Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Unfallversicherung. Arbeitsunfall. Scheingefahr. Unfallereignis. Unfallbegriff. innere Ursache. allein psychische Einwirkung. keine objektive Gefahrenlage für den Versicherten oder einen Dritten. psychisches Trauma. Wahrnehmung eines vermeintlichen Unglücksfalls
Leitsatz (amtlich)
1. Entscheidend für den Unfallbegriff sind ein versichertes ("äußeres") Ereignis als Ursache und ein Gesundheits(erst)schaden als Wirkung, wobei dieser sowohl durch eine äußere physische Einwirkung als auch durch äußere psychische Belastungen verursacht werden kann.
2. Ein versichertes psychisches Trauma kann auch dann vorliegen, wenn betriebsbedingte äußere Umstände beim Versicherten die nachvollziehbare Vorstellung bewirken, in eine Gefahrenlage für sich oder andere verwickelt zu sein.
Nachgehend
Tenor
Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Magdeburg vom 20. Oktober 2014 und der Bescheid der Beklagten vom 2. Dezember 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. März 2012 werden aufgehoben und das Ereignis vom 25. November 2011 mit einer mehrdimensionalen psychosomatischen Störung (mit Elementen nach ICD-10 F45.1, F34.1, F44 und F41.9) als Arbeitsunfall festgestellt.
Die Beklagte trägt ein Drittel der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers für das Vorverfahren sowie für beide Rechtszüge.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist, ob ein Ereignis - mit einer psychischen Gesundheitsstörung - als Arbeitsunfall anzuerkennen ist.
Laut D-Arztbericht vom ... 2011 nahm der 1962 geborene und als Fahrdienstleiter bei der D. beschäftigte Kläger am 25. November 2011 gegen 10:35 Uhr einen Beinahe-Pkw-Zug-Unfall wahr. Da er entsprechendes nicht das erste Mal erlebt habe, habe ihn das Ereignis überfordert und innerlich beunruhigt. Seitens des Städtischen Klinikums D. wurde der Verdacht einer traumatischen Belastungsstörung geäußert.
Im Nachschaubericht vom 28. November 2011 hielt die D-Ärztin Dipl.-Med. P. fortbestehende innere Unruhe ("stehe wie neben mir") sowie Schlafstörungen fest. Eine psychologische/psychotherapeutische Mitbehandlung sei dringend erforderlich. Arbeitsunfähigkeit des Klägers liege voraussichtlich bis zum 9. Dezember 2011 vor. Auf telefonische Nachfrage (einer Rechtsvorgängerin) der Beklagten teilte die Ärztin am 2. Dezember 2011 ergänzend mit, es habe am 25. November 2011 keine Verletzten gegeben, da der Pkw in der Schranke hängen geblieben und der Fahrer ausgestiegen sei. Im März 2003 habe sich ein ähnliches Ereignis zugetragen, als ein Zug mit einem Auto zusammengestoßen und ein Toter zu beklagen gewesen sei.
Nach der betrieblichen Unfallanzeige vom 28. November 2011 seien durch das Ereignis vom 25. November 2011 in D. beim Kläger die Vorfälle vom 6. März 2003 (tödlicher Bahnunfall) sowie vom 23. September 2009 (Fastzusammenstoß zweier Züge) wieder in der Erinnerung hervorgerufen worden.
Nach einem Vermerk (einer Rechtsvorgängerin) der Beklagten vom 2. Dezember 2011 habe der Kläger telefonisch mitgeteilt, er habe aus dem Flachstellwerk die Durchfahrt des Zuges gestellt und die Schranke geschlossen. Dann habe er gesehen, wie ein Auto unter der Schrankenanlage geklemmt habe. Der Zug sei dann vorsichtig am Auto vorbei gefahren, so dass nur am Auto und der Schranke eine leichte Beschädigung aufgetreten sei. Der Fahrer des Pkw sei schon vorher ausgestiegen. Beim Ereignis im März 2003 sei er selbst zwar nicht zugegen gewesen, habe jedoch seine Frau abgelöst, die ebenfalls als Fahrdienstleiterin beschäftigt sei. Im September 2009 habe er als Fahrdienstleiter den Zusammenstoß zweier Züge verhindert.
Mit Bescheid vom 2. Dezember 2011 lehnte die Beklagte einen Anspruch auf Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung aus Anlass des Geschehens vom 25. November 2011 ab, da ein eigentliches Unfallereignis im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung als Ursache eines psychischen Gesundheitsschadens nicht stattgefunden habe. Der Kläger selbst habe sich zu keinem Zeitpunkt in einer lebensbedrohlichen Situation befunden. Allein die Vorstellung eines Unfallereignisses sei für das Vorliegen eines erforderlichen äußeren Ereignisses unzureichend. Es habe sich vielmehr um eine berufstypische Belastung gehandelt.
Hiergegen erhob der Kläger am 30. Dezember 2011 Widerspruch und führte zur Begründung unter dem 31. Januar 2012 aus, der Unfallbegriff setze nicht zwingend einen physischen Vorgang voraus. Vielmehr könne z.B. auch ein Schockzustand infolge eines äußeren Ereignisses einen Unfall darstellen. Nach Schließung der Schranke habe er wahrgenommen, dass sich ein Pkw trotz herannahenden Zuges auf den Bahnübergang zubewegt habe und in der Schranke steckengeblieben sei. Dass der Pkw-Fahrer das Auto vor der Zugdurchfahrt verlassen habe, habe er aus seiner Perspektive nicht erkennen können. Durch das Ereignis sei auch eine psychische Gesundheitsstörung verursacht worden. Es könne auch nicht als typische berufliche Belastun...