Leitsatz (amtlich)
Hat ein ausländischer Arbeitnehmer die Wartezeit für die Gewährung der Berufsunfähigkeitsrente (RVO § 1246 Abs 3) erfüllt, so ist sein "bisheriger Beruf" iS von RVO § 1246 Abs 2 S 2 eine Facharbeitertätigkeit, wenn er sie im Inland zwar nicht 60 Kalendermonate, wohl aber zuletzt nicht nur vorübergehend vollwertig ausgeübt hat (Anschluß an und Bestätigung von BSG 1980-04-24 1 RJ 62/79).
Normenkette
RVO § 1246 Abs 2 S 2 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1246 Abs 3 Fassung: 1957-02-23
Verfahrensgang
Hessisches LSG (Entscheidung vom 24.10.1978; Aktenzeichen L 2 J 518/75) |
SG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 19.03.1975; Aktenzeichen S 8 J 893/74) |
Tatbestand
Streitig ist, ob dem Kläger Rente wegen Berufsunfähigkeit zusteht.
Der 1928 geborene Kläger, der jugoslawischer Staatsangehöriger ist, war in seiner Heimat ua als Maurer und Zimmermann beschäftigt, ehe er in der Bundesrepublik Deutschland am 27. Juli 1968 eine Tätigkeit als Akustik-Monteur aufnahm. Das Arbeitsverhältnis endete am 3. Dezember 1973. Seit dem 16. Februar 1973 war der Kläger arbeitsunfähig krank. Seinen Rentenantrag vom 14. Dezember 1973 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 19. August 1974 ab, weil der Kläger noch leichte Arbeiten überwiegend im Sitzen ohne Heben und Tragen von Lasten und ohne häufiges Bücken verrichten könne.
Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte verurteilt, dem Kläger Versichertenrente wegen Berufsunfähigkeit zu zahlen (Urteil vom 19. März 1975). Das Landessozialgericht (LSG) hat die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Der Kläger sei im Rahmen des § 1246 Abs 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) nach seinem Berufsbild der oberen Gruppe der Arbeiterberufe (Facharbeiter) zuzuordnen. Er sei in Jugoslawien mindestens zwei Jahre lang für den Beruf des Maurers ausgebildet worden und habe dort eine entsprechende Abschlußprüfung bestanden. Nachdem er als Maurer/Zimmerer bis 1968 in Jugoslawien tätig gewesen sei, habe er in der Bundesrepublik Deutschland von 1968 bis 1973 in artverwandten Berufen als Akustik-Monteur und Isolierbauer, teilweise auch als Maurer gegen Facharbeiterlohn gearbeitet. Seine Tätigkeit bei der Fertigung von Schwebedecken, Holzzwischenwänden uä habe Kenntnisse eines Zimmerers vorausgesetzt. Eine Beschäftigung im erlernten Beruf des Maurers bzw Zimmerers sowie in den verwandten Berufen des Akustik-Monteurs und Isolierbauers kämen für den Kläger nicht mehr in Betracht, denn er könne nur noch leichte körperliche Arbeiten ohne besondere Belastungen des Achsenorgans verrichten. Er sei auch nicht mehr in der Lage, Tätigkeiten auszuüben, die tariflich wie sonstige Ausbildungsberufe (Anlerntätigkeiten) eingestuft seien (Urteil vom 24. Oktober 1978).
Die Beklagte hat dieses Urteil mit der vom Senat zugelassenen Revision angefochten. Sie rügt eine Verletzung des § 1246 Abs 2 RVO. Der "bisherige Beruf" im Sinne dieser Vorschrift könne nur anhand der in der Bundesrepublik Deutschland zurückgelegten Versicherungszeiten bestimmt werden. Diese 57 Monate des Klägers seien zu kurz, um ihn zur Gruppe der Facharbeiter rechnen zu können. Ausbildung und Facharbeitertätigkeit des Ausländers in seiner Heimat könnten nur insoweit berücksichtigt werden, als sie ihm ermöglicht hätten, in der Bundesrepublik eine höherwertige Beschäftigung auszuüben und demzufolge höhere Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung zu entrichten. Das angefochtene Urteil verstoße ferner gegen die Bestimmungen der §§ 103, 128 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des LSG vom 24. Oktober 1978 und das
Urteil des SG vom 19. März 1975 aufzuheben und
die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Er ist der Ansicht, der sogenannte Berufsschutz könne nicht von einer Beitragszeit von 60 Monaten in der Bundesrepublik abhängig gemacht werden. Im übrigen umfasse die Zeit vom 27. Juli 1968 bis zum 3. Dezember 1973 insgesamt 66 Monate.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision der Beklagten ist insoweit begründet, als das angefochtene Urteil aufgehoben und der Rechtsstreit an das LSG zurückverwiesen wird. Die festgestellten Tatsachen reichen zu einer abschließenden Entscheidung nicht aus.
Maßgebend für die Beurteilung der Berufsunfähigkeit im Sinne des § 1246 Abs 2 RVO ist zunächst, von welchem "bisherigen Beruf" des Klägers und von welchen "besonderen Anforderungen seiner bisherigen Berufstätigkeit" dabei auszugehen ist. Das LSG hat den Kläger insoweit als Facharbeiter angesehen. Die Beklagte, die es bei der Ermittlung des "bisherigen Berufs" allein auf die Beschäftigung des Klägers im Inland abstellt, hält die hier zurückgelegte Versicherungszeit, die sie mit 57 Kalendermonaten angibt, nicht für ausreichend, den Kläger derjenigen Gruppe der Arbeiterberufe zuzurechnen, die durch den Leitberuf des Facharbeiters gekennzeichnet wird.
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) vermag bei der Prüfung des Rentenanspruchs eine Tätigkeit nicht als "bisheriger Beruf" angesehen zu werden, die vor Erfüllung der Wartezeit aufgegeben worden ist (vgl BSGE 19, 279 = SozR Nr 22 zu § 35 RKG aF; BSGE 29, 63 = SozR Nr 73 zu § 1246 RVO; Urteile vom 12. September 1979 - 5 RJ 76/78 - und vom 24. April 1980 - 1 RJ 62/79 -). Anders als beim Kläger besteht bei Aufgabe der Tätigkeit vor Erfüllung der Wartezeit der Rentenanspruch überhaupt nicht, wenn nicht eine Erwerbstätigkeit mit weiterer Beitragsleistung hinzukommt. Da eine Leistungseinbuße, die eintritt ehe die versicherungstechnischen Anspruchsbedingungen erfüllt sind, nicht in das Risiko der Rentenversicherung fällt, kann auch die vorher aufgegebene Tätigkeit nicht später für den Rentenanspruch bestimmend sein.
Die Ausgangslage im Falle des Klägers ist jedoch damit nicht vergleichbar. Unstreitig hat er zusammen mit den nach dem Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien über soziale Sicherheit vom 12. Oktober 1968 (BGBl 1969 II S 1438) anrechenbaren Versicherungszeiten die Wartezeit für die Rente wegen Berufsunfähigkeit erfüllt. Aus Art 25 dieses Abkommens ergibt sich auch nicht mittelbar - wie die Beklagte meint -, daß die jugoslawischen Versicherungszeiten bezüglich des vom Kläger zurückgelegten Berufsweges außer Betracht zu bleiben hätten. Die genannte Vorschrift bestimmt, Versicherungszeiten des jeweils anderen Staates seien zu berücksichtigen und zwar "für den Erwerb des Leistungsanspruchs nach den anzuwendenden Rechtsvorschriften". Es kann hier dahingestellt bleiben, ob zum "Erwerb des Leistungsanspruchs" in diesem Sinne nur die Dauer der Versicherungszeit (§ 1246 Abs 3 RVO) oder auch die während der Versicherungszeit verrichtete "bisherige Berufstätigkeit" (§ 1246 Abs 2 RVO) gehört (vgl dazu Urteil des Senats vom 29. November 1978, BSGE 47, 183, 185 = SozR 2600 § 45 Nr 24). Jedenfalls kann der Beklagten nicht darin gefolgt werden, eine in der Bundesrepublik Deutschland abgeschlossene Lehrzeit oder eine entsprechende Ausbildung sei erforderlich, um den Versicherten mit einer geringeren Beschäftigungsdauer im Inland als 60 Monate zur Gruppe der Facharbeiter rechnen zu können. Vielmehr ist die "bisherige Berufstätigkeit" im Sinne des § 1246 Abs 2 RVO bei einem ausländischen Arbeitnehmer eine Facharbeitertätigkeit nicht erst dann, wenn er sie im Inland 60 Kalendermonate lang verrichtet hat. Es genügt, daß er sie zuletzt nicht nur vorübergehend vollwertig ausgeübt hat (so BSG-Urteile vom 24. April 1980 aaO und vom 29. November 1979 - 4 RJ 111/78 -). So hat der 4. Senat des BSG in der zuletzt genannten Entscheidung einen jugoslawischen Versicherten, der in seiner Heimat den Beruf des Maurers erlernt und eine entsprechende Prüfung abgelegt hatte, nach 27 Monaten versicherungspflichtiger Beschäftigung als Maurer in der Bundesrepublik zur Gruppe der Facharbeiter gerechnet.
Zwar hat der erkennende Senat im Urteil vom 12. September 1979 (5 RJ 76/78) ausgeführt, "bisheriger Beruf" im Sinne des § 1246 Abs 2 RVO sei die versicherungspflichtige Tätigkeit, die der Versicherte bei unverändertem Gesundheitszustand voraussichtlich weiterhin verrichtet hätte. Da es sich dabei grundsätzlich nur um eine Tätigkeit handeln könne, die Grundlage der Beitragsleistung sei, müßten die außerhalb des Geltungsbereichs der RVO zurückgelegten Beschäftigungszeiten im allgemeinen unberücksichtigt bleiben. Habe der Versicherte die Wartezeit mit dem im Geltungsbereich der RVO zurückgelegten Beruf nicht erfüllt, so fehle es an einem versicherungsrechtlich geschützten inländischen Beruf. Das galt jedoch für einen Versicherten, der nach einer Versicherungszeit im Geltungsbereich der RVO im Ausland tätig geworden ist und dann keine Beiträge mehr zu einem inländischen Versicherungsträger entrichtet hat. Im umgekehrten Falle bleibt es, wenn die Wartezeit - sei es auch nur mit Hilfe anrechnungsfähiger ausländischer Beiträge - erfüllt ist, bei den Kriterien, die für die Ermittlung des "bisherigen Berufs" im Sinne des § 1246 Abs 2 RVO maßgebend sind. Der Senat hat bereits entschieden, daß versicherungsrechtlich geschützter Beruf mit abgeschlossener Ausbildung bzw Abschlußprüfung die erlernte Tätigkeit ist, wenn der Versicherte sie überhaupt - sei es auch nur kurzfristig - ausgeübt hat (vgl SozR Nrn 20 zu § 45 RKG und 87 zu § 1246 RVO; BSGE 41, 129, 130 ff; 43, 243, 245 ebenso Urteil des 1. Senats vom 24. April 1980 aaO mwN). Auch ohne die vorgesehene Ausbildung kann der Versicherte die beruflichen Qualitäten eines Facharbeiters haben, wenn er eine entsprechende Tätigkeit zuletzt nicht nur vorübergehend vollwertig ausgeübt hat (vgl BSGE 41 aaO; 43, aaO). Beim Kläger kommt es daher darauf an, welche versicherungspflichtige Tätigkeit er bei unverändertem Gesundheitszustand weiterhin verrichtet hätte (vgl Urteil des Senats vom 12. September 1979 aaO); es genügt die an Dauer und Stetigkeit der Berufsausübung in der Bundesrepublik Deutschland zu knüpfende Vermutung, er wäre ohne Änderung des Gesundheitszustandes weiterhin in seinem bisherigen Beruf tätig gewesen (so Urteil des 1. Senats vom 24. April 1980 aaO).
Die Feststellungen des LSG reichen indes nicht aus, als "bisherigen Beruf" des Klägers eine Facharbeitertätigkeit anzusehen. Zwar ist er in Jugoslawien für den Beruf des Maurers ausgebildet worden und hat dort eine Abschlußprüfung abgelegt; er war zuletzt in der Bundesrepublik aber nur teilweise als Maurer, in der Hauptsache als Akustik-Monteur und auch als Isolierer beschäftigt. Hier kann eine Lösung vom Beruf des Maurers in Betracht kommen. Das LSG hat nicht festgestellt, ob ein Akustik-Monteur als Facharbeiter anzusehen ist. Dazu hätte schon deshalb Veranlassung bestanden, weil diese Tätigkeit im Verzeichnis der anerkannten Ausbildungsberufe (Stand 1. Juli 1979), herausgegeben vom Bundesinstitut für Berufsbildung) nicht aufgeführt ist. Wenn das LSG die Tätigkeit des Akustik-Monteurs im Vergleich zum Maurer bzw Zimmerer als artverwandt bezeichnet, so folgt daraus nicht zwingend, daß die erforderlichen beruflichen Kenntnisse und Fähigkeiten denjenigen eines Facharbeiters entsprechen. Sollte gleichwohl diese Tätigkeit von ihren Anforderungen her als die eines Facharbeiters zu qualifizieren sein, so hätte es weiter der Feststellung bedurft, ob der Kläger diesen Beruf auch ohne besondere Ausbildung vollwertig ausgeübt hat. Nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats kann die vom LSG insoweit festgestellte Entlohnung als Facharbeiter für sich allein diese Feststellung nicht ersetzen. Wohl zählt der Isolier-Monteur in der Gruppe der Bauausstatter (vgl Verzeichnis der anerkannten Ausbildungsberufe, aaO S 69, nicht dagegen in der Gruppe der Maurer oder der Zimmerer) zu den anerkannten Ausbildungsberufen. Nach den Feststellungen des LSG hat der Kläger den Beruf des Isolier-Monteurs jedoch nicht erlernt und es ist auch hier wiederum ungewiß, in welchem Umfang und ob er ihn überhaupt vollwertig ausgeübt hat.
Da die Tätigkeit des Klägers in der Bundesrepublik nicht vom erlernten Beruf des Maurers bestimmt war, kommt es darauf an, welche Tätigkeiten im einzelnen er hier verrichtet hat, welche qualitativen Anforderungen daran zu stellen sind, ob sie das Niveau eines Facharbeiters hatten und ob der Kläger - auch ggf ohne die dafür vorgesehene Ausbildung - diesen Anforderungen vollwertig entsprochen hat. Soweit es dabei neben der Ausbildung zum Maurer auf die Kenntnisse und Fertigkeiten eines Zimmerers ankommt, ist zu ermitteln, ob der Kläger tatsächlich in beiden Facharbeiterberufen, also sowohl als Maurer als auch als Zimmerer nach den in der Bundesrepublik Deutschland maßgebenden Kriterien als ausgebildeter Facharbeiter angesehen werden kann oder ob er - auch ohne entsprechende Ausbildung - die Tätigkeit des Zimmerer nicht nur vorübergehend vollwertig ausgeübt hat. Diese Feststellungen wird das LSG nun nachzuholen haben.
Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.
Fundstellen