Verfahrensgang

LSG Hamburg (Urteil vom 11.12.1974; Aktenzeichen I UBf 20/74)

SG Hamburg (Urteil vom 09.05.1974)

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 11. Dezember 1974 aufgehoben. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 9. Mai 1974 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Die Klägerin begehrt Ersatz von Aufwendungen gemäß § 1509 a der Reichsversicherungsordnung (RVO), die ihr in Höhe von 1.466,80 DM als Behandlungskosten (berufsgenossenschaftliche Heilbehandlung) wegen der Folgen eines Unfalles entstanden sind, den die Ehefrau des Georg R., Frau R., erlitten hat, der aber nach ihrer Ansicht keinen entschädigungspflichtigen Arbeitsunfall darstellt.

R. war Besitzer eines Minigolfplatzes in Großenbrode und betrieb bis Mai 1971 außerdem ein Taxiunternehmen mit einem Fahrzeug. Er war nach § 39 der Satzung der Klägerin deren Mitglied. Frau R. bewirtschaftete eine Privatpension und vermietete Wohnwagen. Wenn R. verhindert war, das Taxi selbst zu fahren oder wenn der Weg vom Minigolfplatz zur gemeinsamen Wohnung, wo die Taxe parkte, wegen nur einer kurzen Personenbeförderung in keinem angemessenen Verhältnis stand, übernahm Frau R. die angeforderte Taxenfahrt.

Am 20. Oktober 1970 fuhr Frau R. anstelle ihres Ehemannes mit der Taxe von Großenbrode in Richtung Heiligenhafen, um von dort einen Fahrgast abzuholen. Sie erlitt dabei einen Unfall. Die dadurch verursachten Verletzungen wurden auf Kosten der Klägerin behandelt. Die Klägerin verlangt von der Beklagten, bei der Frau R. krankenversichert ist, Ersatz dieser Kosten, was diese ablehnte.

Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte verurteilt, der Klägerin die Aufwendungen aus Anlaß des Unfalles vom 20. Oktober 1970 zu erstatten (Urteil vom 9. Mai 1974). Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 11. Dezember 1974). Es hat zur Begründung u. a. ausgeführt: Frau R. sei im Unfall Zeitpunkt weder nach § 539 Abs. 1 Nr. 1 noch nach den §§ 543 Abs. 2 und 545 Abs. 1 RVO unfallversichert gewesen. Zwischen ihr und ihrem Ehemann habe kein Arbeits- oder Dienstverhältnis bestanden. Die Satzung der Klägerin erstrecke den Unfall Versicherungsschutz nicht auf die im Unternehmen tätigen Ehefrauen (§ 39 Abs. 1 Satz 1 der Satzung), und Frau R. habe nicht von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, sich nach § 545 Abs. 1 RVO iVm § 45 der Satzung der Klägerin freiwillig gegen Unfall zu versichern.

Für Frau R. habe aber der Versicherungsschutz nach § 539 Abs. 2 RVO bestanden. Die Taxenfahrt am 20. Oktober 1970 sei einem dem Unternehmen des R. dienende Tätigkeit gewesen, die dessen mutmaßlichem Willen entsprochen habe. Das Fahren einer Taxe werde auch generell durch angestellte Fahrer geleistet, so daß es sich um eine arbeitnehmerähnliche Tätigkeit gehandelt habe. Frau R. habe auch nicht aus bloßer Gefälligkeit gehandelt und nicht nur eine Dienstleistung erbracht, die nur auf dem persönlichen und dem Familienverhältnis beruht habe. Sie habe die Arbeit ihres Ehemannes übernommen und eine dessen Betrieb unmittelbar zugute kommende Verrichtung ausgeführt. Der Versicherungsschutz sei auch nicht dadurch ausgeschlossen, daß Frau R. sich hätte freiwillig versichern können. § 545 Abs. 1 stehe – wie § 543 Abs. 2 RVO – unter dem ausdrücklichen Vorbehalt, daß eine Versicherung nicht schon kraft Gesetzes bestehe. Dieser Vorbehalt erstrecke sich auf jede auf einem Gesetz beruhende Versicherung, worunter nicht nur etwa eine solche nach § 539 Abs. 1 Nr. 1, sondern auch diejenige aus § 539 Abs. 2 RVO zu verstehen sei. § 539 Abs. 2 sei nur gegenüber § 539 Abs. 1 RVO subsidiär. Wenn danach auch die freiwillige Versicherung nach § 545 RVO häufig nicht zum Tragen komme, weil in vielen Fällen der beitragsfreie Versicherungsschutz über § 539 Abs. 2 RVO eingreife, könne das zu keinem anderen Ergebnis führen.

Mit der zugelassenen Revision trägt die Klägerin ua. vor: Bei Unternehmerehegatten, die für eine gewisse Dauer oder mit gewisser Regelmäßigkeit im Unternehmen tätig seien, handele es sich entweder um ein echtes Arbeitsverhältnis im Sinne von § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO oder um das Tätigwerden im Unternehmen des Ehegatten im Sinne von §§ 54, 545 RVO. Derartige regelmäßige Tätigkeiten widersprächen jedoch dem Sinn des § 539 Abs. 2 RVO mindestens, soweit es sich um Familienangehörige handele. Wenn auch bei regelmäßiger Mitarbeit eines Fremden vielleicht § 539 Abs. 2 RVO anwendbar sein könne, so treffe das doch auf die im Unternehmen tätige Ehefrau nicht zu. Frau R. sei recht regelmäßig und stets, wenn Not am Mann gewesen sei, tätig gewesen, so daß die Voraussetzungen einer freiwilligen Versicherung nach § 545 Abs. 1 RVO gegeben gewesen seien. Demgegenüber greife § 539 Abs. 2 RVO auch nicht subsidiär ein. Eine nicht freiwillig versicherte im Unternehmen des Ehemannes tätige Ehefrau könne, wenn überhaupt, nur nach § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO versichert sein.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das Urteil des LSG Hamburg vom 11. Dezember 1974 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Hamburg vom 9. Mai 1974 zurückzuweisen,

hilfsweise,

den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

§ 539 Abs. 2 RVO stelle eine besondere Form der Pflichtversicherung dar, von der bestimmte Personenkreise nicht ausgeschlossen seien, zu denen daher auch Unternehmer-Ehegatten gehörten. Es würde dem Gleichheitsgrundsatz und dem Wesen der sozialen Sicherung widersprechen, wollte man gerade Unternehmerehegatten den Versicherungsschutz vorenthalten, der jedem Betriebsfremden bei der gleichen unfallbringenden Tätigkeit zustehen würde. Lediglich Handlungen, die ausschließlich den Lebensinteressen und Bedürfnissen der Familie dienten und in einer Ehe- und Familiengemeinschaft nach den herrschenden Lebensauffassungen üblich seien, unterlägen nicht dem Unfallversicherungsschutz. Hierzu gehörten jedoch nicht Dienstleistungen eines Ehegatten, die sich ausschließlich an den Erfordernissen des Betriebes orientierten. Frau R. habe eine Dienstleistung übernommen gehabt, die sonst Angelegenheit ihres Ehemannes gewesen sei und in diesem Gewerbekreis von Betriebsangehörigen verrichtet werde. Der Zweck der Fahrt habe ausschließlich dem Unternehmen gedient. Frau R. sei auch einer im Taxigewerbe typischen Unfallgefahr erlegen. Eine gesetzliche Regelung, die den Versicherungsschutz nach § 339 Abs. 2 RVO für Unternehmerehe galten unter dem Gesichtspunkt einer möglichen freiwilligen Versicherung ausschließe, gebe es nicht. Der Gesichtspunkt der beitragsfreien Versicherung könne demgegenüber nicht durchgreifen, denn § 339 Abs. 2 RVO gewähre allgemein beitragsfreien Versicherungsschutz, und es würde dem Gleichheitssatz widersprechen, wolle man nur Unternehmerehegatten hiervon ausnehmen. Auch diese seien daher bei gelegentlichen Hilfeleistungen im Unternehmen des anderen Ehegatten unfallversichert.

Beide Beteiligte haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

II

Die durch Zulassung statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete und daher zulässige Revision ist auch in der Sache begründet.

Als Frau R. am 20. Oktober 1970 während der von ihr ausgeführten Taxifahrt verunglückte, stand sie nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Sie war in dem Taxiunternehmen ihres Ehemannes tätig, jedoch bestand kein Arbeits- oder Dienstverhältnis zwischen ihr und ihrem Ehemann; sie war auch nicht kraft Satzung unfallversichert, noch freiwillig der Unfallversicherung beigetreten oder arbeitnehmerähnlich im Sinne von § 539 Abs. 2 RVO tätig. Die Beklagte, bei der Frau R. gegen Krankheit versichert war (§ 205 RVO), war daher der für die Krankenbehandlung zuständige Versicherungsträger und nicht die Klägerin. Dieser steht daher der der Höhe nach unstreitige Ersatzanspruch für die von ihr gewährte Krankenbehandlung zu, weil sich nach Einleitung der berufsgenossenschaftlichen Heilbehandlung herausgestellt hat, daß die Krankheit nicht Folge eines Arbeitsunfalles ist (§ 1509 a RVO).

Als in dem Unternehmen ihres Ehegatten tätiger Ehefrau hätte für Frau R. Unfallversicherungsschutz bestehen können, wenn sie bei ihrem Ehemann beschäftigt gewesen wäre. Wie der 2. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) in seinen Urteilen vom 29. Juni 1972 (BSG 34, 207 ff) und 22. Februar 1973 (2 RU 140/72 –unveröffentlicht–) eingehend dargelegt hat, gibt es für den Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung seit der Aufhebung des § 159 RVO (Art. 2 Abs. 1 der Ersten Verordnung über die Vereinfachung des Leistungs- und Beitragsrechts in der Sozialversicherung vom 17. März 1944 – RGBl I 41), d. h. spätestens seit dem 7. September 1949 keine Vorschrift, nach der die Beschäftigung eines Ehegatten durch den anderen keine Versicherungspflicht begründet. Allerdings ist jeweils im Einzelfall zu prüfen, ob eindeutige Grundlagen für die Annahme eines echten Arbeitsverhältnisses im Sinne von § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO gegeben sind. Die von dem LSG getroffenen, von der Revision nicht angegriffenen und deshalb für das Revisionsgericht bindenden Feststellungen (§ 163 SGG) rechtfertigen eine solche Annahme nicht. Der Ehemann R. war Besitzer eines Minigolfplatzes und betrieb mit einem Fahrzeug ein Taxiunternehmen. Frau R. war Inhaberin einer Pension und vermietete Wohnwagen. Das Taxi war bei der Wohnung abgestellt. Wenn telefonisch eine Taxifahrt bestellt wurde und der Ehemann R. nicht anwesend war, führte Frau R. die Fahrt aus. Das war in der Regel auch dann der Fall, wenn R. auf dem Minigolfplatz war und es wegen der Kürze der bestellten Fahrt nicht lohnte, daß er telefonisch herbeigerufen wurde und mit dem Fahrrad vom Minigolfplatz zur Pension gefahren kam (vgl. Bl. 63 der LSG-Akten). Es ist andererseits nicht festgestellt, daß zwischen den Eheleuten ein Entgelt für Frau R. vereinbart war oder sie ein solches erhalten hat oder daß Lohnsteuer bzw. Sozialversicherungsabgaben für sie geleistet worden seien. Zutreffend hat das LSG daher, was auch von keinem Beteiligten in Zweifel gezogen wird, das Vorliegen eines Arbeits- oder Dienstverhältnisses im Sinne von § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO verneint.

Unstreitig war Frau R. auch nicht kraft Satzung bei der Klägerin versichert (§ 543 Abs. 2 RVO). Zwar war der Ehemann Mitglied, jedoch schloß die Satzung der Klägerin (§ 39 Abs. 1 Satz 1) den Versicherungsschutz für Ehefrauen aus. Von dem ihr nach § 45 der Satzung gegebenen Recht, sich freiwillig gegen die Folgen von Arbeitsunfällen zu versichern (§ 545 Abs. 1 RVO), hatte Frau R. keinen Gebrauch gemacht.

Zu Unrecht hat das LSG jedoch eine Versicherung der Frau R. nach § 339 Abs. 2 RVO angenommen. Diese Vorschrift hat ihre derzeit gültige Fassung durch das Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz vom 50. März 1963 (BGBl I 241) erhalten und entspricht inhaltlich dem mit dem Sechsten Gesetz über Änderungen in der Unfallversicherung vom 9. März 1942 (RGBl I 107 –6. UVÄndG–) in die RVO eingeführten § 537 Nr. 10. Danach sind gegen Arbeitsunfall ferner Personen versichert, die wie ein nach § 539 Abs. 1 RVO Versicherter tätig werden; dies gilt auch bei nur vorübergehender Tätigkeit. Der 2. Senat des BSG hat schon in den oben genannten Urteilen ausgeführt, daß die §§ 543 Abs. 2, 545 Abs. 1 RVO zwar der Annahme eines echten Arbeits- oder Dienstverhältnisses zwischen Ehegatten nicht entgegenstehen, weil sie nach ihrem ausdrücklichen Wortlaut gegenüber einer kraft Gesetzes bestehenden Pflichtversicherung subsidiär seien. Er hat jedoch betont, diese Vorschriften hätten auch nach Wegfall des § 159 RVO (s. oben) ihre Bedeutung in den Fällen behalten, in denen die Mitarbeit des Ehegatten nicht den an ein echtes Arbeitsverhältnis zu stellenden Erfordernissen entspricht. Es braucht im vorliegenden Fall nicht entschieden zu werden, ob, wie das LSG meint, eine Versicherung nach § 539 Abs. 2 RVO gegenüber der Möglichkeit, den Ehegatten mit der Satzung in die Versicherung einzubeziehen (§ 543 Abs. 2 RVO) oder vor allem der freiwilligen Versicherung (§ 545 Abs. 1 RVO) stets ebenso vorrangig ist wie eine Versicherung nach § 539 Abs. 1 Nrn. 1, 2, 5 oder 6 RVO. Denn Frau R. war nicht „wie” ein nach § 539 Abs. 1 Nr. 1 – nur diese Nummer 1 käme hier in Betracht – im Sinne des Absatzes 2 des § 539 RVO Versicherter, sondern unternehmerähnlich tätig.

Brackmann (Handbuch der Sozialversicherung, Stand: Februar 1975, Bd. II S. 476m I) ist der Auffassung, bei Ehegatten sei zu unterscheiden, ob ein echtes Arbeitsverhältnis bestehe oder nur eine Mithilfe aufgrund der Familienzugehörigkeit vorliege; im letzteren Falle sei mangels Anwendbarkeit des § 539 Abs. 1 Nr. 1 auch § 539 Abs. 2 RVO nicht anwendbar. Dem vermag der Senat nicht in dieser ausschließlichen Weise zu folgen. Eine familienhafte Mitarbeit im Sinne von § 1356 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) kann in unterschiedlichsten Formen erfolgen. Sie reicht von regelmäßiger voller Mitarbeit im Unternehmen des Ehegatten bis zu gelegentlicher, aus bestimmten Anlässen erforderlicher kurzzeitiger oder auch einmaliger Unterstützung. Soweit es sich dabei allerdings um bloße Gefälligkeiten zwischen Ehegatten handelt, die von den durch die Pflicht zur ehelichen Lebensgemeinschaft (§ 1353 BGB) gekennzeichneten Beziehungen ihr Gepräge erhalten, so liegt eine arbeitnehmerähnliche Tätigkeit im Sinne von § 539 Abs. 2 iVm § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO nicht vor, wenn es sich nicht etwa darüber hinaus um eine für das Unternehmen wirtschaftlich nützliche Arbeitsleistung handelt (vgl. BSG in SozR Nr. 42 zu § 539 RVO). Wo die Grenze verwandtschaftlicher Gefälligkeitsleistungen erreicht oder überschritten ist, hängt dabei von den Umständen des Einzelfalles ab (vgl. dazu ua. auch BSG 18, 143; sowie das Urteil des erkennenden Senats vom 21. März 1974 – 8/7 RU 8/72 –nicht veröffentlicht–). Im vorliegenden Fall ging die Tätigkeit der Frau R. weit über das hinaus, was als unversicherte verwandtschaftliche Gefälligkeit bezeichnet werden kann. Sie hat vielmehr Taxifahrten anstelle ihres Ehemannes ausgeführt, und zwar immer dann, wenn dieser im Augenblick einer telefonischen Bestellung nicht anwesend war. Das entsprach auch dem beiderseitigen Willen der Eheleute. Frau R. verrichtete in diesen Fällen die gleichen Tätigkeiten wie ihr Ehemann als Unternehmer. Sie nahm die Aufträge entgegen und führte sie aus bzw. lehnte sie ab. Zwar hätte diese Tätigkeit, wie das LSG mit Recht ausgeführt hat, auch von einem im Unternehmen des R. abhängig Beschäftigten geleistet werden können, wobei dieser mit entsprechenden Vollmachten nicht nur als bloßer Fahrer hätte tätig werden können. Letztlich kann jedoch nahezu jede Tätigkeit in abhängiger Stellung ausgeübt werden. Für die Abgrenzung zwischen arbeitnehmerähnlicher und unternehmerähnlicher Tätigkeit im Sinne von § 539 Abs. 2 RVO ist daher nicht allein ausschlaggebend, ob die jeweilige Tätigkeit sonst von Personen verrichtet werden könnte, die in einem dem allgemeinen Arbeitsmarkt zuzurechnenden Beschäftigungsverhältnis stehen, sondern auch ob sie unter solchen Umständen geleistet wird, daß sie einer Tätigkeit aufgrund eines (abhängigen) Beschäftigungsverhältnisses der in § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO bezeichneten Art ähnlich ist (BSG 5, 168, 174). Ob das der Fall ist, kann nicht losgelöst von den tatsächlichen und rechtlichen Umständen beurteilt werden, unter denen sich die Tätigkeit vollzieht. Die isolierte Betrachtung der einzelnen Verrichtungen reicht allein nicht aus, um die Tätigkeit als arbeitnehmer- oder unternehmerähnlich zu qualifizieren (vgl. BSG 31, 275, 277).

Die Anwendung des § 539 Abs. 2 RVO ist somit zwar in einem Fall der vorliegenden Art nicht grundsätzlich ausgeschlossen, weshalb eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes nicht zu erörtern war. Ist die Ehefrau eines Unternehmers aber in dessen Betrieb in gewisser Regelmäßigkeit tätig und liegt kein Arbeits- oder Dienstverhältnis im Sinne von § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO vor, so handelt es sich jedenfalls dann um eine unternehmerähnliche, nicht nach § 539 Abs. 2 RVO versicherte Tätigkeit, wenn sie Verrichtungen in einer Weise ausführt, wie sie in der Regel vom Unternehmer selbst geleistet werden. Dies ist hier, wie sich aus den obigen Darlegungen ergibt, der Fall gewesen. Ihre Tätigkeit erhält ihr Gepräge dann einerseits aus dem Wesen der Ehe als einer umfassenden Lebens-, Wirtschafts- und Unterhaltsgemeinschaft, in der die Interessen beider Ehegatten gleichartig auf den Erwerb bzw. die Vermehrung der gemeinsamen wirtschaftlichen Lebensgrundlage und -güter gerichtet sind und andererseits aus der Art, wie jeder nach seinen Möglichkeiten in unternehmerähnlicher Weise zum gemeinsamen Lebensunterhalt beiträgt (§ 1360 Satz 1 BGB). Damit steht in Einklang, daß Frau R. auch als Bewirtschafterin einer Privatpension und als Vermieterin von Wohnwagen wie ein Unternehmer tätig war. Der Annahme einer unternehmerähnlichen Tätigkeit im Unfall Zeitpunkt steht nicht entgegen, daß auch zwischen Ehegatten abhängige Beschäftigungsverhältnisse im Sinne von § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO möglich sind (s.o.). Wenn solche Beschäftigungsverhältnisse auch mit dem Wesen der Ehe nicht unvereinbar sind, folgt daraus nicht, daß anderenfalls nur eine verwandtschaftliche Gefälligkeitsleistung vorliegen könne oder eine arbeitnehmerähnliche Tätigkeit vorliegen müsse.

Dieses Ergebnis steht auch mit dem Sinn und Zweck der gesetzlichen, Unfallversicherung in Einklang. Der nicht aufgrund eines Beschäftigungsverhältnisses, aber über den Rahmen verwandtschaftlicher Gefälligkeitsleistungen hinaus mit gewisser Regelmäßigkeit tätige Ehegatte ist hiernach nicht in seinem unfallversicherungsrechtlichen Schutz ungerechtfertigt benachteiligt; denn er hat die Möglichkeit, der Unfallversicherung freiwillig beizutreten (§ 545 Abs. 1 RVO). Damit ist dem Bedürfnis nach sozialem Schutz Genüge getan (vgl. BVerfG 18, 257, 265, 267). § 545 Abs. 1 RVO bietet dem Ehegatten des Unternehmers, der in dessen Unternehmen tätig ist, im Unterschied zu anderen Familienangehörigen die gleiche Versicherungsmöglichkeit wie dem Unternehmer selbst, geht also von der gleichen Interessenlage aus, d. h. sieht die Tätigkeit des Ehegatten in der Regel als unternehmerähnlich an. Die Möglichkeit der freiwilligen Versicherung entfällt nur dann, wenn wegen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses (§ 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO) oder aus anderen gesetzlichen Gründen (etwa § 539 Abs. 1 Nr. 2, 5 oder 6 RVO) bereits Versicherungsschutz besteht. Es liegt also auch keine zu schließende Gesetzeslücke vor, die es rechtfertigen würde, dem im Unternehmen des Ehegatten Tätigen in jedem Falle den gleichen Unfallversicherungsschutz aus § 539 Abs. 2 RVO zukommen zu lassen, wie anderen im Interesse des Unternehmens tätig werdenden Personen, bei denen nicht die Möglichkeit besteht, das Unfallrisiko kraft besonderer gesetzlicher oder satzungsmäßiger Regelung sozialversicherungsrechtlich abzudecken. Der Schutzzweck des § 539 Abs. 2 RVO (früher § 537 Nr. 10) gebietet es nicht, Unternehmerehegatten, die der Unfallversicherung freiwillig beitreten können, vorrangig kraft Gesetzes in die Unfallversicherung einzubeziehen. Diese Vorschrift war durch die Umstellung der gesetzlichen Unfallversicherung von der Betriebs- auf die Personenversicherung mit dem 6. UVÄndG notwendig geworden, um solche Personen, die im Interesse des Unternehmens tätig werden, ohne kraft ausdrücklicher gesetzlicher Regelung unfallversichert zu sein, weiterhin zu schützen (vgl. Lauterbach, Unfallversicherung 1. und 2. Aufl. Anm. 4 zu § 537 RVO und AN 1942, S. 210/11). Für den Unternehmerehegatten bestand und besteht aber ein solches Schutzbedürfnis nach wie vor dann nicht, wenn er der Unfallversicherung freiwillig beitreten kann. Es widerspräche schließlich dem Grundsatz der Solidargemeinschaft, wenn auch solche Unternehmerehegatten grundsätzlich beitragsfrei über § 539 Abs. 2 RVO unfallversichert wären und deshalb die beitragspflichtige freiwillige Versicherung nicht in Anspruch zu nehmen brauchten, die in gewisser Regelmäßigkeit im Unternehmen des Ehegatten – unternehmerähnlich – tätig sind und bei denen deshalb ein einschätzbares Unfallrisiko besteht.

Ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen etwas anderes gilt, wenn eine Ehegatte nur gelegentlich oder aus einem bestimmten akuten Anlaß in das Unternehmen seines Ehegatten unterstützend eingreift, brauchte anhand des vorliegenden Sachverhalts nicht entschieden zu werden.

Da die Klägerin somit mangels Vorliegens eines entschädigungspflichtigen Arbeitsunfalls nicht der zuständige Versicherungsträger für die Behandlung der Unfallfolgen der Frau R. war, hat das LSG ihren Ersatzanspruch gegen die beklagte Krankenkasse zu Unrecht verneint, so daß das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das den Klageanspruch bejahende Urteil des SG zurückzuweisen war.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 4 SGG.

 

Unterschriften

Dr. Maisch, Oestereicher, Thomas

 

Fundstellen

Dokument-Index HI926404

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