Beteiligte
Kläger und Revisionskläger |
Beklagte und Revisionsbeklagte |
Tatbestand
I.
Der Kläger, von Beruf Lokomotivführer, ist zugleich Inhaber eines landwirtschaftlichen Betriebes und als solcher Mitglied der Beklagten. Bei der Überprüfung seines Betriebes am 6. März 1972 stellte die Beklagte mehrere Verstöße gegen Unfallverhütungsvorschriften (UVV) fest. Die am 13. Oktober 1972 in Abwesenheit des Klägers von einem Betriebsrevisor der Beklagten durchgeführte Nachbesichtigung ergab, daß bei der vorherigen Prüfung beanstandete Mängel noch vorhanden waren. So fehlte weiterhin das Führungsgeländer an der Kellertreppe. Aus diesem Grund wollte der Revisor der Beklagten am 16. Oktober 1972 eine weitere Nachprüfung durchführen. Nach den Angaben des Revisors der Beklagten mahnte der nunmehr anwesende Kläger den Revisor zur Vorsicht, da er, der Kläger, gerade erst von der Nachtschicht als Lokomotivführer heimgekommen sei; das Führungsgeländer an der Treppe werde er im übrigen nicht anbringen; die Feststellungen der Beklagten seien Schikanen. Als der Revisor den Kläger nach der fehlenden Haltevorrichtung der Kreissäge fragte, holte dieser, wie der Revisor weiter berichtete, diese Vorrichtung und schrie: "Ich schlage sie Ihnen auf den Kopf, daß Sie umfallen". Da der Kläger - nach dem Bericht des Revisors - weiterhin eine drohende Haltung einnahm, verließ der Revisor das landwirtschaftliche Anwesen.
Die Beklagte setzte mit Bescheid vom 18. Januar 1973 gegen den Kläger eine Ordnungsstrafe in Höhe von 500,-- DM nach den §§ 801, 710, 714 der Reichsversicherungsordnung (RVO) fest. Der Ordnungsstrafbescheid enthielt hinsichtlich der Strafzumessung die Formulierung: "Gemäß §§ 801, 710, 714 RVO war daher unter Abwägung aller Umstände eine Ordnungsstrafe von 500,-- DM festzusetzen". In der Begründung des Ordnungsstrafbescheides ist weiterhin ausgeführt: "Die Ordnungsstrafe wird auf die Hälfte ermäßigt, wenn Sie sich innerhalb von 4 Wochen nach vorheriger schriftlicher oder telefonischer Anmeldung in den Räumen der Landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft Unterfranken bei dem Betriebsrevisor W… in Gegenwart des Herrn Geschäftsführers und des Leitenden technischen Aufsichtsbeamten für Ihr Fehlverhalten persönlich entschuldigen".
Den vom Kläger eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Bescheid vom 20. März 1973 zurück.
Die vom Kläger erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) durch Urteil vom 21. November 1974 abgewiesen, da der Kläger durch die Bedrohung des Betriebsrevisors eine Besichtigung seines Betriebes verhindert und somit gegen § 714 RVO verstoßen habe.
Das Bayerische Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung durch Urteil vom 20. Mai 1976 zurückgewiesen. Es hat seine Entscheidung im wesentlichen darauf gestützt, daß der Kläger die bei den Betriebsprüfungen beanstandeten Mängel selbst bei der dritten Prüfung, die nicht ordnungsgemäß zu Ende habe geführt werden können, noch nicht behoben hatte. Er habe somit zumindest fahrlässig gegen die UVV im Sinne der §§ 708, 709 RVO verstoßen. Somit sei er zu Recht gemäß § 710 Abs. 1 RVO mit einer Ordnungsstrafe belegt worden, die auch der Höhe nach nicht zu beanstanden sei. Daher sei es letztlich nicht darauf angekommen, ob er gegenüber dem Betriebsrevisor Bedrohungen ausgesprochen habe.
Das Bundessozialgericht (BSG) hat die Revision zugelassen.
Der Kläger hat dieses Rechtsmittel eingelegt und vorgetragen:
Der Bescheid der Beklagten sei hinsichtlich der Höhe der Ordnungsstrafe nicht ausreichend bestimmt. Die Entscheidung des LSG habe zudem seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt. Die Beklagte sowie das SG hätten die Ordnungsstrafe ausschließlich mit der Bedrohung des Betriebsrevisors und der Verhinderung der weiteren Betriebsprüfung begründet. Das LSG habe dagegen, ohne mit ihm - dem Kläger - den zuvor als rechtlich unwesentlich angesehenen Sachverhalt zu erörtern oder ihm zumindest einen entsprechenden Hinweis zu geben, die Zurückweisung der Berufung darauf gestützt, daß er zumindest fahrlässig gegen UVV verstoßen habe. Außerdem sei das LSG seinem Beweisantrag, seine Frau als Zeugin über den Tatbestand seiner angeblichen Bedrohung des Betriebsrevisors der Beklagten zu vernehmen, nicht nachgekommen und habe dadurch § 103 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) verletzt.
Der Kläger beantragt,die angefochtenen Urteile sowie den Ordnungsstrafbescheid der Beklagten und den Widerspruchsbescheid aufzuheben,hilfsweise,das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 20. Mai 1976 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt,die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Die Rüge des Klägers wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs durch das Urteil des LSG sehe sie zwar als begründet an. Gleichwohl stelle sich die Entscheidung des LSG aus anderen Gründen als richtig dar. Sie habe eine Ordnungsstrafe verhängen können, da die Voraussetzungen des § 714 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 RVO erfüllt gewesen seien.
Entscheidungsgründe
II.
Für die Überprüfung des angefochtenen Bescheides sind die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit weiterhin sachlich zuständig (§ 51 Abs. 1 SGG). Die seit dem 1. Januar 1975 eingetretene Rechtsänderung (s. Art. 326 Abs. 1 des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch vom 2. März 1974 - BGBl. I 469 - EGStGB) ist auf Verfahren, die einen vor diesem Zeitpunkt erlassenen Ordnungsstrafbescheid betreffen, nicht anzuwenden; insoweit gilt das bisherige Recht einschließlich der Zuständigkeit der Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit fort (s. Art. 318 Abs. 2 EGStGB).
Die Revision ist begründet.
Der angefochtene Bescheid entspricht nicht dem rechtsstaatlichen Erfordernis, daß eine Ordnungsstrafe nicht nur in ihrer Art, sondern auch in der Höhe bestimmt ist. In dem Bescheid ist zwar zunächst eine Ordnungsstrafe von 500,-- DM festgesetzt. In den Gründen des Bescheides ist jedoch ausgeführt, die Ordnungsstrafe werde auf die Hälfte ermäßigt, wenn sich der Kläger unter den dort angeführten Voraussetzungen entschuldige. Aus dem Bescheid selbst ist demnach nicht zu entnehmen, ob die Ordnungsstrafe 500,-- DM oder nur 250,-- DM beträgt. Die Beklagte meint zu Unrecht, der Bescheid enthalte eine klare, verständliche Bedingung, bei deren Eintritt die zunächst auf 500,-- DM festgesetzte Strafe sich auf die Hälfte ermäßige. Entscheidend ist jedoch, daß sich die festgesetzte Ordnungsstrafe der Höhe nach nicht aus dem Bescheid der Beklagten selbst ergibt, sondern erst noch durch Umstände bestimmt werden soll, die nach Erlaß des Ordnungsstrafbescheides liegen. Die Ordnungsstrafe sollte in ihrer Höhe von seiten der Beklagten erst endgültig bestimmt sein, wenn feststand, ob sich der Kläger ausreichend entschuldigt hatte. Die bei einer Entschuldigung fällige Ordnungsstrafe von nur 250,-- DM sollte an die Stelle der zunächst ausgesprochenen Ordnungsstrafe von 500,-- DM treten. Dabei ist außerdem aus dem Bescheid nicht hinreichend deutlich, ob sich die zunächst ausgesprochene Strafe von 500,-- DM durch eine Entschuldigung des Klägers von selbst auf die Hälfte ermäßigt oder ob sie dann erst durch einen neuen Bescheid auf die Hälfte ermäßigt "wird". Für die zuletzt angeführte Auslegung könnte sprechen, daß es im Einzelfall durchaus streitig sein kann, ob eine Erklärung als eine ausreichende Entschuldigung anzusehen ist. Auch insoweit zeigt sich die rechtsstaatlichen Grundsätzen widersprechende unzureichende Bestimmtheit der Strafhöhe in dem angefochtenen Bescheid. Eine zwangsweise Vollstreckung der Ordnungsstrafe wäre gleichfalls kaum zulässig, weil der Vollstreckungsbeamte aus dem für ihn maßgebenden Bescheid nicht entnehmen könnte, ob er eine Ordnungsstrafe von 500,-- DM oder nur eine solche von 250,-- DM beizutreiben habe. Die rechtsstaatlichen Grundsätzen entsprechende Bestimmtheit der Strafhöhe schließt das Bestreben der Beklagten nicht aus, die Ordnungsstrafe bei einer ausreichenden Entschuldigung des Klägers niedriger zu bemessen. Die Beklagte hätte dem Kläger vor Erlaß des Ordnungsstrafbescheides die Gelegenheit zur Entschuldigung geben und sein Verhalten bei der Zumessung der dann bestimmten Strafe berücksichtigen können.
Im Übrigen fehlt dem Bescheid auch eine ausreichende Begründung für die Strafzumessung. Nach § 714 Abs. 2 RVO i.d.F. bis zum Inkrafttreten des EGStGB (a.a.O.) - RVO a.F. - liegt es im Ermessen des Versicherungsträgers, in welcher Höhe er die Ordnungsstrafe festsetzt. Die Höhe der Ordnungsstrafe kann daher von Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit nur im Rahmen des § 54 Abs. 2 Satz 2 SGG daraufhin überprüf t werden, ob der Versicherungsträger die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat (vgl. BSG SozR Nr. 1 zu § 1543d RVO; BSG SozR 2200 § 773 Nr. 1). Die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit dürfen den Strafanspruch nicht selbst verwirklichen und nicht eigenes Ermessen hinsichtlich der Strafhöhe ausüben (BSGE 4, 140, 146; 15, 161, 167; BSG SozR Nr. 1 zu 1429 RVO). Wie sich aus der Entstehungsgeschichte des 710 RVO a.F., der durch das Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz (UVNG) vom 30. April 1963 (BGBl. I 241) eingeführt worden ist, ergibt, sind "bei der Festsetzung der Ordnungsstrafe die wirtschaftlichen Verhältnisse der Betroffenen wie auch sonst bei Verhängung von Geldstrafen entscheidend mit zu berücksichtigen" (Schriftlicher Bericht des Bundestags-Ausschusses für Sozialpolitik, BT-Drucks. IV/938 - neu -, S. 22). Hinzu kommen als weitere von der Beklagten zu beachtende Strafzumessungsgründe die Schwere des Verstoßes, das Ausmaß der Schuld sowie die innere Einstellung des Täters, sein Verhalten nach der Feststellung der Zuwiderhandlung, ggf. auch die durch Verstöße gegen UVV eingetretenen Schädigungen (vgl. BSG SozR 22 § 773 Nr. 1; Hess. LSG Breithaupt 1974, 171, 172; Schlesw.-Holst. LSG BG 1969, 113, 114 - zu § 773 RVO a.F.; Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl., 21. Lieferung - Stand Juli 1972 -, § 710 Anm. 11; Wolber BG 1967, 234, 235).
Um überprüfen zu können, ob der Versicherungsträger bei der Straffestsetzung die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat, müssen die Erwägungen über die Ermessensausübung aus dem Bescheid erkennbar sein (vgl. BVerwG VerwRspr 11, 879). Dem steht nicht entgegen, daß nach § 66 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten i.d.F. vom 2. Januar 1975 (BGBl. I 80, berichtigt S. 520) eine Begründung der Strafzumessung nicht zwingend vorgeschrieben ist. Dies beruht darauf, daß bei einem Einspruch die Gerichte über die Buße selbst entscheiden und nicht nur - wie nach dem hier maßgebenden Recht - eine Ermessensentscheidung der Beklagten überprüfen. Die Begründung eines - im Ermessen des Versicherungsträgers liegenden - Ordnungsstrafbescheides muß grundsätzlich erkennen lassen, daß sich der Versicherungsträger mit den entscheidungserheblichen rechtlichen und tatsächlichen Gegebenheiten auseinandergesetzt hat (BSG SozR 2200 § 773 Nr. 1). Dies ist nur hinsichtlich derjenigen Umstände entbehrlich, die auf der Hand liegen oder sich aus den dem Adressaten bekannten Umständen ergeben (BSG a.a.O.). Aus dem angefochtenen Bescheid ergibt sich lediglich der dem Kläger zur Last gelegte Verstoß gegen die UVV. Im übrigen läßt der Bescheid keine Anhaltspunkte für die Prüfung erkennen, welche weiteren für das Strafmaß erheblichen Umstände beachtet und gegeneinander abgewogen worden sind. Insbesondere ist dem Bescheid nicht zu entnehmen, ob und inwieweit die Beklagte die wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers berücksichtigt und dessen Einlassung geprüft hat, er sei nach einer anstrengenden Nachtschicht als Lokomotivführer nervlich sehr angespannt gewesen. Die globalen Ausführungen in dem angefochtenen Bescheid, unter Abwägung aller Umstände sei eine Ordnungsstrafe von 500.-- DM festzusetzen, ermöglichen auch im Rahmen des § 54 Abs. 2 Satz 2 SGG keine ausreichende gerichtliche Nachprüfung, ob die Beklagte die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat.
Da der angefochtene Bescheid somit wegen der rechtsstaatlichen Grundsätzen widersprechenden fehlenden Bestimmtheit der Strafhöhe und außerdem wegen der nicht ausreichend nachprüfbaren Strafzumessungsgründe rechtswidrig und somit aufzuheben ist, braucht über die vom Kläger erhobenen Verfahrensrügen nicht mehr entschieden zu werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen