach sei festzustellen, daß selbst dann, wenn die von dem Kläger eingereichten Urkunden vom 6. April 1954 und 3. August 1953 bereits im Verhandlungstermin am 10. September 1962 vorgelegen hätten, diese nicht geeignet gewesen wären, eine andere Entscheidung herbeizuführen. Denn aus ihnen lasse sich nicht feststellen, ob und in welchem Umfange vor dem Jahre 1951 eine Beitragspflicht zur Sozialversicherung bestanden habe und ob und inwieweit er Beiträge entrichtet habe. Aus allen diesen Gründen habe die Klage keinen Erfolg haben können.

Diese Ausführungen in dem angefochtenen Urteil lassen deutlich erkennen, daß das LSG die Restitutionsklage nicht als unzulässig verworfen, sondern als unbegründet zurückgewiesen hat, weil die vom Kläger vorgelegten Urkunden nicht zu einer für ihn günstigeren Entscheidung geführt hätten. Es handelt sich also um eine irrige Wahl des Ausdrucks in der Urteilsformel, durch die der Kläger aber nicht beschwert ist (RG 14, 329ff; 75, 53, 57).

Hat das LSG in dem angefochtenen Urteil aber kein Prozeßurteil, sondern eine Sachentscheidung gefällt, so bleibt auch außer Betracht, ein wesentlicher Mangel des Verfahrens sei darin zu erblicken, daß das Berufungsgericht zu Unrecht ein Prozeßurteil erlassen habe, anstatt in der Sache zu entscheiden.

Die Revision rügt aber zu Recht eine Verletzung des § 128 Abs. 1 SGG durch das LSG bei seiner sachlicher Entscheidung über die Restitutionsklage. Nach dieser Vorschrift entscheidet das Gericht nach seiner freien aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Danach ist das Gericht in der Würdigung der Beweise und des Ergebnisses des Verfahrens grundsätzlich frei. Es überschreitet aber die ihm gesetzten Grenzen seines Rechts der freien Beweiswürdigung, wenn es wesentliche, bei seiner Entscheidung zu beachtende Ergebnisse des Verfahrens unberücksichtigt läßt. Mit Recht rügt die Revision, daß das LSG die Prüfung gemäß § 580 Nr. 7 Buchst. b ZPO, ob die vom Kläger vorgelegten Urkunden zu einer ihm günstigeren Entscheidung geführt hätten, nicht auf die formale Beweiskraft des Inhalts der vorgelegten Urkunden hätte beschränken dürfen, also darauf, welcher Urkundenbeweis sich aus dem Erklärungsinhalt der Urkunden ergibt, sondern daß es bei der Beweiswürdigung die durch Urkunden urkundlich bewiesenen Tatsachen im Zusammenhang mit dem Gesamtergebnis des Vorprozesses hätte würdigen müssen; denn für die Frage, ob im Sinne des § 580 Nr. 7 Buchst. b ZPO eine Urkunde für den Restitutionskläger ein günstigeres Ergebnis herbeigeführt haben würde, darf außer der Urkunde zwar nur der im Vorprozeß vorgetragene Prozeßstoff berücksichtigt werden - also keine neuen Tatsachen - (BGH 6, 354), die nachträglich beigebrachten Urkunden müssen aber mit dem Beweiswert, den sie in ihrer Eigenschaft als Urkunden haben, in Verbindung mit dem tatsächlichen Vorbringen im Vorprozeß und dem Prozeßstoff, der im Zusammenhang mit den nachträglich vorgelegten Urkunden steht, sowie mit den im Vorprozeß erhobenen Beweisen berücksichtigt werden (vgl. hierzu Johansen, Anmerkung zu dem Urteil des Bundesgerichtshofes - BGH - vom 12. Dezember 1962 - BGH 38, 333 - in Lindmaier-Möhring, § 580 Nr. 7 Buchst. b ZPO Nr. 15). Das LSG hätte also die durch die vorgelegten Urkunden, d.h. urkundlich, bewiesenen Tatsachen in Verbindung mit dem gesamten Streitstoff des Vorprozesses, den dortigen Feststellungen und Beweismitteln daraufhin prüfen müssen, ob sie geeignet waren, die alten Feststellungen zu ändern (Wieczorek aaO § 580 Anm. E Ib, E III).

Das LSG hat für alle drei vom Kläger vorgelegten Urkunden verneint, daß sie eine für den Kläger günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden. Hierbei hat es nicht berücksichtigt, daß der Beweis der für den Kläger günstigen Tatsachen sich nicht allein urkundenbeweislich aus den vorgelegten Urkunden selbst ergeben muß, sondern daß es darauf ankommt, ob die durch die Urkunden urkundenbeweislich sich ergebenden Tatsachen im Zusammenhang mit den im Vorprozeß erhobenen Beweisen und den im Vorprozeß getroffenen Feststellungen eine für den Kläger günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden. Das LSG hätte danach prüfen müssen, welche Tatsachen urkundenbeweislich - also unmittelbar durch die vorgelegten Urkunden - bewiesen werden, welcher Streitstoff im Vorprozeß festgestellt worden war und welche Beweise dort erhoben und angetreten waren und ob bei freibeweislicher Würdigung aller Feststellungen im Vorprozeß in Verbindung mit den durch die Urkunden bewiesenen Tatsachen eine für den Kläger günstigere Entscheidung hätte getroffen werden können, weil die freibeweisliche Würdigung aller Feststellungen unter Verwertung der durch die Urkunden unmittelbar bewiesenen Tatsachen ergeben hätte, daß glaubhaft gemacht ist, daß der Kläger auch in der noch streitigen Zeit vom 1. Januar 1948 bis 31. Dezember 1950 und vom 1. Januar bis 7. März 1954 nach dem in der Sowjetzone geltenden Recht der Versicherungspflicht unterlegen hat und für ihn Versicherungsbeiträge an die Sozialversicherungsträger in der Sowjetzone entrichtet worden sind.

Die Entscheidungsgründe lassen nicht erkennen, daß das LSG die durch die Urkunden urkundenbeweislich bewiesenen Tatsachen in Verbindung mit dem Ergebnis des Vorprozesses dahin überprüft hat, ob sie eine für den Kläger günstigere Entscheidung hinsichtlich der noch streitigen Zeiten herbeigeführt hätten. Die Ausführungen am Ende der Entscheidungsgründe sprechen vielmehr eindeutig dafür, daß das LSG diese Prüfung unterlassen hat. Es hat mithin wesentliche, bei seiner Entscheidung über die Restitutionsklage zu beachtende Ergebnisse des Verfahrens unberücksichtigt gelassen. Da es seiner Überzeugungsbildung nicht das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde gelegt hat, ist es nicht entsprechend dem Verfahrensgrundsatz des § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG vorgegangen, so daß sein Verfahren insofern, wie die Revision mit Recht rügt, an einem wesentlichen Mangel leidet.

Die danach zulässige Revision ist auch begründet, denn es ist nicht ausgeschlossen, daß das LSG zu einer anderen Entscheidung gelangt wäre, wenn es gesetzmäßig verfahren wäre. Das angefochtene Urteil ist deshalb aufzuheben.

Da die Beweiswürdigung dem Tatsachengericht vorbehalten ist und von dem Revisionsgericht selbst nicht durchgeführt werden kann, muß die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen werden (§ 170 Abs. 2 SGG).

Die Entscheidung, inwieweit die Beteiligten außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten haben, bleibt der das Verfahren abschließenden Entscheidung vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2374926

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge