Leitsatz (amtlich)
Mit dem allgemeinen Gleichheitssatz (GG Art 3 Abs 1) ist es vereinbar, daß das Gesetz die Berechnung der Ausfallzeit nach ArVNG Art 2 § 14 in der durch RVÄndG Art 2 § 1 Nr 4 eingeführten Fassung nicht auf Versicherungsfälle vor dem 1966-01-01 erstreckt hat.
Normenkette
GG Art. 3 Abs. 1 Fassung: 1949-05-23; ArVNG Art. 2 § 14 Fassung: 1965-06-09; RVÄndG Art. 2 § 1 Nr. 4 Fassung: 1965-06-09, Art. 5 § 3 Fassung: 1965-06-09, § 10 Abs. 1 Buchst. d Fassung: 1965-06-09
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 30. September 1971 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger vom 1. Januar 1966 an die Neufeststellung seiner Versicherungsrente unter Berücksichtigung des Art. 2 § 14 des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (ArVNG) in der durch das Rentenversicherungs-Änderungsgesetz vom 9. Juni 1965 (BGBl I 476) - RVÄndG - eingeführten Fassung beanspruchen kann.
Der 1892 geborene Kläger bezieht seit Mai 1957 Altersruhegeld. Seinen Antrag auf Neuberechnung der Ausfallzeitenpauschale nach Art. 2 § 14 ArVNG idF des Art. 2 § 1 Nr. 4 RVÄndG lehnte die Beklagte ab, weil die Neufassung der Vorschrift nach Art. 5 §§ 3 und 10 Abs. 1 Buchst. d RVÄndG nur auf die nach dem 31. Dezember 1965 eingetretenen Versicherungsfälle anwendbar sei (Bescheid vom 10. Dezember 1969).
Die Klage und die Berufung des Klägers hatten keinen Erfolg. Das Landessozialgericht (LSG) bestätigte - ebenso wie das Sozialgericht (SG) - die Rechtsauffassung der Beklagten. Die unterschiedliche gesetzliche Regelung der Ausfallzeitenpauschale, je nachdem ob der Versicherungsfall vor dem 1. Januar 1966 oder nach dem 31. Dezember 1965 eingetreten sei, verstoße entgegen der Auffassung des Klägers auch nicht gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes -GG- (Urteil vom 30. September 1971).
Der Kläger hat die zugelassene Revision eingelegt. Er rügt eine Verletzung des Art. 2 § 14 ArVNG idF des Art. 2 § 1 Nr. 4 RVÄndG, Art. 5 §§ 3, 6 Satz 2, 10 Abs. 1 Buchst. d RVÄndG, Art. 3 Abs. 1 GG.
Die Regelung des Art. 5 § 3 RVÄndG sei, soweit durch sie die Anwendbarkeit des Art. 2 § 1 Nr. 4 RVÄndG auf die vor dem 1. Januar 1966 eingetretenen Versicherungsfälle ausgeschlossen wurde, nicht mit dem dem Art. 3 Abs. 1 GG innewohnenden Grundsatz der Gleichheit vereinbar. Der allgemeine Gleichheitssatz erfordere, daß die pauschale Ausfallzeitenberechnung bei allen Versicherten nach den gleichen Grundsätzen erfolge. Dies könne nur dadurch geschehen, daß auch in Versicherungsfällen, die vor dem Inkrafttreten der Neuregelung eingetreten sind, die Rentenberechnung geändert werde, wenn sich aufgrund der Neuregelung eine höhere Rente ergebe. Dabei sei entgegen der Auffassung des LSG dem Umstand, daß die neue Ausfallzeitenregelung sich im Einzelfall zu Ungunsten des Versicherten auswirken könne, keine Bedeutung beizumessen, zumal die nach der alten Regelung gewährte Rente wegen des "Schlechterstellungsverbots" (Art. 5 § 6 Satz 2 RVÄndG) nicht mehr gekürzt werden könne. Das Berufungsgericht habe verkannt, daß es nicht darum gehe, ob die Neuregelung zu einer Besser- bzw. Schlechterstellung führe, sondern allein darum, ob die Neuregelung nach dem Gleichheitssatz für alle Versicherten in gleicher Weise anwendbar sei, wenn der gleiche Tatbestand, nämlich das Vorhandensein von Ausfallzeiten, bejaht werden müsse.
Der Kläger beantragt, das angefochtene Urteil, das Urteil des SG Regensburg vom 17. März 1971 sowie den Bescheid der Beklagten vom 10. Dezember 1969 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ab 1. Januar 1966 das Altersruhegeld unter Berücksichtigung des Art. 2 § 14 ArVNG in der durch Art. 2 § 1 Nr. 4 RVÄndG geänderten Fassung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Sie stimmt der Rechtsauffassung des LSG zu.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).
II
Die durch Zulassung statthafte Revision ist nicht begründet.
Das LSG ist zutreffend davon ausgegangen, daß die §§ 3 und 10 Abs. 1 Buchst. d des Art. 5 RVÄndG die vom Kläger begehrte Anwendung des Art. 2 § 14 ArVNG in der durch Art. 2 § 1 Nr. 4 RVÄndG eingeführten Fassung nicht zulassen, weil der Rentenanspruch des Klägers auf einem vor dem 1. Januar 1966 eingetretenen Versicherungsfall beruht.
Entgegen der Auffassung der Revision läßt die Übergangsregelung in Art. 5 § 3 RVÄndG, nach welcher für Rentenansprüche aus Versicherungsfällen vor dem Inkrafttreten des RVÄndG - abgesehen von den im Gesetz nachfolgend aufgeführten Ausnahmen - die bis zu diesem Zeitpunkt geltenden Vorschriften maßgebend bleiben, keinen Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG erkennen. Es ist daher nicht geboten, das Verfahren auszusetzen und eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) nach Art. 100 Abs. 1 GG herbeizuführen.
Eine Verletzung des in Art. 3 Abs. 1 GG gewährleisteten Grundrechts liegt nur dann vor, wenn ein vernünftiger, sich aus der Natur der Sache ergebender oder sonstwie einleuchtender Grund für die unterschiedliche gesetzliche Behandlung nicht ersichtlich ist, die Regelung demnach als willkürlich angesehen werden muß (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 22.4.1970 in BSG 31, 136 unter Hinweis auf die ständige Rechtsprechung des BVerfG). Es können indes durchaus sachliche Gründe bestanden haben, nicht alle Leistungsverbesserungen, welche mit dem RVÄndG eingeführt worden sind, in gleicher Weise auch für bereits abgeschlossene Tatbestände gelten zu lassen. Dies muß schon allein deshalb angenommen werden, weil es dem Gesetzgeber - wie das BVerfG wiederholt festgestellt hat - grundsätzlich freisteht, Gesetze mit Wirkung für die Zukunft zu ändern, wenn sich nicht von Anfang an übersehen läßt, ob die gesetzliche Regelung allein in der Zukunft möglicherweise vom Gesetz ergriffenen Lebenstatbeständen gerecht werden wird (vgl. BVerfG 3, 58; 4, 246; 15, 202). Daraus ergibt sich notwendig, daß die unter das Gesetz fallenden Sachverhalte vor und nach Erlaß eines Änderungsgesetzes verschieden behandelt werden. Ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz kann hieraus - was die Revision verkennt - selbst dann nicht hergeleitet werden, wenn im übrigen gleiche Sachverhalte vorliegen. Im Einklang mit diesen vom BVerfG aufgestellten Grundsätzen hat auch das Bundessozialgericht (BSG) mehrmals entschieden, daß es gerade dem Grundgedanken der Sozialversicherung und der Eigenart des Versicherungsverhältnisses entspricht, gesetzliche Leistungsverbesserungen erst von einem bestimmten Stichtag an zu gewähren (vgl. BSG 11, 278, 287; 14, 95, 97; SozR Nr. 3 zu Art. 2 § 26 ArVNG, Nr. 17 zu Art. 2 § 42 ArVNG). Würden gesetzliche Vergünstigungen beliebig weit zurück auf bereits abgeschlossene, in der Vergangenheit liegende Sachverhalte ausgedehnt, so wären Leistungsverbesserungen - insbesondere wenn sie wie im Sozialversicherungsbereich zumeist mit nicht unbeträchtlichen finanziellen Aufwendungen verbunden sind - oft überhaupt nicht einzuführen. Nicht zuletzt diese, für die Beachtung des Gleichheitssatzes durchaus sachgerechte Erwägung hat im Rentenversicherungsrecht dazu geführt, daß der Gesetzgeber die Anwendung neuer gesetzlicher Vorschriften in der Regel allein von dem Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalles abhängig macht (vgl. BSG in SozR Nr. 3 zu § 1252 RVO).
Unter diesen Umständen kann die in Art. 5 §§ 3, 10 Abs. 1 d RVÄndG hinsichtlich der Berechnung der Ausfallzeitenpauschale i.S. des Art. 2 § 14 ArVNG vorgenommene Differenzierung jedenfalls nicht als willkürlich angesehen werden. Willkür kann insbesondere nicht daraus hergeleitet werden, daß die gesetzliche Regelung für Rentenbezieher, deren Ansprüche auf Versicherungsfällen vor dem Stichtag 1. Januar 1966 beruhen, keine Erhöhung der Leistungen bringt. Die damit womöglich verbundene Härte vermag schon deswegen keine Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG zu begründen, weil die Wahl eines jeden Stichtages unvermeidlich gewisse Härten zur Folge hat (vgl. BVerfG 3, 58, 148).
Die Beschränkung der Anwendbarkeit der neuen Berechnungsweise der pauschalen Ausfallzeit auf die seit 1. Januar 1966 eingetretenen Versicherungsfälle würde somit selbst dann nicht willkürlich sein, wenn die neue Berechnung - entgegen den Ausführungen des LSG - in jedem Fall zu einem für den Versicherten günstigeren Ergebnis führen würde. Die vom LSG für diesen Fall offen gelassene Frage der Verfassungswidrigkeit ist somit ebenfalls zu verneinen. Dem Vortrag der Revision kann hierbei aus den dargelegten Gründen nur insoweit gefolgt werden, als einer etwa ungünstigen Auswirkung der neuen Pauschalberechnung im Einzelfall bei der Prüfung eines Verstoßes der Stichtagsregelung gegen Art. 3 Abs. 1 GG keine rechtliche Bedeutung beizumessen ist. Es ist nicht ersichtlich, inwiefern in diesem Zusammenhang - wie die Revision ohne nähere Begründung meint - das LSG Art. 5 § 6 Satz 2 RVÄndG verletzt haben soll. Das Urteil des LSG ist demnach jedenfalls im Ergebnis nicht zu beanstanden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen