Leitsatz (amtlich)
Erleidet ein Wehrpflichtiger während seines Urlaubs einen Arbeitsunfall, so hat die BG der Bundeswehr grundsätzlich wegen rechtsgrundloser Vermögensverschiebung deren Aufwendungen für solche Heilbehandlungsmaßnahmen zu erstatten, die zur Beseitigung oder Besserung der Unfallfolgen erforderlich waren (Weiterentwicklung von BSG 1975-12-10 8 RU 268/74 = SozR 2200 § 539 Nr 13).
Leitsatz (redaktionell)
Der Grundsatz, daß die Ansprüche des verletzten Wehrpflichtigen auf freie Heilfürsorge gegen die Bundeswehr und auf Heilbehandlung gegen Berufsgenossenschaft gleichrangig nebeneinander stehen, schließt bei Unfällen, die Bundeswehrsoldaten im zivilen Bereich erleiden, Abwälzungsansprüche der Bundesrepublik gegen die Berufsgenossenschaft nicht aus.
Normenkette
RVO § 539 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1963-04-30, § 547 Fassung: 1963-04-30; SG § 30; WSG §§ 1, 6; SGG § 75 Abs. 2 Fassung: 1953-09-03
Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 28.10.1976; Aktenzeichen L 10 Ua 299/75) |
SG Stuttgart (Entscheidung vom 10.02.1975; Aktenzeichen S 1 U 2267/74) |
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 28. Oktober 1976 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens haben sich die Beteiligten nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um den Ersatz von Heilbehandlungskosten für einen während des Urlaubs im zivilen Bereich verunglückten Soldaten der Bundeswehr.
Der 1952 geborene Joachim S (St.) leistete 1972 Wehrdienst in N. Er trat am 28. November 1972 seinen Jahresurlaub an, der bis zum 28. Dezember 1972 dauern sollte. Am 30. November 1972 nahm St. eine Arbeit als Aushilfsfahrer bei einer Spedition in N an. Während dieser Beschäftigung erlitt er am 13. Dezember 1972 beim Entladen eines LKWs einen Unfall, bei dem er sich eine Unterkieferfraktur zuzog. Der Truppenarzt überwies ihn noch am selben Tage an den Chefarzt der Chirurgischen Abteilung des Kreiskrankenhauses N (Durchgangsarzt), der eine Untersuchung in der Zahnstation der Bundeswehr vorschlug. Letztere hielt eine Behandlung in der Zahnklinik der Universität T für erforderlich. Dort wurde St. vom 14. bis 22. Dezember 1972 stationär behandelt. Die gesamten Behandlungskosten trug die Klägerin. St. war bis zum 15. Januar 1973 dienstunfähig.
Die Beklagte wurde von den eingeleiteten Heilbehandlungsmaßnahmen nicht unterrichtet. Sie erfuhr durch den Beschäftigungsbetrieb von dem Unfall. Die Beklagte bewilligte St. für die Zeit vom 15. Dezember 1972 bis 15. Januar 1973 Verletztengeld. Einen von der Klägerin geltend gemachten Ersatzanspruch lehnte sie am 6. Juni 1973 ab.
Der am 12. Juli 1974 erhobenen Klage, mit der die Klägerin die für St. aufgewandten Behandlungskosten in Höhe von 1.011,80 DM geltend machte, hat das Sozialgericht (SG) Stuttgart stattgegeben (Urteil vom 10. Februar 1975). Die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg mit Urteil vom 28. Oktober 1976 zurückgewiesen. Zur Begründung hat es u.a. ausgeführt, die Klägerin könne die Heilbehandlungskosten nach den Grundsätzen des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs von der Beklagten ersetzt verlangen. Zwar stünden die Ansprüche des damals beurlaubten St. gegen die Klägerin auf Heilfürsorge und gegen die Beklagte auf Heilbehandlung gleichrangig nebeneinander; bei der Einleitung der Behandlung durch die Klägerin hätten aber keine militärischen Gesichtspunkte, sondern die Beseitigung der unfallbedingten Gesundheitsstörungen im Vordergrunde gestanden, zumal St. in der Universitätszahnklinik - hinsichtlich der ärztlichen Maßnahmen - auch nicht der Weisungsbefugnis der Klägerin unterstanden habe. Die Kosten hierfür seien von der Beklagten zu tragen, die bei einem Arbeitsunfall entsprechende Leistungen zu gewähren habe.
Die Beklagte hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Sie bezweifelt, ob das LSG ohne Beiladung des Verletzten hätte entscheiden dürfen und meint, die Klägerin habe keinen öffentlich-rechtlichen Ersatzanspruch, da sie wegen der Gleichrangigkeit der Leistungsansprüche dem St. die Heilfürsorge nicht rechtsgrundlos gewährt habe. Ein Ersatzanspruch könne nur dann bestehen, wenn die Klägerin nicht ihre eigene Verpflichtung zur Erreichung schnellstmöglicher Dienstfähigkeit des St., sondern die der Beklagten habe erfüllen wollen. Das sei hier nicht der Fall, zumal diese nicht einmal verständigt worden sei. Außerdem hätten bei der Behandlung militärische Gesichtspunkte, nämlich die Wiederherstellung der Dienstfähigkeit des St. ab 16. Januar 1973, im Vordergrund gestanden. Im übrigen beziehe sich der geltend gemachte Ersatzanspruch auf die Zeit bis zum 22. Dezember 1972, in der St. noch beurlaubt gewesen sei.
Die Beklagte beantragt sinngemäß,
die Urteile des SG Stuttgart vom 10. Februar 1975 und des LSG Baden-Württemberg vom 28. Oktober 1976 aufzuheben und die Klage abzuweisen;
hilfsweise,
das Urteil des LSG Baden-Württemberg aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückzuverweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision ist unbegründet. Das angefochtene Urteil ist nicht zu beanstanden, da die Beklagte zu Recht zum Ersatz der von der Klägerin für die Heilbehandlung des St. aufgewandten Kosten verurteilt worden ist.
Das Urteil des LSG ist nicht verfahrensfehlerhaft zustande gekommen. St. war nicht - wie von der Revision in Erwägung gezogen - notwendig beizuladen. Eine nach § 75 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) notwendige Beiladung, deren Unterlassen bei einer zulässigen Revision ein von Amts wegen zu beachtender Verfahrensmangel ist (BSG in SozR 1500 § 75 SGG Nr. 1), liegt nur dann vor, wenn die in einem Rechtsstreit zu erwartende Entscheidung über das streitige Rechtsverhältnis zugleich in die Rechtssphäre eines Dritten unmittelbar eingreift (BSG 11, 262). Eine Beiladung ist stets dann notwendig, wenn Angelegenheiten eines Dritten unmittelbar den Gegenstand des Rechtsstreites bilden und die Entscheidung nur dann die erstrebte Wirkung äußern kann, wenn sie durch die Beiladung auch diesem Dritten gegenüber Rechtskraft erlangt (vgl. Eyermann/Fröhler, 7. Aufl, Rdnr. 29 zu § 65 VwGO). Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor, denn streitig ist allein die Ersatzverpflichtung der Beklagten gegenüber der Klägerin, nicht aber die Rechtsbeziehung eines der beiden Beteiligten zu St. (für den letztgenannten Fall vergleiche das Urteil des erkennenden Senats vom 28. Oktober 1976 - 8 RU 8/76 - in SozR 2200 § 539 RVO Nr. 27, insoweit nicht abgedruckt).
Der Ersatzanspruch der Klägerin ist begründet. Die Beklagte ist verpflichtet, an die Klägerin die geltend gemachten Kosten für die Heilbehandlung des St. zu zahlen. Wie der erkennende Senat bereits in seinem vom LSG und von der Beklagten zitierten Urteil vom 10. Dezember 1975 (SozR 2200 § 539 RVO Nr. 13), das einen vergleichbaren Sachverhalt betraf, ausgeführt hat, gründet sich der Zahlungsanspruch der Bundeswehr gegen den Träger der Unfallversicherung auf das Rechtsinstitut des öffentlich-rechtlichen Erstattungs- (oder Ersatz- bzw. Abwälzungs-)anspruchs. Danach kann in einem Fall wie dem vorliegenden die Bundeswehr grundsätzlich Ersatz ihrer Aufwendungen von der Berufsgenossenschaft verlangen, wenn sie einem durch einen im Urlaub erlittenen Arbeitsunfall verletzten Wehrpflichtigen Heilfürsorge gewährt hat. Die Revision meint zu Unrecht, einem solchen Abwälzungsanspruch stehe entgegen, daß die Klägerin die Heilbehandlung nicht rechtsgrundlos anstelle der eigentlich verpflichteten Beklagten, sondern aufgrund eigener Verpflichtung gewährt habe. Der erkennende Senat hat in dem genannten Urteil zwar ausgesprochen, daß die Ansprüche des verletzten Wehrpflichtigen auf freie Heilfürsorge gegen die Bundeswehr und auf Heilbehandlung gegen die Berufsgenossenschaft gleichrangig nebeneinander stehen, also kein Anspruch dem anderen gegenüber nachrangig ist. Dies betrifft aber allein das Rechtsverhältnis des Verletzten zur Bundeswehr einer- und zur Berufsgenossenschaft andererseits; für die Frage der Ersatzpflicht eines Leistungsträgers gegenüber einem anderen und damit für die endgültige Kostentragungspflicht ist die Vor- oder Gleichrangigkeit der Heilbehandlungsansprüche des Verletzten selbst in Fällen der vorliegenden Art ohne entscheidende Bedeutung. Dabei muß in Betracht gezogen werden, daß für die Angehörigen der Bundeswehr eine uneingeschränkte Heilbehandlung gewährleistet sein muß, weil die notwendige Verteidigungsbereitschaft der Streitkräfte ernstlich in Frage gestellt wäre, wenn sich der verletzte Soldat oder seine Einheit zunächst um die Klärung bemühen müßte, welcher von mehreren Verwaltungsträgern im Einzelfall für die Heilbehandlung zuständig ist. Deshalb war es sinnvoll, in dieser Hinsicht keine Zuständigkeitsregelungen zu treffen. Etwas anderes gilt aber für den u.U. notwendigen Ausgleich zwischen Vermögensverschiebungen unter öffentlichen Leistungsträgern. Insoweit kommt es darauf an, ob für eine Heilbehandlung, die auch in die Risikosphäre des Unfallversicherungsträgers fällt, besondere militärische Interessen maßgebend waren. Ist dies der Fall, so scheidet ein Abwälzungsanspruch aus, weil dann - jedenfalls im Verhältnis der mehreren Verwaltungsträger untereinander - die Bundeswehr als vorrangig leistungspflichtig anzusehen ist. War die Behandlung jedoch überhaupt oder in erster Linie wegen der Unfallfolgen notwendig und läßt sich auch nicht aus der Art der gewährten Heilbehandlung entnehmen, daß militärische Gesichtspunkte dabei im Vordergrund gestanden haben, dann hat die Bundeswehr an Stelle der Berufsgenossenschaft geleistet, auch wenn sich dies erst nachträglich - ohne vorherige Verständigung der Berufsgenossenschaft - bzw. nach einer Würdigung des konkreten Heilbehandlungsablaufs und seiner näheren Umstände herausstellt. Dann liegt eine "rechtsgrundlose" Vermögensverschiebung (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 10. Dezember 1975) vor mit der Folge, daß die Berufsgenossenschaft zum Ersatz verpflichtet ist. Letzteres ist hier der Fall.
Das LSG hat festgestellt, daß die von der Klägerin veranlaßten, ihrer Leistungsklage zugrunde liegenden Behandlungen insbesondere in der Universitätszahnklinik "unbedingt" erforderlich waren, um den notwendigen Heilerfolg zu erzielen (Urteil S. 10). Es stand die dringend erforderliche Beseitigung der unfallbedingten Gesundheitsstörungen im Vordergrund; militärische Gesichtspunkte waren dagegen für die Durchführung der Heilbehandlung von untergeordneter Bedeutung (S. 11, 10 des Urteils). Ein vordringliches Interesse der Bundeswehr an der alsbaldigen Wiederherstellung der Dienstfähigkeit des St. hat nicht bestanden (Urteil S. 10). Diesen Feststellungen hat die Revision lediglich eine andere Sachverhaltswürdigung gegenübergestellt (Abs. 10 der "weiteren" Begründung); hierbei handelt es sich aber nicht um durchgreifende Revisionsrügen, so daß der Senat an die vom LSG getroffenen Feststellungen gebunden ist (§ 163 SGG). Mit Recht hat das LSG auch betont, daß es sich bei der Universitätszahnklinik um keine militärische Einrichtung handele. Nach dem Ausgeführten besteht in einem solchen Fall ein Erstattungsanspruch der Klägerin.
Es ist im übrigen auch das für die Durchsetzung eines solchen Anspruchs für erforderlich gehaltene überwiegende öffentliche Interesse am Leistungsausgleich vorhanden (vgl. BSGE 16, 151, 157 f). Die Aufwendungen der Klägerin für die Heilfürsorge der Soldaten werden aus allgemeinen Steuermitteln aufgebracht, da der Dienst der Soldaten der Allgemeinheit zugute kommt. Für die Aufwendung von Steuermitteln ist aber dann grundsätzlich kein Platz mehr, wenn Heilbehandlung wegen der Folgen eines versicherten Arbeitsunfalles gewährt wird. Die Beseitigung der Folgen von Arbeitsunfällen gehört nicht in das von der Allgemeinheit zu tragende Risiko, sondern fällt in dasjenige der Arbeitgeber, die es durch ihre Beitragszahlungen an die gesetzliche Unfallversicherung abdecken. Diese hat dann auch für Leistungen aus Anlaß eines Arbeitsunfalles einzustehen. Es ist nicht gerechtfertigt, die Berufsgenossenschaft nur deshalb von ihrer Leistungsverpflichtung - und zwar auf Kosten allgemeiner Steuermittel - freizustellen, weil der bei einem Arbeitsunfall Verletzte neben dem Heilbehandlungsanspruch gegen sie gleichzeitig einen Anspruch auf freie Heilfürsorge gegen die Bundeswehr hat. Der Hinweis der Beklagten, daß sich der streitige Ersatzanspruch nur auf die Zeit bis zum 22. Dezember 1972 beziehe, in der St. noch beurlaubt gewesen sei, spricht nicht für, sondern eher gegen die von ihr vertretene Rechtsauffassung.
Die Höhe des somit dem Grunde nach bestehenden Erstattungs-(Abwälzungs-)anspruchs ist zwischen den Beteiligten nicht streitig. Die Revision konnte deshalb keinen Erfolg haben und mußte mit der sich aus § 193 Abs. 4 SGG ergebenden Kostenfolge zurückgewiesen werden.
Fundstellen