Leitsatz (redaktionell)

1. Für die Beurteilung eines Rentenanspruchs sind grundsätzlich die im Bereich der Bundesrepublik Deutschland geltenden gesetzlichen Vorschriften maßgebend. Aus einem Rentenbescheid, der von einem mitteldeutschen Versicherungsträger erlassen worden ist, können daher Ansprüche gegenüber einem Versicherungsträger in der Bundesrepublik nicht hergeleitet werden.

Der Schutz eines Rentenzahlbetrages, dh eines Vermögenswertes, der dem Empfänger bisher von einem Versicherungsträger der Bundesrepublik tatsächlich zugeflossen ist oder wäre (FANG Art 6 § 7 S 2), läßt sich für eine weitere entsprechende Anwendung des FAG SV § 4 Abs 4 nicht mit Fällen vergleichen, in denen ein Leistungsanspruch nach dem FAG SV überhaupt nicht entstanden ist. Es fehlt an der notwendigen Rechtsähnlichkeit. Nach dem Sinn und Zweck des FANG, das nicht mehr wie das FAG SV vom Entschädigungsgedanken, sondern vom Eingliederungsgedanken ausgeht, besteht kein Anlaß, die von einem Versicherungsträger außerhalb der Bundesrepublik eingestellten Leistungen im Wege der Besitzstandswahrung durch Leistungen eines Versicherungsträgers in der Bundesrepublik fortzusetzen, wenn der Leistungsempfänger zur Zeit der Einstellung der Leistung nach Bundesrecht keinen Anspruch hat.

2. Zur Frage der Voraussetzungen des Witwenrentenanspruchs bei vorherigem Rentenbezug von einem Versicherungsträger der SBZ.

 

Normenkette

FANG Art. 6 § 7 S. 2 Fassung: 1960-02-25; FRG § 4 Abs. 4 Fassung: 1953-08-07; RVO § 1264 Fassung: 1957-02-23

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten werden die Urteile des Landessozialgerichts Berlin vom 9. Februar 1965 und des Sozialgerichts Berlin vom 22. Januar 1964 aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Die Klägerin begehrt Witwenrente. Streitig ist, ob sie von der Beklagten die Gewährung der Witwenrente von September 1961 an beanspruchen kann, nachdem sie bis August 1961 von einem Versicherungsträger der Sowjetzone Witwenrente bezogen hatte.

Die Klägerin ist Eisenbahnerwitwe. Sie wohnt seit 1945 in Berlin-West. Ihr Ehemann war Lokführer i.R. Er ist am 27. Mai 1944 gestorben. Auf Grund des Bescheides vom 9. Dezember 1948 gewährte ihr die Sozialversicherungsanstalt Brandenburg - Sozialversicherungskasse Eisenbahn - Witwenrente vom 1. Dezember 1948 an. Diese stellte die Zahlung der Rente mit dem Monat August 1961 (Errichtung der Mauer) ein.

Die Klägerin beantragte darauf im September 1961 bei der Beklagten die Gewährung von Witwenrente. Die Beklagte lehnte den Antrag durch Bescheid vom 14. März 1962 ab und führte zur Begründung aus, der Versicherte sei nach seinen glaubhaft gemachten Dienstverhältnissen während seiner Tätigkeit als Schlosser und Hilfsheizer vom 6. Oktober 1891 bis zu seiner Übernahme in das Beamtenverhältnis am 1. April 1905 versicherungspflichtig in der gesetzlichen Rentenversicherung gewesen. Als Beamter habe er der Versicherungspflicht nicht mehr unterlegen. Im Zeitpunkt seiner Zurruhesetzung im Jahre 1930, der als Eintritt des Versicherungsfalles der Invalidität angenommen werden könne, habe der Versicherte keinen Anspruch auf Invalidenrente aus den bis zum Jahre 1905 entrichteten Beiträgen erworben. Die Anwartschaft aus diesen Beiträgen sei nach dem zu diesem Zeitpunkt geltenden Rentenrecht erloschen gewesen. Beim Eintritt des Versicherungsfalls des Todes für die Hinterbliebenenrente der Klägerin am 27. Mai 1944 sei die Anwartschaft auf Leistungen aus diesen Beiträgen ebenfalls erloschen gewesen. In Ermangelung von Beitragszeiten, die nach § 1249 der Reichsversicherungsordnung (RVO) anrechenbar wären, sei die Wartezeit somit nicht erfüllt. Zu einer Rentenleistung könnten der Klägerin auch die Besitzstandsvorschriften des Art. 6 §§ 5 ff. des Fremdrenten- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetzes (FANG) vom 25. Februar 1960, bei deren Anwendung auch § 4 Abs. 4 Satz 2 des Fremdrenten- und Auslandsrentengesetzes (FAG) vom 7. August 1953 zu beachten wäre, nicht verhelfen, weil ihr Leistungsanspruch nach dem FAG während der Gültigkeit dieses Gesetzes bis zum 31. Dezember 1958 (gegebenenfalls noch bis zur Verkündung des FANG in Berlin-West am 14. März 1960) durch Bezug der sowjetzonalen Rente (bis 31. August 1961) erloschen gewesen sei. In Ermangelung eines erworbenen Besitzstandes sei § 4 Abs. 4 Satz 2 FAG nicht mehr anwendbar.

Mit der gegen den Bescheid erhobenen Klage beruft die Klägerin sich darauf, sie habe in der Zeit vom 1. Dezember 1948 bis zum 31. August 1961 von der sowjetzonalen Sozialversicherungskasse Eisenbahn Witwenrente bezogen, woraus sich ihr Anspruch auf Witwenrente gegen die Beklagte rechtfertige. Das Sozialgericht (SG) Berlin hat die Beklagte durch Urteil vom 22. Januar 1964 verurteilt, der Klägerin vom 1. September 1961 an Witwenrente zu gewähren. Das Landessozialgericht (LSG) Berlin hat in dem angefochtenen Urteil die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG zurückgewiesen; es hat die Revision zugelassen.

Gegen das Urteil hat die Beklagte Revision eingelegt. Sie rügt unrichtige Anwendung des § 4 Abs. 4 FAG durch das LSG. Die Revision meint, die Auffassung des LSG sei unrichtig, eine vorhandene Gesetzeslücke sei unter Berücksichtigung der im FANG enthaltenen Grundsätze der Besitzstandswahrung dadurch zu schließen, daß das durch § 4 Abs. 4 FAG geschaffene Rechtsinstitut der Fiktion der Anwartschaftserhaltung als so lange fortwirkend erachtet werden müsse, bis der Gesetzgeber insoweit eine ausdrückliche Regelung treffe.

Die Beklagte beantragt, das angefochtene Urteil und das Urteil des SG Berlin vom 22. Januar 1964 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen. Sie hält die Revision aus den Gründen des angefochtenen Urteils für unbegründet.

II

Die Revision der Beklagten ist begründet.

Obgleich die Klägerin bis zum 31. August 1961 von der Sozialversicherungsanstalt Brandenburg - Sozialversicherungskasse Eisenbahn - auf Grund des Bescheids vom 9. Dezember 1948 Witwenrente bezogen hat, hat sie gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Gewährung von Witwenrente vom 1. September 1961 an.

Wie das LSG zutreffend angenommen hat, richtet sich der von der Klägerin im September 1961 gegen die Beklagte erhobene Anspruch auf Gewährung von Witwenrente nach § 1263 RVO idF des ArVNG iVm Art. 2 § 17 ArVNG. Daß die Voraussetzungen dieser Vorschriften für die Gewährung von Witwenrente an die Klägerin nicht erfüllt sind, hat das LSG mit zutreffender Begründung dargelegt und wird von der Revision auch nicht in Zweifel gezogen.

Nach Erlaß des angefochtenen Urteils ist § 1263 Abs. 2 RVO durch das Rentenversicherungs-Änderungsgesetz (RVÄndG) vom 9. Juni 1965 neu gefaßt worden. Ebenso haben Art. 2 § 17 ArVNG und Art. 2 § 8 ArVNG durch das RVÄndG eine Neufassung erhalten. Die Neufassungen durch das RVÄndG finden aber auf den am 27. Mai 1944 eingetretenen Versicherungsfall des Todes keine Anwendung. Die Neufassung des § 1263 Abs. 2 RVO gilt nur für Versicherungsfälle nach dem 31. Dezember 1956 (Art. 1 § 1 Nr. 26, Art. 5 § 4 Abs. 2 Buchst. a RVÄndG).

Die Neufassung des Art. 2 § 17 ArVNG erstreckt zwar die Neufassung des § 1263 Abs. 2 RVO und des Art. 2 § 8 ArVNG auf Versicherungsfälle vor dem 1. Juli 1965, aber nach dem 31. März 1945 (Art. 2 § 1 Nr. 5 RVÄndG).

Der Anspruch der Klägerin auf Witwenrente findet auch in den Vorschriften des FAG und des FANG keine Rechtsgrundlage. Unter Geltung des FAG hatte die Klägerin keinen Anspruch auf Witwenrente gegen einen Versicherungsträger im Bundesgebiet und im Lande Berlin, weil sie eine Leistung von der Sozialversicherungsanstalt Brandenburg bezog (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 FAG). Solange ihr die Witwenrente von dem Versicherungsträger der Sowjetzone gewährt wurde, gehörte sie überhaupt nicht zu dem nach dem FAG berechtigten Personenkreis, so daß für sie unter Geltung des FAG auch keine rechtliche Möglichkeit gegeben war, bei der Beklagten die Gewährung von Witwenrente zu beanspruchen. Demnach trifft es nicht zu, wie das LSG offenbar gemeint und auch die Revision ausgeführt hat, daß ein Witwenrentenanspruch begründet gewesen wäre, wenn er von der Klägerin vor dem 1. Januar 1957 oder vor dem Inkrafttreten bzw. der Verkündung des FANG angemeldet worden wäre, und zwar auf Grund des damals noch geltenden § 4 Abs. 4 FAG, weil durch den Sozialversicherungsträger der Sowjetzone bereits eine Leistung rechtskräftig festgestellt gewesen sei und deshalb die Anwartschaft als erhalten gelte. Solange die Klägerin die Rente von dem Versicherungsträger der Sowjetzone erhielt, war sie nach dem FAG nicht rentenberechtigt. Sie hätte ihren Anspruch deshalb weder bei einem Versicherungsträger im Bundesgebiet oder im Lande Berlin anmelden noch durchsetzen können. Deshalb kann auch nicht davon gesprochen werden, bei Inkrafttreten des FANG sei die Klägerin gegenüber einem Versicherungsträger in der Bundesrepublik oder im Lande Berlin Rentenberechtigte gewesen, deren Schlechterstellung durch das FANG nicht beabsichtigt gewesen sein könne.

Richtig ist allerdings, daß die Klägerin zu dem nach dem FAG berechtigten Personenkreis gehört hätte, wenn die Ereignisse des Monats August 1961 schon vor Erlaß des FANG am 25. Februar 1960 eingetreten wären und die Zahlung der Rente an die Klägerin durch die Sozialversicherungsanstalt Brandenburg eingestellt worden wäre. Dann hätte sie zu den nach § 1 FAG berechtigten Personen gehört, und die Voraussetzungen des § 4 Abs. 4 FAG wären erfüllt gewesen, so daß auch die Anwartschaft als erhalten zu gelten gehabt hätte. Dieser bloßen Aussicht, daß die Klägerin im Falle der Einstellung der Rentenzahlung durch den Sozialversicherungsträger der Sowjetzone nach dem FAG unter den besonderen Vergünstigungen des § 4 Abs. 4 FAG einen Witwenrentenanspruch gegen die Beklagte hätte erheben können, hat das Gesetz aber mit den Vorschriften des FANG nicht Rechnung getragen. Das FANG hat die durch § 4 Abs. 4 FAG gewährten besonderen Vergünstigungen nicht übernommen, sondern hat die Rechte derjenigen Versicherten und ihrer Hinterbliebenen, die - wie die Klägerin - nicht zu den Berechtigten nach dem FANG zählen, sondern die ihre Ansprüche aus Versicherungszeiten herleiten, für die nach Bundesrecht oder früheren Vorschriften der reichsgesetzlichen Invalidenversicherung Beiträge wirksam entrichtet sind oder als entrichtet gelten, in neuer und anderer Weise geregelt (vgl. hierzu BSG Urteil des 1. Senats vom 29. November 1967 in SozR Nr. 13 zu § 1250 RVO).

Der Senat hat bereits in seinem Urteil vom 26. April 1968 - 12 RJ 164/65 - die Auffassung des LSG Berlin, § 4 Abs. 4 FAG sei als anwartschaftserhaltende Vorschrift während der Geltung des FANG entsprechend anzuwenden, nicht gebilligt. Der Senat hat zur Begründung seiner Auffassung folgendes ausgeführt: "Es trifft nicht zu, daß im FANG eine vom Gesetzgeber übersehene Lücke in der Richtung bestehe, daß Fälle, in denen eine Rente aus der sowjetisch besetzten Zone Deutschlands infolge der Ereignisse im August 1961 fortfällt, nicht geregelt seien. Nach § 31 Abs. 1 FRG ruht eine Rente aus der Rentenversicherung so weit und so lange, als eine Stelle außerhalb des Geltungsbereichs des FANG Leistungen gewährt; mit der Einstellung derartiger Leistungen entfällt demnach das Ruhen. § 31 FRG hat auch die Fälle im Auge, in denen ein Leistungsanspruch nach § 1 Abs. 5 FAG wegen Leistungen von einer Stelle außerhalb der Bundesrepublik erloschen war. § 31 FRG bezieht sich auch auf Rentenansprüche, denen, wie hier, nur reichsgesetzliche Versicherungszeiten im Sinne des § 1250 Abs. 1 Buchst. a RVO idF des FANG zugrunde liegen (vgl. Jantz/Zweng/Eicher aaO, Anm. 2 und 4 zu § 31 FRG). § 31 FRG erfaßt aber nur Fälle, in denen nach Bundesrecht überhaupt Rentenansprüche begründet sind. Bei der eingehenden Regelung in dieser Vorschrift kann nicht angenommen werden, der Gesetzgeber habe übersehen, daß es Fälle des Leistungsbezugs von einem fremden Versicherungsträger gibt, ohne daß auch die Voraussetzungen eines Rentenanspruchs nach Bundesrecht gegeben sind. Eine entsprechende Anwendung des § 4 Abs. 4 FAG kann somit nicht mit einer Lücke im Gesetz bei Fortfall von Leistungen von Versicherungsträgern außerhalb der Bundesrepublik begründet werden.

Die Besitzstandswahrung nach Art. 6 §§ 7 und 11 FANG gewährleistet einen bestimmten Rentenzahlbetrag, wenn auch dadurch mittelbar der Leistungsgrund insofern geschützt ist, als bei Verminderung der nach dem FRG anzurechnenden Versicherungszeiten der Leistungsanspruch nicht entfällt (vgl. Jantz/Zweng/Eicher, aaO, Anm. 1 zu Art. 6 § 7 FANG). Der Schutz eines Rentenzahlbetrages, d.h. eines Vermögenswertes, der dem Empfänger bisher von einem Versicherungsträger der Bundesrepublik tatsächlich zugeflossen ist oder wäre (Art. 6 § 7 Satz 2 FANG), läßt sich für eine weitere entsprechende Anwendung des § 4 Abs. 4 FAG nicht mit Fällen vergleichen, in denen ein Leistungsanspruch nach dem FAG überhaupt nicht entstanden ist. Es fehlt an der notwendigen Rechtsähnlichkeit. Nach dem Sinn und Zweck des FANG, das nicht mehr wie das FAG vom Entschädigungsgedanken, sondern vom Eingliederungsgedanken ausgeht, besteht kein Anlaß, die von einem Versicherungsträger außerhalb der Bundesrepublik eingestellten Leistungen im Wege der Besitzstandswahrung durch Leistungen eines Versicherungsträgers in der Bundesrepublik fortzusetzen, wenn der Leistungsempfänger zur Zeit der Einstellung der Leistung nach Bundesrecht keinen Anspruch hat.

Im Urteil des BSG vom 28. Januar 1965 - 4 RJ 225/61 - (SozR Nr. 3 zu § 1263 RVO) ist für einen Versicherungsfall des Todes während der Geltung des neuen Rechts (1958) entschieden worden, daß § 4 Abs. 4 FAG nicht ergänzend zu § 1249 RVO angewandt werden kann. Die dortigen grundsätzlichen Ausführungen über die sehr eingeschränkte Bedeutung und Wirkung des § 4 Abs. 4 FAG sprechen auch bei einem Versicherungsfall alten Rechts, wie hier, gegen eine Anwendung des § 4 Abs. 4 FAG im Rahmen des Art. 2 § 17 ArVNG."

Der Senat hat in der vorstehend erwähnten Entscheidung auch darauf hingewiesen, es dürfe nicht außer Betracht gelassen werden, daß die Rente, die die Witwe in dem damaligen Fall von der sowjetzonalen Sozialversicherung bezogen hatte, eine sog. Pensionsrente, nämlich eine umgerechnete Pension unter Einbeziehung der Versicherungszeiten gewesen war. Ob diese Voraussetzungen auch in dem gegenwärtigen Fall gegeben sind, wofür manches spricht, bedarf jedoch keiner weiteren Aufklärung.

Der Klägerin, die weder Rentenberechtigte nach dem FAG gewesen ist noch zu den Rentenberechtigten nach dem FANG zählt, hätte ein Anspruch auf Hinterbliebenenrente nur zugestanden, wenn die Voraussetzungen des § 1263 RVO iVm Art. 2 § 17 ArVNG idF des ArVNG erfüllt gewesen wären. Da diese Voraussetzungen nicht gegeben sind, ist ein Anspruch auf Witwenrente gegen die Beklagte nicht begründet, so daß die Klage unter Aufhebung der entgegenstehenden Urteile der Vorinstanzen abzuweisen ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2374989

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