Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts … vom 1. Juli 1955 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander Kosten nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Tatbestand
I. Der Kläger war nach der Arbeitsbescheinigung der Firma …, bei dieser vom 23. Oktober 1946 bis zum 20. Februar 1954 als Pförtner beschäftigt. Laut Bescheinigung der Allgemeinen Ortskrankenkasse Lübeck vom 23. Februar 1954 war er jedoch nur für die Zeit vom 23. Oktober 1946 bis zum 10. Juli 1951 und vom 1. August 1951 bis zum 20. Februar 1954 für den Fall der Krankheit pflichtversichert. Denn in der Zeit vom 11. bis zum 31. Juli 1951 hatte er mit der gesamten Belegschaft an einem Streik teilgenommen.
Nach seiner Arbeitslosmeldung am 23. Februar 1954 hatte ihm deshalb das Arbeitsamt Lübeck, weil es als ununterbrochene versicherungspflichtige Beschäftigung lediglich die Zeit vom 1. August 1951 bis zum 20. Februar 1954 (mehr als 104 Wochen) zugrunde legte, gemäß § 99 Abs. 1 Satz 3 AVAVG in der Fassung des § 1 des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung von Vorschriften auf dem Gebiete der Arbeitslosenversicherung und der Arbeitslosenfürsorge vom 24. August 1953 (BGBl. I S. 1022) die Arbeitslosenunterstützung (Alu) nur für 32 Wochen bewilligt. Nach ihrem Ablauf wurde ihm Arbeitslosenfürsorgeunterstützung (Alfu) gewährt. Hiergegen erhob er Widerspruch und beantragte, ihm die Alu für insgesamt 52 Wochen zu bewilligen, da seine versicherungspflichtige Beschäftigung vom 23. Oktober 1946 bis zum 20. Februar 1954, also ununterbrochen mehr als 260 Wochen gedauert habe. Durch Bescheid der Widerspruchsstelle des Arbeitsamts Lübeck vom 25. Oktober 1954 wurde der Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen, weil die Gesamtbeschäftigungsdauer durch den 21-tägigen Streik unterbrochen worden sei.
II. Die Klage hiergegen wurde durch Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 4. Februar 1955 abgewiesen, da er nach der Bescheinigung der AOK. Lübeck während der Streiktage nicht gegen Krankheit und damit auch nicht für den Fall der Arbeitslosigkeit versichert gewesen sei (§ 69 Nr. 1 AVAVG), das Verfügungsrecht des Arbeitgebers weggefallen und dadurch das versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnis beendet worden sei.
Die Berufung des Klägers wurde durch Urteil des Landessozialgerichts (LSGer.) Schleswig vom 1. Juli 1955 mit grundsätzlich gleicher Begründung zurückgewiesen. Insbesondere wurde dabei auf den Unterschied zwischen dem arbeitsvertraglichen Verhältnis und dem öffentlich – rechtlichen versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis eingegangen und darauf hingewiesen, daß der Gesetzgeber bei Aufnahme des Begriffs „ununterbrochene versicherungspflichtige Beschäftigung” in den § 99 Abs. 1 Satz 3 AVAVG auf Grund des Änderungsgesetzes vom 24. August 1953 diesen Begriff in dem bisher üblichen Sinne angewandt wissen wollte, da er eine gegenteilige Meinung sonst zum Ausdruck gebracht hätte.
Das LSGer. ließ die Revision zu.
III. Das Urteil des LSGer. ist den Beteiligten am 10. September 1955 zugestellt worden. Mit Schriftsatz vom 23. September 1955 – beim Bundessozialgericht (BSGer.) eingegangen am 27. September hat der Kläger Revision eingelegt und beantragt, unter Aufhebung des Urteils des LSGer. Schleswig vom 1. Juli 1955 sowie des Urteils des Sozialgerichts Lübeck vom 4. Februar 1955 und des Widerspruchsbescheids des Arbeitsamts Lübeck vom 25. Oktober 1954 die Beklagte zu verurteilen, ihm die Alu für die Dauer von 52 Wochen zu bewilligen.
In einem weiteren Schriftsatz vom 10. Oktober 1955 – beim BSGer. eingegangen am 12. Oktober – regte er an, die Sache wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Frage im Interesse der Fortbildung des Rechts und der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung dem Großen Senat vorzulegen. Zur Begründung seines Antrags führte er aus:
Der erkennende Senat habe mit seinem dieselbe Rechtsfrage betreffenden Urteil vom 30. August 1955 eine einheitliche Rechtsprechung noch nicht gewährleistet. Nach dem Geschäftsverteilungsplan des BSGer. sei es möglich, daß diese Rechtsfrage an den Senat für Krankenversicherung herangetragen werde und dieser zu einer entgegengesetzten Meinung komme. Im übrigen sollte auch berücksichtigt werden, daß der Große Senat des Bundesarbeitsgerichts (BAGer.) in seinem Streikbeschluß eine abweichende Ansicht vertrete, wobei dahingestellt bleiben möge, ob die zu entscheidende Frage öffentlich- oder arbeitsrechtlichen Charakters sei. Wenn das BAGer. es für erforderlich gehalten habe, zur Fortbildung des Rechts den: Großen Senat anzurufen, gelte dies im gleichen Maße für das BSGer. Zur. Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erscheine es auch geboten, daß sich nicht ein Einzelsenat des BSGer. mit dem Großen Senat des BAGer, sondern der Große Senat des BSGer. mit dem Großen Senat des BAGer. auseinandersetze.
Durch das Urteil des erkennenden Senats vom 30. August 1955 würden die Arbeitnehmer in Gewissensnot gebracht. Sie würden in Strafe genommen, indem bei Teilnahme am Streik gegebenenfalls der Unterstützungsbezug erheblich beschränkt werde. Ein solcher Gewissenskonflikt sei aber mit dem Grundgesetz nicht vereinbar.
Zur Rechtsfrage an sich verweist der Kläger auf die Rechtsausführungen in der Vorinstanz.
Die Bundesanstalt hat beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Im einzelnen wird auf die Schriftsätze Bezug genommen.
In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger noch ausgeführt: Um eine einheitliche Rechtsprechung zu sichern, sei es erforderlich, schon vorbeugend den Großen Senat anzurufen. Denn wie sich bei Streiks in der letzten Zeit gezeigt habe, könnten entsprechende Rechtsfragen nicht nur dem Kranken-, sondern auch dem Invaliden- und Unfallversicherungssenat (Unfall eines arbeitswilligen Motorradfahrers) vorgelegt werden.
Die Fortbildung des Rechts sei notwendig, da das Streikurteil des 7. Senats dem Beschluß des Großen Senats des BAGer. entgegenstehe. Es bestehe ein gewisser Zwiespalt insofern, als das BAGer. vom Arbeitsverhältnis, das BSGer. vom versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis ausgehe und es schwer sei, einen grundlegenden Unterschied anzuerkennen, da beide im Zusammenhang stünden. Das Arbeitsverhältnis sei primär, das sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnis nur akzessorisch. Das Reichsversicherungsamt gehe in seinen Entscheidungen vom § 165 der Reichsversicherungsordnung (RVO), also von einem alten Gesetze aus, das der Fortentwicklung zugänglich sei. Im Urteil des 7. Senats vom 30. August 1955 sei zwar ausgeführt worden, daß sich keine Gesichtspunkte für eine neue Rechtsprechung ergeben hätten. Wie solle aber z. B. die Rechtsfrage der Streikunwilligen beurteilt werden? Im übrigen wolle der Gesetzgeber selbst Wandel schaffen, indem er den § 99 in der Großen Novelle zum AVAVG umgestalten wolle. Zudem seien optische Gesichtspunkte zu berücksichtigen; der Große Senat habe eine breitere Grundlage. Im vorliegenden Fall stehe ein Senat des BSGer. dem Großen Senat des BAGer. gegenüber.
Die Beklagte hat diesen Ausführungen widersprochen.
Entscheidungsgründe
IV. Die Revision ist statthaft, da sie das LSGer. in seinem Urteil zugelassen hat, und zwar im Tenor ohne Gesetzeshinweis. In der Begründung hat es dagegen auf „§ 150 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG)” Bezug genommen, während die zulässige Grundlage im § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG enthalten ist. Hier handelt es sich aber offensichtlich um einen Schreibfehler. Dies ergibt sich einmal daraus, daß § 150 SGG keinen Abs. 1 hat, sondern im Gegensatz zu den zwei Absätzen des § 162 nur aus einem Satz mit drei ziffernmäßigen Unterteilungen besteht, sodann aus der im Urteil gewählten Fassung, daß es sich um eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung handele (Wortlaut des § 162 Abs. 1 Nr. 1), während § 150 von einer Rechtssache spricht. Dieser Unterschied in der Fassung beruht darauf, daß im Berufungsverfahren die Rechtssache auch in tatbestandsmäßiger Hinsicht behandelt wird, in der Revisionsinstanz aber nur die Rechtsfragen zu prüfen sind.
Die Revision war deshalb als statthaft anzusehen. Sie ist auch frist- und formgerecht eingelegt und begründet worden, konnte aber keinen Erfolg haben.
V. Die in Betracht kommenden Rechtsfragen hat der erkennende Senat in seinem Urteil vom 30. August 1955 (vgl. BSG 1 S. 115) bereits eingebend gewürdigt und festgestellt, daß durch Teilnahme an einem in seiner Dauer nicht absehbaren Streik das versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnis erlösche und bei „Wiedereinstellung” nach Ende des Streiks ein neues beginne. Dies führe dann im Fall des § 99 Abs. 1 Satz 3 a.a.O. gegebenenfalls zu einer Verkürzung der Unterstützungsdauer.
Der Kläger hat im vorliegenden Falle nichts grundsätzlich Neues vorgebracht. Er behauptet zwar, daß zwischen dem Beschluß des Großen Senats des BAGer. vom 28. Januar 1955 über die rechtliche Bewertung des Arbeitskampf es (Nachschlagewerk des BAG: AP Nr. 1 zu Artikel 9 GG und BAG Bd. 1 S. 291) und dem Urteil des erkennenden Senats ein Zwiespalt vorliege. Ihn sieht er darin, daß ersterer vom Arbeitsverhältnis, letzterer vom versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis ausgehe. Diese Gegenüberstellung ist aber unzutreffend. Wie im oben erwähnten Urteil dargelegt ist, behandelt das BAGer. eben nicht das „Arbeitsverhältnis” als solches, sondern das Arbeitsvertragsrecht; denn es untersucht die Frage, ob bei Streik – wie es die herrschende Meinung bisher annahm – ein Vertragsbruch seitens der Streikenden vorliege, und hat dies verneint.
Daß es neben den Arbeitsverträgen noch Arbeitsverhältnisse im großen Umfang gibt, bei denen ein schriftlicher Arbeitsvertrag nicht geschlossen wird, braucht hier nicht weiter ausgeführt zu werden. Die Frage, ob als Grundlage für solche Arbeitsverhältnisse allein die tatsächliche Eingliederung in den Betrieb anzusehen ist – dies war die herrschende Meinung zur Zeit des Gesetzes über die Ordnung der nationalen Arbeit, vgl. Siebert, „Das Arbeitsverhältnis in der Ordnung der nationalen Arbeit” 1935, Dersch, „Wechselwirkungen zwischen Arbeitsrecht und Sozialversicherung in der neueren Entwicklung” (Schriften der Hochschule für Arbeit, Politik und Wirtschaft, Wilhelmshaven-Rüstersiel, 1950 S. 33 ff. und Recht der Arbeit 1950 S. 321 ff.), oder welche Forderungen jetzt in dieser Hinsicht zu stellen sind, hatte der Senat nicht zu prüfen, da diese Frage dem Arbeitsrecht angehört. Den Versuch, das Arbeitsverhältnis und das versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnis möglichst weit einander anzunähern, hat Dersch bereits 1950 in dem oben erwähnten Aufsatz gemacht, ausgehend von der Erwägung, die beiden Schwestergebiete Arbeitsrecht und Sozialversicherung hatten sich viel zu wenig im gegenseitigen Einvernehmen entwickelt. Für eine gemeinsame dogmatische Begriffsbestimmung des Beschäftigungsverhältnisses (= Arbeitsverhältnisses) in der Sozialversicherung und im Arbeitsrecht hatte er dazu Leitsätze aufgestellt, kam aber letzten Endes im Leitsatz f) zu dem Ergebnis:
„Das Beschäftigungsverhältnis kann trotz vorübergehender Nichtausführung der Arbeit in einem ruhenden Zustande fortbestehen, ohne dadurch abgebrochen zu werden, solange für eine verhältnismäßig nicht allzulange Dauer die Verfügungsmacht des Arbeitgebers über die Arbeitskraft des Arbeitnehmers nur gehemmt ist und grundsätzlich Arbeitsbereitschaft des Arbeitnehmers vorliegt.”
Gerade mit diesen letzten Forderungen, die bei einem Streik von nicht vorherzusehender Dauer jedoch nicht vorliegen, wird nur bestätigt, was der erkennende Senat in seinem oben erwähnten Urteil näher ausgeführt hat. Im übrigen ist von Dersch – jedenfalls in dem oben angeführten Aufsatz (Recht der Arbeit 1950 S. 322) – zur Frage des Streiks die vom erkennenden Senat vertretene Auffassung geteilt worden, indem er feststellt:
„Dagegen ist, wie mit Recht in dem Erlaß des Bayer. ArbMin. v. 11.10.1948 (Vers. Wissenschaft usw. 1949 S. 148) ausgeführt wird, durch Streik und infolgedessen vorgenommene Abmeldung des Arbeitnehmers von der Krankenkasse das Beschäftigungsverhältnis unterbrochen. Dies gilt, da die Arbeitsbereitschaft fehlt, obwohl durch Streik an sich der Arbeitsvertrag erst gehemmt wird.”
Wie bereits im vorerwähnten Urteil näher ausgeführt ist, besteht ein grundlegender Unterschied zwischen dem vom BAGer. behandelten arbeitsvertraglichen Verhältnis als privatrechtlicher Institution und dem allein dem öffentlichen Recht angehörigen versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis. Letzterer Begriff wird bereits, wie der erkennende Senat in seinem Urteil dargelegt hat, seit dem Krankenversicherungsgesetz in der Fassung vom 15. Juni 1883 angewandt und hat sich unverändert über die ganze Zeit bis jetzt als tragend für die Sozialversicherung erhalten. Er ist nicht lediglich ein rechtstheoretischer Begriff, sondern stellt die auf dem Tatsächlichen beruhende Grundlage des Versicherungsverhältnisses dar und ist zu Gunsten des Arbeitnehmers geschaffen worden; denn sie sichert ihm den Versicherungsschutz auch dann, wenn ein Arbeitsvertragsverhältnis nicht besteht, wie z. B. bei Geschäftsunfähigen. Es ist deshalb auch unzutreffend, das Arbeitsvertragsverhältnis als primär, das versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnis als akzessorisch zu bezeichnen. Eine derartige bewährte Einrichtung aber deswegen aufzugeben, weil sich im Zusammenhang mit einer in ihrer Fassung wenig glücklichen und zur Änderung vorgesehenen Einzelvorschrift des AVAVG wie der des § 99 Abs. 1 Satz 3 in der Fassung des Änderungsgesetzes vom 24. August 1953 für eine immerhin begrenzte Anzahl von Fällen nachteilige Wirkungen ergeben, würde sich nicht rechtfertigen lassen, zumal, wie das oben erwähnte Urteil darlegt, sich daraus Folgerungen ergeben könnten, die in ihren Ausstrahlungen nicht leicht abzusehen sind, mindestens aber im Beitragsrecht ungünstige Folgen nach sich ziehen könnten.
Soweit es sich um die vom Kläger hereingebrachte Frage der Streikunwilligen handelt, hatte der Senat keine Veranlassung, auf sie einzugehen, da der vorliegende Tatbestand nur Streikwillige betrifft. Die Frage, ob bei Streiks von kurzer Dauer gegebenenfalls ein anderer Standpunkt einzunehmen ist, hat der Senat in seinem oben erwähnten Urteil ausdrücklich offen gelassen.
Zur Frage der Rechts- und Gewissensnot muß ebenfalls auf die Ausführungen in jenem Urteil verwiesen werden. Wenn der Kläger meint, die Streikenden würden zu Unrecht dafür „bestraft”, daß sie von ihrem „Streikrecht” Gebrauch machten, so ist dies schon insofern unzutreffend, als weder Art. 9 Abs. 3 GG noch die Landessatzung von Schleswig-Holstein ein Streikrecht vorsieht. Von einer „Bestrafung” aber kann nicht gesprochen werden, sobald es sich um die – wenn auch in gewissen Fällen ungünstige – Auswirkung einer gesetzlichen Vorschrift handelt, die gerade zu Gunsten der langfristigen Beitragszahler geschaffen worden ist. Im übrigen sei hierzu auch auf die Ausführungen im Beschluß des Großen Senats des BAGer. vom 28. Januar 1955 (Abschnitt II Nr. 3) verwiesen, wo ausdrücklich festgestellt wird: „Das Risiko der Arbeitnehmer, beim Streik ihre Arbeitsstellen zu, verlieren, darf ihnen nicht abgenommen werden. Streik ist Kampf … Wer sich zum Kampf entschließt, muß auch das Risiko des Kampfes tragen.”
VI. Der erkennende Senat hatte deshalb keinen Anlaß, von seinem oben erwähnten Urteil abzugehen oder die Rechtsfrage dem Großen Senat gemäß § 43 SGG vorzulegen.
Soweit der Kläger annimmt, daß letzteres schon ein Gebot der Vorbeugung zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung sei, andere Senate gegebenenfalls anders entscheiden könnten, konnte dieser Begründung nicht gefolgt werden. Nachdem der erkennende Senat bereits in einer gleichliegenden Sache entschieden hat, ist eine „vorbeugende” Vorlegung seinerseits an den Großen Senat nicht mehr möglich. Im übrigen würde es nach § 42 SGG Aufgabe eines anderen Senats sein, den Großen Senat anzurufen, wenn er von der Entscheidung des 7. Senats abweichen wollte.
Bezüglich der Frage der Fortbildung des Rechts wird auf die eingehenden Ausführungen im Urteil des erkennenden Senats vom 27. Januar 1956 – 7 RAr 81/55 – Bezug genommen.
Es besteht keine Veranlassung, von der dort vertretenen Auffassung hier abzuweichen. Wenn der Kläger meint, die RVO und die Entscheidungen des früheren Reichsversicherungsamts seien alt und einer Fortentwicklung zugänglich, so kann dies dahingestellt bleiben, da es sich hier um die Auslegung des § 99 Abs. 1 Satz 3 in der Fassung des Änderungsgesetzes vom 24. August 1953, also um ein neues Gesetz handelt. Als solches ist es nach den im Urteil 7 RAr 81/55 entwickelten Grundsätzen an sich schon einer Fortbildung nicht fähig. Es kann dabei unberücksichtigt bleiben, ob es die Erwartungen erfüllt hat, die der Gesetzgeber seinerzeit daran geknüpft hat. Der Umstand aber, daß im Entwurf der Großen Novelle zum AVAVG eine andere Fassung des § 99 vorgeschlagen wird, durfte den Senat nicht dazu veranlassen, nunmehr sich selbst an die Stelle des Gesetzgebers zu setzen und von der jetzigen Fassung abzugehen, zumal es sich zunächst nur um einen Regierungsentwurf handelt und nicht feststeht, welche endgültige Gestalt ihm die gesetzgebenden Körperschaften geben werden.
Die Ansicht des Klägers, die Anrufung des Großen Senats sei aus optischen Gesichtspunkten zweckmäßig, konnte der Senat nicht teilen. Eine optische Wirkung kann jedenfalls allein kein Grund für eine derartige Maßnahme sein. Es trifft auch nicht zu, daß der erkennende Senat im Gegensatz zum Großen Senat des BAGer. steht, da beide Entscheidungen verschiedene. Rechtsgebiete – das öffentliche und das private Recht – zur Grundlage haben. Im übrigen übersieht der Kläger, daß beim BAGer. wesentlich andere Voraussetzungen vorliegen. Das Arbeitsrecht ist bisher nicht kodifiziert. Es ist in ständiger Entwicklung, und diese kann daher viel eher dazu führen, im größeren Rahmen gewisse Fragen zu prüfen. Schließlich hat der erkennende Senat in dem Urteil 7 RAr 81/55 bereits darauf hingewiesen, daß auf dem Gebiet der Rechtsfortbildung der Große Senat keine größeren Aufgaben hat als jeder einzelne Senat; die Fortbildung des Rechts ist vielmehr Aufgabe eines jeden Senats.
VII. Aus diesen Erwägungen heraus mußte die Revision als unbegründet zurückgewiesen werden (§ 170 Abs. 1 SGG).
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen