Entscheidungsstichwort (Thema)
Versorgungsschutz. Weg von der Familienwohnung zur Dienststelle. Bindung des Revisionsgerichts an die Feststellungen des Berufungsgerichts
Orientierungssatz
1. Gemäß § 81 Abs 4 S 3 SVG ist der Weg geschützt, den der Soldat von der elterlichen Wohnung als Familienwohnung zu seiner Dienststelle (Kaserne) zurücklegen muß. Nicht hierzu gehören Abwege aus privaten Interessen. Selbst wenn man davon ausgeht, daß die Wahl des Weges zur Dienststelle grundsätzlich freigestellt ist, so muß der Soldat bei Zurücklegung des Weges zumindest die Absicht haben, zum Dienstort zu gelangen.
2. Hat sich das LSG ausdrücklich für außerstande erklärt, sich davon zu überzeugen, daß der Soldat nach einem Gaststättenbesuch nicht sein Elternhaus, sondern unmittelbar seinen Dienstort aufzusuchen beabsichtigte, so ist nach § 163 SGG das Revisionsgericht - als Rechtskontrollinstanz - an den vom LSG festgestellten Sachverhalt gebunden. Bindend ist auch die Annahme des Berufungsgerichts, daß eine Tatsache - hier: Absicht, an den Dienstort zurückzukehren - nicht erwiesen ist.
Normenkette
SVG § 81 Abs. 4 S. 1 Nr. 2, S. 3; SGG § 163
Verfahrensgang
LSG Niedersachsen (Entscheidung vom 28.06.1984; Aktenzeichen L 8 V 37/83) |
SG Oldenburg (Entscheidung vom 27.01.1983; Aktenzeichen S 1b V 96/82) |
Tatbestand
Streitig ist der Anspruch des Klägers auf Ausgleich nach § 85 Abs 1 Soldatenversorgungsgesetz (SVG) wegen der Folgen eines Wegeunfalles.
Der im Jahre 1958 geborene ledige Kläger leistet seit dem 2. April 1978 Wehrdienst als Soldat auf Zeit in O.. Er lebt noch bei seinen Eltern im rd 35 km entfernten W. Ortsteil M.. Am 18. September 1979 hatte er dienstfrei und hielt sich bei seinen Eltern auf. Den Dienst hatte er am 19. September 1979 um 7.00 Uhr in O. wieder aufzunehmen. Zwischen 0.00 Uhr und 1.00 Uhr verließ er die elterliche Wohnung und fuhr mit seinem Pkw in die Gastwirtschaft "Z. s. H." in den - entgegengesetzt zum Dienstort O. liegenden - Nachbarort H.. Dort nahm er Getränke zu sich und kaufte Zigaretten. Er verließ die Gaststätte zwischen 1.00 Uhr und 1.30 Uhr und fuhr auf Nebenstraßen in Richtung M.. Nach seinen Angaben wollte er wegen Verkehrsbehinderungen durch Panzerkolonnen über M. weiter auf Nebenstraßen seinen Dienstort O. erreichen. Zwischen H. und M. erlitt er gegen 1.30 Uhr einen Verkehrsunfall, bei dem er sich erhebliche Verletzungen zuzog, die eine mehrmonatige stationäre Behandlung erforderlich machten.
Den Ausgleichsanspruch lehnte die beklagte Bundesrepublik durch Bescheid des Wehrbereichsgebührnisamts III vom 9. Juli 1981 mit der Begründung ab, der Unfall sei nicht auf dem Weg zwischen dem Wohnsitz des Klägers und seiner Dienststelle eingetreten. Widerspruch, Klage und Berufung des Klägers blieben erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 16. Januar 1982, Urteil des Sozialgerichts Oldenburg -SG- vom 27. Januar 1983 und das angefochtene Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen -LSG- vom 28. Juni 1984). Das LSG stellt in der Begründung darauf ab, daß der Weg von M. nach H. und deshalb auch der Rückweg eigenwirtschaftlichen Interessen gedient und es sich um einen versorgungsrechtlich nicht geschützten sogenannten Abweg gehandelt habe. Im übrigen bestünden erhebliche Zweifel an der Absicht des Klägers, von H. aus unmittelbar zu seinem Dienstort zu fahren, und nicht zunächst zu seinem Elternhaus zurückzukehren. Seine gegenteilige Darstellung vermöge nicht zu überzeugen.
Hiergegen wendet sich der Kläger mit der vom LSG zugelassenen Revision. Er rügt die Verletzung des § 81 Abs 4 Nr 2 SVG und trägt dazu vor, wegen der Blockierung der Verkehrswege nach O. durch eine Gefechtsübung habe er sich bei seinem Gaststättenaufenthalt in H. entschlossen, von dort aus unmittelbar nach O. zu fahren, um dort pünktlich den Dienst antreten zu können. Damit habe er sich auf einem Dienstweg befunden. Dem könne nicht entgegengehalten werden, daß er an einer Stelle verunglückt sei, von der aus er sowohl nach Hause als zur Dienststelle hätte fahren können. Wesentlich sei vielmehr seine Absicht, sich unmittelbar zur Dienststelle zu begeben.
Der Kläger beantragt, 1.die Urteile der Vorinstanzen sowie den Widerspruchsbescheid vom 18. Januar 1982 und den Bescheid der Beklagten vom 9. Juli 1981 aufzuheben; 2.die Beklagte zu verurteilen, ihm vom 1. Oktober 1979 an einen Ausgleich nach § 85 SVG wegen der erlittenen Folgen einer Wehrdienstbeschädigung zu zahlen; 3.die ihm zu gewährenden Ausgleichszahlungen vom 1. Oktober 1979 an mit 4 von Hundert zu verzinsen.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Der Beigeladene beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen. Er schließt sich der Auffassung der Beklagten an.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 SGG).
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision des Klägers ist unbegründet.
Nach § 85 Abs 1 SVG erhalten Soldaten wegen der Folgen einer Wehrdienstbeschädigung während ihres Dienstes ua einen Ausgleich in Höhe der Grundrente nach § 30 Abs 1 Bundesversorgungsgesetz (BVG). Wehrdienstbeschädigung ist eine Gesundheitsschädigung, die durch eine Wehrdienstverrichtung oder durch einen während des Wehrdienstes erlittenen Unfall herbeigeführt worden ist (§ 81 Abs 1 SVG). Zum Wehrdienst gehört auch das Zurücklegen des mit dem Wehrdienst zusammenhängenden Weges nach und von der Dienststelle (§ 81 Abs 4 Satz 1 Nr 2 SVG). Dies gilt auch für den Weg von und nach der Familienwohnung (§ 81 Abs 4 Satz 3 SVG, der mit § 4 Abs 1 Buchst c des BVG gleich lautet). Bei einem Ledigen ist die elterliche Wohnung als Familienwohnung anzusehen, wenn er ersichtlich seinen Wohnsitz bei den Eltern nicht aufgegeben hat, vielmehr die elterliche Wohnung Mittelpunkt seines Lebens geblieben ist (Allg. Verwaltungsvorschrift zu den §§ 80 bis 84 und 88 SVG - SVG VwV - vom 11. August 1981 - BAnz Nr 151, Nr 81.4.7 Satz 2). Damit ist der Weg geschützt, den der Kläger von der Wohnung seiner Eltern zu seiner Dienststelle (Kaserne) in O. zurücklegen muß. Nicht hierzu gehören Abwege aus privaten Interessen. Selbst wenn man davon ausgeht, daß die Wahl des Weges zur Dienststelle grundsätzlich freigestellt ist (vgl BSG SozR Nr 42 zu § 543 RVO aF; BSGE 33, 339, 246), so muß der Soldat bei Zurücklegung des Wegs zumindest die Absicht haben, zum Dienstort zu gelangen.
Im vorliegenden Fall scheitert der Anspruch des Klägers auf einen Ausgleich wegen der Folgen des zwischen H. und M. am frühen Morgen des 19. September 1979 erlittenen Verkehrsunfalls jedoch schon daran, daß das LSG sich außerstande gesehen hat festzustellen, daß der Kläger zu dieser Zeit überhaupt die Absicht hatte, an seinen Dienstort O., also nicht zu seinen Eltern in M. zurückzukehren. Das LSG hat sich im angefochtenen Urteil nach eingehender Würdigung des gesamten Sachverhalts und unter dem Gewicht der nach seiner Auffassung gegen die Behauptung des Klägers sprechenden Umstände (insbesondere: Unfall ist objektiv auf einer Wegstrecke zwischen dem Gasthaus in H. und der Wohnung der Eltern eingetreten; der Kläger brauchte um 1.30 Uhr nachts nicht an den nahen Dienstort O. zurückzukehren) ausdrücklich für außerstande erklärt, sich davon zu überzeugen, daß der Kläger nicht sein Elternhaus, sondern unmittelbar seinen Dienstort aufzusuchen beabsichtigte. Nach § 163 SGG ist das Revisionsgericht - als Rechtskontrollinstanz - an den vom LSG festgestellten Sachverhalt gebunden. Bindend ist auch die Annahme des Berufungsgerichts, daß eine Tatsache - hier: Absicht des Klägers, an den Dienstort zurückzukehren - nicht erwiesen ist (vgl Gottwald, Die Revisionsinstanz als Tatsacheninstanz, Berlin 1975, S 94). Bei der Feststellung des Sachverhalts entscheidet das Berufungsgericht (Tatsachengericht) gemäß § 128 Abs 1 Satz 1 SGG nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Dieses Recht auf freie Würdigung der Tatumstände des konkreten Einzelfalls könnte der Kläger vor dem BSG nach §§ 163, 164 Abs 2 Satz 3 SGG nur mit der zulässigen und begründeten Rüge der Verletzung der Grenzen dieses Rechts (zB Verstoß gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze) bekämpfen. In dieser Richtung hat der Kläger in der Revisionsbegründung nichts vorgebracht, sondern - unbeachtlich für den Senat - die Tatumstände des Falles allein anders als das Berufungsgericht dargestellt und gewürdigt.
Läßt sich hiernach im bindenden Anschluß an das LSG tatsächlich nicht feststellen, daß der Kläger zur Zeit des streitigen Verkehrsunfalls überhaupt die Absicht hatte, seinen Dienstort O. aufzusuchen, so kann der Senat schon deshalb nicht davon ausgehen, daß sich der Kläger zur Zeit des Unfalls iS von § 81 Abs 4 Satz 3 SVG auf einem "Weg von der Familienwohnung nach dem Dienstort" befunden hat. Die den Anspruch des Klägers ablehnende Entscheidung des LSG ist schon aus diesem Grund nicht zu beanstanden und seine Revision hiergegen daher als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen