Verfahrensgang

LSG Hamburg (Urteil vom 03.10.1989)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 3. Oktober 1989 aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

I

Der Kläger ist 1923 geboren. Nach der Schädigung im 2. Weltkrieg arbeitete er noch in seinem erlernten Beruf als Bäcker und legte die Meisterprüfung ab. Schädigungsbedingt wechselte er jedoch Mitte 1949 in einen Angestellten-Beruf. Neben der Grundrente bezog er vom 1. Januar 1964 bis zum 31. März 1966 auch Berufsschadensausgleich (BSchA). Danach war sein Einkommen gegenüber dem Vergleichseinkommen (A 9) nicht mehr gemindert, weil er nach BAT VIb bezahlt wurde. Bei seinem – schädigungsunabhängigen -Ausscheiden aus dem Dienst mit Ablauf des Juli 1981 war er in der Tarifgruppe IVb Fallgruppe 2 BAT eingestuft. Seitdem bezieht er eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU) aus der Sozialversicherung und ein Ruhegeld nach dem Gesetz über die zusätzliche Alters- und Hinterbliebenenversorgung für Angestellte und Arbeiter der Freien und Hansestadt Hamburg. Er beantragte bei der Beklagten erfolglos zusätzlich BSchA (Bescheid vom 11. Juni 1982). Die Klage hatte keinen Erfolg (Urteil des Sozialgerichts ≪SG≫ vom 8. März 1985). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Beklagte verurteilt, dem Kläger ab 1. August 1981 BSchA unter Zugrundelegung des Endgrundgehalts der Besoldungsgruppe A 9 Bundesbesoldungsgesetz (BBesG) zu gewähren und dem Vergleichseinkommen ein Durchschnittseinkommen gegenüberzustellen, das mindestens dem Höchstbetrag der Grundvergütung in der Vergütungsgruppe VIb BAT entspricht. Obwohl der Kläger schädigungsunabhängig aus dem Berufsleben ausgeschieden sei, lege der früher bewilligte BSchA sowohl den Vergleichsberuf als auch das anzurechnende Mindestdurchschnittseinkommen fest. Es sei nicht zu berücksichtigen, daß der Einkommensverlust des Klägers durch die Zusatzversorgung weitgehend ausgeglichen werde (Urteil des LSG vom 3. Oktober 1989).

Mit der vom LSG zugelassenen Revision macht die Beklagte geltend, daß dem Vergleichseinkommen das zuletzt erzielte Einkommen gegenüberzustellen sei und nicht das früher einmal gezahlte Entgelt. Ein Rentenverlust sei nicht zu ermitteln, weil der Kläger Anspruch auf eine Ruhegeldversorgung habe, die sich nach der zuletzt erreichten Stellung richte und den Verlust kompensiere.

Die Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil zu ändern und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 8. März 1985 zurückzuweisen.

Die Beigeladene schließt sich dem in der Sache an.

Nach ihrer Auffassung fehlt es an einem feststellbaren Einkommensverlust des Klägers, weil seine tatsächliche Versorgung nach dem Ausscheiden aus dem Dienst 75 vH aus der Besoldungsgruppe A 9 übersteige. Fehle es an einem wirtschaftlichen Schaden, erübrige es sich, in Einzelberechnungenn einzutreten.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Sämtliche Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision der Beklagten ist iS der Zurückverweisung begründet. Die Tatsachenfeststellungen des LSG reichen nicht aus, um den Rechtsstreit abschließend zu entscheiden. Weder kann abschließend darüber befunden werden, ob der Kläger mangels Schaden keinen Anspruch auf BSchA nach § 30 Abs 3 und Abs 4 Satz 1 Bundesversorgungsgesetz (≪BVG≫ idF vom 22. Juni 1976 ≪BGBl I S 1633≫ 22. Januar 1982 ≪BGBl I S 21≫ 30. Juni 1989 ≪BGBl I S 1288≫) hat, noch kann abschließend beurteilt werden, ob ihm ein Renten-BSchA nach § 30 Abs 4 Satz 2 (idF des Gesetzes vom 20. November 1981 ≪BGBl I S 1199≫ geändert durch Gesetz vom 11. Juli 1985 ≪BGBl I S 1450≫; jetzt Abs 4 Satz 3 idF durch das KOV-Anpassungsgesetz 1989 vom 30. Juni 1989 ≪BGBl I S 1288≫) zusteht.

Zwar hat das LSG zutreffend ausgeführt, daß ein durch Erwerb einer neuen Berufsposition ausgeglichener Berufsschaden nachträglich wieder zu beachten sein kann, wenn der Beschädigte – sei es auch schädigungsunabhängig – die neue Berufsposition nicht mehr innehat. Der BSchA kann wiederaufleben (BSGE 62, 1 = SozR 3100 § 30 Nr 69 unter Bezugnahme auf die Nrn 49 und 57). Der Beschädigte muß sich dann jedoch „mindestens”, wie das LSG zutreffend entschieden hat, das Durchschnittseinkommen der Berufsgruppe anrechnen lassen, zu der er vor dem zeitweiligen Wegfall des Einkommens gehörte. Es handelt sich um einen Mindestwert, der nur dann heranzuziehen ist, wenn das tatsächlich erzielte Einkommen nach dem schädigungsunabhängigen Absinken diesen fiktiven Betrag unterschreitet. Das folgt bereits daraus, daß nach § 30 Abs 4 Satz 1 BVG immer vorab zu prüfen ist, ob überhaupt eine Einkommenseinbuße nach der dort vorgeschriebenen Berechnungsmethode vorliegt. Eine solche Einkommenseinbuße ergibt sich nur dann, wenn zwischen dem derzeitigen Bruttoeinkommen und dem Vergleichseinkommen eine Differenz zu Lasten des Beschädigten entsteht.

Hierzu hat das LSG keine Feststellungen getroffen. Es ist nicht geprüft worden, ob das jetzige Einkommen, das sich aus der EU-Rente und der Zusatzversorgung aus dem öffentlichen Dienst zusammensetzt, die fiktive Größe von 75 vH des Endgrundgehaltes in A 9 über- oder unterschreitet. Wird sie unterschritten, ist der Mindestwert heranzuziehen, wie es im angefochtenen Urteil dargestellt ist; dann gilt nur das weitere Absinken unter diesen Betrag als schädigungsunabhängig. Wird der Betrag durch die tatsächlichen Einkünfte des Beschädigten überschritten, ist der etwaige schädigungsbedingte Einkommensverlust insoweit kompensiert. Dies ist stets zu beachten, weil der BSchA nach § 30 Abs 4 Satz 1 BVG eine tatsächliche Einkommenseinbuße im Gesamteinkommen voraussetzt.

Sofern sich ein solcher Einkommensverlust – wie vom Beklagten und der Beigeladenen dargestellt – nicht wird feststellen lassen, hat das LSG den Anspruch auf Renten-BSchA zu prüfen.

Der Anspruch auf Renten-BSchA nach § 30 Abs 4 Satz 3 BVG ist nicht davon abhängig, ob nach den Berechnungsmethoden des § 30 Abs 4 Satz 1 BVG ein Einkommensverlust festgestellt werden kann. Die Vorschrift definiert vielmehr eigenständig, was abweichend von Satz 1 als Einkommensverlust zu bezeichnen ist: Die Rentenminderung ist der maßgebliche Einkommensverlust, sofern die Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung deshalb gemindert ist, weil das Erwerbseinkommen in einem in der Vergangenheit liegenden Zeitraum, der nicht mehr als die Hälfte des Erwerbslebens umfaßt, schädigungsbedingt gemindert war. Diese Gesetzesfassung ist nach § 30 Abs 10 BVG (idF des Gesetzes vom 30. Juni 1989 ≪BGBl I S 1288≫) anzuwenden, wenn nicht bereits vor dem 1. Juli 1989 über den Anspruch auf BSchA für die Zeit nach dem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben entschieden worden ist. Dies war hier nicht der Fall, weil die Entscheidung bisher nicht rechtskräftig ist. Der Gesetzgeber hat klargestellt, daß er in dieser Weise den früher verwandten Begriff der zeitweisen Minderung des Erwerbseinkommens verstanden wissen will (anders noch BSG SozR 3100 § 30 Nr 74).

Das LSG hat – von seinem Standpunkt aus zu Recht – nicht geprüft, ob die Rente des Klägers schädigungsbedingt gemindert ist. Das LSG wird dies nachzuholen haben. Es wird zu prüfen haben, ob und wie lange eine solche Erwerbsminderung festgestellt werden kann.

Dabei wird es den Gesamtzeitraum vom Eintritt in die Rentenversicherung bis zum letzten Beitragsmonat, so wie es der EU-Rentenbescheid ausweist, zugrunde zu legen haben. Aus dem Gesamtzeitraum sind die Zeiten auszuklammern, in denen der Beschädigte nach 1966 keinen Berufsschadensausgleich bezogen hat, ferner auch solche Zeiten, in denen er im erlernten Beruf selbständig gearbeitet hat. Denn während seiner selbständigen Tätigkeit ist als derzeitiges Bruttoeinkommen, das sich ein selbständiger Beschädigter bei der Berechnung des Berufsschadensausgleichs anrechnen lassen muß, nicht das, was er tatsächlich verdient, sondern das, was er als beschädigter Arbeitnehmer wahrscheinlich verdienen würde, anzurechnen (BSG SozR 3100 § 30 Nr 76). Insoweit handelt es sich um einen Mindestbetrag. Ob das Einkommen als Bäckergeselle gemindert war, ist ebenfalls noch nicht festgestellt.

Sofern sich danach ergibt, daß das Einkommen des Klägers in der Vergangenheit nur zeitweise gemindert war, wird der Berufsschaden ermittelt, indem der Rentenberechnung ein für den Beschädigten maßgebender Vomhundertsatz der allgemeinen Bemessungsgrundlage zugrunde gelegt wird, der sich ohne Berücksichtigung der Zeiten ergäbe, in denen das Erwerbseinkommen des Beschädigten schädigungsbedingt gemindert war. Diese Berechnungsmethode schließt aus, gegenüber dieser Rentenminderung sonstige Einkünfte, zB die Zusatzversorgung, zum Schadensausgleich heranzuziehen. Der Renten-BSchA berücksichtigt lediglich Einbußen in der gesetzlichen Rentenversicherung. Er findet daher auch keine Anwendung bei Personen, die keine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung beziehen, sondern als Selbständige oder Beamte anderen Sicherungssystemen angehören. Der Renten-BSchA spart sämtliche sonstigen Einkünfte aus der Berechnung aus. Da das Gesetz den Einkommensverlust ausdrücklich abweichend von § 30 Abs 4 Satz 1 BVG festlegt, kann der Einkommensverlust oder das Fehlen desselben nicht durch die Berechnungsmethode des Satzes 1 ermittelt werden. Einkommensverlust beim Renten-BSchA ist nicht der Unterschiedsbetrag zwischen dem derzeitigen Bruttoeinkommen und dem höheren Vergleichseinkommen, sondern allein die Minderung in der gesetzlichen Rente.

Hätte der Gesetzgeber den Ausgleich, den die Zusatzversorgung im öffentlichen Dienst bewirkt, schadensmindernd berücksichtigen wollen, hätte dies im Gesetz angeordnet werden müssen. Ein Rentenschaden mag sich wegen einer Betriebsrente, wegen einer vom Arbeitgeber abgeschlossenen Lebensversicherung oder durch die Zusatzversorgung im öffentlichen Dienst mindern oder ausgleichen. Wie und in welchem Umfang derartige Leistungen berücksichtigungsfähig sein sollen, kann allein der Gesetzgeber bestimmen. Eine Abweichung vom klaren Wortlaut ist nicht statthaft. Ist demnach eine gesetzliche Rente durch zeitweise schädigungsbedingte Mindereinnahmen geringer, so ist dieser Verlust durch den BSchA zu korrigieren. Hierüber und über die Kosten des Verfahrens wird das LSG aufgrund der zu treffenden Feststellungen neu zu entscheiden haben.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1175114

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