Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 04.10.1989) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 4. Oktober 1989 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Streitig ist, ob der Kläger unter Anrechnung einer Ersatzzeit nach § 1251 Abs 1 Nr 4 Reichsversicherungsordnung (RVO) Anspruch auf eine höhere Rente hat.
Der 1922 geborene Kläger wurde 1940 durch Urteil des Jugendgerichts beim Amtsgericht H. … wegen Unterschlagung zu einer sechsmonatigen Haftstrafe verurteilt. Nach Verbüßung der Strafe vom 20. Mai bis 20. November 1940 wurde der Kläger in das sogenannte „Jugendschutzlager” des Konzentrationslagers M. … verbracht und dort bis Kriegsende festgehalten.
Im Jahre 1956 begehrte der Kläger beim Landesamt für Wiedergutmachung Baden-Württemberg wegen der Lagerhaft Entschädigung. Im Rahmen der Ermittlungen teilte die Polizeibehörde H. … mit, über die Angelegenheit lägen lediglich einige Aktennotizen vor. Danach sei der Kläger durch das Amtsgericht H. … zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt und am 7. Februar 1941 als „Asozialer” in polizeiliche Vorbeugehaft genommen worden. Im Mai 1945 habe er dann die Ausstellung von Ausweispapieren beantragt und dabei erklärt, er habe sich vom 20. Mai 1940 bis 20. April 1945 im „Jugendschutzlager” M. … befunden. In einem Aktenvermerk vom 23. März 1957 stellte das Landesamt für Wiedergutmachung fest, daß sich aus den beigezogenen Akten des Amtsgerichts H. … (Az.: 120 Ds 66/40) ergebe, daß der Kläger nach Verbüßung der Haftstrafe am 20. November 1940 gemäß Ersuchens der staatlichen Kriminalpolizei H. … der Polizei in S. … zum Zwecke der Überführung in das Polizeigefängnis H. … -H. – … 40 übergeben worden sei. Aus den Akten sei weiterhin ersichtlich, daß die Schwester des Klägers wegen angeborenen Schwachsinns in eine Anstalt gekommen sei, und daß die „rassenhygienische und kriminalbiologische Forschungsstelle” des Reichsgesundheitsamtes B. … -D. … die Strafakten am 7. August 1941 zur Ansicht angefordert habe. Nachdem das Landesamt für Wiedergutmachung in F. … bereits am 21. April 1958 in einer gutachtlichen Äußerung der Beklagten mitgeteilt hatte, der Kläger sei nicht Verfolgter iS des § 1 Bundesentschädigungsgesetz (BEG), lehnte es durch bestandskräftigen Bescheid vom 10. September 1959 den Entschädigungsanspruch des Klägers ab.
Mit Bescheid vom 29. Juni 1982 und Neufeststellungsbescheid vom 27. Februar 1983 gewährte die Beklagte dem Kläger Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ab 1. März 1982. Durch Bescheid vom 12. März 1987 wurde die Rente in Altersruhegeld umgewandelt. Im Jahre 1962 erhielt der Kläger wegen der ungesetzlichen Inhaftierung im „Jugendschutzlager” nach § 5 Abs 1 Nr 2 des Allgemeinen Kriegsfolgegesetzes (AKG) vom 5. November 1957 (BGBl I, 1747) von der Oberfinanzdirektion F. … eine einmalige Leistung in Höhe von 7.950,– DM.
Mit Schreiben vom 25. Juni 1982 und am 12. Juni 1986 beantragte der Kläger, die Zeit der Unterbringung im „Jugendschutzlager” M. … als Ersatzzeit bei der Rentenberechnung zu berücksichtigen. Dies lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 13. August 1986 ab, weil der Kläger nach den Feststellungen des Landesamtes für Wiedergutmachung kein Verfolgter iS des § 1 BEG sei.
Durch Urteil vom 8. Januar 1988 wies das Sozialgericht Freiburg (SG) die ihm nach § 85 Abs 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zugeleitete Klage ab. Auf die hiergegen am 8. Februar 1988 eingelegte Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) durch Urteil vom 4. Oktober 1989 das Urteil des SG aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger höhere Rente zu gewähren unter Berücksichtigung einer zusätzlichen Ersatzzeit von November 1940 bis April 1945. Zur Begründung hat das LSG im wesentlichen ausgeführt, die Voraussetzungen des § 44 Abs 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch – Verwaltungsverfahren – (SGB X) seien hinsichtlich der die Rente bewilligenden Bescheide erfüllt, da die Beklagte bei richtiger Rechtsanwendung die streitbefangene Zeit nach § 1251 Abs 1 Nr 4 RVO als Ersatzzeit rentensteigernd hätte berücksichtigen müssen. Bei der Vorbeugehaft seit 20. November 1940 habe es sich um einen rechtswidrigen Akt gehandelt, der noch nicht einmal durch die damals geltenden Erlasse und Vorschriften des NS-Staates gedeckt gewesen sei. Es bestünden hingegen konkrete Anhaltspunkte dafür, daß der Kläger wegen der angeblichen Minderwertigkeit seines Erbgutes und damit aus Gründen der Weltanschauung verfolgt worden sei. Zwar sei in der Vergangenheit der Verfolgtenbegriff nur in dem Sinne ausgelegt worden, daß der Verfolgte um seiner eigenen Weltanschauung willen Unrechtsmaßnahmen ausgesetzt gewesen sein müsse. Ein solches einseitiges Abstellen auf die Weltanschauung des Verfolgten erscheine jedoch willkürlich, nachdem § 1 Abs 1 BEG auch im übrigen Fallgruppen erfasse, in denen passiv Verfolgte betroffen seien. § 1 BEG erfasse daher auch solche Fälle, in denen Personen aus Gründen der nationalsozialistischen Weltanschauung durch Gewaltmaßnahmen verfolgt worden seien, weil ihnen in ihrer Existenz als menschliches Wesen nur eine mindere Qualität zugestanden worden sei. Das LSG hat die Revision zugelassen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Beklagten.
Die Beklagte rügt eine Verletzung von § 1251 Abs 1 Nr 4 RVO iVm §§ 1, 43, 47 BEG.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Baden- Württemberg vom 4. Oktober 1989 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 8. Januar 1988 zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 4. Oktober 1989 zurückzuweisen.
Der Kläger ist der Ansicht, das angefochtene Urteil sei nicht zu beanstanden.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision ist in der Form begründet, daß das angefochtene Urteil aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen werden muß. Die bisher getroffenen Feststellungen reichen für eine abschließende Entscheidung nicht aus.
Das LSG geht zu Recht davon aus, daß die streitbefangenen Bescheide nach § 44 Abs 1 Satz 1 SGB X dann zurückzunehmen sind, wenn dem Kläger unter Berücksichtigung der streitigen Zeit als Ersatzzeit nach § 1251 Abs 1 Nr 4 RVO eine höhere Rente bzw ein höheres Altersruhegeld zusteht. Soweit das LSG angenommen hat, die Anrechnung einer Ersatzzeit sei geboten, denn der Kläger sei iS des § 1 BEG wegen der Weltanschauung verfolgt worden, kann der Senat dem nicht folgen. Nach § 1251 Abs 1 Nr 4 RVO sind ua Zeiten der Freiheitsentziehung und der Freiheitsbeschränkung iS der §§ 43 und 47 BEG Ersatzzeiten, wenn der Versicherte Verfolgter iS des § 1 BEG ist. Nach § 1 Abs 1 BEG ist Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung, wer aus Gründen politischer Gegnerschaft gegen den Nationalsozialismus oder aus Gründen der Rasse, des Glaubens oder der Weltanschauung durch nationalsozialistische Gewaltmaßnahmen verfolgt worden ist und hierdurch Schaden an Leben, Körper, Gesundheit, Freiheit, Eigentum,
Vermögen in seinem beruflichen oder in seinem wirtschaftlichen Fortkommen erlitten hat. Der Kläger ist nach den Feststellungen des LSG am 20. November 1940 nach Verbüßung einer sechsmonatigen Freiheitsstrafe festgenommen und anschließend bis April 1945 im „Jugendschutzlager” festgehalten worden. Hierdurch ist er in der Zeit zwischen dem 30. Januar 1933 und dem 8. Mai 1945 seiner Freiheit beraubt worden (§ 43 Abs 1 Satz 1 BEG). Um aber Verfolgter iS des § 1 Abs 1 BEG zu sein, hätte der Kläger aus Gründen politischer Gegnerschaft gegen den Nationalsozialismus oder aus Gründen der Rasse, des Glaubens oder der Weltanschauung durch nationalsozialistische Gewaltmaßnahmen (§ 2 BEG) verfolgt worden sein müssen (vgl BSG SozR 2200 § 1251 Nr 14, S 42).
Zutreffend ist das LSG davon ausgegangen, daß die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit in eigener Zuständigkeit zu entscheiden haben, ob ein Versicherter im Rahmen des § 1251 Abs 1 Nr 4 RVO als Verfolgter anzusehen ist. Eine Bindung an die Entscheidungen der Entschädigungs- und Wiedergutmachungsbehörden besteht nicht. Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts -BSG- (BSG SozR Nrn 20, 26, 34 zu § 1251 RVO; BSG SozR 2200 § 1251 Nrn 95, 130). Im Hinblick auf die begehrte rentensteigernde Anrechnung einer Ersatzzeit ist es daher nicht entscheidungserheblich, daß der Kläger durch Bescheid des Landesamtes für Wiedergutmachung vom 10. September 1959 nicht als Verfolgter anerkannt worden ist und er 1962 für die erlittene Lagerhaft eine einmalige Leistung in Höhe von 7.950,– DM nach dem AKG erhielt.
Wie der erkennende Senat bereits im Urteil vom 25. Juni 1987 – 5b RJ 30/86 – (VdK-Mitteilungen 1987, Nrn 10, 23) im Anschluß an das Urteil des 12. Senats des BSG vom 29. Oktober 1975 – 12 RJ 90/75 – (SozR 2200 § 1251 Nr 14) entschieden hat, ist nur die Freiheitsentziehung von Verfolgten iS des § 1 BEG eine Ersatzzeit. Aus dem Wortlaut des § 1251 Abs 1 Nr 4 RVO ergibt sich, daß hiermit lediglich eine Wiedergutmachungsregelung zugunsten der Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung getroffen ist.
Der Kläger ist zwar Opfer rechtsstaatswidriger Maßnahmen, jedoch deswegen allein noch kein Verfolgter iS des § 1 BEG. Für die Anerkennung der Verfolgteneigenschaft nach § 1 Abs 1 BEG ist erforderlich, daß der Betroffene gerade wegen der dort genannten Gründe verfolgt wurde.
Bei der Verfolgung aus Gründen politischer Gegnerschaft oder der Weltanschauung müssen die nationalsozialistischen Verfolger den Betroffenen für einen politischen Gegner oder Angehörigen einer gegen den Nationalsozialismus gerichteten Weltanschauung gehalten haben. Es ist dabei nicht erforderlich, daß der Betroffene auch eine gegen den Nationalsozialismus gerichtete Einstellung hatte. Maßgebend ist vielmehr, wie die nationalsozialistischen Verfolger den Betroffenen beurteilten und weshalb sie gegen ihn vorgingen (Urteil des erkennenden Senats vom 26. Mai 1988 – 5/5b RJ 18/87 – SozR 2200 § 1251 Nr 130, S 366 mwN). Diese Auslegung entspricht sowohl dem Willen des Gesetzgebers, wie er sich aus den Gesetzesmaterialien ergibt (BT-Drucks 1949, 2. Wahlperiode 1953, S 85), als auch der Rechtsprechung zum Entschädigungsrecht (vgl zB Urteil des Bundesgerichtshofs -BGH- vom 5. Juli 1967 in Rechtsprechung zum Wiedergutmachungsrecht -RzW- 1967, S 542). Eine nationalsozialistische Verfolgungsmaßnahme liegt somit dann vor, wenn der Geschädigte nach dem Willen der Verfolger als Gegner des Nationalsozialismus durch eine Gewaltmaßnahme getroffen werden sollte (Urteil des BGH vom 24. Juni 1964 in RzW 1964, S 501). Nur wenn der Kläger aus den genannten Gründen in das „Jugendschutzlager” verbracht worden wäre, käme die Anerkennung einer entsprechenden Ersatzzeit in Betracht. Der erkennende Senat hat in seinem Urteil vom 26. Mai 1988 (SozR 2200 § 1251 Nr 130, S 365) bereits entschieden, daß sich aus dem Aufenthalt in einem Konzentrationslager allein noch keine politische Verfolgung ergibt, da in solchen Lagern auch Personen aus unpolitischen Gründen festgehalten worden sind. Das gleiche gilt für das „Jugendschutzlager” M. …. Nach den Feststellungen des LSG handelte es sich hierbei um einen Teil eines seit 1933 bestehenden Konzentrationslagers, in das der Kläger selbst nach den damals geltenden Vorschriften in rechtswidriger Weise in unbefristete Vorbeugehaft genommen worden ist. Zur Machterhaltung oder Machtentfaltung verhängten die NS-Machthaber ohne Rücksicht auf die Gebote des Rechtsstaates Strafen und sichernde Maßnahmen, ohne daß die Betroffenen schon deshalb zu den politischen Gegnern der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft zu rechnen sind (BGH in Lindenmaier/ Möhring Nr 45 zu § 1 BEG 1956). Es reicht daher nicht schon eine Schädigung infolge Maßnahmen des nationalsozialistischen Gewalthabers aus (BGH in Lindenmaier/ Möhring Nr 1 zu § 1 BEG 1956). Die Regelung von Schäden, die jemand durch nationalsozialistische Gewaltmaßnahmen erlitten hat, ohne Verfolgter zu sein, erfolgt nicht nach dem BEG, sondern „im Rahmen des Kriegsfolgenschlußgesetzes” (so ausdrücklich BT-Drucks aaO S 85). Damit im Einklang hat der Kläger auch von der Oberfinanzdirektion F. … eine Entschädigung erhalten.
Das LSG hat nicht feststellen können, daß der Kläger aus Gründen politischer Gegnerschaft gegen den Nationalsozialismus oder aus Gründen seiner Weltanschauung nach Verbüßung seiner Strafhaft weiter festgehalten worden ist. Dies hat der Kläger auch nicht behauptet. Es ist aber auch nicht zulässig, wie es das LSG annimmt, hinsichtlich des Vorliegens von Verfolgungsgründen iS von § 1 BEG nicht ausschließlich auf den Verfolgten abzustellen oder doch zumindest darauf, daß die Verfolger davon ausgingen, Verfolgungsgründe lägen in der Person des Verfolgten vor, sondern es hinsichtlich des Verfolgungsgrundes der Weltanschauung genügen zu lassen, daß der Betroffene aus Gründen der nationalsozialistischen Weltanschauung Gewaltmaßnahmen ausgesetzt gewesen ist. Folgt man dieser Ansicht, so wären sämtliche Opfer nationalsozialistischer Gewaltmaßnahmen, deren Freiheit entzogen oder beschränkt worden ist, Verfolgte iS des § 1 BEG. Die nationalsozialistische Weltanschauung der Machthaber im NS-Staat war regelmäßig Ursache dafür, daß Personen, denen in ihrer Existenz als menschliches Wesen nur eine mindere Qualität zugestanden wurde, Opfer von Gewaltmaßnahmen wurden. Auch sind die anderen in § 1 Abs 1 BEG genannten Verfolgtengruppen immer auch wegen der nationalsozialistischen Weltanschauung verfolgt worden. Sie hätten dann im Gesetz nicht besonders genannt werden müssen.
Die Auffassung des LSG steht auch im Widerspruch zur gefestigten entschädigungsrechtlichen Rechtsprechung zum Verfolgtenbegriff iS von § 1 BEG. Danach kommt es hinsichtlich der Verfolgungsgründe auf die Person des Verfolgten an, bzw darauf, ob der Verfolger solche Gründe bei dem Verfolgten angenommen hat (BGH RzW 1975, S 264; RzW 1967, S 542; RzW 1963, S 218; BGH in Lindenmaier/Möhring Nr 1, Nr 39, Nr 45, Nr 72 zu § 1 BEG 1956). Schon das vor Inkrafttreten des BEG geltende Gesetz über die Behandlung der Verfolgten des Nationalsozialismus in der Sozialversicherung vom 22. August 1949 (Gesetzblatt der Verwaltung des vereinigten Wirtschaftsgebietes I, 263) galt nur für Personen, die unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in der Zeit vom 30. Januar 1933 bis Mai 1945 wegen ihrer politischen Haltung, ihres Glaubens, ihrer Weltanschauung oder ihrer Rasse verfolgt worden sind. Dieser Verfolgtenbegriff sollte durch die Fassung des § 1 BEG nicht geändert werden. Das Wort „ihrer” wurde durch das Wort „der” nur ausgetauscht, um auch die irrtümlich der verfolgten Rasse etc. zugerechneten Opfer als Verfolgte anzuerkennen. Von diesem Begriff abzuweichen besteht angesichts des erklärten Willens des Gesetzgebers und dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift kein Anlaß.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der vom LSG herangezogenen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Februar 1959 (Recht in Ost und West, 1959, S 120 ff). Diese Entscheidung bezieht sich auf den politisch Verfolgten iS von Art 16 Grundgesetz. Nur insoweit hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, daß der Begriff des Verfolgten nicht eng auszulegen sei. Zwar hat der 1. Senat des BSG in einem Urteil vom 16. September 1960 (BSGE 13, S 67, 71) dargelegt, im gesamten Entschädigungsrecht gebühre dem Prinzip der Wiedergutmachung der Vorrang vor formalen Bedenken. Es dürfe deshalb eine eben noch mögliche Lösung gewählt werden – und ihr gebühre der Vorzug –, die dazu führe, das verursachte Unrecht soweit wie möglich auszugleichen. Abgesehen davon, daß in der genannten Entscheidung die Verfolgteneigenschaft der Klägerin nicht streitig gewesen ist, kommt eine Auslegung gegen den Wortlaut des Gesetzes auch in Ansehung dieser Entscheidung nicht in Betracht.
Der Kläger ist auch nicht allein deshalb Verfolgter, weil seine Schwester nach den Feststellungen des LSG an angeborenem Schwachsinn litt und die „rassenhygienische und kriminalbiologische Forschungsstelle des Reichsgesundheitsamtes” in B. … -D. … in die Strafakten des Klägers Einsicht genommen hatte. Die Schwester des Klägers zählt nicht zum Personenkreis des § 1 Abs 3 Nr 4 BEG, so daß schon aus diesem Grunde der Kläger einem Verfolgten nicht gleichgestellt werden kann. Zudem fehlen Anhaltspunkte dafür, daß die Schwester des Klägers aus Gründen des § 1 BEG verfolgt worden ist.
Das LSG hat indes – von seinem Standpunkt aus zu Recht -keine Feststellungen dazu getroffen, ob einer der anderen in § 1 Abs 1 bis 3 BEG genannten Verfolgungsgründe vorgelegen oder nicht vorgelegen hat (vgl insbesondere § 1 Abs 3 Nr 3 BEG). Diese Feststellungen kann der Senat selbst nicht treffen. Er muß deshalb den Rechtsstreit an das LSG zurückverweisen, damit dieses die entsprechenden Feststellungen nachholen kann.
Die Kostenentscheidung bleibt der den Rechtsstreit abschließenden Entscheidung vorbehalten.
Fundstellen