Entscheidungsstichwort (Thema)
Unterhaltsanspruch. Einkommensanrechnung. vorübergehende Einkünfte
Orientierungssatz
Es gibt keinen vernünftigen Grund, bei der Feststellung von Unterhaltsansprüchen vorübergehende Einkünfte, sei es auf Seiten des Berechtigten, sei es auf Seiten des Verpflichteten außer acht zu lassen. Vorübergehende Einkünfte können Anlaß sein, Unterhaltspflichten für die Zukunft zu beschränken; in der Zeit, in der die Einkünfte erzielt werden, müssen sie jedoch berücksichtigt werden.
Normenkette
AVG § 42 S. 1; RVO § 1265; EheG § 61 Abs. 2
Verfahrensgang
LSG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 13.01.1972) |
SG Koblenz (Entscheidung vom 23.06.1971) |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 13. Januar 1972 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Die Klägerin begehrt Hinterbliebenenrente nach § 42 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) aus der Versicherung des am 19. Juni 1966 verstorbenen Hans R (R.). Ihre Ehe mit R. ist auf dessen Klage durch Urteil vom 11. Januar 1966 das am 22. März 1966 rechtskräftig geworden ist, ohne Schuldausspruch geschieden worden. Die Beteiligten streiten darüber ob R. zur Zeit seines Todes der Klägerin Unterhalt nach den Vorschriften des Ehegesetzes (§ 61 Abs. 2) zu leisten hatte; die weiteren Alternativen des § 42 Satz 1 AVG (Unterhaltspflicht aus sonstigem Grunde, tatsächliche Unterhaltsleistung) sind unstreitig nicht erfüllt.
Die Beklagte hat einen Unterhaltsanspruch nach dem Ehegesetz (EheG) verneint und daher den im Januar 1968 gestellten Rentenantrag abgelehnt. Klage und Berufung der Klägerin hatten keinen Erfolg (Urteile des Sozialgerichts - SG - Koblenz vom 23. Juni 1971 und des Landessozialgerichts - LSG - Rheinland Pfalz vom 13. Januar 1972). Das LSG erachtete eine Unterhaltsverpflichtung des R. i.S. des § 61 Abs. 2 EheG nur dann für billig, wenn das Einkommen der Klägerin 1/3 der Einkünfte der beiden früheren Ehegatten nicht erreicht habe Das Einkommen der Klägerin sei jedoch höher gewesen. Sie habe 1966 Einkünfte aus Gewerbebetrieb (Ehevermittlung) und aus Vermietung gehabt; die ersteren seien steuerlich mit 2.269,- DM veranlagt worden und wegen Aufgabe der Tätigkeit zum 1. Juli 1966 auf die ersten sechs Monate von 1966 zu verteilen; die letzteren habe die Klägerin mit monatlich 180,- DM angegeben; inwieweit hiervon Werbungskosten und Sonderausgaben abzuziehen seien, lasse sich nicht mehr fest stellen; die Klägerin müsse sich jedoch nach Auffassung des Senats mindestens die Hälfte davon als Einkommen anrechnen lassen. Bei einem Gesamteinkommen der Klägerin von Januar bis Juni 1966 in Höhe von monatlich 468,- DM hätte R. somit mehr als 936,- DM zur Begründung einer Unterhaltspflicht verdienen müssen. Er habe feste Bezüge (Versorgungsbezüge, Unfallrente) in monatlicher Höhe von 669,75 DM und nach dem Vorbringen der Klägerin außerdem freie Wohnung im elterlichen Haus gehabt, wofür man monatlich 100,- DM hinzurechnen könne; selbst wenn man zusätzliche Einkünfte aus gelegentlicher Tätigkeit als Kraftfahrer (Taxifahrer) von nochmals monatlich 100,- DM unterstelle, habe er somit im ersten Halbjahr 1966 nur ein monatliches Gesamteinkommen von 869,75 DM erzielt. Für einen i.S. des § 42 AVG beachtlichen Unterhaltsanspruch hätte R. jedoch ein Einkommen von wesentlich mehr als 1.000,- DM haben müssen, denn erst dieses hätte bei Beachtung des Drittelungsgrundsatzes "die Zahlung eines 25,- DM erheblich übersteigenden und somit nicht mehr als unwesentlich zu erachtenden Betrages an die Klägerin ermöglicht". Nach der Auffassung des LSG sei hier auch nicht, wie in dem vom BSG am 15. Februar 1966 (SozR Nr. 32 zu § 1265 RVO) entschiedenen Fall, auf die Verhältnisse abzustellen, die sich unter den geschiedenen Eheleuten bei einem längeren Zeitraum zwischen Scheidung und Tod des Versicherten wahrscheinlich ergeben hätten; jene Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) betreffe nämlich nur den extremen Ausnahmefall, in dem der Versicherte schon wenige Tage nach Rechtskraft des Scheidungsurteils verstorben sei (dort 9 Tage, hier rund 3 Monate).
Mit der zugelassenen Revision beantragt die Klägerin (sinngemäß),
die Urteile der Vorinstanzen und den Bescheid der Beklagten aufzuheben und diese zur Gewährung von Hinterbliebenenrente von Februar 1968 an zu verurteilen.
Sie rügt, das LSG habe im Rahmen des § 61 Abs. 2 EheG den Begriff des eigenen anrechenbaren Einkommens verkannt. Sie habe den Beruf der Ehevermittlerin aus gesundheitlichen Gründen praktisch schon im ersten Halbjahr 1966 aufgegeben und nur noch Abwicklungsarbeiten verrichtet. Darum habe sie nicht mehr benötigte Mieträume untervermietet, um so einen Teil der hohen Mietkosten hereinzubringen; ein Mieteinkommen sei daher nicht vorhanden gewesen. Ebensowenig könne man bei den noch vorübergehend eingegangenen Einkünften aus früherer Tätigkeit von einem Einkommen aus Erwerbstätigkeit sprechen.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
II
Die Revision der Klägerin ist unbegründet.
Zu Recht hat das LSG ausgeführt, daß die Voraussetzungen des § 42 Satz 1 AVG für die Gewährung einer Hinterbliebenenrente an die Klägerin nicht erfüllt sind, insbesondere, daß der Versicherte zur Zeit seines Todes der Klägerin keinen Unterhalt nach den Vorschriften des EheG zu leisten hatte.
Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG ist mit der "Zeit des Todes" der letzte wirtschaftliche Dauerzustand vor dem Tode gemeint. Als solchen hat das LSG zutreffend die Zeit zwischen der Rechtskraft des Scheidungsurteils (22. März 1966) und dem Zeitpunkt des Todes von R. (19. Juni 1966) gewertet. Die damaligen Verhältnisse sind für die Beurteilung des Unterhaltsanspruchs maßgebend. Die vom LSG angeführte Entscheidung des erkennenden Senats vom 15. Februar 1966 (SozR Nr. 32 zu § 1265 RVO) steht dem nicht entgegen; sie betrifft nur Fälle, in denen der Zeitraum zwischen Scheidung und Tod so kurz ist, daß sich ein wirtschaftlicher Dauerzustand in diesem Zeitraum überhaupt nicht entwickeln konnte. Ein solcher Ausnahmefall ist, worauf der Senat bereits im Urteil vom 1. Februar 1972 (SozR Nr. 11 zu § 1266 RVO) hingewiesen hat, nicht gegeben, wenn die Zwischenzeit immerhin lange genug gewesen ist, um die wirtschaftlichen Verhältnisse in ihr zu überblicken. Das war hier der Fall. Insoweit spielt es auch keine Rolle, daß die Klägerin in dieser Zeit schon beabsichtigte, ihre gewerbliche Tätigkeit demnächst zu beenden; denn auch vorübergehende Zustände können als "Dauerzustand" i.S. der Rechtsprechung angesehen werden, wenn ihnen vor dem Tode des Versicherten keine ihrerseits als dauerhafter zu charakterisierenden Zustände gegenüberstehen (Urteil vom 1. Februar 1972). Waren aber demnach die Verhältnisse in den letzten drei Monaten vor dem Tode von R. maßgebend, dann durften künftige Entwicklungen, selbst wenn sie schon voraussehbar waren, nicht berücksichtigt werden.
Als Rechtsgrundlage für einen Unterhaltsanspruch der Klägerin nach den Vorschriften des EheG kommt allein § 61 Abs. 2 EheG in Betracht; danach hatte R. Unterhalt zu gewähren, "wenn und soweit dies mit Rücksicht auf die Bedürfnisse und die Vermögens- und Einkommensverhältnisse der geschiedenen Ehegatten ... der Billigkeit entsprach" (unterhaltspflichtige Verwandte hat das LSG nicht festgestellt). Auch hier bestehen keine Bedenken dagegen, daß das LSG einen Unterhaltsanspruch verneinte, wenn das Einkommen der Klägerin 1/3 des Gesamteinkommens der geschiedenen Ehegatten erreichte. Das hat auch die Klägerin nicht beanstandet. Sie rügt lediglich, daß das LSG den Begriff des eigenen anrechenbaren Einkommens, d.h. wohl den Begriff der Einkommensverhältnisse i.S. des § 61 Abs. 2 EheG verkannt habe. Diese Rüge kann nicht durchgreifen.
Die Klägerin irrt, wenn sie als Einkommen nur "die zur Bestreitung des Lebensunterhalts oder zu Ersparniszwecken gemachten Einkünfte aus einer darauf gerichteten Tätigkeit auf die Dauer" verstehen will. Es gibt keinen vernünftigen Grund, bei der Feststellung von Unterhaltsansprüchen vorübergehende Einkünfte, sei es auf Seiten des Berechtigten, sei es auf Seiten des Verpflichteten außer acht zu lassen. Vorübergehende Einkünfte können Anlaß sein, Unterhaltspflichten für die Zukunft zu beschränken; in der Zeit, in der die Einkünfte erzielt werden, müssen sie jedoch berücksichtigt werden.
Der Senat kann auch nicht erkennen, daß das LSG bei Feststellung der Mieteinnahmen den Begriff der Einkommensverhältnisse i.S. des § 61 Abs. 2 Ehegesetz verkannt hat. Es ist zwar richtig, daß von dem Bruttobetrag der Mieteinnahmen (als Werbungskosten) mindestens der Betrag abzusetzen war, den die Klägerin ihrerseits für den untervermieteten Teil anteilmäßig an ihren Vermieter abzuführen hatte. Aus der Revisionsbegründung ergibt sich aber nicht, daß das LSG hiernach vom Bruttobetrag der Mieteinnahmen in Höhe von 180,- DM einen höheren Betrag als 90,- DM hätte absetzen müssen. Die Darlegungen der Klägerin sind insoweit zu ungenau. Sie verkennt auch, daß das BSG zu sachlich-rechtlich erheblichen Fragen keine eigenen tatsächlichen Feststellungen treffen darf, vielmehr gemäß § 163 Sozialgerichtsgesetz (SGG) an die vom LSG getroffenen Feststellungen gebunden ist. Das gilt nur dann nicht, wenn gegen diese zulässige und begründete Revisionsgründe vorgebracht, d.h. Verfahrensrügen i.S. des § 164 Abs. 2 Satz 2 SGG erhoben worden wären. Solche Verfahrensrügen enthält die Revisionsbegründung der Klägerin nicht.
Das LSG hat deshalb bei den festgestellten Einkommensverhältnissen einen Unterhaltsanspruch der Klägerin nach § 61 Abs. 2 Ehegesetz für die "Zeit des Todes" des Versicherten verneinen müssen. Davon abgesehen hätte ein Unterhaltsanspruch i.S. der ersten Alternative des § 42 AVG auf einen Betrag lauten müssen, der 25% des notwendigen Unterhaltsbedarfs der Klägerin erreicht hätte (so zuletzt SozR Nr. 49 zu § 1265 RVO); welchen Betrag er hiernach erreichen mußte (das LSG verlangt die Zahlung eines 25,- DM erheblich übersteigenden Betrages), kann jedoch offen bleiben.
Waren damit die Voraussetzungen des § 42 Satz 1 AVG nicht erfüllt, so blieb allenfalls zu fragen, ob die Klägerin sich auf § 42 Satz 2 AVG berufen konnte. Darauf ist das LSG nicht eingegangen. Nach § 42 Satz 2 findet Satz 1 der Vorschrift auch dann Anwendung, wenn eine Witwenrente nicht zu gewähren ist und eine Unterhaltsverpflichtung des Versicherten wegen der Vermögens- oder Erwerbsverhältnisse des Versicherten nicht bestanden hat. Der Versicherte hat offenbar keine Witwe hinterlassen; eine Witwenrente ist also wohl nicht zu gewähren. Gleichwohl kann jedoch § 42 Satz 2 AVG nicht zu Gunsten der Klägerin angewandt werden. Der 4. Senat des BSG hat bereits im Urteil vom 28. Juni 1972 (4 RJ 145/71) entschieden, daß eine Verpflichtung zur Leistung eines Unterhaltsbeitrages aus § 60 Ehegesetz keine Unterhaltsverpflichtung i.S. von Satz 2 des § 1265 RVO (der Satz 2 des § 42 AVG entspricht) ist. Das gleiche gilt für Unterhaltsverpflichtungen aus § 61 Abs. 2 Ehegesetz, die inhaltlich im wesentlichen von den gleichen Voraussetzungen abhängen. Solche Unterhaltsverpflichtungen können nicht nur an den Vermögens- oder Erwerbsverhältnissen des Versicherten scheitern, wie es § 42 Satz 2 AVG fordert; Satz 2 hat den Fall im Auge, in dem eine nach § 58 Ehegesetz an sich begründete Unterhaltspflicht aufgrund von § 59 Ehegesetz entfällt.
Die Revision ist daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen