Leitsatz (amtlich)
Werden auf Grund eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses von der Rente des Versicherten im letzten Jahr vor seinem Tode Geldbeträge einbehalten und an die frühere Ehefrau des Versicherten gezahlt, um Unterhaltsschulden aus früherer Zeit zu tilgen, so hat der Versicherte dadurch nicht im letzten Jahr vor seinem Tode Unterhalt iS des RVO § 1265 S 1 Alternative 3, geleistet.
Normenkette
RVO § 1265 S. 1 Alt. 3 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Die Revision der Beigeladenen gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 4. Januar 1968 wird zurückgewiesen.
Die Beigeladene hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Gründe
I
Die Klägerin begehrt als Witwe des Versicherten die Zahlung der ungekürzten Witwenrente. Sie wendet sich dagegen, daß die Beklagte gemäß § 1268 Abs. 4 der Reichsversicherungsordnung (RVO) ihr und der früheren geschiedenen Frau des Versicherten, der Beigeladenen, je einen Teilbetrag der Hinterbliebenenrente zuerkannt hat. Zu entscheiden ist, insbesondere, ob der Versicherte der Beigeladenen im letzten Jahr vor seinem Tode Unterhalt im Sinne des § 1265 Satz 1 RVO, 3. Fall, geleistet hat.
Die Klägerin ist die Witwe des am 18. Februar 1965 verstorbenen Versicherten, mit dem sie im Mai 1950 die Ehe geschlossen hatte. Der Versicherte war in erster Ehe seit 1916 mit der Beigeladenen verheiratet. Diese Ehe wurde im Oktober 1948 aus dem Alleinverschulden des Versicherten geschieden.
Der Versicherte bezog seit 1956 Altersruhegeld aus der Arbeiterrentenversicherung, das im Jahre 1964 monatlich 391,50 DM betrug. Nach dem Urteil des Amtsgerichts (AG) Berlin-Neukölln vom 9. April 1949 hatte der Versicherte seiner geschiedenen Frau, der Beigeladenen, vom 1. November 1948 an monatlich 50,- DM Unterhalt zu zahlen. Dieses Urteil ist durch Urteil des AG Berlin-Neukölln vom 10. Dezember 1958 insoweit aufgehoben worden, als es den Versicherten zur Zahlung einer Unterhaltsrente von 50,- DM monatlich an die Beigeladene über den 3. August 1958 hinaus verpflichtete. Wegen der rückständigen Unterhaltsbeträge erließ das AG Berlin-Neukölln einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluß, der durch Beschluß des Landgerichts (LG) Berlin vom 21. März 1961 geändert wurde. Aufgrund dieses Beschlusses führte die Beklagte von der Rente des Versicherten regelmäßig Beträge an die Beigeladene ab, und zwar im Jahre 1964 in Höhe von 59,90 DM monatlich.
Die Beklagte gewährte der Klägerin durch Bescheid vom 10. Juni 1965 die ungekürzte Witwenrente im Betrage von 204,30 DM monatlich vom 1. März 1965 an. Die Beigeladene beantragte im Juni 1965 ebenfalls die Gewährung einer Hinterbliebenenrente aus der Versicherung ihres früheren Ehemannes. Die Beklagte erkannte diesen Anspruch gemäß § 1265 RVO an und stellte nach § 1268 Abs. 4 RVO durch Änderungsbescheid vom 19. August 1965 die Witwenrente der Klägerin vom 1. Oktober 1965 an neu auf 63,60 DM monatlich (statt bisher 204,30 DM) fest und gewährte der Beigeladenen als der geschiedenen Frau durch Bescheid vom 31. August 1965 Hinterbliebenenrente vom 1. Juni 1965 an in Höhe von 140,70 DM monatlich.
Das Sozialgericht (SG) hat den Änderungsbescheid der Beklagten vom 19. August 1965 aufgehoben und diese verurteilt, der Klägerin über September 1965 hinaus die ungekürzte Witwenrente zu zahlen. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufungen der Beklagten und der Beigeladenen gegen dieses Urteil mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß auch der Bescheid vom 31. August 1965 über die Gewährung von Hinterbliebenenrente an die Beigeladene aufgehoben werde. Es hat die Revision zugelassen. Das LSG ist - wie bereits das SG - zu dem Ergebnis gelangt, daß der Versicherte der Beigeladenen zur Zeit seines Todes weder nach den Vorschriften des Ehegesetzes (EheG) noch aus sonstigen Gründen Unterhalt zu leisten gehabt habe. Er habe der Beigeladenen im letzten Jahr vor seinem Tode auch nicht tatsächlich Unterhalt geleistet, denn als tatsächliche Unterhaltsleistung sei nicht zu werten, daß von der Rente des Versicherten aufgrund des Beschlusses des LG Berlin vom 21. März 1961 im Jahre 1964 monatlich 59,90 DM zu Gunsten der Beigeladenen einbehalten und an diese überwiesen worden seien. Bei diesen monatlichen Zahlbeträgen habe es sich nämlich um rückständige Unterhaltsbeiträge für zurückliegende Zeiten gehandelt.
Gegen das Urteil hat die Beigeladene Revision eingelegt, mit der sie unrichtige Anwendung des § 1265 RVO durch das Berufungsgericht rügt. Die Revision führt zur Begründung u. a. aus, der Versicherte habe im letzten Jahr vor seinem Tode seiner geschiedenen Frau aufgrund eines Beschlusses des LG Berlin vom 21. März 1961 tatsächlich monatlich 59,90 DM gezahlt und damit nach Maßgabe des 3. Falles des § 1265 RVO auch tatsächlich Unterhalt geleistet. Selbst wenn es sich dem Grunde nach bei diesen monatlichen Zahlbeträgen um rückständige Unterhaltsbeiträge für zurückliegende Zeit gehandelt habe, müßten die solcher Art erbrachten Leistungen als tatsächlicher effektiver Unterhalt angesehen werden, weil sie für den Lebensunterhalt der Beigeladenen wesentlich gewesen und ausschließlich auch als "Unterhaltszuschuß" in Anspruch genommen worden seien. Die Beigeladene beantragt sinngemäß, die Urteile des SG Berlin vom 8. März 1966 und des LSG Berlin vom 4. Januar 1968 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen. Sie meint, bei den monatlich einbehaltenen und an die Beigeladene abgeführten Beträgen von monatlich 59,90 DM handle es sich nicht um Beträge, die für die jeweiligen Zeiträume für den Lebensunterhalt gewährt worden seien, sondern um ratenweisen Abzug für in früherer Zeit entstandene Schulden, deren einmalige Begleichung wegen der Vermögensverhältnisse des Verstorbenen nicht möglich gewesen sei. Es handle sich um eine Schuld, die bis zum 30. Juni 1958 entstanden gewesen sei. Aus der ratenweisen Vollstreckung der früheren Schulden des Versicherten könne nicht auf eine effektive Zahlung eines Unterhaltsbetrages geschlossen werden.
Die Beklagte hat sich im Revisionsverfahren zur Sache nicht geäußert und keinen Antrag gestellt.
Alle Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt.
II
Die Revision der Beigeladenen ist unbegründet.
Der Entscheidung des LSG, daß der Klägerin die ungekürzte Witwenrente zusteht und die Bescheide der Beklagten vom 19. August 1965 und vom 31. August 1965 aufzuheben sind, ist beizutreten.
Nach § 1268 Abs. 4 RVO erhält, wenn mehrere Berechtigte nach §§ 1264 und 1265 RVO vorhanden sind, jeder von ihnen nur den Teil der für ihn nach § 1268 Abs. 1 bis 3 RVO zu berechnenden Rente, der im Verhältnis zu den anderen Berechtigten der Dauer seiner Ehe mit dem Versicherten entspricht. Ist nach Feststellung der Rente ein weiterer Berechtigter zu berücksichtigen, so sind die Renten neu festzustellen mit Wirkung vom Ablauf des Monats, der dem Monat folgt, in dem der neue Neufeststellungsbescheid zugestellt wird. Die Vorschrift des § 1268 Abs. 4 RVO ist also nur dann anzuwenden, wenn mehrere Berechtigte nach §§ 1264, 1265 RVO vorhanden sind, die Klägerin also Anspruch auf Witwenrente nach § 1264 RVO und die Beigeladene Anspruch auf Zahlung von Hinterbliebenenrente nach § 1265 RVO haben. Der Beigeladenen steht aber, wie die Vorinstanzen zu Recht entschieden haben, Hinterbliebenenrente aus der Versicherung ihres verstorbenen früheren Ehemannes nicht zu, weil keine der Voraussetzungen des § 1265 Satz 1 RVO erfüllt sind.
Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts, daß der Versicherte der Beigeladenen zur Zeit seines Todes weder nach den Vorschriften des EheG noch aus sonstigen Gründen Unterhalt zu leisten hatte und daß somit die Voraussetzungen des 1. und 2. Falles des § 1265 Satz 1 RVO nicht erfüllt sind, erhebt die Revision mit Recht keine Einwendungen. Umstritten ist nur, ob der Versicherte der Beigeladenen im letzten Jahr vor seinem Tode, nämlich in der Zeit vom 19. Februar 1964 bis zum 18. Februar 1965, Unterhalt geleistet hat, also die Voraussetzungen des 3. Falles des § 1265 Satz 1 RVO gegeben sind.
Zu Unrecht wendet sich indessen die Revision gegen die vom LSG vertretene Auffassung, daß der Versicherte der Beigeladenen nicht dadurch Unterhalt im letzten Jahr vor seinem Tode im Sinne des § 1265 Satz 1 RVO, 3. Fall, geleistet hat, daß die Beklagte aufgrund des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses des LG Berlin vom 21. März 1961 im Jahre 1964 von der Rente des Versicherten monatliche Geldbeträge in Höhe von 59,90 DM einbehalten und an die Beigeladene abgeführt hat.
Mit diesen Geldüberweisungen sind nur Geldbeträge beigetrieben worden, die der Versicherte der Beigeladenen aus Unterhaltsverpflichtungen für die Zeit bis August 1958 schuldete. Der Versicherte hat also mit diesen Zahlungen frühere bis August 1958 aufgelaufene Schulden beglichen und allein den für die Zeit bis August 1958 geschuldeten Unterhalt geleistet. Nachdem das Unterhaltsurteil vom 9. April 1949, das den Versicherten zur Zahlung eines monatlichen Unterhaltsbetrages von 50,- DM an die Beigeladene verpflichtete, durch das Urteil des AG Berlin-Neukölln vom 10. Dezember 1958 abgeändert und der Versicherte von der Zahlung einer laufenden Unterhaltsrente von monatlich 50,- DM über den 3. August 1958 freigestellt worden war, schuldete er der Klägerin für die Zeit im letzten Jahr vor seinem Tode keinen Unterhalt mehr. Wenn es sich hiernach bei den im Wege der Zwangsvollstreckung durchgeführten Leistungen des Versicherten an die Beigeladene auch um die Befriedigung von Unterhaltsansprüchen gehandelt hat, wenn auch diese Leistungen im letzten Jahr vor dem Tode des Versicherten erfolgt sind und wenn auch die Beigeladene die an sie aus der Rente des Versicherten überwiesenen monatlichen Geldbeträge für ihren Unterhalt in diesem Zeitraum verwendet haben mag - worauf sich die Revision beruft -, so würde es doch mit dem Gesetzeszweck des § 1265 Satz 1 RVO, 3. Fall nicht in Einklang stehen, die Begleichung früherer Unterhaltsschulden im letzten Jahr vor dem Tode des Versicherten als Unterhaltsleistung im Sinne dieser Vorschrift anzusehen. Nach dem Sinn und Zweck des § 1265 Satz 1 RVO, 3. Fall, soll die der früheren Frau zu gewährende Hinterbliebenenrente den ihr im letzten Jahr vor dem Tode des Versicherten tatsächlich geleisteten Unterhalt ersetzen, auf den sie sich für die Zukunft hätte einstellen können und von dem angenommen werden konnte, daß er ihr auch weiterhin gezahlt worden wäre, wenn der Versicherte nicht gestorben wäre (BSG 25, 86 = SozR Nr. 34 zu § 1265 RVO). Hat der Versicherte der Beigeladenen aber im letzten Jahr vor seinem Tode nur frühere Schulden bezahlt - mag es sich dabei auch um solche aus früheren Unterhaltsverpflichtungen gehandelt haben -, so hat er ihr damit doch keinen solchen Unterhalt geleistet, den § 1265 Satz 1 RVO, 3. Fall, nach seinem Sinn und Zweck voraussetzt; denn auf Unterhaltsbeträge, durch die der Versicherte lediglich frühere Unterhaltsschulden aus der Zeit bis August 1958 beglichen hat, konnte sich weder die Beigeladene für die Zukunft einstellen noch konnte angenommen werden, daß der Versicherte diese Unterhaltsbeträge auch weiterhin gezahlt hätte. Vielmehr mußte die Beigeladene sich darauf einstellen, daß die Zahlung der Unterhaltsbeiträge aufgrund des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses vom 21. März 1961 eingestellt werde, sobald die früheren Schulden aus der bis August 1958 bestehenden Unterhaltsverpflichtung beglichen waren. Von der Rente des Versicherten wären aufgrund des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses keine weiteren Beträge mehr einbehalten und an die Beigeladene überwiesen worden, sobald die früheren Schulden abgedeckt waren.
Da sonach der Versicherte der Beigeladenen im letzten Jahr vor seinem Tode Unterhalt nicht geleistet hat, ist auch der 3. Fall des § 1265 Satz 1 RVO nicht erfüllt. Der Beigeladenen steht ein Anspruch auf Hinterbliebenenrente nicht zu, so daß sie nicht Berechtigte im Sinne des § 1265 RVO und im Sinne des § 1268 Abs. 4 RVO ist. Die Klägerin hat deshalb Anspruch auf die ungekürzte Witwenrente.
Die Revision der Beigeladenen ist aus diesen Gründen zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen