Entscheidungsstichwort (Thema)
Lösung vom früheren Beruf. Verweisbarkeit eines Pflasterer-Rammers. Bisheriger Beruf
Orientierungssatz
1. Löst sich ein Versicherter von der früher ausgeübten Beschäftigung (hier: Maurer), ohne durch gesundheitliche Gründe dazu gezwungen worden zu sein, bedarf es keiner Prüfung, in welchem Ausmaß er diese verrichtet hatte.
2. Zur Zuordnung der Tätigkeit eines Pflasterer-Rammers als Anlernberuf iS des von der Rechtsprechung des BSG entwickelten Mehrstufenschemas.
Normenkette
RVO § 1246 Abs 2 S 2 Fassung: 1957-02-23
Verfahrensgang
Bayerisches LSG (Entscheidung vom 22.07.1980; Aktenzeichen L 5 Ar 5/78) |
SG Würzburg (Entscheidung vom 22.11.1977; Aktenzeichen S 5 Ar 538/76) |
Tatbestand
Der im Jahr 1927 geborene Kläger hat keine abgeschlossene Berufsausbildung. Er war bis 1960 in der Landwirtschaft tätig und von 1964 bis 1970 als Einschaler, sodann bis Juni 1974 als Maurer und schließlich vom 24. Juni bis 21. Juli 1974 sowie vom 2. September 1974 bis 31. Oktober 1975 als Pflasterer-Rammer nach Lohngruppe IV beschäftigt. Aus gesundheitlichen Gründen kann er jetzt nur noch leichte Arbeiten abwechselnd im Sitzen und Stehen vollschichtig verrichten, wobei zusätzliche Funktionseinschränkungen zu berücksichtigen sind.
Im Januar 1976 beantragte der Kläger Rente wegen Erwerbs- bzw Berufsunfähigkeit. Mit Bescheid vom 11. März 1976 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Widerspruch und Klage sind erfolglos geblieben. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und die Revision zugelassen. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt: Der Kläger sei als angelernter Arbeiter anzusehen und müsse sich deshalb auf die Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verweisen lassen. Er könne noch als Materialprüfer, Verwieger, Karteiführer, Telefonist, Stanzer, Prüfer, Pförtner, Werkzeugausgeber oder Lagerist tätig sein.
Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung sowohl des § 103 Sozialgerichtsgesetz (SGG), weil das LSG nicht geprüft habe, welche Arbeiten er zu verrichten und auch tatsächlich geleistet hatte, als auch des § 1246 Abs 2 Reichsversicherungsordnung (RVO), weil er nicht als Facharbeiter angesehen worden sei. Er beantragt,
die Urteile des Bayerischen Landessozialgerichts
vom 22. Juli 1980 und des Sozialgerichts Würzburg
vom 22. November 1977 sowie den Bescheid der Beklagten
vom 11. März 1976 aufzuheben und die Beklagte zu
verurteilen, ihm für die Zeit vom 1. Februar 1976
an Rente wegen Berufsunfähigkeit zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Der angefochtene Bescheid ist, wie die Vorinstanzen zutreffend entschieden haben, rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rente, weil er noch nicht berufsunfähig ist.
Es kann dahingestellt bleiben, ob die Erwerbsfähigkeit des Klägers in den bisher von ihm verrichteten Berufstätigkeiten auf weniger als die Hälfte derjenigen einer gesunden Vergleichsperson herabgesunken ist (§ 1246 Abs 2 Satz 1 RVO). Denn der Kläger kann auf andere Tätigkeiten, die seinen Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihm unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs seiner Ausbildung sowie seines bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen seiner bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können (§ 1246 Abs 2 Satz 2 RVO), verwiesen werden. Um diese Verweisungsmöglichkeit geht der Streit in erster Linie.
Die Revision beanstandet, daß das LSG als "bisherigen Beruf" des Klägers den des Pflasterer-Rammers angenommen und diese Tätigkeit als einen Anlernberuf im Sinn des von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) entwickelten Mehrstufenschemas (Urteile vom 1978-01-19 - 4 RJ 81/77 - BSGE 45, 276, 278 = SozR 2200 § 1246 Nr 27 und vom 1978-03-15 - 1/5 RJ 128/76 - SozR aaO Nr 29 jeweils mwN) bezeichnet hat. Dieser Angriff geht jedoch fehl.
Der Senat hat bereits früher ausgeführt, daß als bisheriger Beruf in der Regel die letzte versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit anzusehen ist; das gilt nur dann nicht, wenn sich der Versicherte aus gesundheitlichen Gründen vom Beruf gelöst hat oder wenn bei mehrmaligem Berufswechsel einzelne Tätigkeiten nur vorübergehender Natur waren und sich als Durchgangsstationen darstellen (Urteil vom 1979-11-29 - 4 RJ 111/78 - SozR 2200 § 1246 Nr 53 S 161); dem hat sich der 1. Senat im Urteil vom 11. September 1980 - 1 RJ 94/79 - SozR aaO Nr 66 angeschlossen. Auch für die Bewertung der letzten versicherungspflichtigen Beschäftigung als bisheriger Beruf im Sinne des § 1246 RVO gilt aber, daß sich der Versicherte ihr mindestens auf eine gewisse längere Dauer zugewandt und sie in einem solchen Umfang ausgeübt haben muß, daß sie seiner Person im wirtschaftlichen Leben das Gepräge geben konnte (BSG, Urteil vom 1980-06-10 - 11 RA 44/79 - SozR aaO Nr 63 S 190). Diese Rechtsauffassung hat das Berufungsgericht beachtet. Die Feststellung des LSG, daß sich der Kläger von der früher ausgeübten Tätigkeit eines Maurers - als Facharbeiter - gelöst habe, ohne gesundheitlich dazu gezwungen gewesen zu sein, hat der Kläger nicht mit Revisionsrügen angegriffen. Von ihr ist auszugehen. Der Kläger hat zuletzt über ein Jahr lang als Pflasterer-Rammer gearbeitet, diese letzte Tätigkeit war auch keine Durchgangsstation. Vielmehr ergibt sich aus dem Lebenslauf des Klägers, daß er, der von Haus aus Landwirt war, keine feste Bindung an einen bestimmten Beruf hatte, sondern nacheinander mehrere, zwar alle dem Bausektor angehörende, aber sonst verschiedenartige Tätigkeiten übernommen hat.
Es kann auch nicht beanstandet werden, daß das LSG den ordnungsmäßig ermittelten "bisherigen Beruf" dem Leitberuf des angelernten Arbeiters zugeordnet hat. Der Arbeitgeber des Klägers hat die Tätigkeit des Pflasterer-Rammers als Anlernarbeiter bezeichnet, seine Angabe stimmt auch mit dem Tarifvertrag überein. Der Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe vom 1. April 1971 mit den Änderungen bis 1975 (vgl Blumensaat/Sperner/Weimer/Unkelbach, Kommentar zu diesem Vertrag, Hamburg 1975) galt nach § 1 Nr 3.25 beim Straßenbau für die Gruppen Hilfspolier, Vorarbeiter, Facharbeiter und Fachwerker; zu den Fachwerkern gehörten die Pflasterer-Rammer. Der Anhang 3 zum Vertrag - Begriffsbestimmungen und Berufsbilder für die Berufe der deutschen Bauwirtschaft - (Blumensaat S 63 ff) sah in der Lohngruppe IV "Helfer" auch den Pflasterer-Rammer vor und forderte eine betriebliche Einarbeitungszeit mit Pflastererrammarbeiten von einem halben Jahr nach Erlangung der Bescheinigung als Steinsetzerhelfer, die ihrerseits eine halbjährige betriebliche Einarbeitungszeit voraussetzte. Bei dieser Art von Ausbildung war der Pflasterer-Rammer möglicherweise sogar nur Hilfsarbeiter; durch die Zuordnung zum Anlernarbeiter ist der Kläger aber nicht beschwert.
Weiterhin rügt die Revision, das Berufungsgericht habe entgegen § 103 SGG den Sachverhalt nicht genügend aufgeklärt. Es ist aber nicht ersichtlich, inwiefern das LSG sich zu einer weiteren Ermittlung hätte gedrängt fühlen müssen. Auf die Einzelheiten der Tätigkeit des Klägers vor September 1974, also vor dem Beginn der Arbeit als Pflasterer-Rammer, kam es nicht an. Wie qualifiziert die frühere Tätigkeit auch gewesen sein mag, der Kläger hat sich von ihr, und zwar nicht aus gesundheitlichen Gründen, gelöst. Die frühere Tätigkeit ist für seinen "bisherigen Beruf" iS des § 1246 Abs 2 Satz 2 RVO bedeutungslos. Aber auch eine zusätzliche Aufklärung über die letzte Tätigkeit des Klägers war nicht erforderlich. Mit der Feststellung, daß diese Tätigkeit sowohl vom Arbeitgeber als auch vom Tarifvertrag als Anlern-Tätigkeit angesehen wird und daß die Entlohnung nach einer für Anlernarbeiter vorgesehenen Tarifgruppe erfolgt, durfte sich das LSG begnügen. Anhaltspunkte dafür, daß der Kläger eine wesentlich höher einzustufende Tätigkeit tatsächlich ausgeübt und sich dabei mit einer niedrigeren Bezeichnung und einem geringeren Lohn begnügt hätte, bestanden für das LSG nicht.
Schließlich ist das angefochtene Urteil auch nicht etwa deswegen fehlerhaft, weil es sich den von der Rechtsprechung des BSG aufgestellten Grundsatz, ein zu vollschichtiger Arbeit fähiger Versicherter könne auf das Arbeitsfeld des gesamten Bundesgebietes verwiesen werden, zu eigen gemacht hat. Wenn es dem damals 53 Jahre alten Kläger, der seinen landwirtschaftlichen Besitz an seinen erwachsenen Sohn verpachtet hatte, angesichts der verhältnismäßig geringen gesundheitlichen Einschränkungen einen Umzug zumutete, so befand es sich mit dieser Beurteilung im Rahmen der bisherigen Rechtsprechung (vgl das Urteil des Senats vom 1979-04-27 - 4 RJ 60/78 -)*
Die Revision war als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen