Leitsatz (amtlich)
Bei der Festsetzung der Höhe des vorgezogenen Übergangsgeldes des RVO § 1241 Abs 1 S 2 kommt es für die Berücksichtigung von Familienangehörigen nicht darauf an, ob der Betreute diese vor Beginn der Maßnahmen, sondern ob er sie vor dem Zeitpunkt, von dem das vorgezogene Übergangsgeld zu zahlen ist, überwiegend unterhalten hat.
Wird für einen Familienangehörigen Sozialhilfe von einem nach dem Beginn des rückwirkend bewilligten Übergangsgeldes liegenden Zeitpunktes an gezahlt, so rechtfertigt das keine Kürzung des Übergangsgeldes von dem Zeitpunkt des Beginns der Sozialhilfe an.
Normenkette
RVO § 1241 Abs. 1 S. 2 Fassung: 1957-02-23, Abs. 2 S. 1 Fassung: 1957-02-23; BSHG § 2 Fassung: 1961-06-30
Tenor
Die Sprungrevision der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Main) vom 8. Mai 1968 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin auch die Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Gründe
I
Die am 7. Juni 1935 geborene Klägerin war als Hausangestellte versicherungspflichtig tätig. Sie lebt mit ihrem am 25. Juni 1960 geborenen Sohn A zusammen, für den der Kindesvater keinen Unterhalt zahlt. Mit Bescheid vom 27. November 1967 bewilligte die Beklagte der Klägerin ab 1. August 1966 das sogenannte vorgezogene Übergangsgeld nach § 1241 Abs. 1 Satz 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) statt einer von diesem Zeitpunkt an zu gewährenden Rente. Heilmaßnahmen wurden dann in der Zeit vom 12. Januar 1968 bis zum 13. Januar 1968 in einer medizinischen Klinik durchgeführt, aber vorzeitig wieder abgebrochen, weil die Klägerin für notwendig erachtete Untersuchungen ablehnte. Das Übergangsgeld ist daher bis zum 13. Januar 1968 gezahlt worden.
Gegen den Bescheid vom 27. November 1967 erhob die Klägerin Klage vor dem Sozialgericht (SG), weil die Beklagte bei der Bemessung des ihr gewährten Übergangsgeldes nicht berücksichtigt hatte, daß sie ihren Sohn überwiegend unterhalten habe. Die Beklagte sieht die Berechnung des Übergangsgeldes ohne Berücksichtigung des Sohnes A für berechtigt an, weil die Klägerin seit dem 4. November 1966 für sich und ihr Kind Sozialhilfe vom Sozialamt erhalten habe und damit vor Beginn der Heilmaßnahmen am 12. Januar 1968 nicht die Klägerin, sondern das Sozialamt den Unterhalt ihres Kindes überwiegend bestritten habe.
Das SG Frankfurt a. M. hat die Beklagte mit Urteil vom 8. Mai 1968 unter Aufhebung des angefochtenen Bescheides verurteilt, der Klägerin das Übergangsgeld für die Zeit vom 1. August 1966 bis zum 13. Januar 1968 unter Berücksichtigung ihres Sohnes Andreas zu zahlen, und gegen das Urteil die Berufung zugelassen. Das SG ist bei seiner Entscheidung davon ausgegangen, daß die Klägerin mit der Klageerhebung nicht nur die Entscheidung über das vorgezogene Übergangsgeld, sondern auch die über das mit Bescheid vom gleichen Tage (27. November 1967) gesondert bewilligte Übergangsgeld für die Zeit der Rehabilitationsmaßnahme anfechten wollte. Es ist der Ansicht, für die Frage, ob überwiegend unterhaltene Familienangehörige zu berücksichtigen seien, komme es auf die Verhältnisse vor Beginn des Zeitpunktes an, von dem an das Übergangsgeld gezahlt werde (1. August 1966), nicht aber auf die Verhältnisse vor Beginn der Heilmaßnahmen (12. Januar 1968). Auch gewähre das Sozialhilferecht den Bedürftigen nach dem Subsidiaritätsgrundsatz nur Vorleistungen, die der Versicherte oder die ihm Unterhaltspflichtigen zu erstatten hätten, und es befreie einen Versicherten nicht von seiner Unterhaltsverpflichtung. Leistungen des Sozialhilfeträgers seien daher kein Unterhalt im Sinne des § 1241 RVO.
Die Beklagte hat gegen das Urteil mit Einwilligung der Klägerin Sprungrevision eingelegt. Sie ist der Ansicht, für die Höhe des vorgezogenen Übergangsgeldes komme es auf die Verhältnisse vor Beginn der Durchführung der Maßnahme, nicht aber auf die Verhältnisse vor dem für den Beginn des vorgezogenen Übergangsgeldes maßgebenden Zeitpunkt der Rentenzahlung an. Das ergebe sich aus dem klaren Wortlaut des § 1241 Abs. 2 Satz 1 RVO. Es gebe nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) (SozR Nr. 7 zu § 1241 RVO) nur ein Übergangsgeld, und durch die Vorschrift des § 1241 Abs. 1 Satz 2 RVO werde lediglich der Zahlungsbeginn des sog. vorgezogenen Übergangsgeldes vorverlegt, aber nicht dessen rechtlicher Charakter verändert. Daraus folge, daß auch die Höhe des Übergangsgeldes nur einheitlich nach § 1241 Abs. 2 RVO festgesetzt werden könne und daher hierfür auch nur die Einkommens- und Familienverhältnisse vor Beginn der Maßnahmen zugrunde gelegt werden können.
Soweit das SG sein Urteil auf die Besonderheiten des Sozialhilferechts stütze, gehe es von der irrigen Ansicht aus, für die Frage des überwiegenden Unterhalts komme es auf die Unterhaltsverpflichtung des Betreuten an, maßgebend sei aber allein die Unterhaltsgewährung. Falls eine Mutter und ihr Kind hilfsbedürftig seien, erfolge die Gewährung von Leistungen aus der Sozialhilfe getrennt, d. h. sowohl an die Mutter als auch an das Kind. Die Sozialhilfe für das Kind bestehe nicht in einer Erhöhung der Leistungen an die Mutter. Die Klägerin habe aber von der ihr gewährten Sozialhilfeleistung ihren Sohn nicht überwiegend unterhalten und auch gar nicht überwiegend unterhalten können.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt vom 8. Mai 1968 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Sprungrevision der Beklagten zurückzuweisen.
Die Klägerin bringt vor, sie habe ihren Sohn vor Beginn der Maßnahmen überwiegend unterhalten. Die Sozialhilfe habe sie zum Teil auch erhalten, um ihre Unterhaltsverpflichtung gegenüber ihrem Sohn erfüllen zu können. Aber selbst wenn man der Ansicht sei, daß der Unterhalt des Sohnes vor Beginn der Maßnahmen nicht überwiegend von ihr bestritten worden sei, ergebe sich aus dem Sinn und Zweck des Übergangsgeldes, daß der Versicherte bereits zu einem Zeitpunkt, in dem er sich auf den Rentenbezug eingestellt habe, gesichert sein solle. Diese Sicherung könne nur unter Berücksichtigung der vorher überwiegend unterhaltenen Familienangehörigen erfolgen.
II
Die Sprungrevision ist zulässig. Nach § 146 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ist in Angelegenheiten der Rentenversicherung die Berufung ausgeschlossen, soweit sie ua nur die Rente für bereits abgelaufene Zeiträume betrifft. Dasselbe gilt, wie das BSG mehrfach entschieden hat (vgl. SozR Nr. 11 zu § 146 SGG und Nr. 48 zu § 150 SGG), wenn um Übergangsgeld für bereits abgelaufene Zeiträume gestritten wird. Ein solcher Fall liegt hier vor, weil die Bezugszeit des der Klägerin zugesprochenen Übergangsgeldes bei Einlegung der Berufung bereits abgelaufen war. Das SG hat die Berufung jedoch nach § 150 Nr. 1 SGG zugelassen, und die Klägerin hat ihre Einwilligung zur Einlegung einer Sprungrevision erteilt, so daß die Voraussetzungen des § 161 Abs. 1 SGG für die Einlegung einer Sprungrevision erfüllt sind. Die Sprungrevision ist jedoch nicht begründet.
Für die Zeit, in der ein Träger der Rentenversicherung Maßnahmen zur Erhaltung, Besserung oder Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit durchführt, hat er dem Betreuten Übergangsgeld zu gewähren (§ 1241 Abs. 1 Satz 1 RVO). Das Übergangsgeld beginnt also grundsätzlich mit dem Beginn der Maßnahmen. Hat aber ein Betreuter schon vor Beginn der Maßnahmen Antrag auf Rente wegen Berufsunfähigkeit oder wegen Erwerbsunfähigkeit gestellt, so beginnt das Übergangsgeld mit dem Zeitpunkt, von dem an die Rente zu zahlen gewesen wäre (§ 1241 Abs. 1 Satz 2 RVO).
Zur Höhe des Übergangsgeldes enthält das Gesetz nur eine Rahmenvorschrift, und zwar wird nach § 1241 Abs. 2 Satz 1 RVO die Höhe des Übergangsgeldes durch übereinstimmende Beschlüsse der Organe der Träger der Rentenversicherung unter Berücksichtigung der Zahl der von dem Betreuten vor Beginn der Maßnahmen überwiegend unterhaltenen Familienangehörigen festgesetzt. Im vorliegenden Fall besteht kein Streit darüber, daß die Klägerin ihren Sohn vor dem 1. August 1966, dem Zeitpunkt, von dem an die Rente zu zahlen gewesen wäre und daher das vorgezogene Übergangsgeld gezahlt worden ist, überwiegend unterhalten hat. Streitig ist jedoch, ob es für die Festsetzung der Höhe des Übergangsgeldes unter Berücksichtigung überwiegend unterhaltener Familienangehöriger darauf ankommt, ob die Klägerin ihren Sohn vor dem 1. August 1966, dem Tag des Beginns des Übergangsgeldes, oder vor dem 12. Januar 1968, dem Tag des Beginns der Heilmaßnahme, überwiegend unterhalten hat. Diese Frage ist dahin zu entscheiden, daß es für die Höhe des mit Bescheid vom 27. Januar 1967 rückwirkend ab 1. August 1966 gewährten Übergangsgeldes darauf ankommt, ob die Klägerin ihren Sohn vor dem Zeitpunkt, von dem an die beantragte Rente zu zahlen gewesen wäre und von dem an der Klägerin Übergangsgeld gewährt worden ist, also vor dem 1. August 1966, überwiegend unterhalten hat. Zwar bestimmt § 1241 Abs. 2 Satz 1 RVO, daß die Höhe des Übergangsgeldes unter Berücksichtigung der Zahl der von dem Betreuten "vor Beginn der Maßnahmen" überwiegend unterhaltenen Familienangehörigen festzusetzen ist, jedoch fällt auf, daß die Übergangsgeldvorschriften - außer in § 1241 Abs. 1 Satz 2 RVO - keine Regelungen für Rentenantragsteller enthalten. So spricht die Grundsatzvorschrift für das Übergangsgeld (§ 1237 Abs. 4 Buchst. a RVO) nur von der Gewährung von Übergangsgeld während der Durchführung von Maßnahmen der Heilbehandlung und der Berufsförderung, in § 1236 Abs. 1 und 2 RVO sind die Rentenantragsteller nicht besonders aufgeführt und auch in § 1241 Abs. 2 und 3 RVO ist keine Regelung für diesen Personenkreis der Übergangsgeldempfänger getroffen worden. Man muß deshalb davon ausgehen, daß der § 1241 Abs. 1 Satz 2 RVO erst nachträglich in die bereits fertig formulierten §§ 1236 ff RVO eingebaut worden ist, ohne die übrigen Vorschriften daraufhin anzupassen und zu ergänzen, so daß die Aufgabe, diese Anpassung und Ergänzung nachzuvollziehen, den Versicherungsträgern und den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit zusteht (so Dapprich in SGb 1966, 37 ff). Eine solche Anpassung hat das BSG auch bereits zu § 1241 Abs. 3 RVO vorgenommen und entschieden, Arbeitsentgelt sei dann auf das Übergangsgeld anzurechnen, wenn dieses gemäß § 1241 Abs. 1 Satz 2 RVO vor der Durchführung der Rehabilitationsmaßnahmen mit dem Zeitpunkt beginnt, von dem an die Rente zu zahlen gewesen wäre (SozR Nr. 7 zu § 1241 RVO), obwohl nach dem Wortlaut des § 1241 Abs. 3 RVO Übergangsgeld insoweit nicht gewährt wird, als der Betreute "während der Durchführung der Maßnahmen" Arbeitsentgelt, anderes Arbeitseinkommen oder eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung bezieht.
Auch § 1241 Abs. 2 RVO ist für die Gruppe der Rentenantragsteller i. S. des § 1241 Abs. 1 Satz 2 RVO dahingehend anzuwenden, daß die Zahl der überwiegend unterhaltenen Familienangehörigen vor dem Zeitpunkt, von dem an das Übergangsgeld gezahlt wird, maßgebend ist. Diese Festsetzung der Höhe des vorgezogenen Übergangsgeldes empfiehlt sich auch aus praktischen Erwägungen, weil das vorgezogene Übergangsgeld häufig vor Beginn der Rehabilitationsmaßnahmen festgelegt werden muß. Zu diesem Zeitpunkt kann aber noch nicht vorausgesagt werden, wie viele Familienangehörige im Zeitpunkt des Beginns der Rehabilitationsmaßnahmen von dem Betreuten überwiegend unterhalten werden. Schließlich werden Betreute in der Zeit zwischen der Rentenantragstellung und dem Beginn einer späteren Rehabilitationsmaßnahme häufig erwerbsunfähig sein und vor Beginn der Maßnahme kein Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen erzielen können. Es wäre nicht gerechtfertigt, wenn sich das deshalb nachteilig auf die Höhe des Übergangsgeldes auswirken könnte, weil sie während der Zeit der Erwerbsunfähigkeit die bisher von ihnen überwiegend unterhaltenen Familienangehörigen nicht mehr im gleichen Maße unterhalten konnten.
Es bleibt zu entscheiden, ob das mit Bescheid vom 27. November 1967 rückwirkend ab 1. August 1966 gewährte Übergangsgeld ab 4. Oktober 1966 gekürzt werden konnte, weil für den Sohn der Klägerin seit dem 4. Oktober 1966 Sozialhilfe vom Sozialamt gezahlt worden ist. Zwar hat das BSG in bestimmten Fällen bei einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse, die für die Festsetzung des Übergangsgeldes maßgebend waren, eine nachträgliche Kürzung des Übergangsgeldes zugelassen (vgl. BSG in SozR Nr. 22 und 23 zu § 1241 RVO); eine derartige wesentliche Änderung der Verhältnisse liegt aber nicht vor, wenn während des Zeitraumes, in dem eigentlich bereits Übergangsgeld gezahlt werden müßte, für ein bei der Festsetzung des Übergangsgeldes zu berücksichtigendes Kind Sozialhilfe gezahlt wird. Das würde auch dem in § 2 des Bundessozialhilfegesetzes vom 30. Juni 1961 festgelegten Grundsatz des Nachrangs der Sozialhilfe gegenüber anderen Leistungspflichtigen widersprechen. Nach dieser Vorschrift erhält nämlich keine Sozialhilfe, wer die erforderliche Hilfe von Trägern anderer Sozialleistungen erhält.
Die Sprungrevision der Beklagten war daher in vollem Umfang zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen