Leitsatz (amtlich)
Die Vorschrift des AFG § 100 Abs 2, wonach derjenige, der das 65. Lebensjahr vollendet, vom Beginn des folgenden Monats an keinen Anspruch auf Alg hat, ist mit dem GG vereinbar.
Normenkette
AFG § 100 Abs. 2 Fassung: 1969-06-25, § 107 S. 1 Nr. 2 Fassung: 1969-06-25, § 169 Nr. 2 Fassung: 1969-06-25; AVAVG § 57 Fassung: 1959-12-07, § 87 Abs. 5 Fassung: 1959-12-07; GG Art. 3 Abs. 1 Fassung: 1949-05-23, Art. 14 Fassung: 1949-05-23, Art. 20 Abs. 1 Fassung: 1949-05-23
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 23. Januar 1975 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger begehrt von der Beklagten Arbeitslosengeld (Alg) für Zeiten nach Vollendung seines 65. Lebensjahres.
Der am 1. April 1908 geborene Kläger war seit 1966 Rechtsschutzsekretär im Angestelltenverhältnis beim R.
... B e.V. Das Arbeitsverhältnis wurde wegen Erreichens der Altersgrenze durch ordentliche Kündigung des Arbeitgebers zum 31. Oktober 1973 gelöst. Der Kläger, der zu diesem Zeitpunkt noch nicht die Wartezeit für das Altersruhegeld erfüllt hatte, stellte am 1. November 1973 Antrag auf Alg, den die Beklagte durch Bescheid vom 8. November 1973 mit der Begründung ablehnte, daß vom Beginn des auf die Vollendung des 65. Lebensjahres folgenden Monats an kein Leistungsanspruch bestehe (§ 100 Abs. 2 Arbeitsförderungsgesetz - AFG -). Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 15. Februar 1974).
Durch Urteil vom 23. Januar 1975 hat das Sozialgericht (SG) Berlin die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt: § 100 Abs. 2 AFG sei mit dem Grundgesetz (GG) vereinbar. Entgegen der Auffassung des Klägers sei es dem Gesetzgeber grundsätzlich nicht versagt, Vorschriften zu erlassen, die gegenüber dem bislang geltenden Recht auch Rechtsnachteile mit sich brächten. Eine allgemeine Besitzstandsgarantie bestehe nicht. Gesetzliche Neuregelungen seien nur dann mit der Eigentumsgarantie des Art. 14 GG nicht zu vereinbaren, wenn sie bereits entstandene unverlierbare Ansprüche beseitigten. Demgegenüber sei § 100 Abs. 2 AFG nicht rückwirkend, sondern im Gegenteil mit einer gewissen Verzögerung in Kraft getreten (§ 242 Abs. 21 AFG) und habe derartige bereits entstandene Ansprüche nicht beeinträchtigt. So habe auch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) - wenn auch im Rahmen eines anderen Streitfalles - entschieden, daß es dem Gesetzgeber freistehe, das Höchstalter für den Bezug von Alg neu festzusetzen und auf die Vollendung des 65. Lebensjahres zu begrenzen. Jedenfalls bestehe für den Gesetzgeber danach nicht die Verpflichtung, Leistungen der Arbeitslosen- und der Rentenversicherung vollständig, schlechthin und nahtlos aufeinander derart abzustimmen, daß dem Versicherten immer eine dieser Leistungen zustehe. In diesem Zusammenhang müsse die Rechtsprechung des BVerfG, wonach zwischen gesetzlicher Kranken- und Rentenversicherung einerseits und Arbeitslosenversicherung andererseits weder ein notwendiger innerer Zusammenhang noch eine notwendige Übereinstimmung bestünden, berücksichtigt werden.
Der Gesetzgeber sei bei der Altersbegrenzung für das Alg auch sachgerecht verfahren. So wie er in der gesetzlichen Rentenversicherung vor Einführung des flexiblen Altersruhegeldes nicht gehindert gewesen sei, als Zeitpunkt für den regelmäßigen Eintritt des Versicherungsfalles des Alters die Vollendung des 65. Lebensjahres festzusetzen, ohne daß dieses Lebensalter in jedem Falle mit dem tatsächlichen altersbedingten Ausscheiden des Versicherten aus dem Erwerbsleben übereingestimmt habe, bleibe es ihm auch heute unbenommen, als Endzeitpunkt für den Leistungsbezug der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung wiederum die Vollendung des 65. Lebensjahres festzusetzen, auch wenn dieser Zeitpunkt im Recht der gesetzlichen Rentenversicherung nicht mehr ganz die Bedeutung wie früher habe. Entgegen der Auffassung des Klägers biete sich hier der Vergleich mit den vom BVerfG behandelten Berufsgruppen, die ohne erkennbaren sachlichen Grund völlig aus der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung ausgeschlossen gewesen seien, nicht an. Im vorliegenden Fall gehe es nicht um einen völligen Ausschluß eines Berufskreises aus der Versicherung, sondern allein um den Zeitpunkt der Beendigung des Schutzes der Arbeitslosenversicherung. Dieser werde aber in § 100 Abs. 2 AFG für alle von der Arbeitslosenversicherung erfaßten Personen einheitlich geregelt.
Das Urteil des SG ist dem Kläger am 16. April 1975 zugestellt worden. Dem am 14. Mai 1975 unter Vorlage einer Zustimmungserklärung der Beklagten gestellten Antrag auf Zulassung der Revision hat der Vorsitzende der erkennenden Kammer des SG mit Beschluß vom 27. Mai 1975, zugestellt am 29. Mai 1975, entsprochen. Der Kläger hat dieses Rechtsmittel am 4. Juni 1975 eingelegt und am 11. Juli 1975 begründet. Er rügt eine Verletzung der Art. 3 Abs. 1, 20 Abs. 1 GG, § 100 Abs. 2 AFG durch das SG und trägt hierzu insbesondere vor: Die gegenüber dem Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) durch § 100 Abs. 2 AFG eingeführte starre Annahme eines Endzeitpunktes für Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung lasse nur die Vermutung zu, daß der Gesetzgeber an den nahtlosen Übergang von Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung zum Altersruhegeld gedacht habe. Es werde nicht verkannt, daß das Risiko der Arbeitslosigkeit dann nicht mehr durch die Gewährung von Leistungen abgesichert werden müsse, wenn der erwerbslos gewordene Arbeitnehmer anstelle des Entgelts aus abhängiger Beschäftigung das Altersruhegeld aus der gesetzlichen Rentenversicherung in Anspruch nehmen könne. Handele es sich dagegen um einen erwerbslos gewordenen Arbeitnehmer, der - aus welchen Gründen auch immer - die Wartezeit für das Altersruhegeld noch nicht erfüllen konnte, so finde § 100 Abs. 2 AFG keine Anwendung. Insoweit liege ein nicht geregelter Tatbestand vor. Wenn das Gesetz hierzu schweige, so beruhe dies offensichtlich auf einem Versehen. Der erkennende Senat sei aufgerufen, die aufgezeigte Gesetzeslücke zu schließen. Es könne nicht Rechtens sein, daß dieser Personenkreis trotz Beitragspflicht nicht gegen das Risiko einer erst nach Vollendung des 65. Lebensjahres eintretenden Arbeitslosigkeit abgesichert sei.
Sofern der Senat dem nicht folgte, müsse geprüft werden, ob § 100 Abs. 2 AFG mit Art. 3 Abs. 1, 20 Abs. 1 GG zu vereinbaren sei.
Nach der Rechtsprechung des BVerfG könne der Gesetzgeber weitgehend frei darüber entscheiden, ob und in welchem Umfange eine bestimmte Sozialleistung gewährt werden solle. Bei der Bestimmung der Leistungsempfänger sei er aber an den in Art. 3 Abs. 1 GG normierten Gleichheitsgrundsatz gebunden. Bei der Abgrenzung des Kreises der Leistungsberechtigten dürfe er deshalb nicht sachwidrig verfahren. Durch die Regelung des § 100 Abs. 2 AFG werde aber innerhalb der Arbeitnehmer, die in ihrer Gesamtheit dem Zwang der Zugehörigkeit zur Arbeitslosenversicherung und der Beitragsentrichtung für den Risikofall der Arbeitslosigkeit unterworfen seien, insofern willkürlich differenziert, als ältere beitragspflichtig gewesene Arbeitnehmer - wie der Kläger - vom Versicherungsschutz ausgeschlossen würden, obwohl sie über keine oder nur geringe Eigenmittel verfügten, um die Folgen der Arbeitslosigkeit zu mildern. Ein solcher Ausschluß führe zu einer nicht gerechtfertigten Härte. Daß Arbeitnehmer mit Vollendung des 63. Lebensjahres gemäß § 169 Nr. 2 AFG in der Arbeitslosenversicherung beitragsfrei seien, gestatte keine andere Beurteilung, weil dieser Personenkreis in aller Regel Alg beanspruchen könne. Sachgerecht wäre der Gesetzgeber verfahren, wenn er bei seiner Ausschlußregelung auf den Bezug eines Altersruhegeldes aus der gesetzlichen Rentenversicherung abgestellt hätte, ohne ein bestimmtes Lebensalter zu erwähnen.
Ferner müsse die Regelung des § 100 Abs. 2 AFG auf ihre Vereinbarkeit mit dem in Art. 20 Abs. 1 GG verankerten Sozialstaatsprinzip geprüft werden. Der dem Sozialstaatsprinzip zu entnehmende normative Charakter sei nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) dahin zu beurteilen, daß auch der Schutz aller Staatsbürger gegen die Wechselfälle des Lebens zu seiner unmittelbaren Aufgabe werden müsse (BSGE 27, 197). Dies bedeute für den vorliegenden Fall, daß die Existenzsicherung nicht auf den Mindestbedarf an Sozialhilfe verlagert werden dürfe, wenn dem Grunde nach ein nicht nur vorrangiger, sondern auch ein höherrangiger gesetzlicher, auf Beitragsleistungen beruhender Anspruch einer Risikovorsorge bestehe.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des SG Berlin vom 23. Januar 1975 zu verurteilen, ihm auf seinen Antrag vom 1. November 1973 Alg zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Nach ihrer Auffassung hat das AFG gegenüber dem AVAVG für den hier in Frage stehenden Personenkreis zumindest keine erhebliche Verschlechterung gebracht. Die frühere Regelung habe zu Unzulänglichkeiten u.a. in Form des Doppelbezuges öffentlich-rechtlicher Leistungen geführt. Der Neuregelung des AFG läge insbesondere die Erwägung zugrunde, daß die Gewährung von Alg über das 65. Lebensjahr hinaus mit dem Zweck der Arbeitslosenversicherung nicht vereinbar sei. Dieser falle im Gesamtsystem der sozialen Sicherung die Aufgabe zu, einem versicherten Arbeitnehmer, der ernstlich bereit und in der Lage sei, eine Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes auszuüben, eine neue Arbeitsstelle jedoch nicht finden könne, durch Zahlung einer Lohnersatzleistung den Lebensunterhalt zu sichern. Arbeitnehmer, die das 65. Lebensjahr vollendet hätten, seien jedoch in aller Regel aus dem Berufsleben ausgeschieden. Deshalb wäre es systemwidrig, sie dem Risiko der Arbeitslosenversicherung zuzuordnen, was jedoch nicht ausschließe, ihnen die Vermittlungseinrichtungen der Bundesanstalt zur Verfügung zu stellen, wenn sie auch nach Vollendung des 65. Lebensjahres eine Beschäftigung ausüben wollten.
Der Umstand allein, daß Personen, die nur während eines geringen Teilabschnittes ihres Berufslebens als Arbeitnehmer tätig gewesen seien und deshalb nach Vollendung des 65. Lebensjahres kein Altersruhegeld beanspruchen könnten, rechtfertige jedenfalls keine andere als die mit § 100 Abs. 2 AFG eingeführte Regelung. Bei diesen Personen könne regelmäßig davon ausgegangen werden, daß sie auf geeignete andere Weise Vorsorge für die Sicherung ihres Lebensabends getroffen hätten. Andernfalls würde der Lebensunterhalt durch Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) gewährleistet sein.
Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist statthaft.
Der Beschluß über die nachträgliche Zulassung der Sprungrevision (§ 161 Abs. 1 Satz 1 des SGG ist zwar allein von dem Vorsitzenden der Kammer des SG erlassen worden; der Senat hält diesen Beschluß jedoch übereinstimmend mit der Rechtsprechung anderer Senate des BSG (vgl. Urteil vom 14. Dezember 1976 - 3 RK 23/76 - mit weiteren Nachweisen) noch für wirksam.
Die zulässige Revision ist jedoch unbegründet. Nach § 100 Abs. 2 AFG hat, wer das 65. Lebensjahr vollendet, vom Beginn des folgenden Monats an keinen Anspruch auf Alg. Hiernach steht dem Kläger ab 1. November 1973 kein Anspruch auf Alg mehr zu, weil er mit Ablauf des 31. März 1973 das 65. Lebensjahr vollendet hatte.
Entgegen der Auffassung des Klägers enthält § 100 Abs. 2 AFG nicht deshalb eine Lücke, weil er auch solche erwerbslos gewordenen Arbeitnehmer nach Vollendung des 65. Lebensjahres vom Leistungsbezug ausschließt, die (noch) nicht die Voraussetzungen für den Bezug des Altersruhegeldes aus einer der gesetzlichen Rentenversicherungen erfüllen. Eine Gesetzeslücke liegt nicht bereits dann vor, wenn eine erwünschte Ausnahmeregelung fehlt. Vielmehr muß ihr Fehlen eine planwidrige Unvollständigkeit des Gesetzes darstellen (vgl. BSG SozR AVAVG § 150 Nr. 6 mit weiteren Nachweisen). Bei der Prüfung dieser Frage hat die Rechtsprechung den Wortlaut des Gesetzes zu beachten und davon auszugehen, daß dieser den Willen des Gesetzgebers zutreffend zum Ausdruck bringt, sofern sich aus der Entstehungsgeschichte, dem Zweck oder dem Inhalt der Vorschrift keine konkreten Anhaltspunkte ergeben, die mit hinreichender Sicherheit den Schluß auf ein planwidriges Unterlassen des Gesetzgebers zulassen. In Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall müßten Anhaltspunkte dafür gegeben sein, daß Arbeitnehmer, die bei Vollendung des 65. Lebensjahres keinen Anspruch auf Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung haben, nicht von der Ausschlußregelung des § 100 Abs. 2 AFG erfaßt werden sollten. Das ist jedoch nicht der Fall. Dem Kläger ist zwar zuzugeben, daß der schriftliche Bericht des Bundestagsausschusses für Arbeit an das Plenum des Bundestages (zu BT-Drucks. V/4110 S. 17 zu § 90) darauf hinzudeuten scheint, daß der Gesetzgeber einen nahtlosen Übergang von den Leistungen der Arbeitslosenversicherung zu den Leistungen aus den gesetzlichen Rentenversicherungen anstrebte. Daraus läßt sich aber nicht schließen, daß der Gesetzgeber arbeitslos gewordene Arbeitnehmer, die bei Vollendung des 65. Lebensjahres Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherungen nicht in Anspruch nehmen können, bei der Regelung des § 100 Abs. 2 AFG übersehen hat. Vielmehr ergibt sich aus dem Kurzprotokoll der 90. Sitzung des Bundestagsausschusses für Sozialpolitik vom 6. Februar 1969, daß auch dieser Personenkreis bewußt in den Anwendungsbereich der Neuregelung einbezogen worden ist (vgl. Kurzprotokoll der 90. Sitzung des Ausschusses für Sozialpolitik vom 6. Februar 1969 - 90/16 ff -).
Die Ausschußberatungen über § 90 Abs. 3 des von der Bundesregierung beschlossenen Entwurfs eines Arbeitsförderungsgesetzes (BT-Drucks. V/2291) - jetzt § 100 Abs. 2 AFG - sind im Zusammenhang mit den Vorschriften der §§ 1283 Satz 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) und 60 Satz 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) zu sehen, die aufgrund des Finanzänderungsgesetzes vom 21. Dezember 1967 (BGBl I, 1259) mit Wirkung vom 1. Januar 1968 in Kraft getreten waren und bestimmen, daß diejenige Rente aus eigener Versicherung, die mit einem Alg zusammentrifft, bis zu dessen Höhe für den Zeitraum ruht, für den beide Leistungen zu gewähren sind. In den o.a. Beratungen wurde darauf hingewiesen, daß die bisherige Regelung des AVAVG, nach der Arbeitnehmer auch über das 65. Lebensjahr hinaus Alg beziehen konnten, dem Zweck der Arbeitslosenversicherung widersprochen und niemanden zufriedengestellt habe. Sachgerechter sei es, den Rentenversicherungen diejenigen Arbeitnehmer zuzuordnen, die aus dem Arbeitsleben ausscheiden würden und als Anhaltspunkt hierfür die Vollendung des 65. Lebensjahres zu wählen. Daß Arbeitnehmer - von wenigen Ausnahmen abgesehen - mit Erreichen der Altersgrenze aus dem Erwerbsleben ausschieden, hätten die Erfahrungen mit den durch das Finanzänderungsgesetz 1967 eingeführten Ruhensbestimmungen für das Altersruhegeld beim Zusammentreffen mit Alg ergeben. Ende Januar 1969 sei der Anteil der Alg-Empfänger, die nebenher noch Altersruhegeld bezogen hätten, gegenüber dem 30. September 1966 um über 96% auf 639 zurückgegangen; daneben habe es noch 1050 über 65-jährige Alg-Empfänger gegeben, die überwiegend deshalb kein Altersruhegeld bezogen hätten, weil es ihnen noch nicht zuerkannt worden sei. Es wurde ausdrücklich die Frage nach dem Ausschluß der über 65-jährigen arbeitsuchenden Arbeitnehmer erörtert, die wegen nicht erfüllter Wartezeit noch keinen Anspruch auf Altersruhegeld hätten und die zur Erfüllung dieser Anspruchsvoraussetzungen weiterarbeiten müßten. In diesem Zusammenhang wurde darauf hingewiesen, daß es sich hierbei nur um wenige Einzelfälle handeln könne, die man nicht als typisch für den Verlauf des Arbeitslebens betrachten könnte, worauf jedoch eine generelle gesetzliche Regelung aufzubauen habe. Solche Fälle könnten über die Sozialhilfe betreut werden. Danach wurde die Regelung des § 90 Abs. 3 des Regierungsentwurfs ohne weitere Aussprache im Ausschuß und im Plenum verabschiedet (vgl. Kurzprotokoll der 90. Sitzung des Ausschusses für Sozialpolitik aaO S. 18; Stenographischer Bericht über die 234. Sitzung des Deutschen Bundestages vom 13. Mai 1969 S. 12902, 12928; BT-Drucks. V/2291 S. 19 und V/4110 S. 43) und dem Bundesrat als § 100 Abs. 2 AFG zur Beschlußfassung zugeleitet (BR-Drucks. 276/69 S. 19).
§ 100 Abs. 2 AFG verstößt auch nicht gegen das GG, insbesondere nicht gegen Art. 14 GG, gegen Art. 3 Abs. 1 oder gegen Art. 20 GG.
Nach der Rechtsprechung des BVerfG zu Art. 14 GG weist der Anspruch auf eine Sozialversicherungsleistung bei Eintritt des Versicherungsfalles und die als Anwartschaft bezeichnete Position bis zu diesem Zeitpunkt als öffentlich-rechtliche Vermögenspositionen dann die Merkmale des Eigentumsbegriffes im Sinne von Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG auf, wenn sie nicht ausschließlich auf staatlicher Gewährung, sondern auf eigenen Leistungen des Versicherten beruhen (vgl. BVerfGE 14, 288 (293); 22, 241 (253)). Die Anwartschaft auf Alg beruht zwar im Sinne dieser Rechtsprechung mit auf Leistungen des Versicherten. Daraus allein kann aber die Unvereinbarkeit des § 100 Abs. 2 AFG mit Art. 14 GG nicht hergeleitet werden. Die vor dem 1. Juli 1970 bestehende Möglichkeit der Arbeitnehmer, im Falle der Arbeitslosigkeit Alg gemäß §§ 57, 87 Abs. 5, 85 AVAVG auch nach Vollendung des 65. Lebensjahres zu beziehen, unterlag der Disposition des Gesetzgebers (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG). In bezug auf das vorgezogene Altersruhegeld der gesetzlichen Rentenversicherungen hat das BVerfG in diesem Zusammenhang ausgeführt: "Ob das Altersruhegeld vom 60. oder erst vom 65. Lebensjahr an gewährt wird, zählt ebensowenig wie die Beitrags- und Leistungshöhe zum feststehenden Inhalt jener Anwartschaft. Die Veränderlichkeit der genannten Modalitäten ist von vornherein in der Anwartschaft angelegt; sie entspricht dem Charakter der Sozialversicherung, die auf dem Prinzip der Solidarität und des sozialen Ausgleichs beruht" (BVerfGE 22 S. 253). Diese Grundsätze gelten gleichermaßen für die hier zu beurteilende Anwartschaft auf Alg; zu ihrem feststehenden Inhalt gehört deshalb nicht, ob die Leistungsberechtigung im Falle der Arbeitslosigkeit vor, mit oder nach dem Erreichen der Altersgrenze endet. Durch § 100 Abs. 2 AFG ist die Anwartschaft vielmehr in zulässiger Weise modifiziert worden.
Auch der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG ist durch die Regelung in § 100 Abs. 2 AFG nicht verletzt worden. Der Gesetzgeber handelt zunächst nicht offensichtlich sachwidrig im Sinne eines Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG, wenn er bei einer Neuregelung finanzielle Gesichtspunkte berücksichtigt (vgl. BVerfGE 3, 4 (11); 27, 253 (288)). Die hier in Frage stehende Differenzierung zwischen Arbeitslosen, die das 65. Lebensjahr vollenden und solchen, die dieses Lebensalter noch nicht erreicht haben, findet indes ihre Rechtfertigung nicht nur in finanziellen Erwägungen (vgl. Stenographisches Protokoll über die 81. Sitzung des Bundestags-Ausschusses für Sozialpolitik vom 30. Oktober 1968 - 81/4 f; 12 f -), sondern vor allem in der Zweckbestimmung der Arbeitslosenversicherung, mit der es unvereinbar ist, Leistungen mit Lohnersatzfunktion auch Arbeitnehmern zu gewähren, die aus dem Erwerbsleben ausscheiden und dorthin nicht wieder zurückkehren wollen. Abgesehen davon, daß der Anspruch auf Alg nach den Vorschriften des AVAVG für die Dauer von 156 Tagen nach Vollendung des 65. Lebensjahres vielfach an der mangelnden Verfügbarkeit gescheitert und bei Arbeitnehmern, die über die Vollendung des 65. Lebensjahres hinaus mindestens 1 1/2 Jahre weiter arbeiteten und schließlich arbeitslos wurden, ohnehin ausgeschlossen war (vgl. BT-Drucks. V/2291 S. 79 zu § 90 Abs. 3), hatten - wie bereits ausgeführt - die Erhebungen der Träger der Rentenversicherungen und der Arbeitslosenversicherung für den Zeitraum von Ende September 1966 bis Ende Januar 1969 gezeigt, daß die Arbeitnehmer überwiegend mit dem Erreichen der Altersgrenze aus dem Berufsleben ausscheiden. Soweit dies in Einzelfällen nicht geschieht, durfte der Gesetzgeber solches als Randerscheinungen bei der Regelung eines Gesamtkomplexes vernachlässigen, ohne dabei den Gleichheitssatz zu verletzen. Der Kläger übersieht im übrigen, daß der Hauptzweck des im AFG verankerten Systems zum Schutz gegen Arbeitslosigkeit nicht in der Gewährung der Versicherungsleistung, sondern vorrangig in der Vermittlung in Arbeit besteht (vgl. § 5 AFG). Dieser Schutzzweck bleibt ihm auch nach Vollendung seines 65. Lebensjahres erhalten; hingegen kann er sich nicht darauf berufen, daß es grundgesetzwidrig sei, wenn ihm die für den Fall vorübergehender Arbeitslosigkeit bestimmten Leistungen nach §§ 100 ff, 134 ff AFG nach Erreichung des Rentenalters nicht anstelle einer ihm nicht zustehenden Altersrente eingeräumt sind.
Nicht zuletzt aus diesen Erwägungen konnte der Gesetzgeber, wie übrigens auch das BVerfG in seinem Beschluß vom 15. Juni 1971 (BVerfGE 31, 185 (191) näher ausgeführt hat, das Höchstalter für den Bezug von Alg grundsätzlich frei bestimmen; wenn er dies einheitlich für alle Arbeitnehmer festlegt, wird Art. 3 Abs. 1 GG nicht deshalb verletzt, weil dadurch die durch Beitragsleistungen entstehende Anwartschaft auf Alg nicht stets zum Leistungsbezug führt, solange jedenfalls Gleichbehandlung im Bereich des Hauptschutzes gegen Arbeitslosigkeit, nämlich durch die Arbeitsvermittlung, gewährleistet bleibt. Der Senat versteht in diesem Sinne den vorgenannten Beschluß des BVerfG, der zwar zu der Frage des Ruhens von Altersruhegeld beim Zusammentreffen mit Alg ergangen ist und die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers bei der Beseitigung des Doppelbezuges dieser Leistungen behandelt. Die dort angestellten Erwägungen zu den grundlegenden Unterschieden bezüglich der Voraussetzungen, die für einen Anspruch aus den Rentenversicherungen einerseits und einem Anspruch auf Alg andererseits zu erfüllen sind, sind jedoch auch hier als maßgebend anzusehen. In diesem Zusammenhang hat das BVerfG ausgeführt: "Wie der Gesetzgeber die Beseitigung des Doppelbezuges vornimmt, unterliegt weitgehend seiner Gestaltungsfreiheit. Allerdings wäre zur Verwirklichung der angestrebten Lösung der schrittweise Abbau der Gewährung von Arbeitslosengeld an über 65 Jahre alte Personen, wie er später durch das Arbeitsförderungsgesetz erfolgt ist, systematisch und vom Ergebnis her befriedigender gewesen" (BVerfGE 31, 192). Das BVerfG hat dabei ersichtlich nicht verkannt, daß - ausnahmsweise - Fälle denkbar sind, bei denen ein "Doppelbezug" nach Vollendung des 65. Lebensjahres deswegen nicht in Betracht kommen konnte, weil der zu diesem Zeitpunkt aus dem Erwerbsleben ausscheidende Arbeitnehmer keinen Rentenanspruch hatte. Daß der Gesetzgeber den Ausschluß von Alg-Leistungen nicht mit dem Bezug eines Altersruhegeldes verknüpft hat, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, weil Personen, die bei Vollendung des 65. Lebensjahres kein Altersruhegeld in Anspruch nehmen können, in der Regel auf eine andere geeignete Weise ihren Lebensabend finanziell abgesichert haben und anderenfalls der Lebensunterhalt durch Leistungen nach dem BSHG gewährleistet ist. Unter diesen Umständen kann der Ausschluß vom Alg auch insoweit nicht als ungerechtfertigte Härte angesehen werden, als dem arbeitslos gewordenen Arbeitnehmer über 65 Jahre keine ausreichenden Eigenmittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts zur Verfügung stehen.
Der generelle Wegfall des Alg-Anspruches vom Beginn des auf die Vollendung des 65. Lebensjahres folgenden Monats an muß hier im übrigen im Zusammenhang mit den Regelungen der §§ 169 Nr. 2, 107 Nr. 2 AFG gesehen werden, die vom Beginn des auf die Vollendung des 63. Lebensjahres folgenden Beschäftigungsmonats an Beitragsfreiheit bei gleichzeitiger Wahrung der Anwartschaftszeit anordnen (vgl. auch BT-Drucks. V/2291 S. 79); sie sind als Ausgleich für den späteren Leistungsausfall gedacht und sollen außerdem die Arbeitgeber, die nunmehr für Arbeitnehmer vom 63. Lebensjahr an keine Beiträge mehr abführen müssen, veranlassen, diese Arbeitnehmergruppe nicht mehr abzuschieben (vgl. dazu Stenographisches Protokoll über die 81. Sitzung des BT-Ausschusses für Sozialpolitik vom 30. Oktober 1968 - 81/9 f -) bzw. bei Neueinstellungen stärker zu berücksichtigen.
Die einheitliche Behandlung der über 65-jährigen Arbeitslosen ungeachtet ihrer Ansprüche aus den gesetzlichen Rentenversicherungen ist auch mit Art. 20 Abs. 1 GG vereinbar. Durch das Sozialstaatsprinzip wird der Gesetzgeber ermächtigt, unter Beachtung des Gleichheitssatzes sozial-politische Entscheidungen zu treffen. Seine Entscheidungsfreiheit ist lediglich insoweit eingeschränkt, als die einzelne Entscheidung den Anforderungen sozialer Gerechtigkeit genügen muß (vgl. dazu BVerfGE 40, 121 (133 f); BSG SozR 2200 § 1268 Nr. 6). Die Regelung des § 100 Abs. 2 AFG entspricht diesen Anforderungen.
Aus dem Nachrang der Sozialhilfe folgt nicht, daß dem erwerbslos gewordenen Arbeitnehmer nach Vollendung seines 65. Lebensjahres entweder Leistungen der Arbeitslosenversicherung oder aber Leistungen der Rentenversicherungen zu gewähren sind. Zur Begründung seiner gegenteiligen Ansicht beruft sich der Kläger zu Unrecht auf die Rechtsprechung des BSG (BSGE 27, 197). Der 3. Senat hat in seinem Urteil vom 31. Oktober 1967 offengelassen, ob das Sozialstaatsprinzip normativen Charakter in dem Sinne hat, daß der Schutz aller Staatsbürger gegen die Wechselfälle des Lebens unmittelbare Aufgaben des Staates geworden ist (vgl. dazu auch BSGE 15, 1 (8)). Selbst wenn man aber ein dementsprechendes subjektives Recht des Einzelnen annehmen wollte, so hat der 3. Senat näher ausgeführt, könne sich dieses allenfalls auf allgemeine staatliche Fürsorge richten, wobei jedenfalls der so verstandenen Verfassungsnorm mit der Sicherung der Existenz, gegebenenfalls durch Sozialhilfe, Genüge getan wäre (BSGE 27, 199). Das bedeutet für den vorliegenden Fall, daß aus Gründen der Rechts- und Sozialstaatlichkeit nicht beanstandet werden kann, wenn arbeitslos gewordene Arbeitnehmer nach Vollendung des 65. Lebensjahres wegen Fehlens eines Leistungsanspruchs aus den gesetzlichen Rentenversicherungen auf Leistungen der Sozialhilfe verwiesen werden. Dies gilt um so mehr, als zwischen der Kranken-, Angestellten- und Arbeitslosenversicherung, worauf das SG zu Recht hingewiesen hat, nach der Rechtsprechung des BVerfG kein so notwendiger innerer Zusammenhang gesteht, daß für den Gesetzgeber die Verpflichtung begründet ist, die Leistungen der drei genannten Versicherungszweige stets im Sinne einer Verzahnung aufeinander abzustimmen (vgl. BVerfGE 18, 38 (48)). Der Kläger verkennt auch hier, daß das Alg nicht wie eine Rente die Funktion der Sicherung des Alters nach Vollendung des 65. Lebensjahres hat. Würde man der Auffassung des Klägers folgen, daß Arbeitnehmern, die nach dem 65. Lebensjahr ohne Rentenanspruch aus dem Erwerbsleben ausscheiden, in jedem Falle ein Anspruch auf Alg zuerkannt werden müßte, so müßte man diesen Arbeitnehmern nach Erschöpfung des Alg-Anspruchs gleichermaßen den ergänzenden Anspruch auf Alhi (§ 134 Abs. 1 Nr. 4 a AFG) zubilligen. Das würde aber bedeuten, daß dann die Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung an die Stelle der Alterssicherung treten würden, also eine Funktion übernehmen sollen, die den Rentenversicherungen oder - sofern hieraus kein Anspruch bestünde - den Sozialhilfeträgern zukommt. Wenn es auch der Grundgedanke des § 100 Abs. 2 AFG gewesen ist, einen Doppelbezug von Alg und Altersrente aus den gesetzlichen Rentenversicherungen zu vermeiden, so ist daraus jedenfalls nicht der Schluß zu ziehen, daß eine fehlende soziale Alterssicherung zur Vermeidung einer Verletzung des Sozialstaatsprinzips funktionell durch Leistungen der Arbeitslosenversicherung ersetzt werden müßte. Dabei ist darauf hinzuweisen, daß auch nach dem Recht des AVAVG Leistungen der Arbeitslosenversicherung - wenn auch zu einem anderen Zeitpunkt - ohne Rücksicht darauf endeten, ob der über 65 Jahre alte Arbeitnehmer schon einen Anspruch auf Altersrente hatte oder nicht.
Die Revision des Klägers ist nach allem nicht begründet und deshalb zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen