Leitsatz (redaktionell)
1. Es wird an der Auffassung festgehalten, daß die Erteilung eines Zugunstenbescheid nach KOV-VfG § 40 Abs 1 im (pflichtgemäßen) Ermessen der Versorgungsbehörde liegt und daß sie nicht verpflichtet ist, die Neuregelung stets in vollem Umfang rückwirkend vorzunehmen.
2. Die Einrede der Verjährung von Ansprüchen auf Leistungen kann im Revisionsverfahren nicht mehr wirksam erhoben werden.
Normenkette
KOVVfG § 40 Abs. 1 Fassung: 1960-06-27; RVO § 29 Abs. 3 Fassung: 1911-07-19; SGG § 202 Fassung: 1953-09-03; ZPO § 561 Abs. 1 S. 1
Tenor
Auf die Sprungrevision des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 18. Mai 1967 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
Der Kläger, der seither u. a. wegen Verlustes des rechten Beines im Oberschenkel Versorgung nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 70 v. H. erhielt, beantragte im Jahre 1964 die Anerkennung eines besonderen beruflichen Betroffenseins. Die Versorgungsverwaltung hielt den Kläger daraufhin seit Eintritt der Schädigung für besonders beruflich betroffen, erkannte in einem auf § 40 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VerwVG) gestützten Zugunstenbescheid vom 24. November 1965 ab 1. Juli 1960 ein besonderes berufliches Betroffensein an und erhöhte die MdE von diesem Zeitpunkt an auf 80 v. H. Nach erfolglosem Widerspruch hat der Kläger mit der Klage eine Zugunstenregelung ab Inkrafttreten des Bundesversorgungsgesetzes - BVG - (1. Oktober 1950) begehrt. Das Sozialgericht (SG) hat diesem Antrag mit Urteil vom 18. Mai 1967 entsprochen und die Berufung zugelassen. Der Versorgungsverwaltung habe kein Ermessensspielraum darüber zugestanden, ob sie dem Kläger einen Zugunstenbescheid erteilte oder nicht. Für sie habe vielmehr insoweit eine in vollem Umfang überprüfbare Verpflichtung bestanden. Deshalb könne auch § 54 Abs. 2 SGG keine Anwendung finden; § 40 Abs. 1 VerwVG bestimme zwar, daß zu Gunsten des Berechtigten die Verwaltungsbehörde jederzeit einen neuen Bescheid erteilen könne. Aus der Formulierung "kann dürfe jedoch nicht geschlossen werden, daß die Verwaltungsbehörde hier eine reine Ermessensentscheidung vornehmen könne. Dies sei begrifflich nur dann möglich, wenn der Verwaltungsbehörde mehrere rechtlich völlig gleichwertige Wege der Bescheidung eröffnet seien, zwischen denen sie nach Zweckmäßigkeitserwägungen wählen könne. Dabei müsse jede der möglichen Entscheidungen dem Gesetz und Recht in gleicher Weise entsprechen. Kein Ermessensspielraum liege dagegen vor, wenn es nach dem Wesensinhalt der Gesetzesvorschrift nur eine richtige Entscheidung geben könne, die im Wege der richtigen Erfassung des Sachverhalts und der Subsumierung unter das Gesetz gefunden werden könne und müsse. Hiernach eröffne § 40 Abs. 1 VerwVG keinen Weg zur Ermessensentscheidung; stufenmäßig seien zwei Entscheidungen zu treffen. Zunächst sei festzustellen, ob die früheren Bescheide zu Ungunsten des Berechtigten unrichtig seien. Sei dies der Fall, so sei weiter zu prüfen, ob eine Berichtigung der bis dahin unrichtigen Bescheide vorgenommen werden solle. Bei der Erstentscheidung habe die Verwaltungsbehörde mit Sicherheit keine Möglichkeit zur Ermessensentscheidung, denn hierbei handele es sich um einen Akt der Erkenntnis, wobei es nur einen wahren Sachverhalt geben könne; denn die Wahrheit sei nicht teilbar. Gebe es aber nur eine Wahrheit, sei nur die Möglichkeit für eine, die richtige Entscheidung gegeben. Damit sei überhaupt kein Raum für die Wahl zwischen mehreren gleichwertigen, rechtmäßigen Entscheidungen vorhanden. Aber auch bei der zweiten Prüfung sei dann, wenn die erste Frage zu Gunsten des Berechtigten entschieden worden sei, kein Raum mehr für eine Ermessensentscheidung. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgericht (BSG) (zuletzt noch vom 14. März 1967), die voll zu billigen sei, bestehe eine Verpflichtung der Versorgungsverwaltung, einen Zugunstenbescheid zu erteilen, wenn sie die Rechtswidrigkeit des bindend gewordenen Bescheides erkannt habe oder hätte erkennen können. Bestehe aber eine Verpflichtung zur Entscheidung zu Gunsten des Berechtigten, so sei kein Raum mehr für eine Wahlmöglichkeit zwischen mehreren gleichwertigen Entscheidungen. Sonach sei dann, wenn die Erstentscheidung über die Rechtmäßigkeit bisheriger Entscheidungen zu Gunsten des Berechtigten ausgefallen sei, wegen der Verpflichtung zum Erlaß eines Zugunstenbescheides kein Ermessensspielraum mehr vorhanden. Hieraus ergebe sich bereits, daß das Wort " kann " in § 40 Abs. 1 VerwVG keinen Ermessensspielraum eröffne. Im juristischen Sprachgebrauch, der auch auf das Sozialrecht und auf das Versorgungsrecht Anwendung finde, werde die Formulierung können nämlich nicht nur im Sinne einer Ermessensentscheidung verwendet. Vielmehr komme sie auch dann zur Anwendung, wenn der Gesetzgeber eine Ausnahme von der Regel zulassen wolle, können bedeute dann "ausnahmsweise dürfen". Auch zu § 40 Abs. 1 VerwVG dränge sich der Schluß geradezu auf, daß hier das Wort kann nicht eine Ermessensfreiheit der Behörden bei der Berichtigung unrichtiger Bescheide begründe, sondern daß es ein Dürfen im vorerwähnten Sinne bedeute. § 40 Abs. 1 VerwVG könne nicht isoliert für sich allein beurteilt, sondern müsse rechtssystematisch eingeordnet werden. Dabei seien insbesondere die Bestimmungen der §§ 24 VerwVG, 77 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) heranzuziehen, wonach eine erneute Entscheidung über den bindend geregelten Anspruch grundsätzlich nicht mehr statthaft sei. Hiervon schaffe § 40 Abs. 1 VerwVG eine Ausnahme, indem die Versorgungsbehörde einen eindeutig unrichtigen Bescheid zu Gunsten des Berechtigten trotz der bindenden Entscheidung berichtigen dürfe, und zwar zu Gunsten der materiellen Gerechtigkeit. Soweit das BSG die Auffassung vertrete, "kann" bedeute Ermessen, könne dem nicht gefolgt werden, denn diese Rechtsprechung stehe im Widerspruch zur Rechtssystematik. Im übrigen zeichne sich auch hier eine Fortentwicklung der Rechtsprechung ab. Denn das BSG habe in Band 10 Seite 248 entschieden, daß dann, wenn die den Berichtigungsantrag ablehnende Entscheidung auf Grund erneuter Sachprüfung ergangen sei, eine neue Regelung des materiellen Versorgungsrechtsverhältnisses angenommen werden müsse, so daß diese Entscheidung einem Erstbescheid gleichzustellen sei. Im vorliegenden Streitfall seien unstreitig die bisherigen Bescheide deshalb unrichtig gewesen, weil die besondere berufliche Betroffenheit des Klägers gemäß § 30 Abs. 2 BVG unberücksichtigt geblieben sei. Die Frage, ob der Berechtigte verlangen könne, daß er bei der Berichtigung auch rückwirkend so gestellt werde, wie er bei richtiger Rechtsanwendung von Anfang an hätte gestellt werden müssen, sei entgegen den Verwaltungsvorschriften Nr. 8 zu § 40 VerwVG und entgegen der Rechtsprechung des BSG zu bejahen. Wenn schon in der Frage, ob ein Zugunstenbescheid ergehen solle, kein Ermessensspielraum vorhanden sei, so sei aus dem Gesetz auch kein Grund dafür zu entnehmen, daß dies hinsichtlich des Zeitpunkts, in dem die Berichtigung wirksam werden solle, der Fall sei. Das Gesetz spreche im Gegenteil dagegen. § 40 Abs. 1 VerwVG stelle die materielle Gerechtigkeit über die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung. Diese müsse aber dann unteilbar zum Zuge kommen; Erwägungen über die Bindungswirkung von Bescheiden hätten demgegenüber zurückzutreten, da die materielle Gerechtigkeit nicht teilbar sei. Daß dem so sein müsse, ergebe sich deutlich aus der Regelung des § 41 VerwVG. Das BSG habe in Band 2, 197 und 7 S. 8 hierzu entschieden, daß der ursprüngliche Bescheid, durch den zu Unrecht eine Leistung bewilligt worden sei, als rechtswidrig zurückgenommen werden müsse. Dabei sei klar zum Ausdruck gebracht, daß die materielle Gerechtigkeit unteilbar sei. Es seien keine Gründe dafür vorhanden, warum in § 40 VerwVG nicht eine gleiche Regelung entsprechend der Rechts- und Gesetzsystematik vorliegen solle. Daraus folge, daß auch § 40 Abs. 1 VerwVG nur dann den Willen des Gesetzgebers erfülle, wenn der Zugunstenbescheid auch von Anfang an rückwirkend als rechtmäßiger Bescheid an die Stelle des ursprünglich rechtswidrigen Bescheides trete. Daher sei dem Kläger ab 1. Oktober 1950 Versorgung nach einer MdE um 80 v. H. zu gewähren, zumal der gesamte Akteninhalt die Versorgungsverwaltung schon seit dem Inkrafttreten des BVG hätte veranlassen müssen, bei dem Kläger ein besonderes berufliches Betroffensein zu berücksichtigen. Wenn die Versorgungsverwaltung dabei auf die Möglichkeit des Rechtsmittelzuges verweise, so könne sie hiermit nicht durchdringen, denn für sie bestehe eine Verpflichtung zur Amtsaufklärung und rechtmäßigen Entscheidung. Gegenüber dieser Verpflichtung habe der Kläger lediglich die Möglichkeit, den Rechtsmittelzug zu gehen. Eine Verpflichtung sei aber höher zu werten als eine Möglichkeit, so daß das Begehren der Versorgungsverwaltung gegen Treu und Glauben verstoße. Wenn die Versorgungsverwaltung von Anfang an den objektiven Akteninhalt ständig außer acht gelassen habe, so sei sie auch verpflichtet, den Kläger so zu stellen, als ob sie von Anfang an ihrer Verpflichtung nachgekommen wäre.
Gegen dieses Urteil hat der Beklagte unter Vorlage einer Einwilligungserklärung des Klägers Sprungrevision eingelegt und Verletzung der §§ 54 Abs. 2 Satz 2, 77 SGG, §§ 24, 40 Abs. 1 VerwVG und § 197 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) gerügt. Zwar sei die Versorgungsverwaltung verpflichtet, einen Zugunstenbescheid zu erteilen, wenn sie die Rechtswidrigkeit des rechtsverbindlichen Bescheids erkannt habe. Diese Verpflichtung folge aus der von der Wissenschaft entwickelten Lehre vom Rechtsmißbrauch, wonach eine Pflicht zu sozial angemessener Rechtsausübung bestehe. Gehe man von einer solchen Ermessensverpflichtung der Versorgungsverwaltung aus, so müsse sich entgegen der Meinung des SG die gerichtliche Nachprüfung selbst dann im Rahmen des § 54 Abs. 2 Satz 2 SGG halten, wenn im Einzelfall bei richtiger Ausübung des Ermessens nur eine Entscheidung über das "ob" möglich und jede andere Entscheidung ein Ermessensfehler sei. Denn auch wenn für die Anwendung des Verwaltungsermessens im konkreten Fall nach Feststellung der Rechtswidrigkeit des früheren Bescheids in einem anderen Sinn überhaupt kein Raum bleiben möge, ändere sich dadurch nicht die Rechtsnatur der auf einer Ermessensnorm beruhenden Verwaltungsentscheidung. Die Versorgungsbehörde hätte ihr Ermessen demnach hier fehlerhaft gehandhabt, wenn sie trotz ihrer Erkenntnis der "unzutreffenden" Leistungen an den Kläger eine neue Regelung des Versorgungsrechtsverhältnisses der Höhe nach abgelehnt hätte. Wenn deshalb mit dem angefochtenen Zugunstenbescheid die Rente des Klägers ab 1. Juli 1960 erhöht worden sei, so habe sich dadurch nach dem Gesetz nicht auch die Pflicht ergeben, den Kläger so zu stellen, als ob statt des fehlerhaften sogleich (von Anfang an) ein rechtmäßiger Verwaltungsakt ergangen wäre. Insoweit sei auch unerheblich, ob etwa die Unrichtigkeit des früheren Bescheids ausschließlich in den Verantwortungsbereich der Verwaltung falle (vgl. BSG, Urteil vom 14. Dezember 1966, Az.: 8 RV 185/65), oder welche Bedeutung der Tatsache zukomme, daß der Kläger die früheren Bescheide nicht oder erfolglos angefochten habe. Das habe das SG in rechtirriger Auslegung des § 40 Abs. 1 VerwVG verkannt. Daß die Entscheidung über die Frage, von wann an der frühere Bescheid zu korrigieren sei, eine echte Ermessensentscheidung darstelle, könne ernsthaft nicht in Abrede gestellt werden. Insofern böten sich der Versorgungsverwaltung vielfache Entscheidungsmöglichkeiten an. Deshalb könne die Überprüfung des von der Verwaltungsbehörde ausgeübten Ermessens nur im Rahmen des § 54 Abs. 2 Satz 2 SGG vorgenommen werden. Auch diese Vorschrift habe das SG rechtsirrig nicht angewendet und sie auch dadurch verletzt, daß es zur Leistung verurteilt habe. Hätte sich das SG auf eine Ermessenskontrolle im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 2 SGG beschränkt, so hätte es die Rechtsmäßigkeit des angefochtenen Bescheides bestätigen müssen. Die Entscheidung über den rückwirkenden Beginn der höheren Rente könne vom Gericht nicht daraufhin nachgeprüft werden, ob sie zweckmäßig oder angemessen sei, denn es dürfe sein Ermessen nicht an die Stelle desjenigen des Beklagten setzen. Demgemäß hätte das Gericht den angefochtenen Bescheid insoweit nur dann aufheben dürfen, wenn es festgestellt hätte, daß der Entscheidung über den Leistungsbeginn sachfremde Erwägungen zugrunde gelegt oder pflichtgemäße Erwägungen über den Leistungsbeginn überhaupt nicht angestellt worden seien. Hier habe sich die Behörde nach Maßgabe der Verwaltungsvorschrift Nr. 8 zu § 40 VerwVG unter Abwägung aller Umstände des Falles an der Regelgrenze der vierjährigen Rückwirkung in besonderen Fällen orientiert. Obwohl das SG Feststellungen darüber unterlassen habe, ob tatsächlich noch weitere besondere Umstände, vornehmlich eine besonders bedrängte wirtschaftliche Lage des Klägers gegeben seien, welche die Verwaltungsbehörde hätten veranlassen müssen, ihr Ermessen in anderer Weise auszuüben, dürfte eine Entscheidung des erkennenden Gerichts (BSG) in der Sache selbst nicht möglich sein, weil die vom Kläger für den fraglichen Zeitraum erhobenen Ansprüche verjährt seien, was vorsorglich geltend gemacht werde. Daß die Rentenansprüche nach dem BVG in entsprechender Anwendung des § 197 BGB in vier Jahren verjähren könnten, sei in der Rechtsprechung und Lehreanerkannt. Die Zulässigkeit der analogen Anwendung des § 197 BGB sei im Urteil des BSG vom 21. März 1967 nicht nur bestätigt, sondern auch auf die nach § 40 Abs. 2 VerwVG ergangenen Bescheide bezogen worden. Die Verjährung sei im öffentlichen Recht von Amts wegen zu berücksichtigen. Im übrigen könne die Verjährung auch durch konkludentes Handeln geltend gemacht werden, was mit der Festsetzung des Beginns der höheren Leistungen im angefochtenen Bescheid geschehen sei. Das SG habe schließlich noch den Bescheid des Versorgungsamts D vom 12. Mai 1952 (fälschlich: 15. Februar 1952) abgeändert und damit die §§ 77 SGG, 24 VerwVG verletzt, weil die Rechtsverbindlichkeit dieses Verwaltungsakts eine neue Entscheidung in der Sache durch das Gericht nicht zugelassen habe.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des SG abzuändern und die Klage gegen den Widerspruchsbescheid vom 26. Januar 1966 abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen,
hilfsweise,
die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Urteils zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuverweisen.
Es werde um Überprüfung der bisherigen Rechtsprechung des BSG gebeten. Sollte an dieser festgehalten werden, so müsse der Rechtsstreit an die Vorinstanz zurückverwiesen werden, weil das SG keine tatsächlichen Feststellungen zu der Frage getroffen habe, ob der Beklagte bei der Begrenzung der Rückwirkung des Bescheides auf vier Jahre sein Ermessen fehlerhaft ausgeübt habe. Die Verjährung sei nur auf Einrede zu berücksichtigen; diese könne im Revisionsverfahren nicht mehr erhoben werden.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs. 2 SGG einverstanden erklärt.
Die Sprungrevision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und daher zulässig (§§ 161 Abs. 1, 164, 166 SGG); sie ist auch sachlich im Sinne einer Zurückverweisung an die Vorinstanz begründet.
Zutreffend rügt die Revision, daß das SG die §§ 54, Abs. 2 Satz 2 SGG, 40 Abs. 1 VerwVG dadurch verletzt habe, daß es den angefochtenen Bescheid in vollem Umfang sachlich nachgeprüft und den Beklagten zu einer Leistung verurteilt habe, anstatt nur eine Ermessensprüfung vorzunehmen.
Im vorliegenden Fall hat der Beklagte einen Zugunstenbescheid gemäß § 40 VerwVG erteilt, mit dem dem Kläger rückwirkend ab 1. Juli 1960 die höhere Rente bewilligt worden ist. Streitig ist dabei nur, ob der Beklagte die Erhöhung der Versorgungsrente wegen besonderer beruflicher. Betroffenheit (nach einer MdE um 70 v. H. auf eine solche um 80 v. H.) nicht erst ab 1. Juli 1960, sondern schon ab 1. Oktober 1950 hätte vornehmen müssen. Diese Frage hatte die Versorgungsbehörde nach ihrem Ermessen zu entscheiden. Dies ergibt sich sowohl aus dem in der Vorschrift des § 40 Abs. 1 VerwVG (die fast wörtlich aus § 71 des Gesetzes über das Verfahren in Versorgungssachen vom 10. Januar 1922 (RGBl S. 59) übernommen worden ist) enthaltenen Wort "kann" als auch aus dem Sinn und Zweck dieser Regelung. Der erkennende Senat hat zwar mit Urteil vom 15. November 1961 - Az.: 9 RV 54/59 - auf das Erlenkämper in KOV 1968, 50 zur Stützung seiner gegenteiligen Ansicht hinweist, entschieden, daß es pflichtgemäßem Verwaltungsermessen widerspreche, wenn die Versorgungsbehörde - bei Vorliegen der Voraussetzungen - von der Möglichkeit, gemäß § 40 VerwVG einen neuen Bescheid zugunsten des Berechtigten zu erteilen, keinen Gebrauch macht und sich im gerichtlichen Verfahren auf die Bindungswirkung beruft (vgl. SozR Nr. 3 zu § 40 VerwVG). Wenn es hiernach Fälle gibt, in denen für die Versorgungsverwaltung eine rechtliche Verpflichtung zum Erlaß eines Zugunstenbescheides besteht, so ist damit aber nichts auch über den Charakter des Zugunstenbescheides gesagt, denn der "Rechtspflicht" kann die Verwaltungsbehörde auch in Rahmen der Ausübung ihres "pflichtgemäßen Ermessens" unterliegen. Demgemäß spricht der Leitsatz dieser Entscheidung auch eindeutig von einer Verletzung des "pflichtgemäßen Verwaltungsermessens". Auch der 10. Senat hat im Urteil vom 14. März 1967 (SozR Nr. 10 zu § 40 VerwVG) entschieden, daß für die Verwaltungsbehörde, wenn die Unrichtigkeit eines früheren Bescheides feststehe, keine Wahl bestehe, entweder einen neuen Bescheid nach § 40 Abs. 1 VerwVG zu erteilen oder davon Abstand zu nehmen, sie sei vielmehr verpflichtet, einen der materiellen Rechtslage entsprechenden Bescheid zu erteilen. Dabei wurde betont, daß es sich zwar nicht um ein sogenanntes "freies Ermessen", sondern um ein Ermessen handele, das der Pflicht zu einer sozial angemessenen Rechtsausübung entspricht. Trotz einer bestehenden Rechtspflicht wurde also eindeutig daran festgehalten, daß der Verwaltung im Falle des § 40 Abs. 1 VerwVG - anders als im Falle des § 40 Abs. 2 VerwVG - eine Ermessensentscheidung obliegt, die nach § 54 Abs. 2 Satz 2 SGG nur daraufhin nachgeprüft werden kann, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. Dies entspricht im übrigen der ständigen Rechtsprechung des BSG (vgl. Urteil des 11. Senats in SozR Nr. 6 zu § 40 VerwV = BSG 19, 12; BSG 15, 10 = SozR Nr. 11 zu § 35 BVG, ferner Urteil des erkennenden Senats vom 27. August 1963 - 9 RV 590/60 - in SozR Nr. 8 zu § 40 VerwVG sowie Urteil des 7. Senats des BSG aaO Nr. 4). In der vorerwähnten Entscheidung des 10. Senats des BSG vom 14. März 1967 - SozR aaO Nr. 10 - ist auch klargestellt, daß es bei Erteilung eines Zugunstenbescheides nach § 40 Abs. 1 VerwVG im pflichtgemäßen Ermessen der Verwaltungsbehörde steht, von welchem Zeitpunkt an sie die günstigere Regelung treffen will. Im gleichen Sinne haben schon der 11. Senat des BSG in BSG 19, 12 und der erkennende Senat (vgl. BVBl 1966 S. 100) entschieden. An dieser Rechtsprechung, auf die wegen der Einzelheiten verwiesen wird, ist auch weiterhin festzuhalten.
Es trifft zwar zu, daß das Wort "kann", womit das Gesetz eine seinem Sinn zu entnehmende Handlungsmacht meint, unter gewissen Voraussetzungen auch auf eine andere als eine Ermessensentscheidung oder -leistung hindeutet, so z. B. "können" in § 41 Abs. 1 VerwVG, wo dieser Ausdruck die Bedeutung von "ausnahmsweise dürfen" hat (vgl. hierzu auch BSG 9, 199, 203, 204 und Erlenkämper KOV 1967 S. 33, 36) . Daß und weshalb das Wort "kann" aber der Verwaltungsbehörde jedenfalls in § 40 Abs. 1 VerwVG ein Ermessen, und zwar ein pflichtgemäßes, an der sozial angemessenen Rechtsausübung orientiertes Ermessen, einräumt, ist in der zuvor schon erörterten Entscheidung des 10. Senats des BSG (SozR Nr. 10 zu § 40 VerwVG) im einzelnen näher dargelegt.
Wenn das SG im übrigen die Ansicht vertritt, eine Ermessensentscheidung könne da nicht angenommen werden, wo es nur eine richtige Entscheidung geben könne, ferner, daß die Verwaltungsbehörde bei der zunächst zu treffenden Entscheidung darüber, ob die früheren Bescheide unrichtig seien, mit Sicherheit keine Möglichkeit zur Ermessensentscheidung habe, weil es nur einen wahren Sachverhalt geben könne, und daß schließlich auch bei Prüfung der zweiten Frage, nämlich der Entscheidung selbst, kein Raum mehr für eine Ermessensentscheidung bleibe, so kann dem nicht gefolgt werden. Hier wird einmal nicht hinreichend beachtet, daß in erheblichem Umfang auch Bescheide ergehen, mit denen die Erteilung eines Zugunstenbescheides abgelehnt wird. In diesen Fällen versagt bereits das Argument des SG, wenn die Frage der Unrichtigkeit des früheren Bescheides "zu Gunsten des Berechtigten" entschieden sei, sei wegen der Verpflichtung zum Erlaß eines Zugunstenbescheides kein Ermessensspielraum mehr vorhanden. Denn in diesen Fällen kann eine "Unrichtigkeit" der früheren Bescheide gar nicht festgestellt werden. Es geht aber nicht an, den Rechtscharakter einer Verwaltungsentscheidung jeweils danach unterschiedlich zu beurteilen, ob der Antrag abgelehnt oder ob ihm stattgegeben worden ist. Der Auffassung von Erlenkämper in KOV 1967 S. 54, 55 (vgl. auch KOV 1968 S. 49), der Bescheid der Versorgungsbehörde, mit dem diese einen Zugunstenbescheid ablehnt, sei lediglich eine verfahrensrechtliche Entscheidung ohne irgendwelche materiell-rechtliche Bedeutung, kann ebenfalls nicht zugestimmt werden. Denn auch in diesen Fällen müssen die Gerichte prüfen, ob die Verwaltungsbehörde bei ihrer Entscheidung, daß der frühere Bescheid nicht unrichtig sei, ihr Ermessen fehlerhaft ausgeübt hat oder nicht. Dabei kann die materiell-rechtliche Seite des Rechtsstreits nicht völlig außer Betracht gelassen werden (vgl. dazu Hennig in KOV 1968, 52). Überdies können in den Fällen des § 40 Abs. 1 VerwVG durchaus mehrere Entscheidungsmöglichkeiten gegeben sein, weshalb es nach dem Sinn und Zweck dieser Vorschrift gerechtfertigt erscheint, der Verwaltungsbehörde bei der Prüfung, ob an der früheren, bindend gewordenen Entscheidung festzuhalten ist, einen Ermessensspielraum und den Gerichten insoweit nur eine Ermessenskontrolle einzuräumen; andernfalls bestünde die Gefahr, daß die Vorschriften über die Bindung (§ 77 SGG, § 24 VerwVG) und die Rechtskraft (§ 141 Abs. 1 SGG) bis zur Bedeutungslosigkeit ausgehöhlt würden. Wollte man sonach der Ansicht des SG (und Erlenkämper) folgen, so wären die Gerichte unter Umständen genötigt, in endloser Folge immer wieder die gleichen Sachverhalte unter den strengen Voraussetzungen des Amtsermittlungsgrundsatzes zu prüfen und zu entscheiden (vgl. hierzu auch Hennig in KOV 1967, 132). Dies könnte aber im Interesse der Rechtssicherheit nicht hingenommen werden.
Bei den vom SG zitierten Entscheidungen in BSG 10, 248, BSG 2, 197 und BSG 7, 810 handelt es sich um andere Sachverhalte. Im übrigen hat der 10. Senat des BSG am 11. Juni 1968 - 10 RV 906/66 - erneut entschieden, daß die Erteilung eines Zugunstenbescheides nach § 40 Abs. 1 VerwVG im (pflichtgemäßen) Ermessen der Versorgungsbehörde liegt, und daß sie nicht verpflichtet ist, die Neuregelung stets in vollem Umfang rückwirkend vorzunehmen. Da außerdem der 8. Senat des BSG mit den Urteilen vom 26. September 1968 - 8 RV 473/67 und 475/67 - die bisherige Rechtsprechung des BSG ebenfalls aufrecht erhalten und entschieden hat, daß es bei der Erteilung eines neuen Bescheides nach § 40 Abs. 1 VerwVG im pflichtgemäßen Ermessen der Verwaltung steht, von welchem Zeitpunkt an sie die günstigere Regelung treffen will, glaubt der Senat, von weiteren Ausführungen absehen zu können.
Da das SG dem Beklagten nach alledem den ihm gesetzlich eingeräumten Ermessensspielraum vorenthalten und sich nicht auf die Prüfung beschränkt hat, ob der Beklagte die gesetzlichen Grenzen seines Ermessens überschritten oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat, hat es die Vorschriften der §§ 40 Abs. 1 VerwVG und 54 Abs. 2 Satz 2 SGG verletzt. Daher war das angefochtene Urteil aufzuheben.
Der Senat konnte in der Sache nicht selbst entscheiden. Zwar hat der Beklagte im Revisionsverfahren die Einrede der Verjährung erhoben, diese Einrede konnte jedoch vom erkennenden Senat nicht berücksichtigt werden; auch kann in der Festsetzung des Beginns der höheren Leistungen noch keine solche Einrede erblickt werden. Wie das BSG bereits entschieden hat (vgl. BSG 6, 284, 288), ist die Verjährung von Ansprüchen auf Leistungen der Versicherungsträger (§ 29 Abs. 3 RVO) nur auf Einrede zu berücksichtigen, so daß die Einrede im Revisionsverfahren nicht mehr wirksam erhoben werden kann, wenn sie vorher noch nicht vorgebracht worden war. Das gleiche muß auch für den Bereich der KOV gelten (vgl. § 202 SGG, § 561 Abs. 1 ZPO). Unter diesen Umständen war der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das SG zurückzuverweisen, das nun zu prüfen haben wird, ob die auf vier Jahre rückwirkend ausgesprochene Beschränkung der Rentenerhöhung im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 2 SGG ermessensfehlerhaft ist.
Dabei wird das SG nicht nur in Betracht zu ziehen haben, daß die Versorgungsbehörde die berufliche Betroffenheit des Klägers schon früher hätte feststellen können, weil der Kläger in den Gutachten vom 6. November 1953 und 10. März 1955 als "erwerbslos" bezeichnet worden ist. Es wird auch beachten müssen, daß der Kläger selbst schon vor Juli 1964 einen entsprechenden Antrag hätte stellen können. Die Erwägungen im Widerspruchsbescheid vom 26. Januar 1966, daß der Kläger nie darauf hingewiesen habe, daß er wegen seiner Schädigungsfolgen keine Arbeit habe finden können, und daß bei einem Oberschenkelverlust mit guten Stumpfverhältnissen die Vermittlung in eine Arbeitsstelle meist gelingt, werden vom SG zu würdigen sein, ebenfalls der Umstand, daß der Kläger offensichtlich erst durch das Schreiben des Versorgungsamts vom 20. Juli 1964, mit dem ihm vorgehalten worden war, daß er sich nach 1955 nicht mehr um eine Arbeitsvermittlung beim Arbeitsamt bemüht habe, zu seinem Antrag veranlaßt worden ist.
Die Kostenentscheidung bleibt der das Verfahren abschließenden Entscheidung vorbehalten.
Fundstellen