Leitsatz (redaktionell)

Zur Geltendmachung der Verjährungseinrede bei der Erteilung eines Zugunstenbescheides nach KOV-VfG § 40 Ans 1.

 

Normenkette

KOVVfG § 40 Abs. 1 Fassung: 1953-09-03; BGB § 197 Fassung: 1896-08-18, § 201 S. 1 Fassung: 1896-08-18

 

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 18. Mai 1967 dahin abgeändert, daß der Beklagte unter Abweisung der Klage im übrigen verurteilt wird, dem Kläger Versorgung nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 60 vom Hundert vom 1. Januar 1961 an zu gewähren.

Insoweit wird die Revision zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Verfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Der Kläger bezieht Versorgung; seine Rente war ursprünglich nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 50 v. H. festgestellt (Bescheid vom 31. August 1954). Den Antrag vom Oktober 1959 auf Erhöhung der Rente wegen des beruflichen Schadens als ehemaliger selbständiger Landwirt lehnte das Versorgungsamt (VersorgA) durch Bescheid vom 8. März 1960 ab, weil im Hinblick auf die Größe des früheren landwirtschaftlichen Betriebes des Klägers das vorhandene Personal die Arbeiten verrichten würde, welche er wegen der Schädigungsfolgen nicht selbst ausführen könne; der Verlust des in der sowjetischen Besatzungszone liegenden Hofes und damit der wirtschaftliche Schaden seien unabhängig von der Schädigung eingetreten.

Im März 1965 beantragte der Kläger die Gewährung von Berufsschadensausgleich gem. § 30 Abs. 3 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) in der Fassung des 2. Neuordnungsgesetzes (2. NOG): er sei früher selbständiger Landwirt gewesen und könne jetzt nur noch als Waschkauenwärter oder Schalttafelwärter tätig sein. Durch den auf § 40 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VerwVG) gestützten Bescheid vom 18. August 1965 bewilligte der Beklagte anstelle der ursprünglichen Leistung vom 1. März 1961 an Rente nach einer MdE um 60 v. H.; durch die Schädigungsfolgen könne der Kläger zahlreiche, in der Landwirtschaft stets wiederkehrende Arbeiten nicht mehr verrichten; der Beginn der höheren Rente richte sich nach der Verwaltungsvorschrift Nr. 8 zu § 40 VerwVG, nach welcher für die zurückliegende Zeit an der bindenden Wirkung der früheren Bescheide festzuhalten sei und nur in besonders begründeten Ausnahmefällen die begünstigende Regelung rückwirkend bis zu vier Jahren getroffen werden könne. Der Widerspruch, mit dem eine Nachzahlung für weiter zurückliegende Zeiten begehrt wurde, blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 31. Januar 1966), weil im angefochtenen Bescheid ein Ermessensfehler nicht zu erkennen sei; es lägen keine besonderen Gründe vor, die es rechtfertigen würden, von der auf die Verwaltungsvorschrift gestützten Praxis abzuweichen; Ansprüche, welche der Kläger aus einer weiter als vier Jahre zurückliegenden Zeit geltend mache, seien im übrigen auch nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) verjährt.

Mit der Klage hat der Kläger seine Ansicht wiederholt, die Verwaltung hätte ein besonderes berufliches Betroffensein bereits im Jahre 1954 berücksichtigen müssen; die Einrede der Verjährung verstoße gegen Treu und Glauben, weil die Verwaltung durch ihr Verhalten den widerrechtlichen Zustand verursacht habe. Durch Urteil vom 18. Mai 1967 hat das Sozialgericht (SG) unter Abänderung der Verwaltungsbescheide den Beklagten verurteilt, unter Aufhebung des Bescheides vom 8. März 1960 dem Kläger vom 1. Oktober 1959 an Versorgung nach einer MdE um 60 v. H. zu gewähren. Die Vorschrift des § 40 Abs. 1 VerwVG sei dahin aufzufassen, daß der Verwaltung nicht eine Ermessensentscheidung überlassen sei, sondern daß sie trotz der bindenden Wirkung des früheren Bescheides noch einmal über den Versorgungsanspruch zu Gunsten des Beschädigten entscheiden dürfe. Nachdem die Verwaltung erkannt habe, daß der frühere bindend gewordene Bescheid nicht rechtmäßig gewesen sei, habe sie nicht zwischen mehreren Entscheidungen wählen können, sondern die Leistung neu feststellen müssen. Da ihr keine andere Wahl geblieben sei, sei der Bescheid vom 18. August 1965 keine eigentliche Ermessensentscheidung gewesen, sondern in vollem Umfang von den Gerichten nachzuprüfen. Dies gelte nicht nur für die Feststellung, ob die früheren Bescheide zu Ungunsten des Klägers unrichtig gewesen seien, sondern auch für den Zeitpunkt, von dem ab die neu festgestellten höheren Leistungen zustehen. Die entgegenstehende Verwaltungsvorschrift Nr. 8 zu § 40 VerwVG sei nicht rechtmäßig. Zur Unterstützung seiner Ansicht hat das SG die Vorschrift des § 41 VerwVG herangezogen und den Beginn der höheren Leistungen deshalb mit dem 1. Oktober 1959 festgestellt, weil der Kläger sich in den Jahren von 1953 bis 1959 als landwirtschaftlicher Gehilfe bezeichnet und erst mit seinem Antrag vom Oktober 1959 vorgetragen und nachgewiesen habe, daß er selbständiger Landwirt gewesen sei. Nach Treu und Glauben könne die Versorgungsverwaltung im Hinblick auf die vom Kläger selbst stammenden Angaben über seinen Beruf nicht verpflichtet werden, auch für einen Zeitraum vor dem Oktober 1959 höhere Leistungen zu gewähren. Das SG hat die Berufung zugelassen, weil es über Fragen von grundsätzlicher Bedeutung entschieden habe, wobei teilweise von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) abgewichen worden sei.

Die Beklagte hat Revision (Sprungrevision) eingelegt und beantragt, zu erkennen:

auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des SG Duisburg vom 18. Mai 1967 geändert.

Die Klage gegen den Widerspruchsbescheid des LVersorgA Nordrhein vom 31. Januar 1966 wird abgewiesen.

Er rügt mit näherer Begründung eine Verletzung der §§ 54 Abs. 2 und 77 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) sowie der §§ 24 und 40 VerwVG, § 197 BGB. Das SG habe zu Unrecht angenommen, der Bescheid vom 18. August 1965 sei keine Ermessensentscheidung. Vor allem entscheide die Verwaltung nach ihrem Ermessen darüber, von wann ab in der Vergangenheit das Versorgungsrechtsverhältnis neu zu regeln sei. Es sei in Rechtslehre und Rechtsprechung anerkannt, daß Rentenansprüche in vier Jahren verjährten.

Der Kläger beantragt,

die Sprungrevision als unbegründet zurückzuweisen.

Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend und ist der Ansicht, der Beklagte habe die Einrede der Verjährung bisher nicht erhoben. Sie sei im Revisionsverfahren unzulässig.

Der Beklagte hat die durch Zulassung der Berufung gemäß § 161 SGG statthafte Sprungrevision form- und fristgerecht unter Vorlage der Einwilligungserklärung des Klägers eingelegt und begründet. Sein Rechtsmittel ist zulässig und auch im wesentlichen sachlich gerechtfertigt.

Gemäß § 40 Abs. 1 VerwVG kann die Verwaltung zugunsten des Berechtigten jederzeit einen neuen Bescheid erteilen. Nach ständiger Rechtsprechung des BSG (BSG 26 S 146 ff - mit weiteren Hinweisen-) ist der Verwaltung mit dieser Vorschrift ein Ermessen in zweierlei Hinsicht eingeräumt worden, nämlich darüber, "ob" und auch "von wann an" sie die Berichtigung vornehmen will. Zwar hätte der Beklagte vorliegend sein Ermessen, ob er überhaupt berichtigen wolle, dann fehlerhaft gehandhabt, wenn er an der bindenden Wirkung der früheren Bescheide festgehalten hätte, obwohl für ihn feststand, daß diese erkennbar und zweifelsfrei zum Nachteil des Klägers gegen § 30 BVG verstoßen hatten (BSG SozR VerwVG § 40 Nr. 3). Zu Unrecht aber hat das SG hieraus gefolgert, es könne vorliegend die zweite Entscheidung der Verwaltung darüber, von wann an sie die Berichtigung vornehmen wolle, uneingeschränkt nachprüfen. Dies ist mit der Rechtsprechung des BSG - wie das SG nicht verkannt hat - nicht vereinbar. An dieser ständigen Rechtsprechung ist festzuhalten. Wortlaut und Sinn des § 40 Abs. 1 VerwVG sprechen gegen die Auffassung des SG, wie in der Entscheidung des 10. Senats vom 14. März 1967 (abgedruckt BSG Band 26 S. 146 ff) ausgeführt ist. Das angefochtene Urteil gibt dem Senat keinen Anlaß, auf die abweichende Auffassung des SG näher einzugehen; vielmehr verweist er auf die Entscheidung des 10. Senats und macht sie sich zu eigen.

Hinsichtlich der rückwirkenden Neuregelung des Versorgungsrechtsverhältnisses gilt zunächst der Grundsatz: In der Vergangenheit lebt man nicht. Infolgedessen hat die Verwaltung zutreffend geprüft, ob besondere Umstände vorliegen, welche es geboten erscheinen lassen, auch für eine gewisse Zeit in der Vergangenheit den Kläger besser zu stellen, Sie hat sich hierbei auf Nr. 8 der Verwaltungsvorschriften gestützt. In ihr ist ua bestimmt:

"Erscheint es nach Lage des Falles geboten, dem neuen Bescheid Rückwirkung beizulegen, so sind bei der Festlegung des Zeitpunktes alle Umstände sorgfältig abzuwägen und in der Begründung wiederzugeben. Eine Rückwirkung soll jedoch in der Regel nicht über einen Zeitraum von vier Jahren hinausgehen".

In dieser Verwaltungsvorschrift ist nicht festgelegt, wie der Zeitraum von vier Jahren zu berechnen ist. Die Verwaltung hat sich im Widerspruchsbescheid auch auf die Verjährung der Ansprüche des Klägers bezogen; außerdem hat sie in der Revisionsbegründung ausgeführt, die Ansprüche der Berechtigten auf rückständige Rentenzahlungen verjährten in vier Jahren. Für den Zeitpunkt des Beginns der Verjährung ist der Antrag des Klägers vom 9. März 1965 maßgebend; denn seinen früheren Antrag vom Oktober 1959 hatte die Verwaltung durch den bindend gewordenen Bescheid vom 8. März 1960 erledigt. Dieser Antrag konnte also nach seiner Bescheidung keine weiteren Wirkungen haben. Durch den Antrag vom März 1965 ist die Verjährung des Anspruchs auf wiederkehrende Leistungen, die höher wären, als im Bescheid vom 31. August 1954 festgestellt, unterbrochen worden. Für die vierjährige Verjährungsfrist ist gemäß § 201 BGB der Schluß des Jahres maßgebend. Infolgedessen sind zur Zeit des Antrages vom März 1965 alle mehr als vier Jahre vor dem 1. Januar 1961 zurückliegenden Rentenbeträge verjährt. Zu Unrecht hat das SG die Verjährungseinrede, die im Widerspruchsbescheid enthalten ist, nicht beachtet und für die Zeit vor dem 1. Januar 1961 zur Leistung verurteilt. Dies ist nicht rechtens und insbesondere nicht durch den Grundsatz von Treu und Glauben geboten. Der Kläger beruft sich in der Revisionserwiderung zu Unrecht auf diesen Gesichtspunkt; denn die Versorgungsverwaltung hat zwar fehlerhaft, aber nicht arglistig gehandelt.

Infolgedessen hätte das SG hier zur Gewährung der höheren Rente nicht vom 1. Oktober 1959 an, sondern erst vom 1. Januar 1961 an verurteilen dürfen. Mit dieser Maßgabe mußte auf die Revision des Beklagten die angefochtene Entscheidung abgeändert werden.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1982508

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