Entscheidungsstichwort (Thema)
Versicherungsfreiheit beurlaubter Beamter
Leitsatz (amtlich)
Die Entscheidung der zuständigen Behörde über die Gewährleistung der Versorgungsanwartschaft eines Beamten bewirkt, selbst wenn die Gewährleistungsentscheidung mit dem Zusatz "nach § 6 Abs 2 AVG (= § 1229 Abs 2 RVO)" versehen ist, auch Versicherungsfreiheit in der Krankenversicherung nach § 169 RVO und damit mittelbar Beitragsfreiheit in der Arbeitslosenversicherung nach § 169 Nr 1 AFG.
Leitsatz (redaktionell)
1. Der Regelungsgehalt einer Gewährleistungsentscheidung (§ 169 Abs 1 RVO, § 6 Abs 1 Nr 3 AVG = § 1229 Abs 1 Nr 3 RVO) ist die Feststellung der beamtenrechtlichen Versorgungsanwartschaft und ggf deren Erstreckung auf die außerhalb des Beamtenverhältnisses ausgeübte Beschäftigung. Nicht zum Regelungsgegenstand gehört dagegen die Zuordnung der Gewährleistung zu einem bestimmten Versicherungszweig.
2. Die Befugnis der Gewährleistungsbehörde (§ 169 Abs 2, § 1229 Abs 2 RVO, § 6 Abs 2 AVG) beschränkt sich nur auf die Erteilung der Gewährleistungsentscheidung als solche, an die die Versicherungsträger zwar iS einer Tatbestandswirkung gebunden sind, deren versicherungsrechtliche Auswirkungen, nämlich den Eintritt von Versicherungsfreiheit in den einzelnen Versicherungszweigen, sie aber selbst zu beurteilen haben.
Normenkette
AVG § 6 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1229 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23, § 169 Abs. 2 Fassung: 1945-03-17; AFG § 169 Nr. 1 Fassung: 1975-05-07; RVO § 169 Abs. 1, § 1229 Abs. 1 Nr. 3 Fassung: 1965-06-09
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die den Beigeladenen zu 2) und 3) gemäß § 6 Abs 2 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) erteilten Gewährleistungsbescheinigungen neben der Versicherungsfreiheit in der Angestelltenversicherung auch die Beitragsfreiheit in der Arbeitslosenversicherung bewirken.
Die beiden Beigeladenen sind Beamte (Oberamtsräte) und für eine Beschäftigung im Rahmen der Entwicklungshilfe beurlaubt. Der für sie zuständige Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit erteilte ihnen am 7. September 1972 bzw 12. September 1974 Gewährleistungsbescheinigungen "nach § 6 Abs 2 AVG" des Inhalts, daß sich die für das Beamtenverhältnis gewährleistete Versorgungsanwartschaft auch auf die Zeit der Beurlaubung zur Übernahme von Aufgaben der Entwicklungshilfe erstrecke. Die Geltungsdauer der Bescheinigungen war bei dem Beigeladenen zu 2) auf die Zeit vom 15. Juli 1972 bis 14. Juli 1977, bei dem Beigeladenen zu 3) auf die Zeit vom 1. Oktober 1974 bis 30. September 1976 befristet.
Mit Bescheid vom 7. Januar 1976 forderte die Beklagte von der Klägerin als der Arbeitgeberin Beiträge ua zur Arbeitslosenversicherung, und zwar für den Beigeladenen zu 2) ab 1. Januar 1976 und für den Beigeladenen zu 3) für die Zeit vom 1. Oktober 1974 bis 31. Dezember 1974. Beiträge zur Krankenversicherung wurden wegen der Höhe der Bezüge nicht gefordert. Der Widerspruch der Klägerin blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 30. Juni 1976). Das Sozialgericht (SG) Köln gab der Klage statt (Urteil vom 15. Januar 1979). Das Landessozialgericht (LSG) für das Land Nordrhein-Westfalen hat die Berufungen der Beklagten und der Beigeladenen zu 1) zurückgewiesen (Urteil vom 19. März 1981). Es hat wie das SG die Befreiungswirkung der Gewährleistungsbescheinigungen auch auf die Beitragspflicht in der Arbeitslosenversicherung erstreckt, weil die vom Dienstherrn zu treffende beamtenrechtliche Gewährleistungsentscheidung Versicherungs- und Beitragsfreiheit in allen Zweigen der gesetzlichen Sozialversicherung bewirke. Es bedürfe für die Rentenversicherung und für die Krankenversicherung (und damit mittelbar für die Arbeitslosenversicherung) nicht getrennter Gewährleistungsentscheidungen. Inhaltlich wäre der Text einer Gewährleistungsbescheinigung mit der Überschrift "nach § 169 RVO" mit den vorliegenden Bescheinigungen identisch gewesen. Eine positive Gewährleistung sei "allumfassend". Der Dienstherr, der einem ohne Bezüge beurlaubten Beamten für die Zeit der Beurlaubung die Versorgungsanwartschaften gewährleiste, dürfe auch nicht in eigener Verantwortung bestimmen, welche sozialversicherungsrechtlichen Auswirkungen mit dieser Gewährleistung verbunden sein sollen.
Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision vertritt die Beigeladene zu 1) weiterhin die Auffassung, daß eine Gewährleistungsentscheidung, die sich nur auf § 6 Abs 2 AVG bezieht, nicht zugleich Freiheit von der Beitragspflicht zur Bundesanstalt für Arbeit (BA) aufgrund des § 169 Nr 1 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) bewirke.
Die Beigeladene zu 1) beantragt,
das Urteil des LSG aufzuheben sowie das Urteil des SG
insoweit aufzuheben, als die Beitragspflicht zur BA
hinsichtlich der Beigeladenen zu 2) und 3) berührt ist, und die
Klage auch insoweit abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beklagte hat keinen Antrag gestellt und zum Ausdruck gebracht, daß sie den Ausführungen der Revisionsklägerin nicht beitrete.
Die Beigeladenen zu 2) und 3) haben sich zur Sache nicht geäußert.
Alle Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beigeladenen zu 1) ist unbegründet.
Die Vorinstanzen haben zu Recht Beitragsfreiheit der Beigeladenen zu 2) und 3) in der Arbeitslosenversicherung angenommen. Der Senat teilt die Auffassung des LSG, daß eine Gewährleistungsentscheidung, die den Zusatz "nach § 6 Abs 2 AVG" enthält, auch Versicherungsfreiheit in der Krankenversicherung nach § 169 RVO und damit mittelbar Beitragsfreiheit in der Arbeitslosenversicherung nach § 169 Nr 1 AFG bewirkt.
Mit den Gewährleistungsentscheidungen vom 7. September 1972 und 12. September 1974 hat der Dienstherr die Ausdehnung der mit dem Beamtenverhältnis verbundenen Versorgungsanwartschaft der Beigeladenen zu 2) und 3) auf Beschäftigungsverhältnisse ausgesprochen, für die die Beigeladenen unter Wegfall der Dienstbezüge beurlaubt worden waren. Durch eine solche Ausdehnung bleibt der beurlaubte Beamte auch in seinem neuen Beschäftigungsverhältnis versorgungsrechtlich in gleicher Weise geschützt wie im Beamtenverhältnis selbst, so daß die Beschäftigungszeiten bei der späteren Berechnung der Versorgungsbezüge (und auch bei einer Nachversicherung im Falle eines etwaigen Ausscheidens aus der versicherungsfreien Beschäftigung ohne Gewährung einer lebenslangen Versorgung) berücksichtigt werden (vgl dazu BSGE 40, 208, 209 unter Hinweis auf ein Urteil des Senats vom 23. November 1973, 12 RK 22/72).
Die Gewährleistung der Anwartschaft auf Versorgung ist als ein zur Versicherungsfreiheit führender Tatbestand in § 169 Abs 1 RVO und § 6 Abs 1 Nr 3 AVG (= § 1229 Abs 1 Nr 3 RVO) inhaltlich gleich geregelt, wobei den Unterschieden in der Wortfassung ("Ruhegehalt" - "lebenslängliche Versorgung") keine rechtliche Bedeutung zukommt (die Fassung des § 169 RVO beruht noch auf der Ersten Verordnung zur Vereinfachung des Leistungs- und Beitragsrechts in der Sozialversicherung vom 17. März 1945 - RGBl I S 41 -, die des § 6 AVG dagegen auf dem Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetz vom 23. Februar 1957 - BGBl I S 88 -). Ob die Anwartschaft auf Versorgung gewährleistet ist, entscheiden die für die Bediensteten zuständigen obersten Behörden. Diese sind nach § 6 Abs 2 AVG und nach § 169 Abs 2 RVO inhaltlich identisch. Beide Vorschriften weisen nur insofern einen sachlichen Unterschied auf, als nach § 169 Abs 3 RVO die Gewährleistung - unter ausdrücklichem Ausschluß der Rückwirkung - Versicherungsfreiheit erst von dem Zeitpunkt ab begründet, an dem die Anwartschaften tatsächlich verliehen werden, während eine solche Einschränkung in § 6 AVG nicht enthalten ist. Diese Abweichung berührt indessen die Qualität der Gewährleistungsentscheidung als solche nicht. Vielmehr handelt es sich lediglich um Besonderheiten, die sich aus den unterschiedlichen Zweckbestimmungen und Ausgestaltungen der Krankenversicherung einerseits und der Rentenversicherung andererseits ergeben. Während nämlich die Krankenversicherung überwiegend kurzfristige Risiken abzudecken hat und das Krankenversicherungsverhältnis deshalb weitgehend von rückwirkenden Eingriffen frei bleiben muß, ist die langfristig angelegte Rentenversicherung auch rückwirkenden Umgestaltungen des Versicherungsverhältnisses durch Beitragsnachentrichtung, Nachversicherung und in die Vergangenheit reichende Versicherungsfreiheit zugänglich.
Handelt es sich aber bei den in § 169 RVO und § 6 AVG geregelten Gewährleistungsentscheidungen inhaltlich um die gleiche beamtenrechtliche Entscheidung desselben Dienstherrn, dann könnte ihr eine unterschiedliche versicherungsrechtliche Auswirkung (von dem Zeitpunkt der Wirksamkeit abgesehen) für die Krankenversicherung und die Rentenversicherung nur dann zukommen, wenn der Dienstherr das Recht hätte, auch über die versicherungsrechtlichen Folgen der Gewährleistung zu befinden, er also berechtigt wäre, mit seiner Gewährleistungsentscheidung beispielsweise allein Versicherungsfreiheit in der Krankenversicherung (und in deren Folge Beitragsfreiheit in der Arbeitslosenversicherung) oder allein Versicherungsfreiheit in der Rentenversicherung herbeizuführen. Eine solche Entscheidungsbefugnis steht ihm jedoch nicht zu. Die Zuständigkeit der Gewährleistungsbehörde beschränkt sich vielmehr auf die Erteilung der Gewährleistungsentscheidung als solche, an die die Versicherungsträger zwar im Sinne einer Tatbestandswirkung gebunden sind, deren versicherungsrechtliche Auswirkung, nämlich den Eintritt von Versicherungsfreiheit in den einzelnen Versicherungszweigen, sie aber selbst zu beurteilen haben. Demgemäß ist Regelungsgehalt einer Gewährleistungsentscheidung auch nicht die Bewirkung der Versicherungsfreiheit selbst, sondern nur die Entscheidung über deren rechtliche Voraussetzungen, dh die Verleihung bzw Feststellung der beamtenrechtlichen Versorgungsanwartschaft und ggf deren Erstreckung auf die außerhalb des Beamtenverhältnisses ausgeübte Beschäftigung. Nicht zum Regelungsgegenstand gehört dagegen die Zuordnung der Gewährleistung zu einem bestimmten Versicherungszweig, so daß ein Zusatz "nach § 6 Abs 2 AVG" oder "nach § 169 RVO" weder erforderlich noch - wegen seiner möglichen Mißverständlichkeit - zweckmäßig ist, jedenfalls keine rechtliche Wirkung für das Versicherungsrecht hat. Ungeachtet eines solchen Zusatzes führt deshalb eine Gewährleistungsentscheidung, weil sie inhaltlich sowohl den Tatbestand des § 6 Abs 2 AVG wie auch den des § 169 Abs 2 RVO erfüllt, zur Versicherungsfreiheit nach beiden Vorschriften und über § 169 Nr 1 AFG auch zur Beitragsfreiheit in der Arbeitslosenversicherung, wobei die mittelbare Auswirkung einer dem § 169 RVO entsprechenden Gewährleistung auf die Arbeitslosenversicherung hier nicht deshalb entfällt, weil bei den Beigeladenen zu 2) und 3) Versicherungsfreiheit in der Krankenversicherung schon aus anderen Gründen (Überschreiten der Versicherungspflichtgrenze) bestanden hatte.
Diesem Ergebnis steht das Urteil des 7. Senats des Bundessozialgerichts vom 24. Oktober 1963 (SozR Nr 3 zu § 169 RVO) nicht entgegen. Daß nach dieser Entscheidung eine auf dem (zu § 11 AVG aF ergangenen) Erlaß des Reichsarbeitsministers vom 1. November 1926 (RABl S 364) beruhende Anwartschaftsgewährleistung sich nicht auch auf § 169 RVO erstreckte, ergibt sich schon daraus, daß nach damaligem Rechtszustand die Voraussetzungen für die Versicherungsfreiheit in der Rentenversicherung und in der Krankenversicherung abweichend geregelt waren, wie das LSG zutreffend ausgeführt hat (vgl auch Peters/Mengert, Handbuch der Krankenversicherung, Anm 7b zu § 169 RVO, die die Entscheidung für den jetzigen Rechtszustand nicht mehr für zutreffend halten).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen