Entscheidungsstichwort (Thema)
Zahlungsbeginn des Altersruhegeldes
Beteiligte
Klägerin und Revisionsklägerin |
Beklagte und Revisionsbeklagte |
Tatbestand
I.
Streitig ist der Zahlungsbeginn des Altersruhegeldes.
Die am 5. April 1903 geborene Klägerin kam 1957 als Heimatvertriebene von Polen in die Bundesrepublik Deutschland. Nachdem ein früherer Antrag auf Versichertenrente von der beklagten Landesversicherungsanstalt (LVA) im September 1959 abgelehnt worden war, gewährte die Beklagte auf den im September 1967 gestellten Antrag mit Bescheid vom 8. Februar 1968 Berufsunfähigkeitsrente; der Rentenberechnung lagen unter anderem Beitragszeiten von 220 Monaten sowie eine Ersatzzeit von 24 Monaten zugrunde.
Nach einem im Mai 1982 durchgeführten sog. Suchlauf stellte die Beklagte anläßlich einer Sonderaktion im März 1984 fest, daß der Klägerin noch Rente wegen Berufsunfähigkeit gezahlt wurde. Sie kündigte der Klägerin die Prüfung, ob Altersruhegeld wegen Vollendung des 65. Lebensjahres gewährt werden könne, mit dem Hinweis an, unter Beachtung der Verjährungsbestimmung des § 45 des Sozialgesetzbuches - Allgemeiner Teil - (SGB 1) sei eine Zahlung des Altersruhegeldes für die Zeit vor dem 1. Januar 1978 unzulässig; sie werde, das Einverständnis der Klägerin voraussetzend, den Versicherungsfall in Anlehnung an § 1248 Abs. 6 der Reichsversicherungsordnung (RVO) auf den 31. Dezember 1977 festsetzen. Nachdem die Klägerin ergänzende Angaben zu ihrer Krankenversicherung und zum Leistungsbezug von anderen Trägern gemacht hatte, wandelte die Beklagte mit dem angefochtenen Bescheid vom 7. Mai 1984 die Berufsunfähigkeitsrente mit Wirkung vom 1. Januar 1978 in das Altersruhegeld wegen Vollendung des 65. Lebensjahres um, indem sie einen am 31. Dezember 1977 eingetretenen Versicherungsfall zugrunde legte. Dabei ergab sich eine Nachzahlung von ca. 8.950,-- DM sowie ein höherer monatlicher Zahlbetrag von 384,10 DM anstatt 255,-- DM.
Den Widerspruch der Klägerin mit dem Ziel, Altersruhegeld bereits für die Zeit ab Mai 1968 zu gewähren, wies die Beklagte zurück (Widerspruchsbescheid vom 7. September 1984).
Das Sozialgericht (SG) Hildesheim hat die Beklagte durch Urteil vom 27. Februar 1985 unter Abänderung des angefochtenen Bescheides und des Widerspruchsbescheides verpflichtet, Altersruhegeld wegen Vollendung des 65. Lebensjahres ab 1. Mai 1968 (unter Anrechnung der gewährten Berufsunfähigkeitsrente) zu zahlen: Das Klagebegehren sei als sozialrechtlicher Herstellungsanspruch begründet und stärker als die Verjährungsvorschrift des § 45 Abs. 1 SGB 1; der rechtsunkundige Bürger dürfe nicht durch pflichtwidriges Verwaltungshandeln seine erworbenen Ansprüche auch nur teilweise verlieren.
Das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen hat auf die Berufung der Beklagten dieses Urteil mit der angefochtenen Entscheidung vom 21. Mai 1986 aufgehoben und die Klage abgewiesen. Es hat ausgeführt: Entgegen der Ansicht der Beklagten könne das Ergebnis nicht unmittelbar aus § 44 Abs. 4 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB 10) gewonnen werden; denn der Bescheid vom 8. Februar 1968 sei nicht rechtswidrig gewesen. Aber auch der sozialrechtliche Herstellungsanspruch sei hier nicht anwendbar, weil die Beklagte ohnehin verpflichtet gewesen wäre, die Berufsunfähigkeitsrente rückwirkend ab 1. Mai 1968 in das Altersruhegeld umzuwandeln. Ob der Anspruch für Zeiten vor 1978 verjährt sei, habe der Senat dahinstehen lassen, zumal die Verjährungseinrede von der Beklagten mißbräuchlich erhoben sein könnte. Dem Klagebegehren stehe jedoch schon der sich aus § 44 Abs. 4 SGB 10 ergebende allgemeine Rechtsgrundsatz entgegen, wonach im Falle eines nachträglich zu bewilligenden Anspruchs Sozialleistungen nicht über vier Jahre hinaus rückwirkend zu erbringen seien (Hinweis auf BSG, Urteil vom 11. April 1985 - 4b/9a RV 5/84 = SozR 1300 § 44 Nr. 17). Das müsse auch hier gelten, weil der Betroffene bei rechtswidriger Unterlassung eines gesetzlich gebotenen begünstigenden Verwaltungsaktes nicht besser stehen dürfe als beim Erlaß eines rechtswidrigen nichtbegünstigenden Verwaltungsaktes. Da § 44 Abs. 4 SGB 10 eine materiell-rechtliche, von Amts wegen zu beachtende Einschränkung enthalte, könnten Einwendungen wegen unzulässiger Rechtsausübung oder wegen eines Verstoßes gegen Treu und Glauben nicht geltend gemacht werden. Die Festlegung des Versicherungsfalles auf den 31. Dezember 1977 bedürfe keiner Berichtigung, weil sich dadurch kein niedrigeres Altersruhegeld ergebe als bei einem am 5. April 1968 eingetretenen Versicherungsfall.
Die Klägerin hat die - vom LSG zugelassene - Revision eingelegt und vorgebracht, es liege ein evidentes Fehlverhalten der Beklagten vor, die sich über eindeutige Gesetzesvorschriften hinweggesetzt habe. Wegen dieser Besonderheit sei zu prüfen, ob möglicherweise hier der allgemeine Satz "keine Sozialleistung über vier Jahre zurück" ausnahmsweise nicht Anwendung finde. Dann aber müsse entschieden werden, ob die von der Beklagten erhobene Einrede der Verjährung ermessenswidrig sei.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
|
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das erstinstanzliche Urteil zurückzuweisen. |
|
Die Beklagte beantragt,
|
die Revision zurückzuweisen. |
|
Sie wendet ein, der Versicherungsträger sei im Interesse der Versichertengemeinschaft und nach den Grundsätzen einer ordnungsgemäßen Verwaltung im allgemeinen gehalten, die Verjährungseinrede zu erheben; nur besondere Umstände und nicht die mit jeder Verjährung verbundene Härte könnten die Erhebung der Einrede verbieten (Hinweis auf SozR 2200 § 29 Nr. 4). Danach stehe der Klägerin kein Altersruhegeld für die Zeit vor dem 1. Januar 1978 zu.
Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision der Klägerin ist begründet. Zu Unrecht hat das LSG das erstinstanzliche Urteil aufgehoben, mit dem der Klägerin Altersruhegeld bereits für die Zeit seit dem 1. Mai 1968 zuerkannt worden war.
Da die Klägerin am 5. April 1968 ihr 65. Lebensjahr vollendet und zu diesem Zeitpunkt die Wartezeit, die damals für das Altersruhegeld in jedem Falle eine Versicherungszeit von 180 Kalendermonaten voraussetzte, erfüllt und sie auch keinen späteren Zeitpunkt für den Eintritt des Versicherungsfalles bestimmt hatte, war die Berufsunfähigkeitsrente gemäß § 1254 Abs. 2 Satz 1 RVO in der am 1. Januar 1966 in Kraft getretenen Fassung des Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes (RVÄndG) vom 9. Juni 1965 (BGBl. I 476) von Amts wegen in das "normale" Altersruhegeld (damals: § 1248 Abs. 1 RVO) umzuwandeln. Die Umwandlungsvorschrift des § 1254 Abs. 2 Satz 1 RVO ist auch nicht durch SGB 10, §§ 44 ff., insbesondere § 48, aufgehoben worden; sie besteht vielmehr als Sondervorschrift weiter (§ 37 SGB 1; BSGE 57, 215, 216 = SozR 1200 § 59 Nr. 6). Hinsichtlich des Rentenbeginns galten und gelten auch im Rahmen der von Amts wegen vorzunehmenden Umwandlung die allgemeinen Vorschriften (vgl. hierzu SozR 2200 § 1254 Nr. 2), so daß das Altersruhegeld nach § 1290 Abs. 1 Satz 1 RVO - hier bereits in der ab 1. Januar 1968 geltenden Fassung des Art 1 § 1 Nr. 25 Buchst a des Finanzänderungsgesetzes vom 21. Dezember 1967 (BGBl. I 1259) - erst vom Ablauf des Monats an zu gewähren war, in dem alle Voraussetzungen erfüllt gewesen sind, also - wie die Vorinstanzen zutreffend ausgeführt haben - mit Wirkung vom 1. Mai 1968. Somit ist der Anspruch i.S. des Grundanspruchs oder Stammrechts (wegen Einzelheiten vgl. Urteil des Senats vom 18. Dezember 1986 - 4a RJ 73/85 S. 8) am 5. April 1968 entstanden (vgl. § 40 SGB 1); die erste Einzelleistung ist mit dem 1. Mai 1968 fällig geworden (vgl. § 41 SGB 1).
Über die oben beschriebene Verpflichtung der Beklagten besteht nach den Ausführungen des Berufungsgerichts kein Streit. Allerdings hat die Beklagte im angefochtenen Bescheid vom 7. Mai 1984 einen am 31. Dezember 1977 eingetretenen Versicherungsfall zugrunde gelegt. Indessen ist dies rechtswidrig geschehen, weil die "anderweitige" Bestimmung des Versicherungsfalles durch den Rentenberechtigten eine einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung ist, die (erst) mit dem Zugang beim Versicherungsträger wirksam wird (BSGE 37, 257 = SozR 2200 § 1248 Nr. 3; BSGE 46, 279 = SozR a.a.O. Nr. 25). An der Abgabe einer solchen - eindeutigen, zweifelsfreien (vgl. BSG a.a.O. S. 359) - Willenserklärung durch die Klägerin fehlt es, wie das LSG festgestellt hat, ohne daß die Beklagte hiergegen eine (Gegen-) Rüge erhoben hätte. Dementsprechend hat sich die Beklagte auch in ihrer Revisionserwiderung darauf beschränkt, die Zulässigkeit der Verjährungseinrede zu begründen; dieser Vortrag gäbe keinen Sinn, wenn sie noch von einem Versicherungsfall vom 31. Dezember 1977 ausginge. Bei dieser Rechtslage braucht nicht mehr erörtert zu werden, wie der dem Bescheid vom 7. Mai 1984 vorausgegangene Hinweis der Beklagten - auch hinsichtlich seiner Folgen - zu bewerten ist, unter Berücksichtigung der Verjährungsbestimmung sei eine Zahlung des Altersruhegeldes vor dem 1. Januar 1978 unzulässig, und es werde deshalb der Versicherungsfall auf den 31. Dezember 1977 festgesetzt.
Da sich hier - wie dargelegt - unmittelbar aus dem Gesetz die Verpflichtung der Beklagten ergibt, die Berufsunfähigkeitsrente (bereits) mit Wirkung vom 1. Mai 1968 in das Altersruhegeld umzuwandeln, ist für den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch kein Raum, worauf bereits das LSG im Gegensatz zur ersten Instanz hingewiesen hat. Denn wenn der Gesetzgeber eine Regelung oder - wie im Falle des § 1254 Abs. 2 Satz 1 RVO hinsichtlich der Rentenumwandlung - Sonderregelung getroffen hat, geht diese dem Herstellungsanspruch als ergänzendem Richterrecht vor (vgl. BSGE 56, 266, 270 = SozR 2200 § 1418 Nr. 8 S. 18; BSG SozR 4100 § 56 Nr. 18 S. 49).
Dem Anspruch der Klägerin auf Gewährung des Altersruhegeldes steht kein rechtshindernder Einwand entgegen. Daß § 44 Abs. 4 Satz 1 SGB 10 hier jedenfalls nicht unmittelbar anzuwenden ist, hat die Vorinstanz bereits zutreffend herausgestellt. Die Vorschrift setzt nach ihrem Wortlaut ("Ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden, werden Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuchs längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht") voraus, daß ein zumindest teilweise nichtbegünstigender Verwaltungsakt erlassen worden ist, nach dessen Aufhebung (Teilaufhebung) Sozialleistungen zu erbringen sind; sie korrespondiert mit Abs. 1 Satz 1 a.a.O., der die Rücknahme eines Verwaltungsaktes, auch nachdem er bindend geworden ist, "mit Wirkung für die Vergangenheit" vorschreibt, soweit sich im Einzelfall ergibt, daß bei Erlaß des Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Daran fehlt es im vorliegenden Fall schon deshalb, weil die Klägerin bei Erlaß des Bescheides vom 8. Februar 1968 das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte, die Beklagte also damals zur Umwandlung der Berufsunfähigkeitsrente noch nicht verpflichtet war; daß sie dies hätte schon tun können, ist ohne rechtlichen Belang.
Nicht zu folgen ist aber der Rechtsauffassung des LSG, der Anspruch der Klägerin müsse gleichwohl scheitern, weil § 44 Abs. 4 SGB 10 einen allgemeinen Rechtsgrundsatz verkörpere, daß Sozialleistungen nicht über vier Jahre hinaus rückwirkend zu erbringen seien. Insbesondere stützt das vom Berufungsgericht herangezogene Urteil des Senats vom 11. April 1985 - 4b/9a RV 5/84 (= SozR 1300 § 44 Nr. 17) diese Auffassung nicht. Dort lag ein Sachverhalt zugrunde, wonach frühere Bescheide teilweise zurückgenommen worden waren, und es ging nur noch darum, ob die deshalb neu festzustellende Leistung länger als vier Jahre rückwirkend zu beginnen habe. Der Senat hat dies in - unmittelbarer - Anwendung von § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB 10 verneint und ausgeführt, die gegenteilige Auffassung lasse sich auch nicht auf den Herstellungsanspruch stützen.
Allerdings ist in der Zwischenzeit § 44 Abs. 4 Satz 1 SGB 10 in der Rechtsprechung des BSG wiederholt "entsprechend" auch dann angewandt worden, wenn die erhöhte Rentenleistung in der Vergangenheit nicht zu Unrecht durch einen Verwaltungsakt abgelehnt worden war, sondern die unterbliebene Rentenerhöhung auf einem sonstigen (hoheitlichen) rechtswidrigen Verhalten des Leistungsträgers beruhte (BSG, Urteile vom 9. September 1986 - 11a RA 28/85 - SozR 1300 § 44 Nr. 24 und 10/86 sowie vom 21. Januar 1987 - 1 RA 27/86). Diese Urteile betreffen - anders als der vorliegende Rechtsstreit - die sich aus dem Grundsatz von Treu und Glauben oder aus einem Herstellungsanspruch ergebende rückwirkende Leistungsberechtigung, so daß der erkennende Senat im vorliegenden Fall der Unterlassung gesetzlich angeordneter Leistungsumwandlung nicht von ihnen abweichen kann. Soweit es dort jedoch heißt, die analoge Anwendung erfordere der in § 44 Abs. 4 Satz 1 SGB 10 zum Ausdruck gekommene Grundgedanke, nach dem eine nachträgliche Leistung durchweg auf diesen Endpunkt begrenzt werden solle (SozR a.a.O. S. 63; ähnlich Urteil vom 21. Januar 1987, S. 6, 7), hat der erkennende Senat Bedenken gegen eine derartige, nicht auf den Herstellungsanspruch beschränkte Analogie (vgl. a.a.O. S. 6, 7), die auch die vorliegende Fallgestaltung berühren könnte. Zwar mag dem geltenden Recht nunmehr ein allgemeiner Rechtsgedanke in dem Sinne zu entnehmen sein, daß Leistungen prinzipiell nicht über vier Jahre hinaus rückwirkend zu gewähren sind (vgl. hierzu § 45 Abs. 1 SGB 1, §§ 25 Abs. 1 Satz 1 und 27 Abs. 2 SGB 4). Mit dieser Erkenntnis ist indessen weder allgemein noch für den vorliegenden Rechtsstreit etwas gewonnen. Denn § 44 Abs. 4 Satz 1 SGB 10 unterscheidet sich in seiner Gestaltung und seinen Wirkungen grundlegend von den genannten Verjährungsvorschriften. Er enthält nach inzwischen ständiger Rechtsprechung (vgl. BSG SozR 1300 § 44 Nrn. 17, 23, 24) und herrschender Meinung im Schrifttum (vgl. die Nachweise Nr. 17 a.a.O. S. 37 und Nr. 23 a.a.O. S. 53 f.) eine materiell-rechtliche Einschränkung des nachträglich bewilligten Anspruchs auf Sozialleistungen, deren Wirkung über die Verjährung hinausgeht und einer Ausschlußfrist entspricht. Dies bedeutet, daß Leistungsträger und Gerichte die Vorschrift, wenn deren Voraussetzungen gegeben sind, ohne weiteres anzuwenden haben, daß der Leistungsträger keine Einrede zu erheben braucht und vor allem, daß gegen die Anwendung der Vorschrift weder der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung noch ein Verstoß gegen Treu und Glauben geltend gemacht werden kann. Wenn demnach § 44 Abs. 4 Satz 1 SGB 10 stärker in die sozialen Rechte des Versicherten eingreift als die Verjährungsbestimmungen des SGB 1 und 4, bedarf es besonderer Prüfung, ob die Vorschrift "analogiefähig" ist, zumal - umgekehrt - die sozialen Rechte des Bürgers (Versicherten) möglichst weitgehend verwirklicht werden sollen (vgl. § 2 Abs. 2 SGB 1). Die Annahme, § 44 SGB 10 enthalte einen allgemeinen Rechtssatz, entzöge überdies dem in § 45 SGB 1 geregelten Rechtsinstitut der Verjährung weithin seine Berechtigung, z.B. dem Leistungsträger sein Recht, von der Einrede der Verjährung im Einzelfall nach pflichtgemäßem Ermessen abzusehen.
Die in dem § 44 SGB 10 vorangestellte (amtliche) Überschrift - Rücknahme eines rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsaktes - kennzeichnet den Inhalt der gesamten Vorschrift; auch Abs. 4 Satz 1 a.a.O. setzt die Rücknahme eines Verwaltungsaktes voraus, und zwar in Übereinstimmung mit Abs. 1 Satz 1 "mit Wirkung für die Vergangenheit". Dieser essentiellen Prämisse der Vorschrift widerstreitet die Argumentation, es könne keinen Unterschied machen, ob der Berechtigte einen ablehnenden Verwaltungsakt erhalten oder aus anderen Gründen, etwa wegen unzureichender Information durch den Leistungsträger, bereits im Vorfeld von der Anspruchsverfolgung abgesehen habe, der Berechtigte sei im letzteren Fall keineswegs schutzwürdiger als im ersten (vgl. BSG a.a.O. S. 64). Eine solche letztlich ganz allgemein auf die Gerechtigkeit abhebende und von daher einsichtige Abwägung vernachlässigt, daß §§ 44 ff. SGB 10 im Spannungsverhältnis zwischen Gerechtigkeit und Rechtssicherheit stehen, des weiteren, daß § 44 SGB 10 den Eingriff in die Bestandskraft eines Verwaltungsaktes nach § 77 SGG zugunsten des Bürgers zuläßt sowie - in seinem Abs. 4 - allein das zeitliche Ausmaß der Folgenbeseitigung einschränkt (hierzu vgl. insbesondere Hauck/Haines/Vöcking, SGB X, Stand: 1. Januar 1986, K § 44 Rz 1, 2). Die Vier-Jahres-Schranke kann in diesem Zusammenhang als ein Teilstück weiterbestehender Bestandskraftwirkung des rechtswidrigen und daher aufzuhebenden Verwaltungsaktes verstanden werden. Wie stark der Grundsatz der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens geschützt ist, zeigt § 79 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE) vom 12. März 1951 (BGBl. I 243), wonach mit Ausnahme von rechtskräftigen Strafurteilen und vorbehaltlich einer besonderen Regelung die nicht mehr anfechtbaren Entscheidungen, die auf einer für nichtig erklärten Norm beruhen, unberührt bleiben. Daß diese Vorschrift, die insoweit der Rechtssicherheit und dem Rechtsfrieden den Vorrang vor dem Rechtsschutz des einzelnen Bürgers gibt, verfassungsrechtlich nicht beanstandet werden kann, hat das Bundesverfassungsgericht wiederholt entschieden (vgl. BVerfGE 2, 380, 304; 7, 194, 195 f.; 11, 263, 265; 20, 230, 235). Vom Standpunkt allein der Gerechtigkeit aus wäre auch hier eher an eine Gleichbehandlung mit den im gleichen Zeitraum entstandenen Ansprüchen zu denken gewesen ohne Rücksicht darauf, ob unanfechtbare oder überhaupt keine Entscheidungen ergangen sind.
Die Entstehungsgeschichte zu § 44 Abs. 4 Satz 1 SGB 10 bietet ebenfalls keinen Ansatz, aufgrund dessen die Vorschrift auch als Ausdruck eines allgemeinen Rechtssatzes in dem Sinne aufgefaßt werden könnte, daß die entsprechende Anwendung beim Fehlen sowohl eines aufzuhebenden wie auch eines aufhebenden Verwaltungsaktes geboten sei. In der amtlichen Begründung des Regierungsentwurfs zu § 42 Abs. 4 SGB 10 (BR-Drucks. 170/78 S. 34), der dem Gesetz gewordenen § 44 Abs. 4 Satz 1 SGB 10 entspricht, heißt es: "Abs. 4 legt fest, daß längstens bis zu vier Jahren in die Vergangenheit nachträglich Leistungen erbracht werden dürfen (hinsichtlich zu Unrecht entrichteter Beiträge vgl. IV §§ 26 und 27 SGB). Der Vierjahreszeitraum, der der Verjährungsfrist von Sozialleistungen nach I § 45 SGB entspricht, ist im Gesetz festgelegt, um sicherzustellen, daß nicht über diesen Zeitraum hinaus rückwirkend Leistungen zu erbringen sind (vgl. BSG Urt. v. 21. April 1974 - SozR 2200 § 29 Nr. 2, wonach bei rückwirkender Aufhebung eines Verwaltungsaktes auch eine schon eingetretene Verjährung wieder entfällt)". Zielrichtung des Entwurfs war es also, das vorgenannte BSG-Urteil (richtiges Datum: 4. Dezember 1974 = BSGE 38, 224) gegenstandslos werden zu lassen. Herangezogen werden müssen aber auch hier - wie beim Gesetzestext - die Ausführungen zu Abs. 1 Satz 1 der Vorschrift. Danach verallgemeinert diese einen Grundsatz, der in den §§ 627, 1300 RVO, 79 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) und § 93 des Reichsknappschaftsgesetzes (RKG) niedergelegt und für das gesamte Sozialrecht geboten sei. Es sind dies die Vorschriften, die nach früherem Recht in der Rentenversicherung die Aufhebung eines bindend gewordenen rechtswidrigen Verwaltungsaktes betrafen.
Insbesondere spricht die Systematik des SGB 10 gegen die entsprechende Anwendung des § 44 Abs. 4 Satz 1 SGB 10 im Rahmen des § 1254 Abs. 2 Satz 1 RVO. Die Vorschrift über die Rentenumwandlung ist nämlich Spezialvorschrift zu § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 i.V.m. Satz 1 SGB 10 (Zweng/Scheerer/Buschmann, Handbuch der Rentenversicherung, 2. Aufl., SGB 10 § 48 Anm. I S. 3), wonach - soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlaß eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine Änderung eingetreten ist - der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden soll, soweit die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt. § 48 SGB 10 enthält aber keine dem § 44 Abs. 4 entsprechende Ausschlußfrist. Nach der Überzeugung des Senats verbietet sich die analoge Anwendung des § 44 Abs. 4 Satz 1 im Fall des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB 10 und damit erst recht bei der Rentenumwandlung, weil bei § 48 SGB 10 kein rechtswidriger Verwaltungsakt erlassen worden ist, den der Versicherte hätte anfechten können (Zweng/Scheerer/Buschmann a.a.O. IV 1. AS. 9 und Schneider-Danwitz in SGB-SozVersKomm § 48 SGB 10, Anm. 36, jeweils m.w.N.). Liegt die Änderung in den Verhältnissen länger als vier Jahre zurück, kommt allenfalls und lediglich die Einrede der Verjährung in Betracht.
Die von der Beklagten erhobene Einrede der Verjährung läßt den Anspruch der Klägerin auf Umwandlung der Berufsunfähigkeitsrente in das Altersruhegeld und dessen Zahlung bereits mit Wirkung vom 1. Mai 1968 unberührt. Nach § 45 Abs. 1 SGB 1 verjähren Ansprüche auf Sozialleistungen in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie entstanden sind. Nach der Übergangsvorschrift des Art 2 § 17 SGB 1 gilt die Vorschrift auch für vor dem Inkrafttreten des SGB 1 (1. Januar 1976) fällig gewordene, noch nicht verjährte Ansprüche. Zwar war im vorliegenden Fall zu diesem Zeitpunkt ein Teil der Ansprüche i.S. der monatlich fällig werdenden Einzelleistungen (vgl. § 1297 RVO) verjährt; insoweit greift aber der inhaltlich gleiche § 29 Abs. 3 RVO in der bis 31. Dezember 1975 geltenden Fassung ein.
Ob der Leistungsträger (Versicherungsträger) die Einrede der Verjährung erhebt, unterliegt nach früherem wie geltendem Recht (vgl. § 39 Abs. 1 SGB 1) seinem pflichtgemäßen Ermessen. Jedenfalls ist aber die Erhebung der Verjährungseinrede unzulässig, wenn damit eine unzulässige Rechtsausübung, ein Verstoß gegen Treu und Glauben i.S. des § 242 des Bürgerlichen Gesetzbuchs verbunden ist (z.B. BSGE 42, 219, 222; VDR-Komm, SGB 1, Stand: 1. Juli 1984, § 45 Anm. 5 m.w.N.). So liegen die Dinge hier. Die Beklagte setzt sich zu ihrem eigenen früheren Verhalten in Widerspruch, indem sie sich auf Verjährung beruft ("venire contra factum proprium"). Sie hat die ihr vom Gesetz auferlegte Pflicht zur Rentenumwandlung nicht rechtzeitig erfüllt. Die Folgen dieser Rechtsverletzung kann sie daher nicht durch Ausübung eines "Gegenrechts" auf die Klägerin abwälzen, für die nach dem erklärten Willen des Gesetzes keine Mitwirkungspflicht besteht. Deshalb muß die Beklagte nunmehr nachholen, was sie im Jahre 1968 versäumt hat.
Aus den in anderem Zusammenhang bereits erörterten Gründen kann dem gewonnenen Ergebnis nicht mit einem aus § 44 Abs. 4 SGB 10 entnommenen "Grundgedanken" begegnet und gefolgert werden, auch die Verjährungseinrede müsse stets zu einer rückwärtigen Leistungsbegrenzung auf längstens vier Jahre führen. Denn dann verlöre das in § 45 Abs. 1 SGB 1 geregelte, neben § 44 Abs. 4 SGB 10 ausdrücklich aufrechterhaltene Rechtsinstitut der Verjährung weithin seine Berechtigung, und es hätte keinen Sinn, daß der Leistungsträger nach § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB 1 gesetzlich verpflichtet ist, im Einzelfall nach pflichtgemäßem Ermessen zu prüfen, ob er die Verjährungseinrede erhebt oder von ihr absieht. Zwar hat der 5a Senat des BSG im Urteil vom 4. Februar 1987 - 5a RKn 8/86 für den Fall einer Zugunstenänderung bei Verwaltungsakten mit Dauerwirkung (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB 10) entschieden, es könne kein längerer Nachzahlungszeitraum als vier Jahre für gerechtfertigt erachtet werden und eine Einschränkung der Verjährungseinrede selbst dann nicht Platz greifen, wenn die "verspätete" Neufeststellung der Rente in den Verantwortungsbereich des Versicherungsträgers falle. Indessen weicht der erkennende Senat von dieser Entscheidung zum einen deshalb nicht ab, weil es im konkreten Fall im Gegensatz zur Sollvorschrift des § 48 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Satz 2 Nr. 1 SGB 10 um die Verletzung der ein ausdrückliches gesetzliches Gebot enthaltenden Sondervorschrift des § 1254 Abs. 2 Satz 1 RVO geht, zum anderen aber auch, weil der 5a Senat eine unzulässige Rechtsausübung weder verneint noch sich mit dem Verbot eines derartigen Rechtsmißbrauchs überhaupt auseinandergesetzt hat. Hinzu kommt, daß auch nach der Auffassung des erkennenden Senats die Erhebung der Verjährungseinrede durch den Leistungsträger nicht immer schon dann rechtsmißbräuchlich zu sein braucht, wenn die nicht rechtzeitige Leistungserbringung in dessen Verantwortungsbereich fällt. Auf die vom 5a Senat in diesem Zusammenhang genannten Urteile des BSG vom 3. Mai und 31. Oktober 1968 (= SozR Nrn. 5 und 11 zu § 1300 RVO) braucht der erkennende Senat aus seiner Sicht nicht einzugehen, weil sie Ansprüche nach § 1300 RVO a.F. betrafen, der durch das SGB 10 (Art 2 § 4 Nr. 1) gestrichen und durch § 44 SGB 1 ersetzt worden ist, so daß auf derartige Sachverhalte nunmehr - unmittelbar - § 44 Abs. 4 SGB 10 anzuwenden ist.
Nach alledem war das angefochtene Urteil aufzuheben und im Ergebnis das erstinstanzliche Urteil wiederherzustellen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen