Entscheidungsstichwort (Thema)
Einnierigkeit. Grad der MdE in der Unfallversicherung von 20 vH. Begriff der MdE in der Unfallversicherung und Kriegsopferversorgung
Leitsatz (amtlich)
Der unfallbedingte Verlust einer Niere ist in der gesetzlichen Unfallversicherung - bei Gesundheit der anderen Niere - mit einem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 20 % zu bemessen.
Leitsatz (redaktionell)
1. Der unfallbedingte Verlust einer Niere (bei Gesundheit der anderen Niere) stellt insofern eine erhebliche Einschränkung der Verwendungsmöglichkeiten auf dem gesamten Bereich des wirtschaftlichen Lebens dar, als dem Verletzten nur noch mittelschwere Arbeiten in geschlossenen Räumen zuzumuten sind bzw ihm durch Umsetzung oder Umschulung in eine seiner Behinderung gemäßere Tätigkeit nur noch ein beträchtlich eingeengter Teil des allgemeinen Arbeitsmarktes zur Verfügung steht.
Der Gesundheitsschaden erfordert auch vom Verletzten in bezug auf die mit der Restniere verknüpften körperlichen Besonderheiten und jederzeit drohenden Gefahr eine gegenüber Unverletzten zusätzliche Vorsicht, Zurückhaltung und besondere Anspannung der körperlichen und geistigen Kräfte, was bei der Festsetzung des MdE-Grades in Betracht zu ziehen ist.
2. Für den Bereich der gesetzlichen UV ist deshalb und in Anlehnung an die Bemessungsmaßstäbe der KOV bei einseitigem Nierenverlust eine MdE von wenigstens 20 vH anzunehmen, zumal es eine medizinisch hinreichend fundierte Unterscheidung in der MdE-Bemessung für die Gebiete der UV und KOV grundsätzlich nicht gibt.
3. Die in der Kriegsopferversorgung geltenden Bemessungsmaßstäbe können bei der Ermittlung der MdE in der gesetzlichen Unfallversicherung insoweit herangezogen werden, wie sie nicht die "Versehrtheit" des Beschädigten entschädigen.
Normenkette
RVO § 581 Abs. 1 Nr. 2 Fassung: 1963-04-30
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 24. September 1974 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, welche Folgen der Arbeitsunfall des Klägers vom 26. August 1966 hinterlassen hat und wie hoch die unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) einzuschätzen ist.
Der am 3. Dezember 1926 geborene Kläger litt im Jahre 1962 an einer Entzündung des Dünndarms sowie an einer Blasen-Harnröhrenentzündung. Er stürzte am Unfalltage auf einer Baustelle aus dem 3. Stock ca. acht Meter hinab und schlug mit dem Bauch auf. Als Folge dieses Unfalls wurde die linke Niere operativ entfernt. Mit Bescheid vom 16. November 1967 gewährte die Beklagte dem Kläger vom 24. Oktober 1966 bis zum 30. September 1967 auf Grund verschiedener Gutachten eine vorläufige Teilrente in Höhe von 40 v. H. der Vollrente und vom 1. Oktober 1967 bis auf weiteres eine vorläufige Teilrente in Höhe von 30 v. H. der Vollrente. Als Unfallfolgen stellte sie die Gesundheitsstörungen "Verlust der linken Niere, Bauchdeckeneinbruch rechts ohne Verwachsungen nach stumpfer Bauchverletzung" fest. Die übrigen Verletzungen (Prellung der Wirbelsäule und des linken Kniegelenks) seien folgenlos ausgeheilt. Als unfallunabhängig stellte die Beklagte folgende Gesundheitsstörungen fest:
"Zustand nach Blinddarmoperation; Krampfadern an beiden Beinen, Senk-Spreizfuß beiderseits; Scheuermann'sche Erkrankung der Wirbelsäule; Zustand nach Oberschenkeldurchschuß links; rechtskonvexe Skoliose der unteren Brust- und oberen Lendenwirbelsäule; chronisch entzündlicher Reizzustand im Magen und oberen Dünndarmbereich; chronisches Zwölffingerdarmgeschwür; Colonspasmen; arthrotisches Reiben und Knacken in beiden Kniegelenken."
Gegen diesen Bescheid hat der Kläger beim Sozialgericht (SG) Osnabrück Klage erhoben. Am 1. Dezember 1967 wurde eine Narbenbruchoperation durchgeführt, und am 12. Dezember 1967 erfolgte eine operative Ausräumung im Operationsgebiet. Nachdem der Kläger von dem Facharzt für Chirurgie und Leitenden Arzt der berufsgenossenschaftlichen Unfallbehandlungsstelle in B Dr. D untersucht worden war, entzog die Beklagte mit Bescheid vom 26. April 1968 die vorläufige Rente mit Ablauf des Monats Mai 1968 und lehnte die Gewährung einer Dauerrente ab. Sie stellte in diesem Bescheid die unfallbedingten Gesundheitsstörungen wie folgt anderweitig fest:
"Verlust der linken Niere; Bauchoperationsnarbenbildung nach Beseitigung eines Bauchdeckenbruches, geringe Verklebungen von Dünndarmschlingen im Operationsgebiet ohne Passagebehinderung (Zustand nach stumpfer Bauchverletzung mit Dünndarmperforationen und Resektionen von Teilen des Dünndarms)."
Am 9. September 1970 erkannte die Beklagte in der mündlichen Verhandlung vor dem SG den Anspruch des Klägers auf Gewährung einer vorläufigen Teilrente in Höhe von 40 v. H. der Vollrente für die Zeit vom 1. Oktober 1967 bis 31. März 1968 an. Dieses Teilanerkenntnis hat der Kläger angenommen. Im Laufe des sozialgerichtlichen Verfahrens hat das SG eine Reihe von Gutachten eingeholt. Der Facharzt für innere Krankheiten Dr. B kam in seinem Gutachten vom 8. Februar 1969 unter anderem zu dem Ergebnis, daß die unfallbedingte MdE vom 1. April bis 31. Mai 1968 mit 30 v. H. und seit dem 1. Juni 1968 mit 15 v. H. einzuschätzen sei. Dr. L, Oberarzt der medizinischen Klinik der Städtischen Krankenanstalten O, meinte in seinem Gutachten vom 31. Oktober 1969, daß beim Kläger neben der operativ entfernten linken Niere der Verdacht einer Funktionsstörung der Einzelniere rechts mit Harnwegsinfekt bestehe. Prof. Dr. Dr. G schätzte in seinem Gutachten vom 26. Februar 1970 die MdE wegen des Unfalles für die Zeit vom 1. April 1968 bis auf weiteres auf 30 v. H. Der vom SG gehörte Sachverständige Dr. H vom Allgemeinen Krankenhaus B hat die Auffassung vertreten, daß beim Kläger infolge des Unfalles ein Verlust der linken Niere mit Funktionsstörung der verbliebenen rechten Niere bestehe. Ob diese Funktionsstörung bereits vor dem Arbeitsunfall bestanden habe, oder erst durch ihn ausgelöst worden sei, sei gleichgültig, denn in beiden Fällen müsse die MdE ab 1. Juni 1968 mit 30 v. H. bemessen werden. Diesen Gutachten ist die Beklagte mit Gutachten von Prof. Dr. B, Leitender Arzt der Urologischen Abteilung des F in H und seines Oberarztes Dr. K vom 23. April 1970 und des Facharztes für Chirurgie Dr. B, S vom 25. Juni 1970 entgegengetreten. Sie haben die Auffassung vertreten, der Unfall habe weder eine Entzündung im Bereich der Harnwege, noch eine unfallbedingte pathologische Veränderung der rechten Einzelniere verursacht. Zum Zeitpunkt der Festsetzung der 1. Dauerrente habe die MdE 15 v. H. betragen. Der in der mündlichen Verhandlung vor dem SG gehörte Facharzt für Chirurgie Dr. P hat die unfallbedingte MdE mit 60 v. H., 50 v. H. und ab 1. Januar 1969 mit 40 v. H. eingeschätzt, wobei davon ausgegangen ist, daß die noch verbliebene Niere Funktionsstörungen habe. Der ebenfalls gehörte Dr. H hat die MdE nunmehr ebenfalls auf 40 v. H. geschätzt.
Mit Urteil vom 29. November 1972 hat das SG die Bescheide der Beklagten vom 16. November 1967 und vom 26. April 1968 aufgehoben. Es hat festgestellt, daß eine Funktionsstörung der rechten Niere weitere Folge des Arbeitsunfalls vom 26. August 1966 sei, und die Beklagte verurteilt, eine vorläufige Verletztenrente nach einer MdE um 60 v. H. statt 40 v. H. für die Zeit vom 24. Oktober 1966 bis 31. März 1968 und um 50 v. H. statt 30 v. H. für die Zeit vom 1. April 1968 bis 31. Mai 1968 und eine Dauerrente nach einer MdE um 50 v. H. vom 1. Juni 1968 bis 31. Dezember 1968 und um 40 v. H. ab 1. Januar 1969 zu zahlen. Im übrigen hat es die Klage abgewiesen.
Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen am 24. September 1974 das Urteil des SG Osnabrück und den Bescheid der Beklagten vom 26. April 1968 dahingehend geändert, daß die Beklagte verurteilt wird, dem Kläger vom 1. Juni 1968 an eine Teilrente in Höhe von 20 v. H. der Vollrente als Dauerrente zu gewähren. Im übrigen hat es die Klage abgewiesen und die weiter gehende Berufung zurückgewiesen.
Zur Begründung hat es u. a. ausgeführt, aus dem Gutachten von Prof. Dr. B Leiter der Abteilung Nephrologie der Medizinischen Klinik an der Medizinischen Hochschule H, ergebe sich überzeugend, daß beim Kläger eine Funktionsstörung der rechten Niere nicht bestehe. Die dem Kläger mit Bescheid vom 16. November 1967 und auf Grund des angenommenen Anerkenntnisses der Beklagten vom 9. September 1970 gewährte vorläufige Rente sei angemessen und ausreichend. Vom 1. Juni 1968 an stehe dem Kläger eine Teilrente von 20 v. H. der Vollrente als Dauerrente zu. Gegen eine Bewertung der Einnierigkeit in der gesetzlichen Unfallversicherung (UV) mit einer MdE von 0 bis 15 v. H., wie sie im einschlägigen Schrifttum vorgenommen werde, spreche zunächst die davon abweichende wesentlich höhere Einschätzung der MdE bei Einnierigkeit im Versorgungswesen. Dort werde sie allgemein mit einer MdE um 25 bzw. 30 v. H. eingeschätzt. Eine mit solchem Abstand unterschiedliche Beurteilung im Versorgungsrecht einerseits und in der gesetzlichen UV andererseits sei nicht gerechtfertigt. Denn ähnlich wie in letzterer sei auch in der Kriegsopferversorgung (KOV) die MdE nach der körperlichen und geistigen Beeinträchtigung im allgemeinen Erwerbsleben zu beurteilen (§ 30 Abs. 1 Satz 1 Bundesversorgungsgesetz - BVG -). Es sei zwar richtig, daß die gesunde Restniere innerhalb sehr kurzer Zeit die volle Funktion beider Nieren allein übernehme, gleichwohl werde im Schrifttum zum Rentenversicherungsrecht ausgeführt, daß einem Einnierigen nur mittelschwere Arbeiten in geschlossenen Räumen zumutbar seien. Auch werde wegen der erhöhten Gefahr in körperlich anstrengenden Berufen und bei Erkältungskrankheiten unter Umständen die Umsetzung oder Umschulung eines Einnierigen auf einen anderen, gemäßeren Beruf befürwortet. Auch Prof. Dr. B habe auf das erhöhte Risiko der Ausbildung von Nierensteinen bei einem Einnierigen durch schwere körperliche Arbeit mit Schweißverlust hingewiesen. Bei der Bewertung der Höhe der MdE müsse die erhöhte Gefährdung berücksichtigt werden, der der Einnierige ausgesetzt sei, wenn seine Restniere unabhängig vom Unfall betroffen werde. Für die derartige höhere Einschätzung der MdE spreche auch die allgemein übliche Bewertung des einseitigen Augenverlustes mit einer MdE von 25 v. H., obwohl keine entsprechende Erwerbsminderung im Erwerbsleben zu bestehen pflege. Schließlich dürfe auch nicht unberücksichtigt bleiben, daß nach fast einhelliger Meinung in Rechtsprechung und Schrifttum ein Nachschaden, der zu einer Funktionseinbuße bzw. zum Verlust der Restniere führen würde, nicht eine höhere Bewertung der MdE zur Folge hätte, obwohl die körperlichen Auswirkungen unter Umständen wesentlich schlimmer seien als beispielsweise bei Eintritt einer Erblindung oder einer Taubheit infolge eines Nachschadens.
Gegen dieses Urteil hat die Beklagte die zugelassene Revision eingelegt und unter Beifügung einer fachärztlichen Stellungnahme des Dr. D zur Begründung u. a. ausgeführt: In der gesetzlichen UV gelte nach wie vor der Grundsatz der abstrakten Schadensbemessung. Gesetzliche UV und KOV seien verschiedene Bereiche. Entgegen der Ansicht des LSG, bestehe für die UV kein Grund, den Gedankengängen und Bewertungsmaßstäben der KOV nachzufolgen. Auch ein Vergleich zur Rentenversicherung sei nicht gerechtfertigt. Die Einnierigen seien voll leistungsfähig und könnten insbesondere auch ihren bisherigen Beruf für gewöhnlich in vollem Umfang ausüben. Ein eventuelles Auftreten von Nachschäden könnte zu einer Neufeststellung der Unfallfolgen und einer unter Umständen deshalb neu zu gewährenden Unfallrente nach Maßgabe des § 622 Abs. 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) führen, obgleich bei einem Unfallverletzten, der z. B. ein Auge verloren hat, der Verlust des zweiten Auges zu keiner Erhöhung der MdE führen könne, wenn der Verlust des zweiten Auges keine Folge des für den ersten Augenverlust verantwortlichen Arbeitsunfalles sei. Außerdem sei nicht recht einzusehen, inwiefern die Gefahr der Entstehung von Nierensteinen dann, wenn jemand nur noch eine Niere habe, größer sein solle, als zu der Zeit, als der betreffende noch zwei Nieren gehabt habe. In der UV würden auch keine Risikorenten gewährt; es werde nur die durch den Arbeitsunfall herabgesetzte Erwerbsfähigkeit entschädigt. Außerhalb des Rahmens der Berufshilfe nach § 567 ff. RVO und außerhalb der Berufskrankheitsfürsorge bestehe weder die Möglichkeit noch ein Auftrag irgendwelchen im Grunde nur theoretisch denkbaren künftigen gesundheitlichen Gefährdungen des Versicherten vorzubeugen. Um so weniger liege eine Verpflichtung vor, eine noch in keiner Weise eingetretene weitere Gesundheitsstörung des Unfallverletzten von vornherein durch eine entsprechend höhere Bemessung der MdE rentenmäßig zu berücksichtigen. Was den Vergleich mit dem Augenverlust anbelange, den das LSG angestellt habe, bestehe ein entscheidender Unterschied. Das andere Auge übernehme, im Gegensatz zur Niere, nicht die volle Funktion beider Augen. Einäugigen fehle, von anderen Behinderungen ganz abgesehen, das räumliche Sehen. Das gleiche gelte beim Verlust des Gehörs auf einer Seite. Auch hier übernehme das andere Ohr, das gesundgeblieben sei, keineswegs die volle Funktion der bisherigen beiden funktionsfähigen Ohren. Der Verlust eines Ohres schädige, ebenso wie der Verlust eines Auges, den Unfallverletzten in einer nicht mehr reparablen Weise und führe insofern echte meßbare Beeinträchtigungen seiner Erwerbsfähigkeit herbei. Dies sei bei einem Einnierigen nicht der Fall. Im übrigen ergäben die speziell über den Kläger angefertigten Gutachten keinen Anlaß, die MdE mit 20 v. H. einzuschätzen, zumal zahlreiche Gutachter die MdE mit 15 v. H. bewertet hätten. Das LSG sei von diesen medizinischen Feststellungen abgewichen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 24. September 1974 dahin abzuändern, daß die Klage in vollem Umfang abgewiesen wird;
hilfsweise,
die Sache an die Vorinstanz zurückzuverweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).
Entscheidungsgründe
Die durch Zulassung statthafte sowie zulässige (§ 169 SGG) Revision konnte keinen Erfolg haben.
Streitig ist nur noch, ob dem Kläger ab 1. Juni 1968 eine Dauerrente nach einer MdE von 20 v. H. zusteht. Das war in Übereinstimmung mit dem LSG zu bejahen.
Zwar konnte dem LSG insoweit nicht uneingeschränkt gefolgt werden, als es allein aus dem Gesichtspunkt einer "vorhandenen Gefährdung eines Einnierigen" bzw. aus dem "erhöhten Risiko", dem ein Unfallverletzter nach dem Verlust einer Niere (künftig) ausgesetzt ist, eine MdE von mindestens 20 v. H. anstatt einer solchen von 15 v. H. angenommen hat. Dem steht allerdings nicht die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) entgegen, wonach eine Abweichung um 5 v. H. grundsätzlich keine wesentliche Änderung der Verhältnisse im Sinne des § 622 Abs. 1 RVO darstellt bzw. unzulässig ist (vgl. BSG 32, 245, 249); denn abgesehen davon, daß es hier um die erste Festsetzung der Dauerrente geht, hat die Beklagte im Bescheid vom 26. April 1968 keine MdE von 15 v. H. festgesetzt, sondern nur festgestellt, daß die MdE nicht mehr in rentenberechtigendem Grade (wenigstens 20 v. H.) gemindert ist. Das LSG war sonach aus diesem Gesichtspunkt nicht an der Festsetzung einer MdE von 20 v. H. gehindert (vgl. dazu Urteil des erkennenden Senats vom 21. März 1974 - 8/2 RU 55/72 - in SozR 2200 Nr. 1 zu § 581 RVO = BSG 37, 177). Wohl aber hat das BSG bereits in BSG Bd. 4, 147, 150 entschieden, daß für die Schätzung einer MdE ausschließlich maßgebend sei, in welchem Umfang der Verletzte in dem Zeitpunkt, für den die Schätzung vorgenommen wird, in seiner Erwerbsfähigkeit beeinträchtigt ist. Künftig möglicherweise eintretende Schäden müssen deshalb bei der MdE-Schätzung grundsätzlich unberücksichtigt bleiben. Der 2. Senat des BSG hat allerdings im Urteil vom 15. Dezember 1966 (SGb 1967 S. 539, 541) ausgesprochen, daß schon die Rückfallgefahr (eines durch den Unfall entstandenen und ausgeheilten Pneumothorax) an sich den Kläger in seiner Fähigkeit zur Verrichtung von Erwerbsarbeit erheblich einschränke. Dort war aber einerseits festgestellt worden, daß der Unfallverletzte - anders als hier - die körperlich anstrengende Arbeit in der Gesenkschmiede bzw. Arbeiten mit nennenswerter körperlicher Belastung nicht mehr verrichten konnte. Darüber hinaus wurde die Rückfallgefahr nur deshalb im Sinne einer Erhöhung der MdE berücksichtigt, weil bereits im Zeitpunkt der MdE-Festsetzung eine Einschränkung seiner Verwendbarkeit im allgemeinen Erwerbsleben angenommen werden mußte.
Das LSG hätte daher erwägen müssen, ob diese Voraussetzung im vorliegenden Fall gegeben ist.
Dem Urteil des LSG war jedoch im Ergebnis zuzustimmen. Die Revision hat betont, daß die vom LSG zutreffend zitierte ärztliche Wissenschaft den Zustand der "Einnierigkeit" vielfach sogar nicht einmal mit 15 v. H., sondern nur mit "bis 0 v. H." bemesse. Dies steht im Einklang mit der vom LSG eingeholten Stellungnahme des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung (BMA) vom 11. Februar 1974, wonach für den Bereich der gesetzlichen UV beim Verlust einer Niere (ohne weitere Schäden) ua folgende MdE-Grade empfohlen werden:
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0 bis 20 v. H. bzw. 0 v. H. |
(Günther/Hymmen) |
0 bis 15 v. H. bzw. 0 v. H. |
(Marx, 1. Aufl.) |
0 bis 15 v. H. bzw. 0 bis 20 v. H. |
(Marx, 2. Aufl.). |
Auf die Stellungnahme des BMA wird verwiesen.
Ein MdE-Satz von 0 v. H. läßt sich damit erklären, daß es, wie im Gutachten des Prof. Dr. B vom 13.2.1973 ausgeführt wird (S. 7/8), normalerweise nach dem Verlust einer Niere zu einer kompensatorischen Hypertrophie der kontra-lateralen Niere kommt. Dies bedeutet, daß die Niere sich nicht nur in allen ihren Strukturen vergrößert, sondern daß auch ihre Funktion dermaßen ansteigt, daß bei jüngeren Leuten und im Falle, daß die verbliebene Niere gesund ist, ihre Funktion auf das Zweifache ansteigt. Einige Wochen oder Monate nach der Entfernung einer zweiten Niere finde sich also eine Nierenfunktion, die sich von der Funktion von zwei normalen Nieren nicht unterscheide. Demgemäß vertritt auch Prof. Dr. B (in Monatsschrift für Unfallheilkunde 1957 33, 39, 43) die Auffassung, daß die Restniere schon nach zwei bis vier Wochen eine völlige Anpassung ermögliche. Deshalb will er lediglich für einen Zeitraum von 6 Monaten eine "Übergangsrente" von 30 bzw. 20 v. H. zubilligen und danach keine wirtschaftlich meßbare MdE mehr annehmen.
Dieser Auffassung sind jedoch die im vorliegenden Fall gehörten Sachverständigen nicht gefolgt. Die Revision trägt selbst vor, daß - abgesehen von der MdE für die vorläufige Rente - sowohl Dr. D (Gutachten vom 16.4.1968, S. 5 - richtig: S. 3 -) als auch Dr. E im Gutachten vom 8.2.1969, S. 7; Prof. Dr. G im Gutachten vom 26.2.1970, S. 9; Dr. B im Gutachten vom 25.6.1970, S. 8; Prof. Dr. H (nicht H) im Gutachten vom 28.8.1973, S. 10 sowie im Gutachten vom 27.11.1973, S. 3 und schließlich auch Prof. Dr. F - dem Sinne nach - im Gutachten vom 4.3.1974 eine MdE von 15 v. H. angenommen haben. Auch Prof. Dr. E betont aaO S. 34, daß L, M, W, R, H, S. M und B bei Verlust einer Niere bei gesunder Restniere einen Rentensatz von 15 v. H. angeben. Schließlich hat auch der BMA in der obigen Stellungnahme zutreffend mehrere Quellen aus dem Schrifttum genannt, die feste MdE-Sätze von 15 v. H. für den Verlust einer Niere annehmen, nämlich 1.) Lob, Handbuch der Unfallbegutachtung, 1. Aufl. 1961, Bd. 1 S. 374; 2.) Liniger/Molineus, Der Unfallmann, 8. Aufl., 1964, S. 203 (15 % nach Anpassung) sowie 3.) Fischer/Herget/Mollowitz, Das ärztliche Gutachten im Versicherungswesen, 3. Aufl. 1968, Bd. I, S. 579 bzw. S. 831: für das 1. Jahr 30 bis 40 v. H., für das 2. Jahr 20 bis 30 v. H. und danach 15 v. H. (nach Gewöhnung). Da sonach weder die genannten, im vorliegenden Verfahren gehörten Sachverständigen noch das erwähnte Schrifttum die Auffassung von Prof. Dr. B teilen, scheidet die Annahme einer MdE von 0 v. H. nach dem bisherigen Verfahrensergebnis aus. Tatsächlich geht ja im vorliegenden Fall auch der Streit nur darum, ob durch die "Einnierigkeit" eine dauernde MdE von 15 oder 20 v. H. bedingt wird.
Nach Auffassung des erkennenden Senats sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, weshalb die MdE - wenn schon eine dauernde wirtschaftlich meßbare Einschränkung der Erwerbsfähigkeit anzunehmen ist - gerade mit 15 v. H. bemessen werden soll. Der allenfalls einleuchtende Gedanke, daß dem Verletzten damit die Gewährung einer UV-Rente grundsätzlich vorenthalten werden soll, muß als nicht sachgerecht ausscheiden. Demgemäß führt auch Prof. Dr. B aaO S. 41 aus, es sei nicht ersichtlich, durch welche Überlegungen es erstmals zu der Schätzung von 15 % gekommen sei; er betont, daß diese ohne praktische Bedeutung sei; der Verletzte habe nichts davon, da sie sich gerade unterhalb der zur Rentenauszahlung erforderlichen Höhe von 20 % halte. Dr. D kann deshalb in der von der Revision vorgelegten fachärztlichen Stellungnahme vom 15.11.1974 insoweit auch nur darauf hinweisen, daß der seitherige MdE-Grad "so viele Jahre" angewendet worden sei. Er betont andererseits (S. 6), es solle ein Grundsatz-Urteil beim BSG erwirkt werden, zumal immer noch eine gewisse Rechtsunsicherheit bei den Gutachtern dadurch hervorgerufen werde, daß in den verschiedenen Handbüchern und Richtlinien für die Unfallbegutachtung der gesetzlichen UV MdE-Grade zwischen 0 und 30 % empfohlen würden.
Der Senat ist daher der Auffassung, daß im vorliegenden Fall die medizinische Beurteilung der MdE-Frage nicht von ausschlaggebender Bedeutung sein kann. Dies um so weniger, als die reine "Grad-Frage" zwar von dem ärztlichen Befund ausgehen muß - darüber besteht im Revisionsverfahren kein Streit mehr -, aber über das ärztlich-wissenschaftliche Gebiet hinausgeht (vgl. BSG 6, 267, 268). Wie das BSG in dieser Entscheidung ausgesprochen hat, bietet für die Entscheidung der Grad-Frage die ärztliche Auffassung nicht mehr als einen Anhalt. Da es darauf ankommt, inwieweit durch die körperliche oder seelische Beeinträchtigung des Beschädigten seine Fähigkeit, erwerbstätig zu sein, gemindert wird, müssen hierbei Erwägungen mitsprechen, die nicht in erster Linie auf ärztlich-wissenschaftlicher Erfahrung beruhen. Das Gericht hat daher, wenn es sich nur um den Grad der MdE handelt, alle Umstände in Betracht zu ziehen, die dafür bestimmend sind, wie sich die Gesundheitsstörungen auf die Fähigkeit des Beschädigten auswirken, seine Arbeitskraft im allgemeinen Erwerbsleben nutzbringend zu verwerten (aaO 6, 268).
Der Grad der durch Unfallfolgen verursachten MdE ist grundsätzlich nach dem Umfang der verbleibenden Arbeitsmöglichkeit auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens zu beurteilen (BSG 1, 174, 178). Dabei hat das Gericht nicht nur alle Umstände des Einzelfalles - wie bereits erwähnt wurde -, sondern auch die allgemeinen Lebensverhältnisse sowie die sozialen und wirtschaftlichen Gegebenheiten zu berücksichtigen (BSG 6, 267, 268). Danach ist der Schaden, wie die Revision mit Recht hervorhebt, abstrakt zu berechnen, d. h., die in Form einer Rente zu gewährende Entschädigung soll nicht den tatsächlichen Minderverdienst ausgleichen; vielmehr wird die Entschädigung nach dem Unterschied der auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens bestehenden Erwerbsmöglichkeiten des Verletzten vor und nach dem Arbeitsunfall bemessen (BSG 21, 63, 67). Selbst wenn der Unfallverletzte trotz der Unfallfolgen seinen bisherigen Beruf nicht nur weiter ausüben kann, sondern auch das gleiche Arbeitseinkommen erzielt, wie er es ohne Unfallfolgen erreicht hätte, kann eine MdE gegeben sein. Die MdE kann sich in diesen Fällen darin auswirken, daß der Verletzte gegenüber einem unverletzten Versicherten zusätzliche körperliche und/oder geistige Anstrengungen erbringen muß, um den gleichen Erfolg im Erwerbsleben zu erlangen; oder auch in der Richtung, daß ihm gegebenenfalls wegen der Unfallfolgen eine berufliche Verbesserung verlorengeht. Insoweit wird nicht nur allgemein der Gesundheitsschaden, der Verlust an körperlicher Unversehrtheit entschädigt, sondern auch die damit verbundene Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit auf dem gesamten Bereich des wirtschaftlichen Lebens (vgl. Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1. bis 8. Aufl., Stand Februar 1975, S. 566 y II und 567). Schließlich kann auch noch eine durch die Unfallfolgen gesetzte Gefahr berücksichtigt werden, wenn hierdurch die Verwendbarkeit des Verletzten auf dem Gebiet des gesamten Erwerbslebens beeinträchtigt wird. Insoweit wird auf die obigen Ausführungen (SGb 1967, 539) und auf Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl., Mai 1975, Anmerkung 5 a zu § 581 RVO hingewiesen.
Bei Prüfung der Frage, inwieweit ein Versicherter, dem nur noch eine Niere verblieben ist, in seiner Erwerbsfähigkeit beeinträchtigt ist, kommt es also wesentlich darauf an, ob und inwieweit ihn das Fehlen der zweiten Niere im gesamten Bereich des wirtschaftlichen Lebens - also nicht nur in seinem vor oder nach dem Unfall ausgeübten Beruf - behindert. Insoweit ist zunächst auf einige medizinische Feststellungen der vom LSG erwähnten Sachverständigen einzugehen. Prof. Dr. B von der Medizinischen Klinik, Abteilung für Nephrologie der Medizinischen Hochschule H gab im Gutachten vom 4.3.1974 zu bedenken, daß ein Mann mit einer einzigen Niere mit einem erhöhten Risiko konfrontiert werde, wenn sich hier ein Nierenstein (ein sehr häufiges Ereignis auch bei vollkommen gesunden Leuten) oder ein anderer urologischer Vorgang ausbilden sollte. Das Risiko der Nierensteine sei zusätzlich durch die schwere körperliche Arbeit mit Schweißverlust vergrößert. Er meint deshalb, das Gericht solle entscheiden, ob aus diesen Gründen evtl. eine Dauerrente anerkennbar wäre. Seines Wissens existiere in dieser Hinsicht keine allgemeine Regelung. Facharzt Dr. H hat vor dem SG bekundet, jeder schwere Schock fördere die Gefährdung zur aufsteigenden Pyelonephritis, d. h. zu einer Erkrankung der Restniere. Er sah den Zustand der Einnierigkeit aus medizinischen Gründen als so schwerwiegend an, daß er nach den ihm zugänglich gewordenen Ausführungen von Übermuth in "Richtlinie für die urologische Begutachtung", 1969, einen "Vomhundertsatz von 30 v. H. bereits beim Verlust einer Niere und einer funktionsfähigen Restniere" als notwendig ansah (vgl. SG-Akten S. 307). Dr. J aus der Chirurgischen Abteilung des Krankenhauses P W hält in Monatsschrift für Unfallheilkunde 1964, S. 281, 289, den bisher geltenden Bewertungsmaßstäben entgegen, die vorübergehende Rentengewährung sei sinnwidrig, wenn man als Vergleich die Rentenhöhe z. B. eines Daumengrundgliedverlustes (15 bis 20%) heranziehe. Eine gerechte und wissenschaftlich begründete Begutachtung könne den Verlust eines lebenswichtigen Organs nicht einfach ignorieren. Er ist demnach der Auffassung, daß die von Heise und Hasselbacher gewährte Gefährdungsrente einnierig Gewordener von 30 % bei gesunder Restniere in jedem Fall gegeben werden sollte. Fischer/Herget/Mollowitz (vgl. dazu LSG-Urteil S. 16) bemerken aaO S. 579, daß versicherungsrechtlich die potenzielle Gefahr einer Urämie, welche die Einnierigkeit in sich trage, "bisher nicht gewertet werde". Sie meinen, es sollte im Einzelfall eine sozialgerichtliche Entscheidung angestrebt werden, wenn die Restniere aus schädigungsfremder Ursache zeitlich nach dem Trauma erkranke. Dabei wird darauf hingewiesen, daß das Bundesversorgungsgesetz (BVG) den einseitigen Nierenverlust für die Dauer mit einer 30 %igen MdE bewerte. Noch stärkere Bedenken gegen die bisherigen Rentenbemessungsmaßstäbe erhebt Prof. Dr. E aaO S. 40 bei dem Gedanken an eine nicht berücksichtigungsfähige (an sich unfallfremde) Verschlimmerung (§ 608 - jetzt § 622 Abs. 1 - RVO) mit den Worten, die Auswirkung des § 608 RVO zwinge den Gesetzgeber entweder zu einer Überprüfung und bedingten Abänderung oder aber (beim traumatischen Verlust einer Niere) "zur Anerkennung einer Gefährdungsrente beim Verlust einer Niere ...". Damit ist die seitherige Berentungspraxis ernstlich in Frage gestellt.
Diese medizinischen Feststellungen machen zunächst deutlich, daß die Beseitigung oder der Verlust einer Niere einen schwerwiegenden Eingriff in die körperliche Unversehrtheit darstellt, und zwar hauptsächlich deshalb, weil er die unmittelbare Gefahr einer jederzeit - etwa schon bei Schweißverlust, der je nach der Jahreszeit in jedem Beruf auftreten kann - möglichen schweren, ja lebensbedrohenden Erkrankung der Restniere begründet. Diese Gefahr allein kann zwar nicht im Sinne einer bloßen Gefährdungsrente eine Erhöhung der MdE rechtfertigen. Eine solche Erhöhung ist jedoch - nach den obigen Ausführungen - dann geboten, wenn diese Gefahr eine Einschränkung der Verwendbarkeit des Verletzten im allgemeinen Erwerbsleben mit sich bringt. Insoweit sind die vom LSG berücksichtigten ärztlichen Auffassungen zur Frage der Einsatzmöglichkeiten des Einnierigen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt (Rentenversicherung) von Bedeutung. Facharzt für Urologie Dr. M führt in seiner Abhandlung "Urologische Leiden" in dem Werk: Nixdorf/Bornemann, Ärztliche Begutachtung für die Rentenversicherungen, 2. Aufl., S. 406, aus, bei Einnierigkeit infolge Trauma seien bei gesunder Restniere mittelschwere Arbeiten in geschlossenen Räumen zumutbar. Desgleichen ist in dem vom LSG zitierten Werk: Die Medizinische Begutachtung in der Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten, 3. Aufl. 1967, S. 443, betont, nach den Beurteilungsgrundsätzen in der Rentenversicherung werde eher ein Verbleiben am bisherigen Arbeitsplatz, eine Umsetzung oder Umschulung auf einen anderen gemäßeren Beruf als eine Berentung in Frage kommen. Dem stimmt im Grundsatz auch Prof. Dr. B zu, wenn er aaO S. 42 meint, der aufgelockerte Begriff des allgemeinen Arbeitsmarktes erlaube es, bei einer Gefährdung durch Nierenverlust die Möglichkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt entsprechend einzuengen.
Aus den genannten medizinischen Äußerungen ist zu entnehmen, daß der einseitige Nierenverlust eine erhebliche Einschränkung der Verwendungsmöglichkeiten auf dem gesamten Bereich des wirtschaftlichen Lebens bedeutet; und zwar insofern, als dem Verletzten nur noch mittelschwere Arbeiten in geschlossenen Räumen zuzumuten sind bzw. als ihm durch Umsetzung oder Umschulung in eine seiner erheblichen Behinderung "gemäßeren" Tätigkeit nur noch ein beträchtlich eingeengter Teil des allgemeinen Arbeitsmarktes zur Verfügung steht. Dies ist auch bei Berücksichtigung der allgemeinen Lebensverhältnisse und der wirtschaftlichen Gegebenheiten (vgl. BSG 6, 267, 268) durchaus einleuchtend. Dem Einnierigen soll zwar grundsätzlich nicht bereits eine Rente wegen Erwerbs- oder Berufsunfähigkeit gewährt werden, er muß aber, da die berufliche Verwendung beträchtlich eingeengt ist, nach den oben erwähnten Rechtsgrundsätzen als derart geschädigt angesehen werden, daß für den Bereich der gesetzlichen UV wenigstens eine rentenberechtigende MdE zugrunde zu legen ist. Denn dieser Gesundheitsschaden schränkt nicht nur die Verwendungsmöglichkeit des Einnierigen - unabhängig von der Frage eines Minderverdienstes, also abstrakt gesehen - beträchtlich ein, sondern er erfordert auch vom Verletzten in bezug auf die erwähnten, mit der Restniere verknüpften körperlichen Besonderheiten und jederzeit drohenden Gefahren eine gegenüber einem unverletzten Versicherten zusätzliche Vorsicht, Zurückhaltung und besondere Anspannung der körperlichen und geistigen Kräfte, was bei der Festsetzung der MdE ebenfalls in Betracht zu ziehen ist. Der Senat geht dabei nicht so weit, wie Dr. J Dr. H oder wie H (vgl. Prof. Dr. B aaO S. 41), die eine MdE von 30 v. H. bzw. 25 bis 30 v. H. annehmen, und er erachtet insbesondere auch die von Prof. Dr. B aaO S. 34 erwähnten früher üblichen und auch heute noch mitunter vorgeschlagenen Rentensätze von 40 bis 50 v. H. für zu hoch. Er hält aber zumindest eine MdE von 20 v. H. für angemessen. Dabei ist zu bemerken, daß die Verurteilung der Beklagten zur Berentung nach einer höheren MdE aus dem Gesichtspunkt des Verbots der prozessualen Schlechterstellung hier ohnehin nicht ausgesprochen werden könnte.
Eine solche Berentung steht auch in einem vertretbaren Einklang mit den in der KOV geltenden Bemessungsmaßstäben. Es ist unter den Beteiligten unstreitig, daß dort für den "Verlust einer Niere bei Gesundheit der anderen Niere" eine MdE von 30 v. H. zugrunde gelegt wird (vgl. Stellungnahme des BMA vom 11.2.1974, Blatt 401 der LSG-Akten, und Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im Versorgungswesen, Ausgabe 1973, S. 195). Dazu hat der BMA zwar betont, es werde dabei berücksichtigt, daß im Versorgungswesen die MdE von jeher auch Ausdruck des Verlustes der anatomischen und funktionellen Intaktheit, der "Versehrtheit", gewesen sei. Wie oben dargelegt, ist aber auch in der gesetzlichen Unfallversicherung der Gesichtspunkt der körperlichen Unversehrtheit nicht ohne jede Bedeutung. Andererseits gelten in der KOV ebenfalls die allgemeinen Grundsätze für die Bemessung der MdE, wie sich ganz eindeutig aus § 30 Abs. 1 BVG ergibt. Denn danach ist die MdE nach der körperlichen und geistigen Beeinträchtigung im allgemeinen Erwerbsleben zu beurteilen, wobei maßgebend ist, um wieviel die Befähigung zur üblichen, auf Erwerb gerichteten Arbeit und deren Ausnutzung im wirtschaftlichen Leben durch die Schädigungsfolgen beeinträchtigt ist. Nur für erhebliche äußere Körperschäden können Mindesthundertsätze festgesetzt werden (vgl. BVG § 30 Abs. 1 letzter Satz in der Fassung der Bekanntmachungen vom 20.1.1967, BGBl I, S. 141, mit späteren Änderungen, und in der Fassung der Bekanntmachung vom 16.6.1975, BGBl I, 1365). Der Gesichtspunkt der Versehrtheit könnte sonach nur für äußere Körperschäden gelten, ein Fall, der beim Verlust der Niere ohnedies nicht gegeben ist. Demgemäß führt Prof. Dr. B aaO S. 35 mit Recht aus, die Tatsache, daß der gleiche kompensierte Verlust einer Niere im BVG mit 30 %, in der gesetzlichen UV mit 15 % bzw. 0 % entschädigt werde, sei nicht nur für einen Laien schwer verständlich.
Einen medizinischen oder rechtlich hinreichend fundierten Unterschied in der MdE-Bemessung für beide Rechtsgebiete gibt es sonach grundsätzlich nicht. Dies ist insbesondere auch aus der oben mehrfach zitierten Entscheidung des 10. Senats des BSG in BSG 6, 267/268 zu entnehmen, die gerade zu § 30 BVG bzw. §§ 29 bis 32 BVG ergangen ist. Deshalb ist der Schluß naheliegend, daß im Bereich der KOV dem Zustandsbild der Einnierigkeit, dessen schwerwiegende Auswirkungen oben näher dargelegt worden sind, im Sinne einer dem Sozialstaatsgedanken des Art. 20 Abs. 1 des Grundgesetzes eher entsprechender Weise Rechnung getragen wird. Selbst wenn aber im Bereich der KOV - entgegen dem Gesetz - auch im Falle des Verlustes einer Niere der Gesichtspunkt der "Versehrtheit" stärker betont worden sein sollte, als dies in der gesetzlichen UV zulässig ist, so wäre jedenfalls der Unterschied von 30 v. H. zu 15 v. H., d. h. die Annahme einer grundsätzlich nicht rentenberechtigenden MdE in Höhe von nur der Hälfte des im Versorgungsrecht geltenden MdE-Satzes unter keinen hier ins Gewicht fallenden sachlichen Gesichtspunkten gerechtfertigt. Die vom Senat angenommene und oben näher begründete MdE von 20 v. H. stellt daher auch bei einem durchaus zulässigen Vergleich mit den in der KOV geltenden Gesichtspunkten einen Mindestsatz dar.
Nach alledem war das LSG-Urteil im Ergebnis zu bestätigen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen