Entscheidungsstichwort (Thema)
Anerkenntnis iS des § 101 Abs 2 SGG
Orientierungssatz
1. Durch ein Anerkenntnis muß ein Klageanspruch als zu Recht bestehend bestätigt werden (vgl BGH 1953-10-08 III ZR 206/51 = BGHZ 10, 333, 335). Das muß uneingeschränkt, ohne "Drehen und Wenden" erkennbar gewollt und erklärt sein (vgl BSG 1965-09-09 4 RJ 481/61 = BSGE 24, 4, 5) und muß sich auf den gesamten Klageanspruch oder auf einen abtrennbaren Teil (vgl BSG 1964-08-20 8 RV 321/62 = BSG SozEntsch BSG I/4 § 101 Nr 7) beziehen.
2. Im Einzelfall kann eine beklagte Verwaltung im sozialgerichtlichen Verfahren ein Anerkenntnis iS des § 101 Abs 2 SGG auch ohne die Verwendung des entsprechenden Ausdrucks ("Anerkenntnis", "anerkennen") erklären, falls sich ein darauf gerichteter Wille hinreichend deutlich aus dem gesamten Inhalt der Äußerung und aus dem Zusammenhang, in dem sie steht, ergibt (vgl BSG 1961-11-21 9 RV 374/60 = SozR Nr 3 zu § 101 SGG). In der Regel ist jedoch eine derartige folgenschwere Prozeßhandlung nur dann anzunehmen, wenn der Beklagte den bezeichneten Ausdruck im Hinblick auf § 101 Abs 2 SGG verwendet. Falls die Verwaltung einen Teil eines Klageanspruches im prozeßrechtlichen Sinn anerkennen und insoweit den Rechtsstreit erledigen will, so muß dies klar und unzweideutig zum Ausdruck kommen.
Normenkette
SGG § 101 Abs. 2 Fassung: 1953-09-03
Verfahrensgang
Tatbestand
Beim Kläger ist eine Narbe über dem rechten Schulterblatt als Schädigungsfolge nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) ohne Rentenanspruch anerkannt (Bescheid vom 20. Juli 1950). Im August 1978 machte er eine Verschlimmerung geltend und bezeichnete außerdem eine Schwerhörigkeit als Folge eines Granateinschlages im Jahr 1944. Dieser Antrag blieb erfolglos (Bescheid vom 7. August 1979, Widerspruchsbescheid vom 10. Oktober 1979). Das Sozialgericht (SG) wies die auf die Beachtung der Schwerhörigkeit beschränkte Klage ab (Urteil vom 29. Mai 1980). Nachdem im Berufungsverfahren frühere Arbeitskollegen des Klägers als Zeugen über eine Schwerhörigkeit in den Jahren 1957/58 und 1972 vernommen worden waren, erklärte der beklagte mit Schriftsatz vom 10. Dezember 1980, aufgrund der Zeugenaussagen könne nunmehr davon ausgegangen werden, daß die Schwerhörigkeit mit der vom Gesetz geforderten Wahrscheinlichkeit dargetan worden und durch den Granateinschlag bedingt sei; es werde anheimgestellt, einen Gutachter die Höhe der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) beurteilen zu lassen. Der Vorsitzende des Berufungsgerichts gab dem Kläger in einem "Auflagenbeschluß" ua auf, den Nachweis dafür anzutreten, daß er auch in der Zeit zwischen der Heimkehr und 1957 schwerhörig gewesen sei. Später ordnete der Vorsitzende die Vernehmung der Ehefrau des Klägers an. Die Beweisaufnahme wurde aber nicht durchgeführt. Einen gerichtlichen Vergleichsvorschlag, wonach der Beklagte beiderseitige Schwerhörigkeit als Schädigungsfolge dem Grunde nach anerkennen und den für die Versorgung maßgebenden Grad der MdE prüfen soll, nahm der Kläger an. Der Beklagte lehnte ihn ab. In mehreren Schriftsätzen erklärte er, er halte die Auffassung über die Verursachung der Schwerhörigkeit nicht mehr aufrecht; falls ein Anerkenntnis angenommen werde, solle dies widerrufen sein. Das Landessozialgericht (LSG) hat den Beklagten verurteilt, entsprechend seinem Anerkenntnis vom 10. Dezember 1980 gegenüber dem Kläger "beiderseitige Schwerhörigkeit" als Schädigungsfolge nach dem BVG anzuerkennen (Urteil vom 19. Mai 1981). Das Gericht hält ein Anerkenntnis gem § 202 Sozialgerichtsgesetz (SGG) iVm § 307 Abs 1 der Zivilprozeßordnung (ZPO) allgemein für zulässig und hier auch für geboten. Da die Beteiligten über die Wirksamkeit des Anerkenntnisses stritten, habe der Kläger ein Rechtsschutzinteresse an einem entsprechenden Urteil. Der Beklagte habe im Schriftsatz vom 10. Dezember 1980 bestätigt, daß der Anspruch auf Feststellung der Schwerhörigkeit als Schädigungsfolge bestehe. Damit habe der Beklagte den Klageanspruch dem Grunde nach anerkannt. Dadurch habe er ein prozessuales Anerkenntnis erklärt. Insbesondere spreche der letzte Absatz des Schreibens, in dem dem Gericht die Ermittlung der schädigungsbedingten MdE anheimgegeben werde, für die Richtigkeit dieser Auslegung. Die Erklärung, die Schwerhörigkeit sei als Schädigungsfolge anzuerkennen, gehe über eine bloße Beweiswürdigung hinaus. Das Anerkenntnis iSd § 101 abs 2 SGG könne auch schriftlich erklärt werden. Der Kläger habe es als Teilanerkenntnis dadurch angenommen, daß er dem entsprechenden Vergleichsvorschlag zugestimmt habe. Das Anerkenntnis sei wirksam, weil der Beklagte insoweit über den Streitgegenstand habe verfügen können, obwohl nicht alle Anspruchsvoraussetzungen nachgewiesen gewesen seien. Der Beklagte habe das wirksame und angenommene Anerkenntnis weder widerrufen noch anfechten können. Eine Anfechtung wegen Irrtums sei überhaupt ausgeschlossen; denn das Anerkenntnis sei eine reine Prozeßhandlung und habe keine Doppelnatur. Es könne in diesem Fall auch nicht wegen treuwidrigen oder arglistigen Verhaltens des Klägers beseitigt werden. Der Kläger habe eine in der Jugend durchgemachte Mittelohrentzündung bereits im Antrag erwähnt, und auch im Gesundheitsbuch finde sich ein Hinweis darauf. Schließlich könne das Anerkenntnis nicht entsprechend § 290 ZPO rückgängig gemacht werden. Diese Vorschrift sei nicht auf Prozeßhandlungen und außerdem im sozialgerichtlichen Verfahren überhaupt nicht anwendbar.
Der Beklagte hat die - vom LSG zugelassene - Revision eingelegt. Er vertritt weiterhin die Auffassung, er habe im Schriftsatz vom 10. Dezember 1980 lediglich die Zeugenaussagen gewürdigt; dies ergebe sich aus dem gesamten Zusammenhang. Ein Anerkenntnis könne allein in der mündlichen Verhandlung wirksam abgegeben werden. In der Verhandlung vor dem LSG sei dies nicht geschehen. Vielmehr habe zu dieser Zeit die Verwaltung vorsorglich ein Anerkenntnis widerrufen. Dies sei sogar ohne Angabe von Gründen zulässig.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des LSG aufzuheben und die Klage
abzuweisen,
hilfsweise,
den Rechtsstreit an das LSG zurückzuverweisen.
Der Kläger hat keinen Antrag gestellt.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Beklagten hat Erfolg. Der Beklagte hat im Ergebnis zu Recht gerügt, das LSG hätte das Berufungsverfahren nicht durch ein Anerkenntnisurteil abschließen dürfen.
Ob eine solche Entscheidung (dazu: § 202 SGG, § 307 Abs 1 ZPO) durch die sozialgerichtliche Sozialvorschrift des § 101 Abs 2 SGG schlechthin ausgeschlossen ist, weil das angenommene Anerkenntnis den Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt (vgl BSG 26. Oktober 1967 - 4 RJ 195/66 -, teilweise abgedruckt in SozR Nr 10 zu § 101 SGG; BSG 6. Oktober 1961 - 10 RV 539/61 -; BSG SozR 1500 § 101 Nr 6), kann dahingestellt bleiben. Auch kann offenbleiben, ob der Kläger durch die Zustimmung zum gerichtlichen Vergleichsvorschlag die entsprechende Annahme erklärt hat. Jedenfalls lag kein Anerkenntnis des Beklagten in diesem prozessualen Sinn vor. Über dessen umstritten Wirksamkeit hätte aber in Fortsetzung desselben Verfahrens entschieden werden müssen (BSG SozEntsch BSG I/4 § 101 SGG Nr 6; ebenso für den Streit um einen Prozeßvergleich: Urteil des erkennenden Senats vom 1. April 1981 - 9 RV 43/80 -). Sodann wäre in diesem Fall eine Sachentscheidung aufgrund einer weiteren Beweiserhebung geboten gewesen. Hingegen war verfahrensrechtlich weder für ein Anerkenntnisurteil - nach der vom LSG vertretenen, aber umstrittenen Rechtsauffassung - noch für die Feststellung, daß der Rechtsstreit nach § 101 Abs 2 SGG in der Hauptsache erledigt ist (BSG 26. Oktober 1967; SozR 1500 § 101 Nr 6), ein Weg gewiesen. Ob die schriftliche Stellungnahme des Beklagten vom 10. Dezember 1980 als eine derartige Prozeßhandlung zu werten ist, die sich auf das Gerichtsverfahren unmittelbar auswirkt (§ 101 Abs 2 SGG), hat das Revisionsgericht zu entscheiden. Allerdings hat es die tatsächlichen Feststellungen des LSG ber den Wortlaut der Erklärung als gegeben hinzunehmen.
Jedoch ist die Stellungnahme der Beklagten, daß eine Schwerhörigkeit des Klägers eine Schädigungsfolge iS des § 1 Abs 1 und Abs 3 Satz 1 BVG ist, nicht als eine den Rechtsstreit beendende Prozeßerklärung aufzufassen.
Durch ein Anerkenntnis, wie es in Betracht kommen könnte, müßte der Beklagte einen Klageanspruch als zu Recht bestehend bestätigen (BGHZ 10, 333, 335; BGH, Zeitschrift für Zivilprozeßrecht 1958, 95). Das müßte uneingeschränkt, ohne "Drehen und Wenden" erkennbar gewollt und erklärt sein (BSGE 24, 4, 5 = SozR Nr 7 zu § 101 SGG) und müßte sich auf den gesamten Klageanspruch oder auf einen abtrennbaren Teil (BSG SozEntsch BSG I/4 § 101 Nr 7) beziehen. Eine solche Erklärung hat der Beklagte in diesem Fall nicht abgegeben.
Im Einzelfall mag eine beklagte Verwaltung im sozialgerichtlichen Verfahren ein Anerkenntnis iS des § 101 Abs 2 SGG auch ohne die Verwendung des entsprechenden Ausdrucks ("Anerkenntnis", "anerkennen") erklären, falls sich ein darauf gerichteter Wille hinreichend deutlich aus dem gesamten Inhalt der Äußerung und aus dem Zusammenhang, in dem sie steht, ergibt (BSG SozR Nr 3 zu § 101 SGG). In der Regel wird jedoch eine derartige folgenschwere Prozeßhandlung nur dann anzunehmen sein, wenn der Beklagte den bezeichneten Ausdruck im Hinblick auf § 101 Abs 2 SGG verwendet. Von diesem Grundsatz ist auch im gegenwärtigen Fall auszugehen. Falls die Verwaltung den einen Teil des Klageanspruches, daß die Schwerhörigkeit als Schädigungsfolge festgestellt werden soll, hätte im prozeßrechtlichen Sinn anerkennen und insoweit den Rechtsstreit erledigen wollen, so hätte dies klar und unzweideutig zum Ausdruck kommen müssen. So war es hier aber nicht. Die schriftliche Erklärung kann und muß vielmehr anders gedeutet werden. Der Vorsitzende des vorinstanzlichen Gerichts hat anfangs den Inhalt des Schriftsatzes nicht anders verstanden; sonst hätte er den Beteiligten nicht anschließend einen Prozeßvergleich vorgeschlagen, durch den erst der Beklagte die Schwerhörigkeit als Schädigungsfolge anerkennen sollte. Die schriftliche Äußerung der Verwaltung ist vor allem deshalb nicht als prozessuales Anerkenntnis zu verstehen, weil der damalige Verfahrensstand den Beklagten noch nicht veranlaßte, uneingeschränkt zu allen einzelnen Anspruchsvoraussetzungen zugunsten des Klägers Stellung zu nehmen. Vielmehr würdigte die Verwaltung nach den einleitenden Ausführungen hauptsächlich die Zeugenaussagen. Mit dieser für den Kläger günstigen Stellungnahme waren, nach der damaligen Verfahrenslage deutlich erkennbar, nicht alle umstrittenen tatsächlichen Voraussetzungen für eine Anerkennung der Schwerhörigkeit als Schädigungsfolge gegeben. Offen blieb weiterhin, ob der Kläger seit der Granatexplosion im Krieg bis 1957 ebenfalls schwerhörig war, was das SG verneint hatte. Eine Aufklärung darüber hielt auch der Gerichtsvorsitzende bis zur mündlichen Verhandlung für geboten, wie seine Anordnungen erkennen lassen. Darüber hinaus hätte die medizinische Erfahrung, auf der das dem Urteil zugrunde liegende Gutachten von Prof. Dr. B aufbaute, daß nämlich die Art der Schwerhörigkeit des Klägers gegen eine Entstehung durch eine Granatexplosion spreche, widerlegt oder hinreichend entkräftet werden müsse, um eine solche Verursachung doch als wahrscheinlich bewerten zu lassen. Der Beklagte ist allerdings ungeachtet dieser Beweisbedürftigkeit und ohne erkennbare Prüfung dieser einzelnen tatsächlichen Umstände im Schriftsatz vom 10. Dezember 1980 über die Würdigung der Zeugenaussagen hinausgegangen und hat allein wegen der seit 1957 bekundeten Schwerhörigkeit diese als wahrscheinlich durch einen Granateinschlag verursacht beurteilt. Mit dieser nicht hinreichend verständlichen Erklärung hat er jedoch nicht mehr zum Ausdruck gebracht als die Ansicht, über den umstrittenen Ursachenzusammenhang brauche nun nichts mehr aufgeklärt zu werden. Dies kommt schon in der einschränkenden Formulierung zum Ausdruck, von der kriegsbedingten Verursachung könne jetzt "ausgegangen werden". Damit erklärte der der Beklagte gegenüber dem Gericht, aus seiner Sicht erübrige sich nunmehr die nach dem Urteil noch erforderlichen Beweiserhebung über die Kausalität. Das Gericht sollte sich nach der weiteren Ausführung in dem bezeichneten Schriftsatz darauf beschränken, die Höhe der schädigungsbedingten MdE durch einen Sachverständigen beurteilen zu lassen.
Das Zugestehen, daß einzelne tatsächliche Voraussetzungen für den umstrittenen Anspruch - hier für die Feststellung einer Schädigungsfolge - gegeben sind, ist gerade vom prozessualen Anerkenntnis eines geltend gemachten Rechtes im zuvor bezeichneten Sinn unterschieden (vgl BSG SozEntsch I/4 § 101 SGG Nr 7).
Eine Stellungnahme jener Art hat allerdings im Sozialgerichtsverfahren nicht die prozeßrechtliche Wirkung wie ein Geständnis im Zivilprozeß gem § 288 ZPO; sie beeinflußt nicht unmittelbar den Rechtsstreit (zum Revisionsverfahren: Urteil des erkennenden Senats s vom 17. September 1980 - 9 RV 32/79 -). Im Verfahren nach dem SGG hat vielmehr das Gericht selbst den Sachverhalt von Amts wegen festzustellen (§ 103 Satz 1 Halbsatz 1 SGG). Es ist dabei nicht an das Vorbringen der Beteiligten gebunden (Satz 2) und darf die Beweiserhebung und Sachprüfung nicht der Verwaltung überlassen (BSG SozR 1500 § 103 Nr 16). Wenn der Beklagte einen bestehenden rechtserheblichen Sachverhalt als gegeben "zugesteht", so bleibt er daran nicht einmal zwingend gebunden.
Für die Anerkennung einer Schädigungsfolge fehlte es in diesem Fall an einer genauen Bezeichnung und Abgrenzung der Gesundheitsstörung im Gehörbereich, die diese rechtliche Bedeutung hätte haben sollen. Die exakte Bestimmung der Schädigungsfolge wäre aber als Grundlage für die noch ausstehende Bemessung des MdE-Grades bedeutsam und unerläßlich gewesen.
Das LSG hat nach der Aufhebung seines Urteils im einzelnen zu prüfen, ob sämtliche tatsächliche Voraussetzungen für den umstrittenen Anspruch gegeben sind, und sodann über das Klagebegehren zu entscheiden. Ob und inwieweit es dabei trotz der sich aus dem Urteil des SG ergebenen Bedenken von einer weiteren, vom Beklagten für überflüssig gehaltenen Beweiserhebung über den Kausalzusammenhang absieht, bleibt seiner freien Beweiswürdigung überlassen (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG).
Das Berufungsgericht hat auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden.
Fundstellen