Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 23.05.1958; Aktenzeichen L 4b Kr 3374/55)

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 23. Mai 1958 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander Kosten des Revisionsverfahrens nicht zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Tatbestand

I.

Die Beteiligten streiten darüber, ob ein Betrag von monatlich 45,– DM, den der Beigeladene regelmäßig als „Pauschale für Mehrarbeit” erhält, auf den für die Versicherungspflicht in der Krankenversicherung maßgebenden Jahresarbeitsverdienst (JAV) – § 165 Abs. 1 Nr. 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) – anzurechnen ist.

Der Beigeladene R., der seit Jahren bei der Klägerin als Schlosser- und Maschinenmeister angestellt ist, bezog im Jahre 1953 ein Monatsgehalt von 465,– DM, das am 1. November 1954 auf 501,– DM erhöht worden ist. Daneben erhält er monatlich eine Vergütung von 45,– DM, die die Klägerin als „Pauschale für Mehrarbeit, die regelmäßig über 48 Stunden hinausgeht”, bezeichnet hat. Am 1. November 1952 forderte die beklagte Kasse die Klägerin auf, den Beigeladenen, für den bisher nur Beiträge zur Angestellten- und Arbeitslosenversicherung entrichtet worden waren, zur Krankenversicherung (KV) anzumelden und Beiträge abzuführen, weil vom 1. September 1952 an infolge Erhöhung der JAV-Grenze auf 6.000,– DM auch Krankenversicherungspflicht eingetreten sei. Die Pauschalvergütung für Überstunden in Höhe von monatlich 45,– DM sei nach dem Erlaß des Bundesministers für Arbeit (BMA) vom 6. August 1951 (BArbBl 1951, 385) nicht auf den JAV anzurechnen. Die Klägerin kam dieser Aufforderung nicht nach, sondern beantragte am 9. Januar 1953 bei dem Versicherungsamt für den Stadt- und Landkreis Ulm, zu entscheiden, daß die dem Beigeladenen R. gewährte Pauschalvergütung „für die Versicherungsgrenze in der KV anzurechnen” sei. Sie machte geltend, die vereinbarte regelmäßige Pauschalvergütung für Mehrarbeit sei ein Bestandteil des Gehalts und deshalb bei der Ermittlung des JAV zu berücksichtigen; sie werde zur Abgeltung regelmäßiger Mehrleistungen gewährt, die mit der Stellung des Beigeladenen zwangsläufig verbunden sei, da ihm die gesamte Überwachung der Anlagen obliege. Der Beigeladene habe auch in den Abend- und Nachtschichten Kontrollgänge durchzuführen und werde zur Beseitigung von kleineren Störungen in der Spät- oder Nachtschicht herbeigeholt. Das geltende Tarif recht zwinge dazu, für Leistungen, die über die Tarifnorm hinausgingen, einen gesonderten Zuschlag auszuwerfen. Der Erlaß des BMA vom 8. August 1951 beziehe sich nur auf Mehrarbeitslöhne, die in ihrer Höhe ungewiß seien, nicht aber auf vertraglich zugesicherte Pauschalverdienste, die für die durch die Stellung bedingte Mehrarbeit gewährt würden.

Durch Entscheidung vom 4. Mai 1953 wies der Vorsitzende des Beschlußausschusses des Versicherungsamts für den Stadt- und Landkreis Ulm die „Beschwerde” der Klägerin als unbegründet zurück, weil die Zulage von 45,– DM monatlich eine Pauschalvergütung für Mehrarbeit darstelle, die nach dem Erlaß des BMA vom 8. August 1951 bei der Errechnung des JAV nicht berücksichtigt werden dürfe. Gegen diese Entscheidung legte die Klägerin beim Württembergischen Oberversicherungsamt (OVA) Beschwerde ein.

Das Sozialgericht (SG) Ulm, auf das das Verfahren nach Inkrafttreten des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) übergegangen ist, lud den Werkmeister R. zum Verfahren bei. In der mündlichen Verhandlung beantragte die Klägerin,

die Entscheidung des Versicherungsamts Ulm aufzuheben und festzustellen, daß der Beigeladene vom 1. September 1952 bis 31. Oktober 1954 nicht versicherungspflichtig in der Krankenkasse gewesen ist.

Die beklagte Kasse beantragte,

die Klage ab zuweisen.

Das SG wies die Klage als unbegründet ab. Es stellte außerdem fest, daß die Beschäftigung des Schlossermeisters R. bei der Klägerin bis zum 31. Oktober 1954 krankenversicherungspflichtig gewesen sei (Urteil vom 29. Juni 1955).

Gegen dieses Urteil legte die Klägerin Berufung ein und trug zur Begründung vor: Der Erlaß vom 8. August 1951 sei mit dem Gesetz nicht vereinbar. Der Beigeladene R. sei nach Beendigung der regelmäßigen Arbeitszeit nicht völlig frei, sondern müsse im gewissen Sinne für den Betrieb immer greifbar sein. Bei der für diese Bereitschaft gezahlten Pauschalvergütung handele es sich um einen festen Gehaltsteil, der für dauernd im Rahmen des Arbeitsvertrages als „Punktionszulage” gewährt werde.

Das Landessozialgericht (LSG) wies die Berufung zurück und ließ die Revision zu (Urteil vom 23. Mai 1958). Zur Begründung führte es aus: Das SG habe die Klage auf Feststellung, daß der Beigeladene vom 1. September 1952 bis 31. Oktober 1954 nicht versicherungspflichtig in der KV gewesen sei, mit Recht als unbegründet abgewiesen. Soweit das Urteil darüber hinaus festgestellt habe, daß „die Beschäftigung des Schlossermeisters R. bei der Klägerin bis zum 31. Oktober 1954 krankenversicherungspflichtig gewesen ist”, sei § 123 SGG verletzt, weil das Gericht nur über die vom Kläger erhobenen Ansprüche zu entscheiden habe. Für die dem Antrag der Klägerin entgegenstehende Feststellung wäre nur dann Raum gewesen, wenn die Beklagte zulässigerweise Widerklage erhoben hätte. Indessen sei der Mangel des sozialgerichtlichen Verfahrens nicht wesentlich, weil er die Grundlagen der Urteilsfällung nicht berühre; die vom SG getroffene Pest Stellung der Versicherungspflicht sei nur als Begründung für die Abweisung der auf die gegenteilige Feststellung gerichteten Klage anzusehen und beschwere die Klägerin nicht zusätzlich.

Nach § 165 Abs. 1 Nr. 2 RVO in der hier maßgebenden Fassung der Ersten Verordnung zur Vereinfachung des Leistungs- und Beitragsrechts in der Sozialversicherung vom 17. März 1945 (RGBl I. 41) – 1. VereinfVO – seien Angestellte für den Fall der Krankheit versichert, wenn ihr regelmäßiger JAV vom 1. September 1952 an 6.000,– DM nicht übersteige (§ 1 des Gesetzes über die Erhöhung der Einkommensgrenzen in der Sozialversicherung vom 13.8.1952 – EEG–; BGBl I 437). Der Beigeladene R. sei unstreitig Angestellter im Sinne des § 165 Abs. 1 Nr. 2 RVO; sein regelmäßiger JAV habe in der Zeit vom 1. September 1952 bis zum 31. Oktober 1954 auch nicht den Betrag von 6.000,– DM überstiegen, weil er monatlich nur 465,– DM, jährlich also 5.590,– DM (richtig: 5.560,– DM) an Gehalt bezogen habe. Der dem Beigeladenen neben dem Gehalt gewährte Pauschalbetrag von monatlich 45,– DM könne bei der Ermittlung des regelmäßigen JAV nicht berücksichtigt werden. Zwar seien zum JAV in der Regel alle Bezüge zu rechnen, die versicherungsrechtlich Entgelt seien. Der Reichsarbeitsminister (RAM) habe jedoch nach § 160 Abs. 1 Satz 2 RVO Näheres, auch Abweichendes bestimmen können. Durch § 19 der Zweiten Verordnung über die Vereinfachung des Lohnabzugs vom 24. April 1942 (RGBl I 252 – 2. LAV –) und den gemeinsamen Erlaß des RAM und des Reichsministers der Finanzen (RMdF) vom 10. September 1944 (AN 1944, 281) sei eine im wesentlichen gemeinsame Bemessungsgrundlage für Lohnsteuer und Beiträge zur Sozialversicherung geschaffen worden. Die dadurch eingeleitete Anpassung des Entgeltbegriffs an das Lohnsteuerrecht bedeute jedoch keine Bindung für den Begriff des JAV zum Zwecke der Begrenzung der Versicherungspflicht. Der RAM sei daher berechtigt gewesen, auf Grund der Ermächtigung in § 160 Abs. 1 Satz 2 RVO für die Berechnung des JAV auch vom beitragspflichtigen Entgelt Abweichendes zu bestimmen. Er habe davon Gebrauch gemacht und in seinem Erlaß vom 24. Oktober 1944 (AN 1944, 302) angeordnet, daß alle Vergütungen, die für eine über die regelmäßige Arbeitszeit von 48 Wochenstunden hinaus geleistete Mehrarbeit gewährt werden, für die JAV-Grenze nicht anzurechnen seien. Dieser Erlaß, auf den der BMA in seinem Bescheid vom 8. August 1951 (BABl 1951, 385) Bezug genommen habe, sei nicht nur eine ministerielle Verwaltungsanordnung, die die Auslegung des Gesetzes bezwecke, sondern eine auf rechtsgültiger Ermächtigungsgrundlage beruhende Rechtsverordnung, die eine das bisherige Recht ändernde materielle Regelung enthalte. Er sei auch heute noch geltendes Recht, da er weder ausdrücklich aufgehoben noch durch entgegenstehende Vorschriften ersetzt worden sei.

Der dem Beigeladenen R. gewährte Pauschalbetrag von monatlich 45,– DM sei eine Vergütung, die er für eine über die regelmäßige Arbeitszeit von 48 Wochenstunden hinaus geleistete Mehrarbeit erhalte. Das folge schon aus dem eigenen Vorbringen der Klägerin, wonach sie diese Vergütung zur Abgeltung regelmäßiger Mehrleistungen nach Beendigung der regulären Arbeitszeit gewähre. Dafür sprächen aber auch eindeutig die glaubhaften Angaben des Beigeladenen R., der vor dem Württembergischen OVA erklärt habe, er erhalte diese Sondervergütung zum Ausgleich für seinen Bereitschaftsdienst und für die Mehrarbeit, die außerhalb der normalen Arbeitszeit liege. Unter diesen Umständen könne die monatliche Vergütung von 45,– DM nicht als Bestanteil des Gehalts angesehen werden, sie sei vielmehr ein echter Mehrarbeitszuschlag, der dem Beigeladenen ausschließlich deshalb gewährt werde, weil er sich über die normale Arbeitszeit hinaus dem Arbeitgeber bei Bedarf zur Verfügung stellen müsse. – Der Erlaß vom 24. Oktober 1944 finde schon nach seinem klaren Wortlaut nicht nur auf solche Bezüge Anwendung, die unregelmäßig für Überstunden gewährt würden, sondern auch auf Pauschalbeträge, die ein Gehaltsempfänger regelmäßig für die Mehrarbeit erhalte. Dazu gehörten auch die festen Pauschbeträge, die als Abgeltung für Mehrarbeit regelmäßig zum Arbeitsentgelt gezahlt würden. Diese Auslegung werde noch dadurch bestätigt, daß in dem Erlaß vom 24. Oktober 1944 u. a. der Abschnitt II des früheren Erlasses des RAM vom 6. Januar 1943 (AN 1943, 6) ausdrücklich aufgehoben worden sei.

Mit der Revision beantragt die Klägerin,

unter Aufhebung des Urteils des LSG vom 23. Mai 1958 und unter Abänderung des Urteils des SG Ulm vom 29. Juni 1955 festzustellen, daß das Beschäftigungsverhältnis des Schlossermeisters Renz bei der Klägerin vom 1. September 1952 bis 31. Oktober 1954 nicht versicherungspflichtig gewesen ist.

Zur Begründung der Revision trägt sie vor: Die Zulage, die der Beigeladene R. erhalte, sei eine „Funktionszulage”. Die Tätigkeit des Beigeladenen könne nur im Rahmen des mittleren Betriebs gesehen werden, der sich keine drei Maschinenmeister für jede Schicht leisten könne. Es genüge in einem solchen Betrieb, wenn ein Meister unmittelbar beim Betrieb wohne, um jederzeit eingreifen zu können. Dieser Meister habe gewisse Sonderfunktionen, weil er gegebenenfalls nichts herausgerufen werde; er werde auch bei Störungen jeweils hinzugezogen, um Unregelmäßigkeiten oder kleinere Schäden als Fachmann zu beseitigen. Es handele sich bei dieser Funktion nicht um Mehrarbeit im eigentlichen Sinne, sondern um eine besondere Tätigkeit, die zusätzlich von der Klägerin honoriert worden sei und noch heute honoriert werde. Es sei von vornherein klargestellt, daß der Beigeladene diese besondere Funktion immer ausübe und seinen Zuschlag ohne Rücksicht darauf erhalte, ob im einzelnen Jahr seine Sonderbeanspruchung größer oder kleiner gewesen sei. Aus dem Erlaß vom 24. Oktober 1944 sei nicht zu ersehen, daß der RAM auf Grund der Delegation in § 160 Abs. 1 Satz 2 RVO von der Regelung des Gesetzes Abweichendes habe bestimmen wollen. Der gemeinsame Erlaß vom 10. September 1944 habe bezweckt, auf der Grundlage des § 160 Abs. 1 Satz 1 RVO einen gemeinsamen Entgeltbegriff für die Lohnsteuer und für die Beiträge zur Sozialversicherung zu schaffen. Es sei daher unwahrscheinlich, daß der RAM durch den Erlaß vom 24. Oktober 1944, also sechs Wochen nach dem gemeinsamen Erlaß, diesen einseitig habe aufheben wollen. Nach richtiger Auffassung handele es sich bei dem Erlaß des RAM vom 24. Oktober 1944 um eine ministerielle Verwaltungsanordnung. Gehe man jedoch davon aus, daß der RAM neues materielles Recht gesetzt habe, das vom Gesetz abweiche, so sei darin eine Besonderheit des nationalsozialistischen Systems zu erblicken, die heute keine Geltung mehr verdiene.

Die beklagte Kasse beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und weist darauf hin, daß die von der Klägerin als „Funktionszulage” bezeichnete Vergütung eine Abfindung des Beigeladenen dafür darstelle, daß er über die normale Arbeitszeit von 46 Stunden hinaus dem Betrieb der Klägerin zur Verfügung stehen müsse bzw. gestanden habe. Durch diese Vergütung solle nicht nur die tatsächlich in Form von Überstunden abgeleistete Arbeit, sondern die ständige Arbeitsbereitschaft des Beigeladenen abgegolten werden. Es handele sich deshalb um eine echte Mehrarbeitsvergütung im Sinne des Abs. 2 des Erlasses des RAM vom 24. Oktober 1944. Der Erlaß stehe auch nicht inWiderspruch zu dem gemeinsamen Erlaß vom 10. September 1944, er ergänze diesen vielmehr und setze für das Gebiet der Sozialversicherung neues Hecht, was besonders im Hinblick auf den Erlaß vom 6. Januar 1943 notwendig gewesen sei.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist nicht begründet.

Das LSG ist zutreffend davon ausgegangen, daß der von der Klägerin nach § 405 RVO beim Versicherungsamt eingeleitete Streit darüber, ob die dem Beigeladenen R. gewährte Pauschalvergütung von 45,– DM monatlich bei der Ermittlung des regelmäßigen JAV im Sinne des § 165 Abs. 1 Nr. 2 RVO in Ansatz zu bringen sei, nach Inkrafttreten des SGG auf das SG übergegangen ist und daß nunmehr über eine Feststellungsklage im Sinne des § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG zu entscheiden ist. Das LSG hat auch zu Recht die Arbeitgeberin des Beigeladenen, die das Verfahren beim Versicherungsamt beantragt hatte, als Klägerin angesehen (BSG 3, 30, 34 ff).

Der bei der Klägerin als Werkmeister beschäftigte Beigeladene gehört unstreitig zu den Angestellten (§ 165 b Abs. 1 Nr. 2 RVO i.V.m. § 1 Abs. 1 Nr. 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes –AVG–, beide idF der 1. VereinfVO – RGBl I, 41 –). Während Arbeiter unabhängig von der Höhe ihres Verdienstes versicherungspflichtig in der KV sind (§ 165 Abs. 1 Nr. 1 RVO), besteht Versicherungspflicht der Angestellten in diesem Versicherungszweig nur dann, wenn ihr regelmäßiger JAV eine bestimmte Höhe nicht übersteigt (§ 165 Abs. 1 Nr. 2 RVO). Die Versicherungspflichtgrenze betrug nach § 9 des Sozialversicherungs-Anpassungsgesetzes vom 17. Juni 1949 (SGBl S. 99) 4.500,– DM. Diese Grenze wurde durch § 1 des Gesetzes über die Erhöhung der Einkommensgrenzen in der Sozialversicherung und der Arbeitslosenversicherung vom 13. August 1952 – EGEG– (BGBl 1952 I 437) mit Wirkung vom 1. September 1952 auf 6.000,– DM erhöht. Wäre der Pauschalbetrag von 45,– DM monatlich, den der Beigeladene regelmäßig neben seinem Monatsgehalt von 465,– DM in der hier streitigen Zeit vom 1. September 1952 bis zum 31. Oktober 1954 bezogen hat, bei der Ermittlung des JAV zu berücksichtigen, so wäre er in dieser Zeit nicht krankenversicherungspflichtig gewesen. Das LSG hat aber mit Hecht angenommen, daß dieser Pauschalbetrag bei der Berechnung des JAV nicht in Ansatz zu bringen ist.

Nach Abs. 2 des Erlasses des RAM vom 24. Oktober 1944 (AN 1944, 302) sind alle Vergütungen, die für eine über die regelmäßige Arbeitszeit von 48 Wochenstunden hinaus geleistete Mehrarbeit gewährt werden, „für die JAV-Grenze nicht anzurechnen”. Gegen die Rechtswirksamkeit dieses Erlasses, der auf § 9 Satz 2 der Verordnung zur Sicherstellung des Kräftebedarfs für Aufgaben von besonderer staatspolitischer Bedeutung vom 13. Februar 1939 (RGBl I 206) – VO 1939 – und auf § 160 Abs. 1 Satz 2 RVO gestützt ist, bestehen keine Bedenken. Es kann dahinstehen, ob die in den Jahren 1933 bis 1945 erlassenen Rechtsnormen – soweit sie nicht offenbares Unrecht anordnen – schon dann als gültig anzusehen sind, wenn sie nach den rechtlichen Grundsätzen der damaligen Zeit in förmlicher Hinsicht ordnungsgemäß erlassen, von den Mitgliedern der Rechtsgemeinschaft hingenommen und jahrelang beachtet worden sind. Selbst wenn man für die damals erlassenen Rechtsverordnungen – als solche ist der Erlaß vom 24. Oktober 1944 anzusehen – daran festhält, daß sie von einer gesetzlichen Ermächtigung getragen sein müssen, so kann die Frage, ob eine hinreichende Ermächtigung vorlag, jedenfalls nur von dem bei Erlaß der Rechtsverordnung geltenden Rechtsstandpunkt aus beantwortet werden (vgl. BSG 12, 157 ff mit weiteren Nachweisen).

Die in Abs. 2 des Erlasses vom 24. Oktober 1944 getroffene Regelung wird allerdings nicht durch § 160 Abs. 1 Satz 2 RVO gedeckt, denn diese Vorschrift ermächtigte den RAM nur, nähere, auch abweichende Bestimmungen darüber zu treffen, weiche Bezüge zum Entgelt im Sinne der Sozialversicherung gehören. Wohl aber hat Abs. 2 des Erlasses eine ausreichende Rechtsgrundlage in der Ermächtigung des § 9 Satz 2 der oben genannten VO 1939. Nach dieser Bestimmung konnte der RAM „alle Maßnahmen treffen, die auf dem Gebiete des Arbeitsrechts, des Arbeitsschutzes und der Reichsversicherung notwendig sind, um diese Verordnung durchzuführen”. Die VO 1939 sollte, um „unaufschiebbare Aufgaben von besonderer staatspolitischer Bedeutung” nicht durch Mangel an Arbeitskräften zu gefährden, nach ihrer rechtspolitischen Zielsetzung die Möglichkeit schaffen, „Bewohner des Reichsgebiets zu Leistungen heranzuziehen und die Bindungen an den Arbeitsplatz fester zu gestalten”. Aus dieser Zielsetzung und dem untrennbaren inneren Zusammenhang, der zwischen Satz 2 und Satz 1 des § 9 der VO 1939 besteht, ist ferner zu schließen, daß der RAM in der denkbar weitestgehenden Form ermächtigt war, Rechts- und Verwaltungsvorschriften zu erlassen, die in irgendeinem Zusammenhang zu dem Zweck der VO standen (BSG 12, 157 ff). Ein solcher Zusammenhang ist bei der durch Abs. 2 des Erlasses vom 24. Oktober 1944 getroffenen Regelung gegeben. Sie will das Verwaltungsverfahren vereinfachen und zugleich verhindern, daß Bezüge, die oft in ihrer Höhe schwanken und die von der jeweiligen Beschäftigungslage des Betriebs abhängen, sich auf die versicherungsrechtliche Stellung des Arbeitnehmers ungünstig auswirken. Damit sollte auch der mit der VO 1939 erstrebte totale Arbeitseinsatz gefördert werden. Diese Beziehung genügte nach der Staatsrechtspraxis des „Dritten Reiches”, um die in Abs. 2 des Erlasses vom 24. Oktober 1944 getroffene Regelung als durch die Ermächtigungsnorm gedeckt anzusehen. Diese Bestimmung ist auch durch Bekanntmachung im Reichsarbeitsblatt wirksam verkündet worden (vgl. BSG 12, 160 mit weiteren Nachweisen). Sie ist später nicht außer Kraft getreten. Weder die Beendigung des Kriegszustandes noch der Zusammenbruch des nationalsozialistischen Regimes bewirkten, daß der Erlaß mit der Änderung der Verhältnisse von selbst, d. h. ohne Aufhebungsakt des Gesetzgebers, außer Kraft getreten wäre (vgl. BSG 4, 200, 204; 9, 112, 118; 12, 157, 160). Der Erlaß hat schließlich auch mit dem Wegfall der Ermächtigungsgrundlage – § 9 der VO 1939 ist spätestens durch Art. 129 Abs. 3 des Grundgesetzes beseitigt worden – nicht seine Geltung verloren. Eine solche Abhängigkeit besteht allenfalls für Bestimmungen, die nur zur Ergänzung oder Durchführung anderer Vorschriften erlassen sind, nicht aber für Normen, die – wie der Erlaß vom 24. Oktober 1944 – eine eigenständige gesetzesvertretende Regelung darstellen. Die Auffassung der Revision, der gemeinsame Erlaß des RMdF und des RAM vom 10. September 1944 (AN 1944, 281), nach dem die Beiträge zur Sozialversicherung grundsätzlich von dem Betrag zu berechnen sind, der für die Berechnung der Lohnsteuer maßgebend ist, stehe der im Abs. 2 des Erlasses vom 24. Oktober 1944 getroffenen Regelung über die Nichtberücksichtigung der Mehrarbeitsvergütung bei der Ermittlung des JAV entgegen, ist rechtsirrig, denn die Frage, ob und in welchem Umfang die Vergütung für Mehrarbeit lohnsteuerpflichtig und damit grundsätzlich als beitragspflichtiges Entgelt im Sinne des § 160 RVO anzusehen ist, wird durch die in Abs. 2 des Erlasses vom 24. Oktober 1944 getroffene Regelung nicht berührt.

Der – ebenfalls auf Grund des § 9 Satz 2 der VO 1939 ergangene – Erlaß des RAM vom 6. Januar 1943 (AN 1943, 6) hatte unter Aufhebung früherer erlasse in Abschnitt II bestimmt, daß Überstundenvergütungen für die JAV-Grenze in der Kranken- und in der Angestelltenversicherung nicht angerechnet werden. Davon ausgenommen waren jedoch tarifliche Überstundenvergütungen im privaten Versicherungs- und Bankgewerbe und Vergütungen für Überstunden, die auf einer Tarif-, Betriebs- oder Dienstordnung oder einer Anordnung des Betriebsführers beruhten, wenn die Überstunden regelmäßig und fortgesetzt für längere Zeit in gleichmäßiger Zahl geleistet wurden und damit zu einer gleichmäßigen und dauernden Erhöhung der Arbeitszeit und des Arbeitsentgelts führten (Abschn. II Abs. 2 und 3 des Erlasses vom 6.1.1943). Wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, sind aber die Abschnitte I und II des Erlasses vom 6. Januar 1943 durch den Erlaß des RAM vom 24. Oktober 1944 aufgehoben und – soweit es sich um die Berechnung der JAV-Grenze handelt – durch die Bestimmung ersetzt worden, daß „alle Vergütungen, die für eine über die regelmäßige Arbeitszeit von 48 Wochenstunden hinaus geleistete Mehrarbeit gewährt werden für die JAV-Grenze nicht anzurechnen sind. Diese Regelung hatte – wie bereits dargelegt – neben dem Vereinfachungszweck offenbar zum Ziele, Arbeitnehmern, die allein durch Überstundenleistung einen über die JAV-Grenze hinausgehenden Verdienst erzielten, weiterhin den Versicherungsschutz zukommen zu lassen. Ob diese Zweckbestimmung noch heute berechtigt ist, bedarf keiner Prüfung, denn es unterliegt grundsätzlich der Entscheidung des Gesetzgebers, ob eine wirksam erlassene Rechtsverordnung weiterhin als zweckmäßig anzusehen oder aufzuheben ist. Die Meinung der Revision, die in Abs. 2 des Erlasses vom 24. Oktober 1944 getroffene Regelung sei als „Besonderheit des nationalsozialistischen Systems” anzusehen und verdiene heute keine Geltung mehr, weil sie eine Eigenmächtigkeit im Sinne des „Führerprinzips” darstelle, geht fehl. Zwar trifft es zu, daß Rechtssätze nationalsozialistischen Ideengehalts keine Geltung mehr haben; aus den obigen Ausführungen ergibt sich aber, daß die hier in Betracht kommende Regelung dazu bestimmt war, neben dem Vereinfachungszweck dem Schutz der Mehrarbeit leistenden Arbeitnehmer zu dienen, also kein nationalsozialistisches Gedankengut darstellt.

Die Revision rügt ferner zu Unrecht, daß der dem Beigeladenen neben seinem Gehalt regelmäßig gewährte Pauschalbetrag keine Vergütung „für Mehrarbeit im eigentlichen Sinne” darstelle. Nach den von der Revision nicht angegriffenen tatsächlichen Feststellungen des LSG erhält der Beigeladene den Pauschalbetrag von 45,– DM monatlich für die Tätigkeit, die er im Dienste der Klägerin über die regelmäßige Arbeitszeit von 46 Wochenstunden hinaus leistet. Es handelt sich um echten Mehrarbeitsverdienst, der dem Beigeladenen ausschließlich deshalb gewährt wird, weil er dazu bestimmt ist, die außerhalb der normalen Arbeitszeit von 48 Wochenstunden geleistete Arbeit und die darüber hinaus bestehende Arbeitsbereitschaft des Beigeladenen auszugleichen. Dieser Beurteilung steht, wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 26. Januar 1956 (BAG 2, 277 = BB 1956, 209) nicht entgegen; dieses befaßt sich allein mit der Frage der Zulässigkeit einer Pauschalvergütung für eine über die Grenzen der gesetzlichen Arbeitszeit hinaus geleistete Mehrarbeit (§ 15 Arbeitszeitordnung) und berührt die hier zu entscheidende Frage, welche Bedeutung, der Pauschalvergütung auf dem Gebiet der Sozialversicherung zukommt, nicht.

Der Erlaß des RAM vom 24. Oktober 1944 macht im Gegensatz zu der in Abschnitt II des Erlasses vom 6. Januar 1943 getroffenen Regelung keinen Unterschied zwischen schwankendem Mehrarbeitsverdienst und einer regelmäßig und fortlaufend für längere Zeit in gleicher Höhe gewährten Mehrarbeitsvergütung. Er umfaßt vielmehr – unter ausdrücklicher Aufhebung des Abschnitts II des Erlasses vom 6. Januar 1943 – alle Vergütungen, die für eine über die regelmäßige Arbeitszeit von 48 Wochenstunden hinaus geleistete Mehrarbeit gewährt werden. Das Berufungsgericht hat daher mit Recht angenommen, daß die dem Beigeladenen gewährte Mehrarbeitspauschale von 45,– DM monatlich bei Feststellung des regelmäßigen JAV des Beigeladenen nicht zu berücksichtigen ist (im Ergebnis ebenso BMA in den Bescheiden vom 8.8.1951 – BABl S. 385 – und vom 3.10.1957 – DOK S. 498 = BKK Sp. 509; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Stand August 1962, S. 312 x; Bedenken dagegen bei Peters in Handbuch der Krankenversicherung, Stand August 1962, § 165 RVO, Anm. 6 c, allerdings unter Hinweis auf die GE Nr. 5527 des RVA vom 21.4.1943 – AN S. 235 –, die sich aber auf den – außer Kraft gesetzten – Abschn. II Abs. 3 des Erlasses vom 6.1.1943 bezieht; vgl. auch Erlaß des Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung vom 4.11.1957 in ANBA S. 563 entgegen seinem früheren Erlaß vom 24.2.1956 in ANBA S. 134).

Die Revision ist daher als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Unterschriften

Richter, Dr. Langkeit, Dr. Schraft

 

Fundstellen

BSGE, 65

NJW 1963, 682

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