Leitsatz (amtlich)
Im Rahmen der Wanderversicherung erledigt das angenommene Anerkenntnis den Rechtsstreit in der Hauptsache auch dann, wenn ein zur Feststellung nicht zuständiger Versicherungsträger den geltend gemachten Anspruch anerkannt hat.
Leitsatz (redaktionell)
1. Für das Anerkenntnis ist eine besondere Form nicht vorgeschrieben; es kann auch schriftsätzlich erfolgen.
2. Ein Anerkenntnis ist insoweit zulässig, wie die Beteiligten über den Gegenstand der Klage verfügen können.
3. Die Erklärung der Beteiligten, an dem angenommenen Anerkenntnis nicht festzuhalten, ist unbeachtlich.
4. Der Erlaß eines Anerkenntnisurteiles ist dem sozialgerichtlichen Verfahren fremd.
Normenkette
SGG § 101 Abs. 2 Fassung: 1953-09-03, Abs. 1 Fassung: 1953-09-03; RVO § 1311 Abs. 1 Fassung: 1957-07-27; SGG § 202 Fassung: 1953-09-03; ZPO § 303
Tenor
Das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 19. November 1965 wird insoweit aufgehoben, als die beigeladene Landesversicherungsanstalt Berlin verurteilt worden ist, dem Kläger Rente wegen Erwerbsunfähigkeit für die Zeit vom 1. Juli 1959 bis 31. Mai 1965 zu gewähren und ihm die Kosten des Verfahrens zu erstatten. Soweit der Kläger Rente für diese Zeit begehrt, ist der Rechtsstreit durch Anerkenntnis der Beklagten in der Hauptsache erledigt.
Die außergerichtlichen Kosten des Klägers trägt die Beklagte.
Gründe
Der Kläger beantragte im Dezember 1954 die Gesamtleistung aus der knappschaftlichen Rentenversicherung, der Angestelltenversicherung und der Invalidenversicherung. Diesen Antrag lehnte die beklagte Ruhrknappschaft durch Bescheid vom 14. Januar 1957 ab. Der Widerspruch des Klägers blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 8. August 1958).
Während des Verfahrens vor dem Sozialgericht (SG) Berlin, vor dem der Kläger die ergangenen Bescheide angefochten und Rentengewährung von der Beklagten beantragt hatte, sind die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) und die Landesversicherungsanstalt (LVA) Berlin beigeladen worden, da Zweifel hinsichtlich der sachlichen Zuständigkeit der Beklagten bestanden.
In einem an das SG gerichteten Schriftsatz vom 1. Oktober 1960 hat die Beklagte die folgende Erklärung abgegeben: "Wir erklären uns bereit, beim Kläger Erwerbsunfähigkeit vom 2. Juli 1959 anzunehmen und die Knappschaftsrente mit den Anteilen der knappschaftlichen Rentenversicherung, der Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu zahlen". Am 2. November 1960 hat der Kläger durch seinen damaligen Prozeßbevollmächtigten - einen Rechtsanwalt - schriftsätzlich erwidert, daß insoweit Anerkenntnisurteil ergehen möge.
Das SG hat durch Urteil vom 18. Juli 1962 unter Abänderung der Bescheide der Beklagten die beigeladene BfA verurteilt, dem Kläger vom 1. Juli 1959 an Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zu zahlen. Im übrigen hat es die Klage abgewiesen.
Auf die Berufung der beigeladenen BfA hin hat das Landessozialgericht (LSG) Berlin das Urteil des SG aufgehoben und die beigeladene LVA zur Zahlung der Rente vom 1. Juli 1959 bis zum 31. Mai 1965 verurteilt. Die Anschlußberufung des Klägers, mit der er die Rente auch für die Zeit vom 1. Juni 1957 an begehrt hatte - zuvor hatte er erklärt, daß er auf die Rente für die Zeit vor 1957 verzichte -, ist zurückgewiesen worden.
In den Entscheidungsgründen ist ausgeführt: Die LVA Berlin sei nach § 1311 der Reichsversicherungsordnung (RVO) sachlich zuständig. Die Beklagte könne aus ihrer schriftsätzlich vorgetragenen Bereitschaft, dem Kläger Rente zu gewähren, nicht in Anspruch genommen werden. Darin sei kein formelles Anerkenntnis zu sehen. Es fehle an einer Bescheiderteilung durch die Beklagte und an dem Antrag des Klägers, die Beklagte zur Rentenzahlung zu verurteilen.
Das LSG hat die Revision zugelassen. Die zur Rentengewährung verurteilte LVA hat das Rechtsmittel eingelegt. Sie hält sich für unzuständig und stellt daher den Antrag,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung zurückzuweisen,
hilfsweise,
den Rechtsstreit an das LSG Berlin zurückzuverweisen.
Der Kläger und die beigeladene BfA beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beklagte hat einen ausdrücklichen Antrag nicht gestellt; sie hält sich nicht für zuständig.
Die Beteiligten sind darauf hingewiesen worden, daß der Senat vorab über die Frage zu entscheiden habe, ob der Rechtsstreit, soweit er sich auf die hier allein noch streitige Zeitspanne erstreckt, durch Teilanerkenntnis im Sinne des § 101 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) in der Hauptsache erledigt sei.
Hierzu hat die Beklagte erklärt: Ein möglicherweise von ihr abgegebenes Teilanerkenntnis sei wirksam angefochten worden. Im übrigen könne sie wegen ihrer sachlichen Unzuständigkeit durch ein solches Anerkenntnis nicht gebunden werden.
Die Beteiligten haben übereinstimmend ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung erklärt (§ 124 Abs. 2 SGG).
Die Revision ist begründet.
Soweit der Kläger Rente für die Zeit vom 1. Juli 1959 bis 31. Mai 1965 begehrt - dieser Anspruch ist allein noch in Streit -, durfte entgegen der Meinung der Vorinstanzen die Verurteilung eines Beteiligten nicht ausgesprochen werden. Insoweit ist der Rechtsstreit durch Anerkenntnis in der Hauptsache erledigt (§ 101 Abs. 2 SGG). Die Beklagte hat durch ihre Erklärung vom 1. Oktober 1960 ein Teilanerkenntnis abgegeben. Das Gesetz schreibt hierzu eine besondere Form nicht vor. Es ist daher nicht erforderlich, daß - wie im Falle des gerichtlichen Vergleichs (§ 101 Abs. 1 SGG) - das Anerkenntnis zur Niederschrift des Gerichts, des Vorsitzenden oder des beauftragten oder ersuchten Richters erklärt wird. Auch eine im Verfahren schriftsätzlich abgegebene Prozeßerklärung, die das Zugeständnis enthält, daß der Klageanspruch - ganz oder teilweise - bestehe, ist als Anerkenntnis in dem vorbezeichneten Sinne aufzufassen (vgl. BSG in SozR Nr. 3 zu § 101 SGG). Als solches Zugeständnis ist die Bereiterklärung der Beklagten, Erwerbsunfähigkeit des Klägers anzunehmen und Rente zu zahlen, zu werten. Das LSG hat daher zu Unrecht angenommen, daß ein "formelles Anerkenntnis" nicht vorliege.
Allerdings hat die Beklagte mit dem Anerkenntnis auch ihre sachliche Zuständigkeit (§ 1311 RVO) bejaht. Dies ist möglicherweise - irrtümlich - zu Unrecht geschehen. Hierauf kommt es jedoch nicht entscheidend an. Wie der 11. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) durch Urteil vom 25. April 1967 (BSG 26, 210 = SozR Nr. 8 zu § 101 SGG), teilweise abweichend von der bisherigen Rechtsprechung (vgl. BSG 4, 31 = SozR Nr. 1 zu § 101 SGG und BSG 16, 61 = SozR Nr. 5 zu § 101 SGG) entschieden hat, können die Beteiligten einen Vergleich nach § 101 Abs. 1 SGG schließen, soweit sie über den Gegenstand der Klage verfügen können. In diesem Urteil ist ua ausgeführt: Ob der Versicherungsträger in der Lage sei, über den Gegenstand der Klage wirksam zu verfügen, richte sich danach, ob er imstande sei, den materiellen Anspruch auf die begehrte Leistung durch einen Verwaltungsakt rechtswirksam zu regeln. Ein Vergleich, der infolge Übersehens einer Vorschrift durch den Versicherungsträger zustandegekommen sei, sei jedenfalls dann nicht unwirksam, wenn ein Verwaltungsakt, der eine entsprechende Verpflichtung des Versicherungsträgers zum Inhalt habe, nicht als nichtig angesehen werden müsse. Dieser Auffassung hat sich inzwischen der 2. Senat des BSG angeschlossen (vgl. Urteil vom 22. August 1967 - 2 RU 260/66 -). Der erkennende Senat sieht keinen Anlaß, von dieser Rechtsprechung für das Anerkenntnis des § 101 Abs. 2 SGG abzuweichen. Die Beklagte hätte aber in dem vorliegenden Falle - auch bei fehlender sachlicher Zuständigkeit nach § 1311 RVO - dem Kläger einen Rentenbescheid des in dem Teilanerkenntnis enthaltenen Inhalts erteilen können. Ein solcher Bescheid wäre, wie das BSG wiederholt ausgesprochen hat, nicht unwirksam gewesen (vgl. insbesondere BSG in SozR Nr. 7 zu § 1311 RVO), weil jedenfalls keine absolute sachliche Unzuständigkeit vorlag. Entsprechendes muß daher auch für das Anerkenntnis gelten.
Der Kläger hat das von der Beklagten wirksam ausgesprochene Anerkenntnis angenommen. Die Annahmeerklärung ist in dem Schriftsatz vom 2. November 1960 zu erblicken. Hier heißt es, daß, soweit die Beklagte den Anspruch anerkannt habe, Anerkenntnisurteil ergehen möge. Der Erlaß eines Anerkenntnisurteils ist dem sozialgerichtlichen Verfahren fremd. Der Antrag auf Erlaß eines Anerkenntnisurteils ist von dem Prozeßbevollmächtigten des Klägers offenbar deshalb gestellt worden, weil er der Auffassung war, daß auch insoweit für das sozialgerichtliche Verfahren die Vorschriften der Zivilprozeßordnung anwendbar seien. Damit hat er aber eindeutig zu erkennen gegeben, daß er mit dem Anerkenntnis einverstanden sei und es annehme. Hinsichtlich der Form der Annahme gilt nichts anderes als das, was für das Anerkenntnis selbst vorgeschrieben ist; die Annahme kann daher ebenfalls schriftsätzlich ausgesprochen werden.
Das angenommene Anerkenntnis erledigt kraft zwingender gesetzlicher Vorschrift (§ 101 Abs. 2 SGG) den Rechtsstreit in der Hauptsache. Diese unmittelbare prozessuale Wirkung erstreckt sich hier auf den Teil des Anspruchs, auf den sich das Teilanerkenntnis bezieht, also jedenfalls auf den Rentenanspruch für die Zeit vom 1. Juli 1959 bis 31. Mai 1965.
Entgegen der Meinung des LSG bedurfte es demgemäß keiner Bescheiderteilung durch die Beklagte. Es kommt auch nicht darauf an, ob der Kläger, wie das LSG anzunehmen scheint, schließlich in erster Linie nicht mehr die Verurteilung der Beklagten begehrt, vielmehr eine der Beigeladenen für leistungspflichtig gehalten hat. Sein ursprünglicher Klageantrag hat sich jedenfalls gegen die Beklagte gerichtet; ihn hat er zu keiner Zeit zurückgenommen, zumindest nicht vor dem Eintritt der mit der Annahme des Anerkenntnisses verbundenen Wirkung der Prozeßerledigung.
Die durch das Anerkenntnis und seine Annahme eingetretene Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache ist auch nicht wieder beseitigt worden. Die Beklagte behauptet zwar, sie habe das Anerkenntnis angefochten. Weder ist jedoch eine Anfechtungserklärung aus den vom LSG getroffenen Feststellungen ersichtlich, noch hat die Beklagte einen Anfechtungsgrund vorgetragen. Nach Lage der Dinge kann allenfalls ein Irrtum im Motiv - nämlich über die sachliche Zuständigkeit der Beklagten - vorliegen. Ein solcher Irrtum berechtigt aber nicht zur Anfechtung einer Willenserklärung. Deshalb bedarf es nicht der Prüfung, ob ein im Verfahren der Sozialgerichtsbarkeit abgegebenes Anerkenntnis überhaupt nach den Grundsätzen des § 119 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) angefochten werden kann (vgl. hierzu BSG 7, 279).
Auch der Umstand, daß die Beteiligten im Anschluß an das angenommene Anerkenntnis über den dort bezeichneten Anspruch vor dem SG und dem LSG weiter verhandelt haben, vermag an dem hier gewonnenen Ergebnis nichts zu ändern. Selbst wenn man in diesem Verhalten eine übereinstimmende Erklärung der Beteiligten erblicken wollte, an dem Anerkenntnis nicht festzuhalten, so wäre eine solche Erklärung unbeachtlich. Dies hat das BSG bereits in seiner Entscheidung vom 24. April 1963 - 2 RU 228/59 - (SozR Nr. 6 zu § 101 SGG) für den Vergleich im Sinne des § 101 Abs. 1 SGG ausgesprochen. Der erkennende Senat hat keine Veranlassung, für das Anerkenntnis von dieser Rechtsprechung abzuweichen.
Schließlich steht die von der Beklagten angeführte Entscheidung des erkennenden Senats vom 31. Januar 1967 (SozR Nr. 7 zu § 1311 RVO) der Feststellung, daß der Rechtsstreit durch das angenommene Teilanerkenntnis insoweit in der Hauptsache erledigt ist, nicht entgegen. In der vorbezeichneten Entscheidung ist ausgesprochen, daß bei Vorliegen der dort genannten Voraussetzungen der nach § 1311 RVO zuständige Versicherungsträger an die Rentenfestsetzung durch den funktionell unzuständigen Versicherungsträger gebunden und zur Zahlung der Rente verpflichtet sein kann. Hier konnte eine Entscheidung darüber, ob möglicherweise ein anderer Versicherungsträger an das von der Beklagten abgegebene Anerkenntnis gebunden und die Beklagte damit von der Rentenzahlung freigestellt ist, nicht mehr ergehen. Sie ist durch das angenommene Anerkenntnis der Beklagten und die damit insoweit eingetretene Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache ausgeschlossen worden.
Zugleich mit der Feststellung, daß der Rechtsstreit, soweit er den Rentenanspruch des Klägers für die Zeit vom 1. Juli 1959 bis 31. Mai 1965 betrifft, in der Hauptsache erledigt ist, muß hiernach in diesem Umfang das angefochtene Urteil aufgehoben werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen