Leitsatz (amtlich)
1. Nach dem G 131 sind die Beamten zur Wiederverwendung bei einer Beschäftigung im öffentlichen Dienst als Angestellte auch ohne eine ausdrückliche Gewährleistungsentscheidung in der Angestelltenversicherung versicherungsfrei.
2. Der Versicherungsträger hat einen Rechtsstellungsbescheid der zuständigen Verwaltungsbehörde, in dem die Eigenschaft eines Angestellten als Beamter zur Wiederverwendung iS des G131 festgestellt wird, hinzunehmen und kein Recht zur Nachprüfung dieser Feststellung.
3. Galt ein Angestellter des öffentlichen Dienstes aufgrund eines erschlichenen Rechtsstellungsbescheides nach dem G131 in der Angestelltenversicherung als versicherungsfrei, dann wandelt die Rücknahme des Rechtsstellungsbescheides die Versicherungsfreiheit nicht rückwirkend in eine Versicherungspflicht um. Nach dem Ausscheiden aus der Beschäftigung ist der Angestellte, wenn auch die übrigen Voraussetzungen der Nachversicherung gegeben sind, daher in der Angestelltenversicherung nachzuversichern.
Normenkette
AVG § 6 Abs. 1 Nr. 3 Fassung: 1957-02-23, § 9 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1229 Abs. 1 Nr. 3 Fassung: 1957-02-23, § 1232 Fassung: 1957-02-23, § 169 Fassung: 1945-03-17; AVG § 6 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1229 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23; AnVNG Art. 2 § 4 Fassung: 1957-02-23; ArVNG Art. 2 § 3 Fassung: 1957-02-23; G131 § 73
Tenor
Auf die Revision der Beklagten werden das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 8. Januar 1963 und das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 13. Mai 1960 aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Die Beklagte (Bundesversicherungsanstalt für Angestellte) begehrt von der Klägerin (Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung), daß sie den Beigeladenen B (B.) in der Angestelltenversicherung (AnV) für die Zeit vom 21. Juni 1953 bis 12. März 1957 nachversichert. In dieser Zeit war B. bei der Klägerin als Angestellter tätig, galt aber als versicherungsfrei. B. hatte nämlich vorgetäuscht, früher Beamter der Reichsarbeitsverwaltung gewesen zu sein; nur deshalb hatten das Landesarbeitsamt Nordrhein-Westfalen in dem Rechtsstellungsbescheid vom 22. September 1952 und das Landesarbeitsamt B in dem später an die Stelle dieses Bescheides getretenen neuen Rechtsstellungsbescheid vom 2. Mai 1956 festgestellt, daß B. nach § 5 Abs. 2 des Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Art. 131 des Grundgesetzes fallenden Personen (G 131) mit Ablauf des 8. Mai 1945 als Beamter zur Wiederverwendung ( BzWv ) gelte. Nach Entdeckung der Täuschung wurde B. am 12. März 1957 fristlos entlassen und der Rechtsstellungsbescheid aufgehoben, ohne daß B. ein Rechtsmittel hiergegen einlegte.
Da die Klägerin den Beigeladenen B. darauf von Anfang an für versicherungspflichtig hielt, entrichtete sie an die gleichfalls beigeladene Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 2.314,04 DM für die Beschäftigungszeit ab 1. Dezember 1954 nach, ließ sich die Hälfte von B. erstatten und berief sich für die vorhergehende Zeit auf die Verjährung der Beitragsschuld.
Mit Bescheid vom 9. April 1959 und Widerspruchsbescheid vom 24. Juni 1959 bestand die Beklagte auf der Entrichtung von Nachversicherungsbeiträgen zur AnV für die gesamte Beschäftigungszeit (14 % des Entgelts = 2.622,45 DM) abzüglich eines Betrages von 1.295,16 DM, den sie inzwischen als Beitragsanteil der AnV (11 % des Entgelts) von der AOK erhalten hatte.
Auf die Klage der Klägerin hob das Sozialgericht (SG) Nürnberg beide Bescheide auf. Die Berufung der Beklagten wies das Bayerische Landessozialgericht (LSG) zurück. Es teilte die Ansicht der Klägerin, daß B. nicht versicherungsfrei, sondern versicherungspflichtig gewesen sei. Der Rechtsstellungsbescheid habe nur deklatorische Bedeutung gehabt, eine nach dem Gesetz fehlende Versicherungsfreiheit habe er nicht begründen können. Zu dem Fall der nichtigen Beamtenernennung - der nach herrschender Ansicht zur Nachversicherung führe - lasse sich keine Parallele ziehen, weil hier (nur) die Rechtslage falsch beurteilt worden sei.
Mit der zugelassenen Revision beantragte die Beklagte,
die Urteile des SG und des LSG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Sie rügte eine Verletzung der §§ 6 Abs. 2, 9 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG). Nach ihrer Meinung hat der Rechtsstellungsbescheid konstitutiv gewirkt, weswegen sich seine Folgen nur durch eine Nachversicherung ausgleichen ließen.
Die Klägerin beantragte die Zurückweisung der Revision.
Der Beigeladene B. ließ sich im Revisionsverfahren nicht vertreten.
Die beigeladene AOK stellte keine Anträge.
II
Die Revision der Beklagten ist zulässig (§§ 162 Abs. 1 Nr. 1, 164 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) und begründet.
Der - ohne Versorgung aus dem Dienst der Klägerin ausgeschiedene - Beigeladene B. ist nach § 9 AVG in Verbindung mit Art. 2 § 4 und Art. 3 § 7 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) für die gesamte Beschäftigungszeit in der AnV nachzuversichern, wenn er ab 1. März 1957 nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 AVG und in der vorhergehenden Zeit nach § 169 der Reichsversicherungsordnung (RVO) in Verbindung mit § 1 AVG - beide in der Fassung der Vereinfachungsverordnung vom 17. März 1945 - in der AnV versicherungsfrei gewesen ist (sonstige Vorschriften über die Versicherungsfreiheit scheiden aus). Entgegen der Ansicht des LSG war dies der Fall.
Sowohl § 6 Abs. 1 Nr. 3 AVG als auch § 169 RVO gewähren den Beamten und sonstigen Beschäftigten der Klägerin Versicherungsfreiheit, wenn ihnen "Anwartschaft auf Ruhegehalt und Hinterbliebenenversorgung" (§ 169 RVO) bzw. "Anwartschaft auf lebenslängliche Versorgung und Hinterbliebenenversorgung nach beamtenrechtlichen Vorschriften oder Grundsätzen" (§ 6 AVG) gewährleistet ist. Über die Gewährleistung der Versorgungsanwartschaft entscheiden nicht die Versicherungsträger, sondern die in Abs. 2 der beiden Vorschriften bestimmten Verwaltungsbehörden. Sie haben am 22. Januar 1958 eine Entscheidung getroffen, die auch für die im Dienste der Klägerin beschäftigten BzWv gilt (GemMinBl. 1958 S. 74). Ob und inwieweit die Entscheidung allerdings frühere Beschäftigungen insbesondere solche vor März 1957, miterfaßt, ergibt sich aus ihr nicht, diese Frage kann jedoch ebenso dahingestellt bleiben wie die weitere, vom LSG nicht geklärte Frage, ob schon eine frühere Entscheidung für diesen Personenkreis die Gewährleistung der Versorgungsanwartschaft festgestellt hatte. Nach dem G 131 sind nämlich die BzWv bei einer Beschäftigung im öffentlichen Dienst seit dem Inkrafttreten dieses Gesetzes (April 1951) auch ohne eine ausdrückliche Gewährleistungsentscheidung versicherungsfrei.
Das ergibt sich aus der Vorschrift des § 73 G 131, in der die Versicherungsfreiheit der BzWv und ihre Befugnisse zur Beitragsrückforderung für die Zeit ab April 1951 geregelt sind. Die Vorschrift unterscheidet zwischen Beschäftigungen außerhalb oder innerhalb des öffentlichen Dienstes; den ersten Fall regelt Abs. 1, den zweiten Fall Abs. 4. Die außerhalb des öffentlichen Dienstes beschäftigten BzWv werden auf Antrag von der Versicherungspflicht befreit. Der Antrag wirkt, wenn er bis September 1958 gestellt wird, auf April 1951 bzw. auf den Beschäftigungsbeginn zurück; die gleiche Rückwirkung tritt ein, wenn die Rechtsstellung als BzWv erst nach dem September 1957 festgestellt und der Antrag innerhalb eines Jahres nach dem Feststellungsmonat nachgeholt wird. Je nach dem Umfang der Versicherungsfreiheit kann der BzWv alsdann die entrichteten Versicherungsbeiträge zurückfordern. Diese Regelung findet nach Abs. 4 auf die Rückforderung der Beiträge entsprechende Anwendung, wenn ein BzWv nach dem Inkrafttreten des Gesetzes im öffentlichen Dienst als Angestellter oder Arbeiter tätig ist und seine Rechtsstellung als BzWv erst nachträglich festgestellt wird.
Aus dem Vergleich des Abs. 1 mit dem Abs. 4 (der zwar erst durch das zweite Änderungsgesetz vom 11. September 1957 seine jetzige Fassung erhalten, aber eine bereits bestehende Praxis legalisiert hat) folgt, daß der Gesetzgeber die im öffentlichen Dienst beschäftigten BzWv ab April 1951 ohne weiteres, d. h. auch ohne besondere Gewährleistungsentscheidung, für versicherungsfrei hält (BSG 10, 103; 106; 21, 252, 254 mit weiteren Nachweisen; Erlasse des BAM vom 12. und 29. Oktober 1951, BArbBl. 1951 S. 535 und 550 und vom 25. Oktober 1961, Die Beiträge, 1962 S. 12; Odendahl, BKK 1958, 258, 263; Koch/Hartmann, 2. Aufl., Anm. 6 d zu § 11 AVG aF; Hanow-Lehmann-Bogs, 5. Aufl., Randnr. 19 zu § 1229 RVO). Insoweit hat das G 131 die §§ 169 RVO, 6 AVG modifiziert, weil es selbst schon den BzWv die Versorgungsanwartschaft verbürgt (§ 29) und weil es ihre Beschäftigung als Angestellte oder Arbeiter im öffentlichen Dienst dabei als ruhegehaltsfähig berücksichtigt (§ 35 Abs. 3).
Sonach hat hier Versicherungsfreiheit von B. bestanden, wenn er BzWv gewesen ist. Der Rechtsstellungsbescheid der Klägerin hat diese Eigenschaft zwar nicht begründen, sondern allein feststellen können; es trifft auch zu, daß die in diesem Verwaltungsakt getroffene Feststellung falsch gewesen ist. Das schließt aber nicht aus, daß der Rechtsstellungsbescheid dennoch die Versicherungsfreiheit von B. bewirkt hat. Auch ein feststellender Verwaltungsakt bindet die Stelle, die ihn erläßt, und den Adressaten, den die darin enthaltene Regelung betrifft. Darüber hinaus hat hier der Versicherungsträger (die Beklagte) ebenfalls den Inhalt des Rechtsstellungsbescheides hinnehmen müssen; er hat nicht selbst prüfen dürfen, ob B. die Eigenschaft als BzWv zukommt. Das ergibt sich schon aus der Bedeutung, die § 73 G 131 in den Abs. 1 und 4 der Feststellung einer Rechtsstellung als BzWv durch die Verwaltungsbehörden beimißt; zudem entspricht diese Bewertung des Rechtsstellungsbescheides dem allgemeinen Prinzip, die "dienstrechtlichen Vorfragen" einer Versicherungsfreiheit möglichst durch die zuständigen Verwaltungsbehörden entscheiden zu lassen, um eine sachgemäße und einheitliche Beurteilung dieser Fragen sowohl im dienstrechtlichen als auch im versicherungsrechtlichen Bereich sicherzustellen (BSG 11, 63, 65 f; 21 aaO; SozR, G über SozVers der NSDAP vom 4. März 1943, Nr. 2; Hanow/Lehmann/Bogs, Randnr. 5 zu § 1232 RVO). Aus den gleichen Gründen ist der Rechtsstellungsbescheid im sozialgerichtlichen Verfahren nicht auf seine Richtigkeit hin nachzuprüfen, weil auch die Sozialgerichte an die von den Verwaltungsbehörden getroffenen dienstrechtlichen "Entscheidungen" jedenfalls dann gebunden sind, wenn diese - wie hier - in der Form eines selbständig anfechtbaren Verwaltungsakts ergangen sind. Daß der Rechtsstellungsbescheid von B. erschlichen worden ist, ist in diesem Zusammenhang ohne Bedeutung; der Bescheid ist im Hinblick hierauf zwar rücknehmbar, aber nicht nichtig und somit jedenfalls wirksam gewesen.
Demnach bleibt nur zu fragen, ob die spätere Aufhebung des Rechtsstellungsbescheides, die als Rücknahme zu verstehen ist, die Versicherungsfreiheit rückwirkend beseitigt hat. Das ist zu verneinen, weil diese Folgerung dem sozialversicherungsrechtlichen Grundsatz widerspricht, daß in der Vergangenheit liegende versicherungsrechtliche Verhältnisse nicht nachträglich mit Rückwirkung geändert werden können (BSG 20, 145, 147; SozR Nr. 16 zu § 160 RVO; RVA in AN 1915, 775; 1935, 254; 1936, 274; 1943, 186; Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Anm. 13 zu § 169 RVO; Hanow-Lehmann-Bogs, Randnr. 17 zu § 1229, Randnr. 5 zu § 1232 RVO). Dieser Grundsatz gilt auch dann, wenn der Beurteilung eines Versicherungsverhältnisses - wie hier - ein Verwaltungsakt zugrunde lag, der zwar fehlerhaft, aber nicht nichtig gewesen ist; es kommt dabei nicht darauf an, ob der Verwaltungsakt aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen fehlerhaft gewesen ist. Es braucht hier nicht entschieden zu werden, wie die Rechtslage ist, wenn der zugrunde gelegte Verwaltungsakt - wie im Fall der nichtigen Beamtenernennung (vgl. dazu Ankenbrank, "Die Sozialgerichtsbarkeit" 1958, 300) - von Anfang an unwirksam ist. Im vorliegenden Falle ist jedenfalls anzunehmen, daß die Aufhebung des Rechtsstellungsbescheides die Versicherungsfreiheit des B. nicht wieder rückwirkend beseitigt hat. Dagegen läßt sich nicht einwenden, daraus, daß § 6 Abs. 2 AVG den Verwaltungsbehörden die Entscheidung darüber überlasse, "ab wann" eine Versorgungsanwartschaft gewährleistet sei, ergebe sich, daß der Gesetzgeber selbst mit der Möglichkeit einer rückwirkenden Änderung der Versicherungsverhältnisse rechne. Aus § 6 Abs. 2 AVG ist nur zu schließen, daß die Möglichkeit einer rückwirkenden Beseitigung der Versicherungspflicht nicht ausgeschlossen ist, wenn die vergangene Zeit versorgungsrechtlich voll berücksichtigt wird. Das ist auch sinnvoll; hier würde dagegen ein Teil der Beschäftigungszeit des B. (vor Dezember 1954) bei seiner Alters- und Hinterbliebenensicherung weder beamtenrechtlich noch sozialversicherungsrechtlich "honoriert" werden, obwohl eine Bestrafung für vergangenes Tun dem Sozialversicherungsrecht bei der Begründung von Versicherungsfreiheit oder Versicherungspflicht wie auch in Fragen der Nachversicherung grundsätzlich fremd ist (vgl. EuM 37, 127, 129); es besteht deshalb kein Grund, das allgemeine Rückwirkungsverbot im vorliegenden Fall zu durchbrechen.
Da B. ohne die Versicherungsfreiheit versicherungspflichtig gewesen wäre, liegen nach alledem die gesetzlichen Voraussetzungen für die von der Beklagten geforderte Nachversicherung für die gesamte Beschäftigungszeit von B. vor. Das auf einer anderen Rechtsauffassung beruhende Urteil des LSG ist darum aufzuheben. Der Senat kann in der Sache entscheiden. Er muß das Urteil erster Instanz ebenfalls aufheben und die Klage abweisen.
In dem angefochtenen Bescheid hat die Beklagte die Klägerin noch gebeten ("bitten wir"), den von B. der Klägerin erstatteten Betrag von 1.157,02 DM an ihn zurückzuzahlen, weil dem Arbeitgeber bei einer Nachversicherung das Abzugsrecht nach § 119 AVG nicht zustehe. Insoweit hat die Beklagte jedoch keinen Verwaltungsakt erlassen; ihre "Bitte" ist daher für die Klägerin nicht verbindlich. Im übrigen ist dabei auch zu bedenken, daß die Klägerin möglicherweise von dem Beigeladenen B. Schadensersatz nach bürgerlich-rechtlichen Vorschriften (Verschulden bei Vertragsschluß, unerlaubte Handlung) beanspruchen kann.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen