Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Unfallversicherung. Arbeitsunfall. versicherte Verrichtung. Hauptpflicht. Beobachterstatus. sachlicher Zusammenhang. äußeres Ereignis. Gesundheitsschaden. psychische Störung. Diagnosesystem. ICD-10. DSM V. klinisch-diagnostische Leitlinien. Komorbidität. Schock. akute Belastungsreaktion. Bagatellereignis. Beinaheunfall zwischen Zug und Pkw. Fahrdienstleiter
Leitsatz (amtlich)
1. Eine bloße Illusion, Einbildung bzw Halluzination, die allein in der subjektiven Vorstellung des Verunfallten existiert, ist kein äußeres Ereignis.
2. Im Bereich psychischer Störungen sind Gesundheitsschäden durch Einordnung in eines der gängigen Diagnosesysteme unter Verwendung der dortigen Schlüssel und Bezeichnungen sowie unter Berücksichtigung der dazu herausgegebenen klinisch-diagnostischen Leitlinien exakt zu beschreiben.
Normenkette
SGB VII § 2 Abs. 1 Nr. 1, § 8 Abs. 1 Sätze 1-2
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 19. April 2018 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger als Fahrdienstleiter der DB Netz AG am 25.11.2011 einen Arbeitsunfall erlitten hat.
An diesem Tag ereignete sich ein Beinahe-Zusammenstoß eines Pkw mit einem Zug. Der Durchgangsarzt berichtete, der Kläger habe Entsprechendes nicht das erste Mal erlebt, weshalb ihn das Ereignis überfordert und innerlich beunruhigt habe. Das Städtische Klinikum D. äußerte den Verdacht auf eine traumatische Belastungsstörung. Im Nachschaubericht hielt eine Durchgangsärztin fortbestehende innere Unruhe ("stehe wie neben mir") sowie Schlafstörungen fest. Eine psychotherapeutische Mitbehandlung sei dringend erforderlich. Auf telefonische Nachfrage der Beklagten teilte sie ergänzend mit, es habe keine Verletzten gegeben, weil der Pkw in der Schranke hängen geblieben und der Fahrer ausgestiegen sei. Das Ereignis habe beim Kläger Vorfälle aus den Jahren 2003 (tödlicher Bahnunfall) sowie 2009 (Fastzusammenstoß zweier Züge) wieder in Erinnerung gerufen. Der Kläger teilte der Beklagten mit, er habe aus dem Flachstellwerk die Durchfahrt des Zuges gestellt und die Schranke geschlossen. Dann habe er gesehen, wie ein Auto unter der Schrankenanlage geklemmt habe. Der Zug sei dann vorsichtig am Auto vorbei gefahren, sodass nur am Auto und der Schranke leichte Beschädigungen aufgetreten seien.
Die Beklagte lehnte einen Anspruch auf Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung ab, weil ein eigentliches Unfallereignis als Ursache eines psychischen Gesundheitsschadens nicht stattgefunden habe. Leib und Leben des Klägers seien zu keinem Zeitpunkt bedroht gewesen. Allein die Vorstellung eines Unfalls reiche für das Vorliegen eines äußeren Ereignisses nicht aus (Bescheid vom 2.12.2011). Im Widerspruchsverfahren gab der Kläger an, er habe nach Schließung der Schranke wahrgenommen, dass sich ein Pkw trotz herannahenden Zuges auf den Bahnübergang zubewegt habe und in der Schranke steckengeblieben sei. Aus seiner Perspektive habe er nicht erkennen können, dass der Pkw-Fahrer das Auto vor der Zugdurchfahrt verlassen habe. Die Beklagte wies den Widerspruch zurück (Widerspruchsbescheid vom 26.3.2012).
Das SG hat die Klage abgewiesen, weil das Ereignis keine Gesundheitsstörung verursacht habe. Kein Facharzt habe eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert. Das Geschehen vom 25.11.2011, bei dem der Kläger selbst keiner Lebensgefahr ausgesetzt gewesen sei, habe keine außergewöhnliche Bedrohung katastrophalen Ausmaßes dargestellt, die bei fast jedem tiefe Verzweiflung hervorrufe (Gerichtsbescheid vom 20.10.2014).
Der Kläger hat hiergegen Berufung eingelegt und ua vorgetragen, er habe zusammengekauert auf den Knall des Zusammenpralls gewartet, zu dem es dann jedoch nicht gekommen sei. Das LSG hat im Berufungsverfahren sodann ein nervenärztliches Sachverständigengutachten eingeholt, wonach der Kläger an einer mittelgradigen psychosomatischen Störung "iS einer Mischung der ICD 10-Diagnosen F45.1, F34.1, F44 und F41.9" leide, die bis zum 9.12.2011 mit Wahrscheinlichkeit als unfallbedingt anzusehen sei und die danach aufgrund unfallfremder Belastungsfaktoren keine wesentliche ursächliche Bedeutung mehr habe. Hierauf gestützt hat das LSG den Gerichtsbescheid des SG sowie die Bescheide der Beklagten aufgehoben und "das Ereignis vom 25. November 2011 mit einer mehrdimensionalen psychosomatischen Störung (mit Elementen nach ICD-10 F45.1, F34.1, F44 und F41.9) als Arbeitsunfall festgestellt" (Urteil vom 19.4.2018): Die Beinahe-Kollision habe sich bei der versicherten Tätigkeit als beschäftigter Fahrdienstleiter ereignet. Das Geschehen stelle ein "von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis" dar, das die psychosomatische Störung als Wirkung ausgelöst habe. Die äußere betriebsbedingte Einwirkung auf die Psyche des Klägers liege darin, dass er keine fahrdienstlichen Mittel mehr gehabt habe, um die als sicher vorhergesehene Kollision zwischen dem herannahenden Zug und dem Pkw zu unterbinden. Dieser Vorstellung habe ein tatsächlich nachweisbarer, äußerer betriebsbezogener Unfallvorgang zugrunde gelegen. Das Geschehen sei naturwissenschaftliche Bedingung der psychosomatischen Störung. Allerdings seien die gesamten bis zum Tag der Urteilsverkündung andauernden Auswirkungen der psychischen Erkrankung jetzt keine Unfallschäden mehr. Dieser Zusammenhang habe nur bis zum 9.12.2011 bestanden. Die progrediente psychische Fehlentwicklung - über den 9.12.2011 hinaus - beruhe vielmehr auf unfallfremden Belastungsfaktoren.
Mit ihrer Revision rügt die Beklagte die Verletzung der §§ 103, 128 Abs 1 SGG und des § 8 Abs 1 Satz 2 SGB VII: Der Kläger habe bereits keinen Unfall erlitten, weil sich am 25.11.2011 kein Vorgang ereignet habe, durch dessen Ablauf zeitlich begrenzt von außen auf seinen Körper eingewirkt worden sei. Die Annahme einer unvermeidlichen Kollision habe lediglich in seiner Phantasie existiert, sodass es sich um einen rein mentalen, nur eingebildeten Vorgang gehandelt habe. Ob diese Vorstellung nachvollziehbar sei, sei unerheblich. Ginge der Unfallbegriff so weit, dass bereits die irrtümliche Vorstellung einer tatsächlich nicht existenten, wenn überhaupt ausschließlich Dritte betreffenden Gefahrensituation den Versicherungsschutz begründe, würde der Schutzbereich der gesetzlichen Unfallversicherung nahezu ins Uferlose wachsen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 19. April 2018 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Magdeburg vom 20. Oktober 2014 zurückzuweisen.
Der Kläger, der dem angefochtenen Urteil beipflichtet, beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist im Sinne der Aufhebung des angefochtenen Urteils und der Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet (§ 170 Abs 2 Satz 1 und 2 SGG). Die dem Berufungsurteil zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen (§ 163 Halbsatz 1 SGG) genügen nicht, um abschließend zu entscheiden, ob das LSG die angefochtenen Bescheide und den klageabweisenden Gerichtsbescheid zu Recht aufgehoben und das Ereignis vom 25.11.2011 als Arbeitsunfall iS des § 8 Abs 1 Satz 2 SGB VII festgestellt hat. Die kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 Var 1, § 55 Abs 1 Nr 1, § 56 SGG) war Gegenstand des Berufungsverfahrens (§ 157 Satz 1 SGG), weil sie der Kläger mit seiner unbeschränkten Berufung vor das LSG getragen hat, nachdem das SG sie abgewiesen hatte (dazu A.). Ob die Klagen begründet sind, kann der Senat auf der Grundlage der tatrichterlichen Feststellungen nicht entscheiden (dazu B.).
A. Die kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage war Gegenstand des Berufungsverfahrens (§ 157 Satz 1 SGG), obwohl das SG in dem Gerichtsbescheid das Klagebegehren vordergründig auf die Feststellung einer Unfallfolge (§ 55 Abs 1 Nr 3 SGG) verengt hatte. Das SG ist in dem Gerichtsbescheid davon ausgegangen, der Kläger beantrage "seinem schriftsätzlichen Vorbringen entsprechend", die angefochtenen Bescheide abzuändern und die Rechtsvorgängerin der Beklagten "zu verurteilen, eine posttraumatische Belastungsstörung als Folge des Arbeitsunfalls vom 25. November 2011 anzuerkennen". Zu dieser selbstständigen Formulierung des Klageantrags hat sich das SG offenbar deshalb als befugt angesehen, weil weder die Klageschrift (§ 92 Abs 1 Satz 3 SGG) noch vorbereitende Schriftsätze (§ 108 Satz 1 SGG) "einen bestimmten Antrag" enthielten. Das SG hat dabei unbeachtet gelassen, dass der Kammervorsitzende den Kläger unter Fristsetzung zur Antragstellung hätte auffordern müssen (§ 92 Abs 2 Satz 1 SGG) und auch nach fruchtlosem Fristablauf weiterhin darauf hinzuwirken hatte, dass "sachdienliche Anträge gestellt" werden (§ 106 Abs 1 SGG). Dies hätte vor Erlass der Anhörungsmitteilung (§ 105 Abs 1 Satz 2 SGG) geschehen und im Misserfolgsfall zur Durchführung einer mündlichen Verhandlung führen müssen, um dem Kläger dort im Rechtsgespräch erneut Gelegenheit zu geben, ggf mit Unterstützung des Gerichts "angemessene und sachdienliche Anträge" (§ 112 Abs 2 Satz 2 SGG) zu stellen und protokollieren zu lassen (§ 122 SGG iVm § 160 Abs 3 Nr 2 ZPO). Selbst wenn die Beteiligten keine bestimmten (förmlichen) Anträge stellen, wozu sie nicht verpflichtet sind, oder an unzulässigen bzw nicht sachdienlichen Anträgen festhalten, hat das Gericht gemäß § 123 SGG aus dem Klagevorbringen das Rechtschutzbegehren - die erhobenen Ansprüche - zu ermitteln und darüber zu entscheiden, ohne an die Fassung von Seiten des Gerichts formulierter Anträge gebunden zu sein, die der Kläger selbst nicht gestellt hat. Dabei ist nach dem sog "Meistbegünstigungsprinzip" zu verfahren und das Klageziel so zu bestimmen, dass das Begehren des jeweiligen Klägers möglichst weitgehend zum Tragen kommt (BSG Urteil vom 6.4.2011 - B 4 AS 119/10 R - BSGE 108, 86 = SozR 4-1500 § 54 Nr 21, RdNr 29; vgl Masuch/Spellbrink in: Denkschrift 60 Jahre Bundessozialgericht, 2014, Band I, S 437, 440 mwN; Becker, SGb 2014, 1; Harich in: 60 Jahre Sozialgerichtsbarkeit Niedersachsen und Bremen, 2014, 103; tendenziell kritisch neuerdings Harks, NZS 2018, 49). In diesem Sinne hat das SG die in Wahrheit "erhobenen Ansprüche" zutreffend erkannt und beschieden. Denn es fasst das Klagebegehren im Tatbestand des Gerichtsbescheids dahingehend zusammen, der Kläger wolle unter Abänderung der angegriffenen Bescheide den "Beinahe Unfall ... als Arbeitsunfall anerkannt" und "eine posttraumatische Belastungsstörung" als dessen Folge festgestellt wissen. Hat das SG den Streitgegenstand somit umfassend bestimmt, ist nicht anzunehmen, dass es die erhobenen prozessualen Ansprüche dennoch teilweise übergangen und anstelle eines Vollendurteils durch Gerichtsbescheid ein verdecktes Teilurteil erlassen haben könnte. Dass die Voraussetzungen für den Erlass eines Gerichtsbescheids iS des § 105 Abs 1 SGG - keine besonderen Schwierigkeiten der Sache in tatsächlicher und rechtlicher Art sowie geklärter Sachverhalt - offensichtlich nicht vorlagen, kann im Revisionsverfahren dahinstehen.
Da die Beklagte in den angefochtenen Bescheiden einen "Anspruch auf Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung" komplett abgelehnt hatte, konnte der Kläger das Vorliegen eines Arbeitsunfalls als Grundlage der in Frage kommenden Leistungsansprüche vorab im Wege der Feststellungsklage (§ 55 Abs 1 Nr 1 SGG) klären lassen (BSG Urteile vom 7.9.2004 - B 2 U 45/03 R - SozR 4-2700 § 2 Nr 2 RdNr 12; vom 28.4.2004 - B 2 U 21/03 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 5101 Nr 2 RdNr 24 und vom 27.7.1989 - 2 RU 54/88 - SozR 2200 § 551 Nr 35), um auf dieser Basis später konkrete Leistungen geltend zu machen. Um sich diese Möglichkeit offenzuhalten, musste er zugleich mit der Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 Var 1 SGG) verhindern, dass die Ablehnungsentscheidungen in dem Bescheid vom 2.12.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.3.2012 (§ 95 SGG) bestandskräftig (§ 77 SGG) werden. Soweit der Kläger im Klageverfahren noch flankierend die Feststellung einer posttraumatischen Belastungsstörung als Unfallfolge geltend gemacht hatte, ist diese weitere Feststellungsklage (§ 55 Abs 1 Nr 3 SGG) im Berufungsverfahren zuletzt nicht mehr weiterverfolgt und damit konkludent zurückgenommen worden (§ 102 Satz 1 SGG; zur konkludenten Klagerücknahme vgl nur Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl 2017, § 102 RdNr 7b).
B. Ob die Ablehnungsentscheidungen in dem Bescheid vom 2.12.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.3.2012 (§ 95 SGG) rechtswidrig sind, weil der Kläger einen Arbeitsunfall erlitten hat, kann allerdings anhand der tatsächlichen Feststellungen des LSG nicht entschieden werden. Nach § 8 Abs 1 Satz 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind nach § 8 Abs 1 Satz 2 SGB VII zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Ein Arbeitsunfall setzt daher voraus, dass der Verletzte durch eine Verrichtung vor dem fraglichen Unfallereignis den gesetzlichen Tatbestand einer versicherten Tätigkeit erfüllt hat und deshalb "Versicherter" ist. Die Verrichtung muss ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis und dadurch einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten objektiv und rechtlich wesentlich verursacht haben (Unfallkausalität und haftungsbegründende Kausalität; vgl BSG stRspr, Urteile vom 20.8.2019 - B 2 U 1/18 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen; vom 19.6.2018 - B 2 U 2/17 R - SozR 4-2700 § 2 Nr 46 RdNr 13; vom 30.3.2017 - B 2 U 15/15 R - NZS 2017, 625 = NJW 2017, 2858, RdNr 14; BSG vom 5.7.2016 - B 2 U 19/14 R - BSGE 121, 297 = SozR 4-2700 § 2 Nr 36, RdNr 11; vom 4.12.2014 - B 2 U 10/13 R - BSGE 118, 1 = SozR 4-2700 § 2 Nr 32, RdNr 11 und B 2 U 13/13 R - SozR 4-2700 § 2 Nr 31 RdNr 11; vom 26.6.2014 - B 2 U 4/13 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 52 RdNr 11; vom 14.11.2013 - B 2 U 15/12 R - SozR 4-2700 § 2 Nr 27 RdNr 11; vom 18.6.2013 - B 2 U 10/12 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 47 RdNr 12; vom 15.5.2012 - B 2 U 16/11 R - BSGE 111, 52 = SozR 4-2700 § 2 Nr 21, RdNr 10; vom 13.11.2012 - B 2 U 19/11 R - BSGE 112, 177 = SozR 4-2700 § 8 Nr 46, RdNr 20 und vom 24.7.2012 - B 2 U 9/11 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 44 RdNr 25 f). Die Feststellungen des LSG genügen nicht, um abschließend zu beurteilen, ob der Kläger "infolge" (§ 8 Abs 1 Satz 1 SGB VII) einer Verrichtung, die mit seiner (grundsätzlich) versicherten Tätigkeit als beschäftigter Fahrdienstleiter (§ 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII) in einem sachlichen Zusammenhang stand (dazu I.), einen Unfall (§ 8 Abs 1 Satz 2 SGB VII) erlitten hat (dazu II.).
I. Es lässt sich schon nicht beurteilen, ob der Kläger überhaupt eine versicherte Verrichtung ausgeübt hat. Zwar gehörte er als angestellter Fahrdienstleiter zum Kreis der Beschäftigten und war deshalb gemäß § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII dem Grunde nach kraft Gesetzes unfallversichert. Eine nach § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII versicherte Tätigkeit erfordert das Vorliegen einer Verrichtung, deren Ergebnis nicht dem Beschäftigten selbst, sondern dem Unternehmer unmittelbar zum Vor- oder Nachteil gereicht (vgl § 136 Abs 3 Nr 1 SGB VII). Eine Verrichtung ist jedes konkrete, also auch räumlich und zeitlich bestimmte Verhalten eines Verletzten, das (objektiv) seiner Art nach von Dritten beobachtbar und subjektiv - zumindest auch - auf die Erfüllung des Tatbestandes der jeweiligen versicherten Tätigkeit ausgerichtet ist (BSG Urteil vom 15.5.2012 - B 2 U 8/11 R - BSGE 111, 37 = SozR 4-2700 § 2 Nr 20, RdNr 21). Eine Beschäftigung iS des § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII wird daher ausgeübt, wenn die Verrichtung zumindest dazu ansetzt und darauf gerichtet ist, entweder eine eigene objektiv bestehende Haupt- oder Nebenpflicht aus dem zugrunde liegenden Rechtsverhältnis zu erfüllen, oder der Verletzte eine objektiv nicht geschuldete Handlung vornimmt, um einer vermeintlichen Pflicht aus dem Rechtsverhältnis nachzugehen, sofern er nach den besonderen Umständen seiner Beschäftigung zurzeit der Verrichtung annehmen durfte, ihn treffe eine solche Pflicht, oder er unternehmensbezogene Rechte aus dem Rechtsverhältnis ausübt (BSG Urteile vom 27.11.2018 - B 2 U 7/17 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 66 RdNr 11; vom 23.4.2015 - B 2 U 5/14 R - SozR 4-2700 § 2 Nr 33 RdNr 14; vom 26.6.2014 - B 2 U 7/13 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 53 RdNr 12; vom 15.5.2012 - B 2 U 8/11 R - BSGE 111, 37 = SozR 4-2700 § 2 Nr 20, RdNr 27 ff; vom 13.11.2012 - B 2 U 27/11 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 45 RdNr 23 f und vom 14.11.2013 - B 2 U 15/12 R - SozR 4-2700 § 2 Nr 27 RdNr 13). Auf der Basis des festgestellten Sachverhalts lässt sich schon nicht beurteilen, ob der Kläger überhaupt eine versicherte Verrichtung im soeben aufgezeigten Sinne ausgeübt hat.
Das LSG gibt in dem Sachverhalt des angegriffenen Urteils den Vortrag des Klägers wieder, dieser habe sich zusammengekauert und von dem Geschehen abgewendet. Es erscheint bereits zweifelhaft, ob die bloße Vorstellung einer unabwendbaren Kollision zwischen Zug und Pkw sowie die daraus gezogene Schlussfolgerung, das vorausgesehene Geschehen mit "fahrdienstlichen Maßnahmen" nicht mehr verhindern zu können, als Verhalten aufgefasst werden kann, das (objektiv) seiner Art nach von Dritten beobachtbar und subjektiv - zumindest auch - auf die Erfüllung des Tatbestandes der jeweiligen versicherten Tätigkeit ausgerichtet war. Zwar hätten Dritte ggf sehen können, dass sich der Kläger zusammengekauert abwendete, als er den Eintritt des Unglücks subjektiv kommen sah, was Rückschlüsse auf sein Denken zuließ. Es stellt sich dann jedoch die Frage, inwiefern das Sich-Abwenden im Sinne eines "die Augen verschließen" von der erwarteten Katastrophe subjektiv - zumindest auch - auf die Erfüllung des Tatbestandes der versicherten Tätigkeit als Fahrdienstleiter ausgerichtet gewesen sein könnte.
War der Kläger dagegen - was nach den geschilderten Tatumständen zwar näherliegt, aber vom LSG noch positiv festzustellen ist - objektiv verpflichtet, den Bahnübergang im Interesse der Unternehmerin aus betrieblichen Gründen im Auge zu behalten, hätte er den Schrankendurchbruch des Pkw aufgrund seines beruflichen "Beobachterstatus" (vgl dazu Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl 2017, S 161) auch subjektiv mit dem Willen wahrgenommen, seine versicherte Tätigkeit als Fahrdienstleiter zu erfüllen. Dann hätte zwischen der versicherten Tätigkeit als Fahrdienstleiter und dem Beobachten des Bahnübergangs als Verrichtung zur Zeit der äußeren Einwirkungen ein sachlicher Zusammenhang bestanden, der es rechtfertigen könnte, das Verhalten des Klägers seiner versicherten Tätigkeit zuzurechnen. Das LSG wird daher im wiedereröffneten Berufungsverfahren ermitteln müssen, ob der Kläger beobachtete, wie ein Auto die Schranke durchbrach und sich auf den Bahnübergang zubewegte oder ob er sich von diesem Geschehen abwandte. Danach wird festzustellen sein, ob er mit dieser Verrichtung in seiner Funktion als Fahrdienstleiter eine Hauptpflicht aus seinem Arbeitsvertrag mit der Unternehmerin (DB Netz AG) erfüllte. Dabei wird weiter zu prüfen sein, ob und ggf welche zusätzlichen Pflichten sich aus öffentlich-rechtlichen Vorschriften wie der Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung (EBO) vom 8.5.1967 (BGBl II 1563) ergeben, wonach Fahrdienstleiter als sog "Betriebsbeamte" (§ 47 Abs 1 Nr 3 EBO) fungieren und verpflichtet sind, für die sichere und pünktliche Durchführung des Eisenbahnbetriebs zu sorgen (§ 47 Abs 2 Satz 1 EBO). Dies könnte bedeuten, dass der Kläger als Fahrdienstleiter nicht nur die Schrankenanlage bedienen und Zügen die Durchfahrt gestatten musste, sobald ihr Fahrweg frei war (§ 39 Abs 4 Satz 1 EBO), sondern den Bahnübergang für die Unternehmerin verantwortlich zu sichern und deshalb visuell zu überwachen hatte. Dafür könnte auch sprechen, dass Bahnübergänge mit Schranken in aller Regel von der Bedienungsstelle aus mittelbar oder unmittelbar einsehbar sein müssen (§ 39 Abs 16 Satz 1 EBO), wenn das Schließen der Schranken nicht durch Lichtzeichen auf den Straßenverkehr abgestimmt und das Freisein des Bahnüberganges durch technische Einrichtungen festgestellt wird (§ 39 Abs 16 Satz 2 EBO).
II. Aufgrund der Feststellungen des LSG kann ebenfalls nicht entschieden werden, ob der Kläger überhaupt einen Unfall iS des § 8 Abs 1 Satz 2 SGB VII erlitten hat, dh ob das hier allein in Betracht kommende von außen auf seinen Körper einwirkende Ereignis (dazu 1.) zu einem Gesundheitsschaden geführt hat (dazu 2.) und der erforderliche Ursachenzusammenhang zwischen Einwirkung und vermeintlichem Gesundheitsschaden gegeben ist (dazu 3.).
1. Soweit das LSG "die äußere betriebsbedingte Einwirkung auf die Psyche" gerade in der Machtlosigkeit und der subjektiven (Fehl-)Vorstellung gesehen hat, dass die antizipierte Kollision zwischen Zug und Pkw unabwendbar sei, handelte es sich dabei um kein von außen auf den Kläger einwirkendes "Ereignis" im Sinne eines tatsächlichen, die Dinge verändernden Geschehens (zum "Ereignis" im Unfallbegriff ausführlich Mülheims, SGb 2019, 258, 265). Denn die mit dem Gefühl der Hilflosigkeit verbundene und durch den vermeintlichen Kontrollverlust erzwungene Passivität ist gerade kein aktives, äußeres Geschehen, das den Lauf der Dinge ändert, und kann schon deshalb nicht als "Ereignis" qualifiziert werden, das notwendiger Bestandteil eines jeden Unfalls ist. Die aus dem Gefühl der Ohnmacht resultierende psychische Belastung, die im weiteren Verlauf offenbar fehlverarbeitet wurde, kam insofern "von innen", dh aus der Vorstellungswelt des Klägers selbst, und wirkte gerade nicht "von außen" auf ihn ein. Es handelte sich lediglich um die subjektive (Fehl-)Vorstellung bzw -einschätzung eines unvermeidlichen Zusammenpralls zwischen Zug und Auto mit ebenfalls erdachten bzw befürchteten erheblichen Verletzungen des Pkw-Fahrers. Dieses Vervollständigen des Gesamtgeschehens (zu einer Katastrophe) lief allein im geistig-seelischen, inneren Bereich des Klägers und nicht in der realen Außenwelt ab. Insofern hätte dann kein "äußeres Ereignis", sondern eine bloße Illusion, Einbildung bzw Halluzination vorgelegen, die allein in der subjektiven Vorstellung des Klägers existierte. Ebenso ist seine fatalistische Erkenntnis, über "keine fahrdienstlichen Maßnahmen" mehr zu verfügen, "um die als sicher vorhergesehene Kollision ... zu unterbinden", lediglich das Ergebnis eines Denkvorgangs auf falscher Tatsachengrundlage und deshalb ebenfalls kein "äußeres Ereignis", das auf die Psyche des Klägers betriebsbedingt einwirkte, wie das LSG angenommen hat.
Dagegen könnte ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Kläger einwirkendes Ereignis darin gelegen haben, dass in der realen Außenwelt - objektiv - ein Auto die Schranke durchbrach und sich auf den Bahnübergang zubewegte, den der Kläger als verantwortlicher Fahrdienstleiter zu sichern hatte. Diesen Vorfall nahm er mit den Sehzellen seiner Augen wahr, die den optischen Eindruck in elektrische Impulse übersetzten und über den Sehnerv ins Gehirn weiterleiteten (visuelle Verarbeitung), sodass sich sein physiologischer Körperzustand änderte (vgl dazu BSG Urteil vom 24.7.2012 - B 2 U 9/11 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 44 RdNr 42). Insofern können bereits bloße Wahrnehmungen (Sehen, Hören, Schmecken, Ertasten, Riechen) äußere Ereignisse darstellen. Da das Auto die Schranke nachweislich durchbrochen hatte, handelte es sich insofern um keinen rein mentalen oder nur "eingebildeten" Vorgang ohne jedes Korrelat in der Außenwelt infolge ausgeprägter Phantasie, Sinnestäuschung oder Überängstlichkeit (vgl dazu BSG Urteil vom 29.11.2011 - B 2 U 23/10 R - NZS 2012, 390, RdNr 17). Nur wenn jeder äußere Anknüpfungspunkt (Umweltreiz) für einen (subjektiv als real empfundenen) Sinneseindruck fehlte oder sich nicht mehr feststellen ließe, wäre schon ein "Ereignis" (im Sinne eines tatsächlichen, dynamischen Geschehens), das "von außen" auf den Körper bzw die Psyche einwirkt, zu verneinen (BSG Urteil vom 29.11.2011 - B 2 U 10/11 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 42: Vollbremsung für inexistenten Fußgänger aufgrund optischer Halluzination). Das LSG wird in dem wiedereröffneten Verfahren nochmals genau festzustellen und zu prüfen haben, ob ein "äußeres Ereignis" in dem soeben aufgezeigten Sinne zur vollen richterlichen Überzeugung vorgelegen hat.
2. Zu welchen Gesundheitsschäden iS des § 8 Abs 1 Satz 2 SGB VII ein ggf festgestelltes äußeres Ereignis (hierzu soeben unter 1.) geführt hat, ist jedoch unklar. Im Bereich psychischer Störungen sind die Gesundheitsschäden genau zu definieren (Spellbrink, SozSich 2019, 18, 20), was nach der Senatsrechtsprechung zwingend voraussetzt, dass die Störung durch Einordnung in eines der gängigen Diagnosesysteme (zB ICD-10, DSM V) unter Verwendung der dortigen Schlüssel und Bezeichnungen exakt beschrieben wird (BSG Urteile vom 15.5.2012 - B 2 U 31/11 R - NZS 2012, 909, RdNr 18 sowie vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, RdNr 22 und - B 2 U 26/04 R - juris RdNr 26). Denn je genauer und klarer die Gesundheitsstörungen bestimmt sind, um so einfacher sind ihre Ursachen zu erkennen und zu beurteilen. Dies schließt begründete Abweichungen von diesen Diagnosesystemen, zB aufgrund ihres Alters und des zwischenzeitlichen wissenschaftlichen Fortschritts, nicht aus.
Das LSG hat im Urteilstenor eine "mehrdimensionale psychosomatische Störung (mit Elementen nach ICD-10 F45.1, F34.1, F44 und F41.9)" als Gesundheitsschaden festgestellt und damit Kapitel V (F) - Psychische und Verhaltensstörungen - der Zehnten Revision der internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD-10) in deutscher Fassung (German Modification - GM) herangezogen, wobei es konkludent die am Tag der mündlichen Verhandlung am 19.4.2018 geltende Version 2018 zugrunde gelegt hat (abrufbar unter: https://www.dimdi.de/static/de/klassifikationen/icd/icd-10-gm/kode-suche/htmlgm2018). Überdies hat die Weltgesundheitsorganisation (World Health Organization - WHO) zu Kapitel V der ICD-10 - Psychische und Verhaltensstörungen - "klinische Beschreibungen und klinisch-diagnostische Leitlinien" ("Clinical descriptions and diagnostic guidelines") herausgegeben (Dilling/Mombour/Schmidt, Internationale Klassifikation psychischer Störungen: ICD-10 Kapitel V (F) - Klinisch-diagnostische Leitlinien (Deutsch), 2015, in englischer Sprache abrufbar unter https://www.dimdi.de/dynamic/de/klassifikationen/icd/icd-10-who/), die bei der Diagnose psychischer Störungen nicht unberücksichtigt bleiben dürfen. Diese klinisch-diagnostischen Leitlinien der WHO sind generelle Tatsachen, für die die Beschränkung des § 163 Halbsatz 1 SGG nicht gilt (vgl zB BSG Urteile vom 27.6.2019 - B 5 RS 2/18 R - juris RdNr 13 - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen und vom 13.12.2005 - B 1 KR 21/04 R - SozR 4-2500 § 18 Nr 5 RdNr 18) und die das Revisionsgericht deshalb - auch ohne entsprechende Rüge (§ 163 Halbsatz 2 SGG) - selbst überprüfen, feststellen und ggf eigenständig ermitteln darf (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, aaO, § 163 RdNr 7; vgl zur Zulässigkeit einer Beweiserhebung in Bezug auf generelle Tatsachen im Revisionsverfahren Großer Senat des BSG Beschluss vom 12.12.2008 - GS 1/08 - BSGE 102, 166 = SozR 4-1500 § 41 Nr 1, RdNr 33). In den klinisch-diagnostischen Leitlinien der WHO heißt es zur Komorbidität, dh zur Verwendung von mehr als einer Diagnose, unter der Überschrift "Spezielle Benutzerhinweise" auszugsweise: "Wird mehr als eine Diagnose gestellt, so wird zwischen einer Hauptdiagnose und Neben- bzw Zusatzdiagnosen unterschieden. Priorität soll die Diagnose erhalten, der die größte aktuelle Bedeutung zukommt." Unter der Überschrift "Probleme in der Terminologie" und der Unterüberschrift "Psychogen und psychosomatisch" heißt es ausdrücklich: "Der Begriff 'psychosomatisch' wird aus ähnlichen Gründen [dh wegen seiner unterschiedlichen Bedeutung in verschiedenen Sprachen und psychiatrischen Schulen] nicht gebraucht."
Entgegen dieser Terminologie hat das LSG eine "mittelgradige psychosomatische Störung" als Haupterkrankung angenommen, obwohl die klinisch-diagnostischen Leitlinien der WHO dies ausdrücklich ausschließen. Es weicht damit an entscheidender Stelle von dem Diagnosesystem ab, das es selbst zugrunde legt, und verstößt gegen das zwingende Erfordernis, eine exakte Diagnose der Krankheit in Übereinstimmung mit einem der international anerkannten Diagnosesysteme (zB ICD-10 bzw DSM-V) anzugeben. Dasselbe gilt, soweit der Sachverständige von einer "Mischung" mehrerer ICD-10-Diagnosen ausgeht, die das LSG zu "Elementen" der mehrdimensionalen psychosomatischen Störung erklärt. Der Sachverständige und ihm folgend das LSG stellen mehrere Codierungen nebeneinander und differenzieren dabei weder exakt zwischen Haupt- und Neben- bzw Zusatzdiagnosen noch nehmen sie eine Priorisierung nach der Bedeutung der jeweiligen Erkrankung vor, obgleich die klinisch-diagnostischen Leitlinien der WHO weder eine "Mischung" mehrerer Diagnosen noch ihre Einordnung als "Elemente" innerhalb einer Leitdiagnose zulassen, sondern nur die Unterscheidung zwischen einer Hauptdiagnose und Neben- bzw Zusatzdiagnosen vorsehen. Zudem bleibt offen, ob es sich bei der beschriebenen Komorbidität um das Auftreten verschiedener Erkrankungen im Querschnitt (simultane Komorbidität) oder um ihr Vorkommen im Längsschnitt (sukzessive Komorbidität) handelt (vgl dazu Jäger, Aktuelle psychiatrische Diagnostik - Ein Leitfaden für das tägliche Arbeiten mit ICD und DSM, 2015, S 90 mwN). Dass die Abweichungen von den Regularien des ICD-10 aufgrund des zwischenzeitlichen wissenschaftlichen Fortschritts gerechtfertigt sein könnten, legt das LSG weder dar noch ist dies sonst ersichtlich. Da die Feststellung des Gesundheitsschadens iS des § 8 Abs 1 Satz 2 SGB VII mit dem vom LSG selbst herangezogenen Diagnosesystem und den dazu herausgegebenen klinisch-diagnostischen Leitlinien unvereinbar ist, fehlt schon deshalb eine ausreichende Grundlage für eine Entscheidung des Senats in der Sache. Das LSG wird daher mit sachverständiger Hilfe anhand des herangezogenen Diagnosesystems präzise prüfen müssen, ob und ggf welche psychischen Störungen beim Kläger aufgetreten sind. Dafür wird es keinesfalls genügen, lediglich eine Reihe von Befindlichkeitsstörungen zu schildern, die am Morgen nach dem Ereignis aufgetreten sind (innere Unruhe, Kribbelgefühl unter der Haut, ein Zucken des linken Auges, ein Zittern des gesamten Körpers, ein verminderter Antrieb und ein erhöhtes Schlafbedürfnis), ohne sie differentialdiagnostisch ein- und einem oder mehreren (psychischen) Krankheitsbild(ern) zuzuordnen.
Soweit der Kläger erschrak, als er sah, dass ein Pkw die Schranke durchbrochen hatte und sich auf den Bahnübergang zubewegte, wird das LSG zu beachten haben, dass die natürliche, biologische Schreckreaktion auf einen bedrohlich empfundenen Sinnesreiz zum evolutionären Überlebensprogramm des Menschen gehört. Sie aktiviert instinktiv Schutz- und Abwehrmechanismen, die in Flucht, Kampf oder einer Schreckstarre ("Totstellreflex") münden können. Der Schreck an sich ist jedoch (noch) kein Gesundheitsschaden, sondern eine normale vitale Reaktion auf einen überraschend wahrgenommenen, potentiell bedrohlichen (Sinnes-)Reiz. Sollte der Kläger zusammengekauert auf den Knall des Zusammenpralls gewartet haben, spräche dies zunächst für eine Reaktion in Form der Schreckstarre. Diese Reaktion auf ein Belastungsereignis umschreibt die Umgangssprache als "Schock" und das Städtische Klinikum D. als "traumatische Belastungsstörung", während das ICD-10 sie als "akute Belastungsreaktion" (F43.0 ICD-10) bezeichnet (ähnlich DSM V 308.3: "akute Belastungsstörung").
Die "akute Belastungsreaktion" (F43.0 ICD 10-GM 2018) ist "eine vorübergehende Störung, die sich bei einem psychisch nicht manifest gestörten Menschen als Reaktion auf eine außergewöhnliche physische oder psychische Belastung entwickelt, und die im Allgemeinen innerhalb von Stunden oder Tagen abklingt." Für die Frage, ob das Vorliegen einer außergewöhnlichen psychischen Belastung und damit einer "akuten Belastungsreaktion" zu bejahen oder zu verneinen ist, könnte es ua darauf ankommen, ob der Kläger das letztlich eine Gefahr ausschließende Steckenbleiben des Pkw in der Schranke gesehen hat und zugleich plausibel ist, dass er diese "objektive Gefahrlosigkeit" des Vorgangs erst "im Nachhinein" realisierte, weil er einer Bewusstseinstrübung erlag, oder ob er das Hängenbleiben des Pkw unter der Schranke überhaupt nicht (mehr) bemerkte, weil er sich vorher bereits abgewandt hatte. Darüber hinaus könnte zu berücksichtigen sein, ob sich der Kläger - zB wegen einer Fehlbedienung der Schrankenanlage oder eines sonstigen vermeintlichen Fehlverhaltens - eigenen oder fremden Fahrlässigkeitsvorwürfen ausgesetzt sah, ob und ggf wie nahe er dem Pkw-Fahrer stand (Eigen- bzw Drittbetroffenheit) und inwiefern seine Fähigkeit, mit vergleichbaren Gefahrereignissen umzugehen, durch den tödliche Bahnunfall 2003 und den zwei Jahre zurückliegenden Fastzusammenstoß zweier Züge gemindert war. Gegebenenfalls wird das LSG mit sachverständiger Unterstützung eruieren müssen, ob das wahrgenommene Geschehen, das lediglich geringfügigen Sachschaden an Pkw und Schranke hervorgerufen hat, allein oder aufgrund weiterer Tatumstände als außergewöhnliches psychisches Belastungsereignis eingestuft werden kann oder ob es sogar schon genügt, dass sich ein dramatisches Geschehen zwar nicht in der Realität, aber in der Vorstellung des Klägers abgespielt hat. Dabei könnte auch zu erörtern sein, warum er die Situation psychisch nicht bewältigen konnte, obwohl die befürchteten katastrophalen Folgen gänzlich ausgeblieben sind, dh warum sich die sofortige Relativierung des Stressors nicht dämpfend auf das Stresserleben auswirkte, die emotionale bzw physiologische Reaktion verminderte und sowohl die Erlebnisverarbeitung als auch die rasche Bewältigung des Ereignisses erleichterte (vgl zur fortlaufenden und wechselseitigen Inter- bzw Transaktion zwischen Person und Umwelt im Bewältigungsprozess: Bengel/Hubert, Anpassungsstörung und akute Belastungsreaktion, 2010, S 23 f).
Dies schließt es nicht aus, anstelle oder neben einer "akuten Belastungsreaktion" (F43.0 ICD-10) eine undifferenzierte Somatisierungsstörung (F45.1 ICD-10), Dysthymie (F34.1 ICD-10), dissoziative Störung (F44 ICD-10), generalisierte Angststörung (F41.9 ICD-10) oder eine sukzessive posttraumatische Belastungsstörung und/oder andere Störung als Haupt- oder Neben- bzw Zusatzdiagnose festzustellen.
3. Ob das Belastungsereignis hinreichend wahrscheinlich und rechtlich wesentlich psychische Gesundheitsstörungen hervorgerufen hat, wird das LSG mithilfe medizinischer Sachverständigengutachten ermitteln und dabei berücksichtigen müssen, dass kein Rechts- oder Erfahrungssatz existiert, wonach Bagatellereignisse von vornherein ungeeignet sind, psychische Gesundheitsschäden hervorzurufen. Der Senat hat insoweit in einem weiteren Urteil vom 9.5.2006 (B 2 U 40/05 R - UV-Recht Aktuell 2006, 419) klargestellt, dass es bei seelischen Erkrankungen keinen Rechts- oder Erfahrungssatz gibt, wonach ein als geringfügig beurteiltes Trauma stets als bloße Gelegenheitsursache anzusehen ist. Auch eine "abnormale seelische Bereitschaft" schließt deshalb die Bewertung einer psychischen Reaktion als Unfallfolge nicht aus. Gleichwohl wird bei einem groben Missverhältnis zwischen Ereignis und Reaktion kritisch zu prüfen und ggf vertieft zu hinterfragen sein, ob den bereits festgestellten unversicherten Mitursachen (ua gescheiterte Wiedereingliederung in die Tätigkeit als Fahrdienstleiter, Erkrankungen der Ehefrau, degenerative Wirbelsäulenveränderungen, unfallbedingte HWS-Schädigung 2001, chronische Magen-Darm-Beschwerden seit 2001, Sicca-Syndrom der Augen sowie rechtliche Auseinandersetzungen in der Folge des Geschehens vom 25.11.2011) überragende Bedeutung zukommt. Das LSG hat dem insoweit bereits Rechnung getragen, als es die psychischen Folgen des Ereignisses über den 9.12.2011 hinaus als nicht mehr unfallbedingt betrachtet hat. Auch insofern wird aber zu prüfen sein, inwieweit die Festlegung eines bestimmten Tages, ab dem Unfallfolgen als nicht mehr auf das Unfallereignis rückführbar betrachtet werden, mit allgemein anerkannten wissenschaftlichen Erfahrungssätzen übereinstimmt bzw belegt werden kann.
Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.
Fundstellen
SGb 2020, 169 |
Breith. 2020, 836 |