Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialrechtlicher Herstellungsanspruch. Zulassung zur Nachentrichtung von Beiträgen nach §§ 10, 10a WGSVG
Orientierungssatz
1. Ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch (hier: Nachentrichtung von Rentenversicherungsbeiträgen) läßt sich dann nicht herleiten, wenn der zuständigen Landesversicherungsanstalt kein pflichtwidriges Verhalten, vor allem keine unzumutbare Verzögerung, vorgeworfen werden kann.
2. Für die Nachentrichtung von Rentenversicherungsbeiträgen nach den §§ 10, 10a WGSVG für das Jahr 1975 sind die Fristen, die für die Antragstellung nach Wegfall des Hindernisses bei Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Jahre 1975 galten, mithin auch die Frist des § 67 Abs 2 SGG anzuwenden, so daß nach Kenntnis der Nachentrichtungsmöglichkeit nur eine Frist von einem Monat für die Antragstellung zur Verfügung steht.
3. Bei einer vom Antragsteller zu vertretenden Überschreitung der Monatsfrist um über einen Monat kann er sich nicht auf den Grundsatz von Treu und Glauben berufen und Nachsichtgewährung verlangen.
Normenkette
WGSVG § 10 Abs 1, § 10a Abs 4; SGG § 67 Abs 2; BGB § 242
Verfahrensgang
LSG Hamburg (Entscheidung vom 18.08.1987; Aktenzeichen I JBf 38/86) |
SG Hamburg (Entscheidung vom 26.11.1985; Aktenzeichen 18 J 316/84) |
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darum, ob der Kläger einen Anspruch auf Zulassung zur Nachentrichtung von Beiträgen nach §§ 10, 10a des Gesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung (WGSVG) hat.
Der 1911 geborene Kläger wurde aus rassischen Gründen verfolgt und hat deshalb 1939 Deutschland verlassen. Seit 1940 lebt er in Kanada und besitzt die kanadische Staatsangehörigkeit. Er bezieht von der beklagten Landesversicherungsanstalt (LVA) seit Oktober 1976 Altersruhegeld.
Mit Schreiben vom 3. Juli 1975, das weder seine Versicherungsnummer noch sein Geburtsdatum enthielt, bat er die LVA Rheinprovinz, ihm Auskunft über die rentenrechtliche Bewertung von Zeiten seiner Arbeitslosigkeit in den Jahren 1931 bis 1936 und über die Anerkennung einer Ersatzzeit im Jahre 1939 zu geben. Im Briefkopf gab er an, er sei unter der Anschrift seines Beauftragten Miller in Montreal (Kanada) erreichbar. Die LVA bestätigte zunächst mit einer am 26. August 1975 abgestempelten Postkarte den Erhalt des am 7. Juli 1975 eingegangenen Schreibens und erteilte mit Datum vom 13. November 1975 einen mehr als 180 Kalendermonate Versicherungszeiten ausweisenden Feststellungsbescheid mit folgendem Zusatz:
"Wir stellen Ihnen anheim, einen Antrag auf
Nachentrichtung von Beiträgen nach Art 1 §§ 9, 10 und 10a NVÄndG zu stellen. Einen entsprechenden Antragsvordruck (VA 1 - 26) haben wir vorsorglich beigefügt. Der Antrag muß bis zum 31. Dezember 1975 gestellt sein."
Diesen Bescheid übersandte die LVA Ende November 1975 mit einem Zustellungsersuchen dem deutschen Generalkonsulat Montreal, das ihn am 10. Dezember 1975 an die vom Kläger angegebene Adresse in Montreal weiterleitete.
Am 12. Februar 1976 erhielt die LVA Rheinprovinz einen mit "Miller" unterschriebenen Brief, in dem mitgeteilt wurde, daß der Kläger auf Urlaubsreise sei, sich zur Zeit in Mexiko befinde und im Juli 1976 heimkehre. Dies sei der Grund, weshalb sich seine Antwort verzögere. Es werde daher gebeten, seinen Vorgang in der Schwebe zu halten. Am 8. Juni 1976 ging bei der LVA ein Schreiben der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Mexiko vom 21. Mai 1976 ein, das als Anlage einen mit gleichem Datum versehenen Antrag des Klägers auf Nachentrichtung von Beiträgen nach § 10a WGSVG und die Mitteilung enthielt, der Kläger habe der Botschaft glaubhaft nachgewiesen, daß er den Bescheid vom 13. November 1975 erst im Mai 1976 in Guatemala habe in Empfang nehmen können.
Mit Bescheid vom 22. März 1977 lehnte die LVA Rheinprovinz den Nachentrichtungsantrag wegen Fristversäumnis ab. In seinem hiergegen eingelegten Widerspruch machte der Kläger geltend, er sei von August 1975 bis Juni 1976 auf Reisen in Mexiko, Zentralamerika und in den USA gewesen und habe den Bescheid vom 13. November 1975 im April 1976 in Mexiko-City entgegengenommen. Der Widerspruch wurde durch Widerspruchsbescheid vom 9. März 1978 zurückgewiesen. Dieser wurde unanfechtbar.
Unter Hinweis auf das Urteil des erkennenden Senats vom 28. Oktober 1981 (SozR 5070 § 10 Nr 19), das unter bestimmten Voraussetzungen Nachsichtgewährung bei Nichteinhaltung der Ausschlußfrist nach § 10 Abs 1 Satz 4 WGSVG zuläßt, beantragte der Kläger mit Schreiben vom 31. März 1983 eine Überprüfung der Bescheide vom 22. März 1977 und vom 9. März 1978. Die Beklagte, die inzwischen die Sache zuständigkeitshalber übernommen hatte, lehnte dies mit Bescheid vom 15. August 1983 mit der Begründung ab, der Bescheid vom 13. November 1975 sei so rechtzeitig vor Fristablauf abgesandt worden, daß der Kläger die Nachentrichtungsfrist hätte einhalten können. Der Widerspruch blieb erfolglos. Im Widerspruchsbescheid vom 15. Februar 1984 begründete die Beklagte ihre Ablehnung der Nachentrichtung ergänzend noch damit, daß der Kläger die Frist um sechs Monate und damit nicht geringfügig überschritten habe; erhebliche Interessen des Klägers, den ein Verschulden an der Fristversäumung treffe, würden in Anbetracht einer monatlichen Rentenzahlung von 900 DM nicht berührt.
Der Kläger hat Klage beim Sozialgericht (SG) Hamburg erhoben und ua vorgetragen, der Bescheid vom 13. November 1975 sei ihm wegen eines von August bis Dezember 1975 dauernden kanadischen Poststreiks erst am 16. März 1976 in Mexiko zugegangen. Das SG hat die Klage durch Urteil vom 26. November 1985 abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) Hamburg hat die Berufung des Klägers durch Urteil vom 18. August 1987 zurückgewiesen und dies im wesentlichen wie folgt begründet: Die in § 44 Abs 2 Sozialgesetzbuch -Verwaltungsverfahren- (SGB 10) genannten Voraussetzungen für eine Rücknahme des Bescheides der LVA Rheinprovinz vom 22. März 1977 seien nicht erfüllt. Insbesondere hätte dem Kläger seinerzeit nicht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden müssen, da es sich bei der versäumten Antragsfrist nach §§ 10 Abs 1 Satz 4, 10a Abs 4 WGSVG um eine materiell-rechtliche Ausschlußfrist handele, für die nach dem hier anzuwendenden früheren Recht eine Wiedereinsetzung nicht in Betracht gekommen sei. Ein Anspruch des Klägers lasse sich auch nicht aus dem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch herleiten. Der LVA Rheinprovinz könne nämlich kein pflichtwidriges Verhalten, vor allem keine unzumutbare Verzögerung, vorgeworfen werden. Dem Antrag des Klägers sei auch nicht unter dem vom Bundessozialgericht (BSG) entwickelten Rechtsgrundsatz der Nachsichtgewährung bei der Versäumung einer Ausschlußfrist zu entsprechen gewesen, weil der Kläger den Antrag auf Nachentrichtung nicht alsbald nach Kenntnis des inzwischen eingetretenen Fristablaufs gestellt habe. Unter Berücksichtigung des dem § 67 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zugrundeliegenden Rechtsgedankens sei die auf Treu und Glauben beruhende Nachsicht nur zu gewähren, wenn die versäumte Rechtshandlung innerhalb eines Monats nachgeholt werde. Seinen Nachentrichtungsantrag habe er am 21. Mai 1976 und damit mehr als zwei Monate nach dem 16. März 1976 gestellt, an dem er nach eigenen Angaben den Bescheid vom 13. November 1975 erhalten habe.
Gegen das Urteil richtet sich die - vom LSG zugelassene - Revision. Sie rügt eine Verletzung des § 44 Abs 2 SGB 10 und des § 67 Abs 2 SGG unter dem Gesichtspunkt des Herstellungsanspruchs und des vom BSG entwickelten Grundsatzes der Nachsichtgewährung. Für einen Herstellungsanspruch trägt der Kläger vor, die LVA Rheinprovinz hätte ihn bereits im August 1975 über die Nachentrichtungsmöglichkeit unterrichten müssen. Er wäre dann trotz seiner Reise in der Lage gewesen, den Antrag auf Nachentrichtung noch rechtzeitig zu stellen. Die vom BSG (SozR 5070 § 10 Nr 19 und 5750 Art 2 § 51a Nr 55) entwickelten Grundsätze zur Nachsichtgewährung seien in seinem Falle erfüllt; insbesondere sei er ein Opfer der typischen Schwierigkeiten geworden, die der verfolgungsbedingte Wohnsitz im Ausland mit sich bringe. So enthielten die englisch- und französischsprachigen Zeitungen in Montreal keine Veröffentlichungen über die deutsche Sozialversicherung. Die einzige deutschsprachige Zeitung Kanadas enthalte keine Informationen für Verfolgte. Im übrigen habe er so lange nach Verfolgungsende nicht damit rechnen können, daß eine neue Nachentrichtungsmöglichkeit für Verfolgte geschaffen werde. Wenn das LSG verlange, daß er innerhalb eines Monats nach Kenntnis der Nachentrichtungsmöglichkeit einen entsprechenden Antrag hätte stellen müssen, so sei diese Zeit zu kurz bemessen. Er habe zunächst annehmen müssen, es sei sinnlos, nach Fristablauf noch einen Antrag zu stellen. Er habe länger als einen Monat für die Prüfung gebraucht, ob eine Antragstellung nicht doch sinnvoll sei, zumal er sich auf Reisen außerhalb des Aufnahmelandes Kanada befunden habe. Er hätte besser daran getan, damals keinen Antrag zu stellen, sondern auf die Entscheidung des BSG zur Nachsichtgewährung zu warten und sich dann auf die veränderte Rechtsprechung zu berufen. Entsprechend der Regelung in § 210 Abs 1 Bundesentschädigungsgesetz (BEG), wonach bei Antragsablehnung dem im Inland oder im europäischen Ausland wohnenden Verfolgten eine Klagefrist von drei Monaten, dem im außereuropäischen Ausland wohnenden eine von sechs Monaten zugebilligt werde, müsse auch hier verfahren werden. Im Wiedergutmachungsrecht sei nämlich bei der Auslegung von Gesetzen dem materiellen Recht mit dem Ziele der möglichst vollständigen Wiedergutmachung der Vorrang vor verfahrensrechtlichen Vorschriften einzuräumen. Dies ergebe sich aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 27, 297), des Bundesgerichtshofs in seiner Rechtsprechung zum Wiedergutmachungsrecht (RzW), des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwGE 9, 89, 92/93) und des Bundessozialgerichts (BSGE 32, 60, 62 ff). Auch sei im vorliegenden Fall die Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt vom 17. Oktober 1975 (RzW 1976, 70) zu beachten, wonach in Anknüpfung an die das Kriegsopferrecht betreffende Entscheidung des Großen Senats des BSG vom 9. Juni 1961 (BSGE 14, 246) auch im Entschädigungsrecht Ausschlußfristen unbeachtet bleiben können, wenn der Anspruch zweifelsfrei gegeben ist.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
1. die Urteile des LSG und des SG und den
Bescheid der Beklagten vom 15. August 1983 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 15. Februar 1984 aufzuheben,
2. die Beklagte zu verurteilen, den Bescheid
der LVA Rheinprovinz vom 22. März 1977 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 9. März 1978 zurückzunehmen und den Kläger zur Nachentrichtung von Beiträgen nach §§ 10, 10a WGSVG zuzulassen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend. Bei eigenem, nicht unerheblichem Verschulden an der Fristversäumnis könne dem Begehren des Klägers weder über den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch noch aus dem Gesichtspunkt der Nachsichtgewährung entsprochen werden.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 SGG).
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist unbegründet. Das LSG hat zutreffend entschieden, daß der Bescheid der LVA Rheinprovinz vom 22. März 1977 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. März 1978 rechtmäßig ist. Die Voraussetzungen für eine vom Kläger begehrte Rücknahme des Bescheides nach § 44 Abs 2 SGB 10 liegen deshalb nicht vor.
Die Anwendbarkeit des § 44 SGB 10 auf Verwaltungsakte, die - wie hier - vor dem 1. Januar 1981 erlassen worden sind, hat das LSG zutreffend bejaht (vgl BSGE 62, 143, 145 = SozR 5750 Art 2 § 28 Nr 5).
Dem LSG ist auch zuzustimmen, daß die Beklagte für eine Rücknahmeentscheidung zuständig ist. Grundsätzlich richtet sich die Zuständigkeit bei Nachentrichtungsanträgen nach §§ 10, 10a WGSVG nach den §§ 10 Abs 2, 10a Abs 4 iVm § 9 WGSVG. Das Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Kanada über Soziale Sicherheit vom 30. März 1971 (BGBl II 1972 S 218) enthält jedoch eine Sonderregelung, die der Zuständigkeitsregelung nach dem WGSVG vorgeht. So bestimmt Art 10 Abs 2 des Abkommens die Beklagte als deutsche Verbindungsstelle für die Arbeiterrentenversicherung. Nr 8 Satz 1, 2. Halbs des Schlußprotokolls, das nach Art 15 des Abkommens dessen Bestandteil ist, sieht vor, daß die Verbindungsstelle für die Rentenversicherung der Arbeiter - mit Ausnahme der Beitragserstattung - zuständig ist, wenn sich der Berechtigte im Gebiet von Kanada oder sich als kanadischer Staatsangehöriger außerhalb der Gebiete der Vertragsparteien gewöhnlich aufhält. Beide Voraussetzungen sind beim Kläger erfüllt. Der Zuständigkeit der Beklagten steht auch nicht entgegen, daß der zurückzunehmende Bescheid von der LVA Rheinprovinz erlassen wurde, denn nach § 44 Abs 3 SGB 10 entscheidet die zuständige Behörde auch dann, wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist.
Der Bescheid, dessen Rücknahme der Kläger begehrt, war nicht schon deswegen zurückzunehmen, weil er von einer möglicherweise unzuständigen Stelle (LVA Rheinprovinz) erlassen worden ist. Auch schon vor dem Inkrafttreten des § 42 SGB 10 am 1. Januar 1981 konnte bei Verletzung von Vorschriften über das Verfahren (ausgenommen die Anhörung), über die Form oder über die örtliche Zuständigkeit die Aufhebung eines (nicht nichtigen) Verwaltungsaktes nicht verlangt werden, wenn keine andere Entscheidung in der Sache hätte getroffen werden können (vgl BSGE 24, 134, 137 = SozR Nr 7 zu § 85 SGG; 26, 177, 179 = SozR Nr 8 zu § 368f RVO; 27, 154, 158 = SozR Nr 15 zu § 368n RVO; 47, 3, 5 = SozR 1500 § 85 Nr 5; BSG SozR 1200 § 34 Nr 4). Im vorliegenden Fall hätte in der Sache keine andere Entscheidung wie die im Bescheid vom 22. März 1977 (idF des Widerspruchsbescheides vom 9. März 1978) enthaltene getroffen werden können. Dieser Bescheid ist nämlich in der Sache rechtlich nicht zu beanstanden, weil der Kläger den Nachentrichtungsantrag erst nach Ablauf der in §§ 10 Abs 1 Satz 4, 10a Abs 4 WGSVG vorgeschriebenen Frist (Fristende: 31. Dezember 1975) gestellt hat.
Entgegen der Ansicht des Klägers mußte ihm gegen die Fristversäumnis auch nicht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden. Wie der erkennende Senat in ständiger Rechtsprechung entschieden hat, ist die erst am 1. Januar 1981 in Kraft getretene Vorschrift über die Wiedereinsetzung gegen Versäumung von gesetzlichen Fristen in § 27 SGB 10, die einen bisher überwiegend anders beantworteten Fragenkreis neu geregelt und nicht etwa eine gefestigte Rechtsprechung fortgesetzt hat, auf früher erlassene Verwaltungsakte nicht anzuwenden; auch eine analoge Anwendung von § 32 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVG) hat der Senat verneint (BSGE 48, 12, 16 = SozR 2200 § 1227 Nr 23; BSG SozR 5070 § 10 Nr 19 S 42 und Nr 22 S 48; 5750 Art 2 § 51a Nr 49 S 98 und Nr 55 S 113).
Auch unter dem Gesichtspunkt des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs (vgl Urteil des erkennenden Senats vom 28. Februar 1984 - SozR 1200 § 14 Nr 16 mwN) ist der Bescheid, dessen Rücknahme begehrt wird, nicht zu beanstanden. Das LSG hat im Ergebnis zutreffend entschieden, daß der LVA Rheinprovinz eine den Herstellungsanspruch auslösende Pflichtwidrigkeit nicht vorgeworfen werden kann. Das gilt namentlich für den Zeitpunkt der Absendung des Feststellungsbescheides vom 13. November 1975. Insofern ist zunächst von Bedeutung, daß die Beklagte ihrer Verpflichtung zur Beratung des Klägers gem § 14 SGB 1, die ihr nach Eingang der Anfrage des Klägers (7. Juli 1975) oblag (vgl BSGE 42, 224, 227 = SozR 1200 § 14 Nr 2), erst nachkommen konnte, wenn ihr alle für die Beratung erforderlichen Unterlagen vorlagen. Da die Anfrage des Klägers weder seine Versicherungsnummer noch sein Geburtsdatum enthielt, hatte dies eine von der Beklagten nicht zu vertretende Verzögerung in der Bearbeitung zur Folge. Der 11. Senat des BSG hat es in einem vergleichbaren Fall mit Recht für zulässig gehalten, wenn der Versicherungsträger zunächst ein Formblatt zur Beantragung einer Versicherungsnummer (oder zur Angabe der schon erteilten Versicherungsnummer) übersendet und erst nach Eingang der Antwort die Anfrage sachlich beantwortet (BSGE 52, 145, 149 = SozR 1200 § 14 Nr 12). Hier kann der LVA Rheinprovinz jedenfalls kein Vorwurf gemacht werden, wenn sie - bedingt durch Identifizierungsschwierigkeiten - erst am 26. August 1975 den Eingang der Anfrage unter Angabe der inzwischen von ihr ermittelten Versicherungsnummer des Klägers bestätigt hat.
Aber auch die Beantwortung der vom Kläger aufgeworfenen Fragen bedurfte eingehender Überprüfungen tatsächlicher und rechtlicher Art. Wenn die Beklagte bis zur Erstellung des 180 Kalendermonate umfassenden Versicherungsverlaufs und Einleitung der Auslandszustellung etwa drei Monate benötigte, kann dies nach Lage der Sache nicht beanstandet werden. Die Auffassung der Revision, der Kläger hätte auf die am 31. Dezember 1975 endende Nachentrichtungsmöglichkeit schon vor Absendung des Bescheides vom 13. November 1975 hingewiesen werden müssen, verkennt, daß der Kläger erst nach Kenntnis des Versicherungsverlaufs die Nachentrichtung nach §§ 10, 10a WGSVG einigermaßen zuverlässig beurteilen konnte. Die LVA Rheinprovinz konnte auch bei Absendung des genannten Bescheides davon ausgehen, daß der Kläger noch bis zum Fristende in der Lage sein werde, das Nachentrichtungsformular auszufüllen und - fristwahrend nach § 16 Abs 1 Satz 2 SGB 1 - dem deutschen Generalkonsulat in Montreal zu übergeben.
Dem LSG ist ferner zuzustimmen, daß die Anwendung der vom erkennenden Senat entwickelten Grundsätze über die Nachsichtgewährung bei Versäumung einer Ausschlußfrist (vgl SozR 5750 Art 2 § 51a Nr 49 und Nr 55; 5070 § 10 Nr 19 und Nr 22) nicht zur Zulassung der Nachentrichtung für den Kläger führt. Eine solche auf Treu und Glauben gestützte Nachsichtgewährung bei verspätet gestellten Nachentrichtungsanträgen setzt ua voraus, daß den Antragsteller kein Verschulden an der Fristversäumnis trifft und der Antrag innerhalb eines Jahres nach Ablauf der Frist gestellt worden ist.
Mit Recht hat das LSG entschieden, daß der Kläger an der verspäteten Antragstellung nicht schuldlos ist, weil er nicht innerhalb eines Monats, nachdem er den Bescheid vom 13. November 1975 erhalten hatte, den Nachentrichtungsantrag gestellt hat. Nach Erhalt dieses Bescheides befand er sich nämlich in der gleichen Lage wie jemand, der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand verlangen kann, nachdem das Hindernis, das die Fristversäumnis bewirkt hatte, weggefallen ist. Deshalb hält es auch der Senat für zulässig und geboten, die Fristen, die für die Antragstellung nach Wegfall des Hindernisses bei Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Jahre 1975 galten, auch im Falle des Klägers anzuwenden, mithin auch die Frist des § 67 Abs 2 SGG, so daß dem Kläger nach Kenntnis der Nachentrichtungsmöglichkeit nur eine Frist von einem Monat für die Antragstellung zur Verfügung stand (vgl jetzt § 27 Abs 2 Satz 1 SGB 10, wonach der Antrag innerhalb von zwei Wochen zu stellen ist).
Entgegen der Meinung der Revision war dem Kläger nicht eine längere Frist von drei oder gar sechs Monaten einzuräumen. Die vom Kläger geforderte entsprechende Anwendung von § 210 Abs 1 und 2 BEG kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil die darin vorgesehene Drei- und Sechsmonatsfrist sich auf Rechtsstreitigkeiten vor dem Landgericht in Zivilprozessen bezieht, für die nicht ein dem § 103 SGG entsprechendes Amtsermittlungsprinzip vorgeschrieben ist und für die Anwaltszwang besteht. Auch eine analoge Anwendung von § 87 Abs 1 Satz 2 SGG scheidet aus. Diese Vorschrift sieht bei Auslandsaufenthalt des Betroffenen für die Klageerhebung - und entsprechend für die Berufung und Revision - statt der Einmonatsfrist eine Dreimonatsfrist vor. Diese Fristverlängerung ist deshalb gerechtfertigt, weil der Klageerhebung und Rechtsmitteleinlegung teilweise schwierige Prüfungen vorangehen müssen, die im Ausland nicht innerhalb einer Frist von einem Monat erfüllt werden können. So soll nach § 92 SGG die Klage die Beteiligten und den Streitgegenstand bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten, den angefochtenen Verwaltungsakt oder den Widerspruchsbescheid bezeichnen und die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben. Die Erfüllung dieser Voraussetzungen gestaltet sich im Ausland schwieriger und zeitaufwendiger, zumal wenn eine rechtliche Beratung geboten erscheint. Das Ausfüllen des Antragsformulars für die Beitragsnachentrichtung nach §§ 10, 10a WGSVG bereitet demgegenüber vergleichsweise geringere Schwierigkeiten, insbesondere auch deshalb, weil konkrete Angaben, für welche Zeiten welche Beiträge entrichtet werden sollen, im Zeitpunkt der Antragstellung noch nicht erforderlich sind.
Der Kläger hatte somit nach Erhalt des Bescheides vom 13. November 1975 einen Monat Zeit, um den Nachentrichtungsantrag zu stellen. Die Monatsfrist begann am 16. März 1976, da nach den Feststellungen des LSG und dem Vortrag des Klägers im vorliegenden Rechtsstreit der Kläger an diesem Tage persönlich Kenntnis von dem Bescheid und somit von der Nachentrichtungsmöglichkeit erhielt. Fristende war demnach der 16. April 1976. Bis zu diesem Zeitpunkt hätte der Kläger den Nachentrichtungsantrag - fristwahrend - bei einer Vertretung der Bundesrepublik Deutschland einreichen können. Bei einer von ihm zu vertretenden Überschreitung der Monatsfrist um über einen Monat kann sich der Kläger nicht auf den Grundsatz von Treu und Glauben berufen und Nachsichtgewährung verlangen.
Die Revision war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen