Leitsatz (redaktionell)
Die ehrenamtliche Tätigkeit eines von dem Deutschen Leichtathletikverband (DLV) für die Ausbildung von Spitzensportlern berufenen Trainers steht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung.
Für einen während der Lehrtätigkeit eingetretenen Unfall ist der Unfallversicherungsträger leistungspflichtig.
Normenkette
RVO § 537 Nr. 10 Fassung: 1942-03-09
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 21. September 1967 wird zurückgewiesen. Die Beklagte hat den Beigeladenen die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Gründe
I
Der 1925 geborene, als technischer Angestellter bei den Farbenfabriken B AG in L beschäftigte Georg K (K.) gehört der Betriebskrankenkasse (BKK) dieses Unternehmens an. Er war als Mitglied der Sportvereinigung B L Leistungssportler im Hammerwerfen. 1958 wurde er auf Grund seiner Erfahrung vom Deutschen Leichtathletikverband (DLV) als ehrenamtliche Lehrkraft für das Hammerwurftraining berufen; ihm oblag damals die Vorbereitung der für die Teilnahme an den Olympischen Sommerspielen 1960 in Betracht kommenden Spitzensportler. Der DLV hatte für die etwa 30 seinerzeit von ihm bestellten ehrenamtlichen Lehrkräfte eine private Unfallversicherung abgeschlossen; für ihre Tätigkeit erhielten sie eine Aufwandsentschädigung. Als K. am 12. März 1960 einen Trainingslehrgang der Hammerwerfer im Südweststadion zu L leitete, traf ihn ein Hammer am rechten Bein; er trug dabei einen offenen Unterschenkelbruch davon, der eine längere Heilbehandlung erforderte. Die BKK verlangte von der Beklagten den Ersatz der Aufwendungen für Heilbehandlung und Geldleistungen. Die Beklagte lehnte dieses Verlangen mit der Begründung ab, für die Tätigkeit der vom DLV berufenen unbesoldeten Übungsleiter bestehe kein Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung (UV) nach § 537 Nr. 1 oder Nr. 10 der Reichsversicherungsordnung (in der vor dem 1. Juli 1963 geltenden Fassung - RVO a.F. -).
Im Verfahren über die hierauf von der BKK erhobene Klage, mit der diese die Verurteilung der Beklagten zum Aufwendungsersatz begehrte, hat das Sozialgericht (SG) Düsseldorf den Verletzten K. und den DLV beigeladen; K. hat beantragt, das Unfallereignis vom 12. März 1960 als Arbeitsunfall anzuerkennen, der DLV hat sich dem Antrag der Klägerin angeschlossen. Das SG hat Auskünfte von mehreren Fach- und Landessportverbänden eingeholt und mit Urteil vom 2. Juni 1965 entschieden: "Es wird festgestellt, daß der Beigeladene zu 1. am 12.3.1960 einen Arbeitsunfall erlitten hat. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 3.839,72 DM zu zahlen": Der Beigeladene K. sei am Unfalltag wie ein Versicherter tätig gewesen (§ 537 Nr. 10 RVO a.F. = § 539 Abs. 2 RVO). Der DLV, wie auch die in diesem Verfahren gehörten Sportverbände, beschäftige neben ehrenamtlichen Trainern auch hauptamtliche Sportlehrer. Daß der DLV damals nicht ausschließlich hauptberufliche Trainer beschäftigte, sei allein in seiner finanziellen Lage begründet gewesen. Die Entwicklung des Sports habe inzwischen deutlich gezeigt, daß Nationalmannschaften ohne gründliche Vorbereitung durch hauptberufliche Trainer kein internationales Leistungsniveau halten könnten. Werde aber statt eines ehrenamtlichen Trainers später ein hauptamtlicher Trainer beschäftigt, so folge daraus, daß es sich um ein dem allgemeinen Arbeitsmarkt zugängliches Beschäftigungsverhältnis handele. Daß der beigeladene DLV keine wirtschaftlichen Ziele verfolge, sei bedeutungslos; ebenso komme es nicht darauf an, daß der Beigeladene K. sich aus ideellen Motiven zur Verfügung gestellt habe.
Das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen hat mit Urteil vom 21. September 1967 die Berufung der Beklagten zurückgewiesen: Die vom Beigeladenen K. im Auftrag des beigeladenen DLV ausgeführte Tätigkeit habe dem UV-Schutz nach § 537 Nr. 1 RVO a.F./§ 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO unterlegen. Zwischen einem Sportler und seinem Trainer bestehe hinsichtlich der Frage, ob das Training als Arbeitsleistung anzusehen sei, ein entscheidender Unterschied. Gegenüber dem beigeladenen DLV habe der Beigeladene K. in einem persönlichen und - freilich in gemindertem Maße - auch in einem wirtschaftlichen Abhängigkeitsverhältnis gestanden. Die wirtschaftliche Abhängigkeit sei darin zu erblicken, daß der Beigeladene K. für seine Tätigkeit eine Aufwandsentschädigung und ein geringfügiges Lehrgangshonorar erhalten habe. Bestünden Zweifel daran, ob ein Dienstverhältnis im Sinne des § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO vorgelegen habe, müßten jedenfalls die Voraussetzungen des § 537 Nr. 10 RVO a.F./§ 539 Abs. 2 RVO bejaht werden, da der Beigeladene K. wie ein nach § 537 Nr. 1 RVO a.F./§ 539 Abs. 1 RVO Versicherter tätig geworden sei. - Das LSG hat die Revision zugelassen.
Gegen das am 23. November 1967 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 13. Dezember 1967 Revision eingelegt und sie in den Schriftsätzen vom 21. Dezember 1967/3. Januar 1968 wie folgt begründet: Die Vorinstanzen hätten das Wesen des Amateursports verkannt; daß sie den Amateursport und das Training dazu als gewerbliche Arbeitstätigkeit ansähen, bedeute eine Degradierung der Sportideale. Sportler und Amateurtrainer seien gleich zu beurteilen. Von einer wirtschaftlichen Abhängigkeit des Beigeladenen K. könne keine Rede sein; hierfür habe das LSG keine ausreichenden Feststellungen getroffen, insbesondere auch nicht zu der Frage, von wem der Beigeladene K. für die unfallbringende Tätigkeit eine Vergütung erhalten habe und wie hoch diese gewesen sei. K. sei weder als Bediensteter noch wie ein Bediensteter, sondern lediglich aus Liebe zum Sport als Amateur ohne Erwerbsabsicht tätig gewesen. Da nicht ermittelt worden sei, für wen der Beigeladene K. am 12. März 1960 tätig wurde, wen er damals trainierte und welche Stelle ihm eine Aufwandsentschädigung oder ein Honorar zahlte, sei es nicht auszuschließen, daß statt des DLV der Sportverein B L als Unternehmer in Betracht komme. Dieser Verein und der für ihn zuständige UV-Träger - möglicherweise die Berufsgenossenschaft der chemischen Industrie - hätten deshalb beigeladen werden müssen. Bedeutsam sei schließlich auch, daß der DLV keine Unfallanzeige erstattet und auf den Abschluß einer privaten Versicherung hingewiesen habe. Die Beklagte beantragt, unter Aufhebung der angefochtenen Urteile die Klage abzuweisen, hilfsweise, die Sache nach § 170 Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) an die Vorinstanz zurückzuverweisen.
Die Klägerin beantragt Zurückweisung der Revision. Sie führt aus, eine wirtschaftliche Abhängigkeit des Beigeladenen K. erscheine zweifelhaft, er sei aber zumindest wie ein Versicherter tätig gewesen.
Die Beigeladenen haben sich im Revisionsverfahren nicht geäußert.
II
Die zulässige Revision der Beklagten hat keinen Erfolg.
Die von der Revision vorgetragenen Erwägungen darüber, ob etwa als Veranstalter des Hammerwurftrainings am 12. März 1960 und damit als "Unternehmer" der unfallbringenden Tätigkeit nicht der DLV, sondern die Sportvereinigung B L anzusehen sei, gehen fehl. Der in den Unfallakten enthaltene Schriftwechsel des DLV und der Sportvereinigung B mit der Beklagten gibt zu irgendwelchen Zweifeln in dieser Richtung keinerlei Anlaß; überdies läge die Annahme auch sehr fern, daß ein in L ansässiger Leichtathletikverein einen nur seinen Zwecken dienenden Trainingslehrgang in dem weitentlegenen Stadion von L veranstaltet haben könnte. Daß der DLV nicht die vorgeschriebene Unfallanzeige (§§ 1552 ff. RVO) erstattet hat, reicht nicht aus, um ernstliche Bedenken dagegen aufzuwerfen, daß der Beigeladene K. den Unfall bei einer für den DLV verrichteten Tätigkeit erlitten hat. Demnach sind die von der Revision geltend gemachten Verfahrensrügen - insbesondere hinsichtlich der unterlassenen Beiladungen - nicht begründet.
Mit Recht tritt die Revision allerdings der Auffassung des LSG entgegen, der Beigeladene K. habe bei seiner am Unfalltag ausgeübten Tätigkeit unter dem Versicherungsschutz nach § 537 Nr. 1 RVO a.F. gestanden. Für die Annahme, daß K. seine Tätigkeit auf Grund eines Dienstverhältnisses zum DLV geleistet habe, bezieht sich das angefochtene Urteil lediglich allgemein auf Erklärungen, die K. in der Berufungsverhandlung abgegeben hat; nähere Feststellungen hat das LSG hierzu nicht getroffen; es erblickt eine - wenn auch geminderte - wirtschaftliche Abhängigkeit des K. vom DLV bereits darin, daß K. für seine Tätigkeit neben einer Aufwandsentschädigung auch ein "geringfügiges Lehrgangshonorar" bezogen habe. Diese Ausführungen sind zu wenig substantiiert, um die vom LSG vertretene Auffassung bedenkenfrei zu rechtfertigen.
Das LSG hat indessen hilfsweise den UV-Schutz für K. auch auf Grund des § 537 Nr. 10 RVO a.F. bejaht. Diese - mit den Entscheidungsgründen des SG übereinstimmende - Auffassung trifft zu, sie wird von der Revision zu Unrecht angegriffen. Bei ihren Darlegungen zum Wesen des Amateursports verkennt die Revision den grundlegenden Unterschied zwischen der Betätigung aktiver Sportler in - nationalen oder internationalen - Wettbewerben und der diese Sportausübung vorbereitenden und unterstützenden Tätigkeit von Sportlehrern, Trainern, Masseuren und ähnlichen, am Wettkampf selbst nicht teilnehmenden Betreuern. Die Problematik, die sich bei der versicherungsrechtlichen Beurteilung einer sportlichen Betätigung ergibt (vgl. BSG 10, 94, 96; 16, 98, 100; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1. bis 7. Aufl. S. 470 s und t mit weiteren Nachweisen), entfällt bei einer Tätigkeit, welche, wie diejenige des Sportlehrers oder Trainers, an sich ohne weiteres als Arbeitsleistung zu bewerten ist (vgl. BSG 20, 6), weil sie ihrem Wesen nach nicht unbedingt allein aus Sportbegeisterung, Spielfreude oder zur Entspannung verrichtet zu werden pflegt, sondern in vielen Fällen dem Erwerb des Lebensunterhalts dient.
Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats kommen für den UV-Schutz nach § 537 Nr. 10 RVO a.F. Tätigkeiten in Betracht, die ihrer Art nach sonst von Personen verrichtet werden könnten, welche in einem dem allgemeinen Arbeitsmarkt zuzurechnenden Beschäftigungsverhältnis stehen; dabei ist nicht erforderlich, daß - ohne Eingreifen der unentgeltlich tätig werdenden Helfer - der Unternehmer die Tätigkeit von bezahlten Arbeitskräften hätte verrichten lassen (vgl. SozR Nr. 16 zu § 537 RVO a.F.). Im Jahre 1960 konnte der DLV besoldete Leichtathletiktrainer aus finanziellen Gründen noch nicht in dem an sich erforderlichen Ausmaß einstellen; lediglich deshalb wurde seinerzeit auf ehrenamtliche Lehrkräfte zurückgegriffen, deren Tätigkeit sich von derjenigen entgeltlich beschäftigter Sportlehrer oder Trainer nicht wesentlich unterschied. Unerheblich ist schließlich, daß das Wirken des DLV nicht auf wirtschaftlichen Nutzen gerichtet ist (vgl. BSG 15, 292). Damit sind die Voraussetzungen für die Anwendbarkeit des § 542 i.V.m. § 537 Nr. 10 RVO a.F. auf den vom Beigeladenen K. erlittenen Unfall gegeben. Der von der Klägerin gegen die Beklagte erhobene Ersatzanspruch besteht somit zu Recht.
Die Revision ist hiernach unbegründet und muß zurückgewiesen werden (§ 170 Abs. 1 Satz 2 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen