Entscheidungsstichwort (Thema)

Zeitpunkt der Verurteilung

 

Leitsatz (amtlich)

Nach HHG § 2 Abs 1 Nr 3 idF des 3. HH ÄndG vom 1969-05-30 kann die Gewährung von Leistungen auch dann eingestellt werden, jedoch frühestens mit Wirkung vom 1969-06-01, wenn die strafrechtliche Verurteilung erst nach der Bewilligung von Leistungen nach dem HHG ausgesprochen worden ist (Ergänzung zu BSG 1970-10-22 9 RV 476/69 = BSGE 32, 31 ff).

 

Leitsatz (redaktionell)

Da für den Nachweis des anfänglichen Vorliegens des Ausschließungsgrundes des HHG § 2 Abs 1 Nr 3 die in HHG § 10 Abs 4 S 7 genannten Behörden nicht zuständig sind, können sie mangels einer ausdrücklichen Regelung auch nicht für das nachträgliche Eintreten eines solchen Ausschließungsgrundes zuständig sein.

 

Normenkette

HHG § 2 Abs. 1 Nr. 3 Fassung: 1969-05-30, § 10 Abs. 4 S. 7 Fassung: 1969-05-30

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 27. Juni 1972 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Der 1929 geborene Kläger war vom 5. Januar 1952 bis 15. August 1953 und erneut vom 21. August 1953 bis 27. Oktober 1965 in Mitteldeutschland in Haft und wurde anschließend in die Bundesrepublik abgeschoben. Am 11. Februar 1966 erteilte das Bezirksamt Hamburg-Bergedorf eine Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 des Häftlingshilfegesetzes (HHG) über die zweite Haftzeit; für die erste erhielt der Kläger Leistungen im Wege des Härteausgleichs nach § 12 HHG.

Auf den am 29. Oktober 1965 gestellten Antrag auf Versorgungsbezüge erkannte die Beklagte durch Bescheid vom 30. August 1967 "1. Psychische und vegetative Störungen nach über dreizehnjähriger Inhaftierung; 2. kleine reizlose Kopfschwartennarben" als Schädigungsfolgen an und bewilligte dem Kläger Beschädigtenrente nach einem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 50 v. H. ab 1. Oktober 1965.

Der Kläger wurde am 11. Januar 1967 in Untersuchungshaft genommen und durch Urteil des Landgerichts Hamburg vom 11. September 1967 wegen Beihilfe zum schweren Diebstahl und wegen gemeinschaftlichen schweren Raubes zu drei Jahren und sechs Monaten Gefängnis verurteilt. Seine Revision wurde am 27. Februar 1968 vom Bundesgerichtshof als offensichtlich unbegründet verworfen. Das Bezirksamt Bergedorf unterrichtete das Versorgungsamt am 7. Februar 1969 über die rechtskräftige Verurteilung. Daraufhin stellte die Beklagte durch Bescheid vom 2. September 1969 die Zahlung der Versorgungsbezüge des Klägers mit Ende September 1969 vorsorglich ein. Nachdem das Bezirksamt Bergedorf der Beklagten am 11. September 1969 mitgeteilt hatte, daß die dem Kläger gemäß § 10 Abs. 4 HHG erteilte Bescheinigung dahingehend gekennzeichnet worden sei, daß Ausschließungsgründe vorlägen und dem Kläger keine Leistungen nach dem HHG gewährt werden dürften, entzog die Beklagte dem Kläger durch Bescheid vom 17. September 1969 die Beschädigtenrente vom 1. März 1968 an und forderte die für die Zeit vom 1. März 1968 bis 30. September 1969 gezahlten Rentenbeträge in einer Gesamthöhe von 1.805,- DM zurück. Der Widerspruch des Klägers war erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 29. Oktober 1969).

Das Sozialgericht (SG) Hamburg hat mit Urteil vom 4. Februar 1971 die angefochtenen Bescheide geändert und festgestellt, daß die Beschädigtenversorgung erst mit Wirkung vom 1. Juni 1969 entzogen wird und der Rückforderungsanspruch daher nur für die Zeit von Juni 1969 bis September 1969 (in Höhe von 380,- DM) zu Recht besteht. Das SG folgte dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) in BSG 32, 31 ff dahin, daß bis zum Inkrafttreten des 3. Änderungsgesetzes zum HHG vom 30. Mai 1969 (BGBl I S. 451 - 3. ÄndG -) ein Ausschließungsgrund nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 HHG nur dann vorliegt, wenn die rechtskräftige Verurteilung vor der Bewilligung von Leistungen nach dem HHG ausgesprochen worden ist. Mit der am 1. Juni 1969 in Kraft getretenen Einfügung des Absatzes 5 in den § 2 HHG sei jedoch eine Änderung insoweit eingetreten, als nunmehr auch eine Verurteilung nach Antragstellung und Erstanerkennung einen Ausschließungsgrund darstelle.

Gegen dieses Urteil hat nur der Kläger Berufung eingelegt. Während des Berufungsverfahrens hat die Beklagte auf die Rückforderung von überzahlten Bezügen nach dem HHG gegenüber dem Kläger verzichtet. Das Landessozialgericht (LSG) Hamburg hat die Bundesrepublik Deutschland beigeladen.

Durch Urteil vom 27. Juni 1972 hat es die Berufung des Klägers zurückgewiesen. In den Entscheidungsgründen wird ausgeführt, dem Kläger seien die Versorgungsleistungen zu Recht aberkannt worden. Die Entscheidung des BSG (in BSG 32, 31), wonach nur eine vor der Bewilligung der Leistungen nach dem HHG liegende rechtskräftige Verurteilung im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 3 HHG zum Ausschluß von Leistungen führe, könne nicht überzeugen. Daß sich diese Vorschrift ohne zeitliche Einschränkung auf eine Verurteilung zu Freiheitsstrafen von insgesamt mehr als drei Jahren beziehe, sei schon vor dem 3. Änderungsgesetz (ÄndG) rechtens gewesen. Durch dieses Gesetz sei dem § 2 HHG lediglich ein Absatz 5 angefügt, Absatz 1 Nr. 3 aber nicht geändert worden. § 2 Abs. 5 HHG stelle nach den Materialien des 3. ÄndG eine Angleichung des HHG an den § 8 Abs. 3 des Kriegsgefangenenentschädigungsgesetzes (KgfEG) dar. Diese neu in das KgfEG eingefügte Vorschrift sei aber nur dann sinnvoll, wenn die in Absatz 1 genannten Ausschließungsgründe auch dann zum Ausschluß führten, wenn sie erst nach der Bewilligung der Leistungen eintreten. Gleiches müsse für die Einfügung des Absatzes 5 in § 2 HHG gelten. § 2 und 3 HHG rechtfertigten keinen gegenteiligen Schluß. Das "Nicht-gewähren" in § 2 HHG umfasse sprachlich sowohl ein Versagen als auch ein Einstellen und schließe somit auch eine Weitergewährung aus. Wenn nach Ansicht des BSG der Ausschluß von den Leistungen des HHG mit der Unwürdigkeit des Betroffenen wegen krimineller Handlungen begründet werde, so bringe eine nach der Bewilligung erfolgte Verurteilung des Berechtigten dessen Unwürdigkeit noch deutlicher zum Ausdruck. Schließlich gehe auch der Hinweis des Klägers fehl, daß die Vorschriften der Kriegsopferversorgung (KOV) keine Handhabe für eine Entziehung böten. Die Grundvoraussetzungen für die Gewährung bzw. den Ausschluß seien im HHG selbst enthalten; die Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) seien nur entsprechend anwendbar.

Das LSG hat die Revision zugelassen.

Der Kläger hatte zunächst für die Durchführung des Revisionsverfahrens das Armenrecht beantragt. Nachdem ihm das Armenrecht durch Beschluß des Senats vom 15. Dezember 1972, zugestellt am 22. Dezember 1972, bewilligt worden war, hat er mit Schriftsatz vom 3. Januar 1973, eingegangen beim BSG am 5. Januar 1973, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt sowie die Revisionsschrift und die Revisionsbegründung beigefügt.

Er beantragt,

das Urteil des LSG Hamburg vom 27. Juni 1972 aufzuheben und dahin zu erkennen, daß die Bescheide der Beklagten vom 17. September 1969 und 29. Oktober 1969 aufgehoben werden.

In seiner Revisionsbegründung rügt er die Verletzung materiellen Rechts durch unrichtige Anwendung des § 2 Abs. 1 Nr. 3 iVm Abs. 5 HHG. Er führt dazu aus, der Bewilligungsbescheid der Beklagten datiere vom 30. August 1967; das gegen den Kläger ergangene Strafurteil habe jedoch erst am 27. Februar 1968 Rechtskraft erlangt, mithin zeitlich nach den dem Kläger bewilligten Leistungen nach dem HHG. Nach der Rechtsprechung des BSG (in BSG 32, 31 ff) gelte daher für den Kläger die Ausschlußvorschrift des § 2 Abs. 1 Nr. 3 HHG nicht. Das angefochtene Urteil, das von dieser BSG-Entscheidung abgewichen sei, sei nicht überzeugend. Nach dem rechtsstaatlichen Prinzip der Unschuldsvermutung komme es auf den Zeitpunkt der rechtskräftigen Verurteilung an, nicht dagegen auf den Zeitpunkt der Tatbegehung oder der Einleitung eines Ermittlungs- bzw. Strafverfahrens. Der neu eingefügte Absatz 5 des § 2 HHG habe keinen neuen materiellen Ausschließungsgrund gebracht und auch den Ausschließungsgrund des § 2 Abs. 1 Nr. 3 HHG nicht verschärft, weil dieser Absatz 5 nur eine reine Verfahrensbestimmung darstelle. Er sei hier schon deshalb nicht anwendbar, weil gegen den Kläger bereits vor Zuerkennung der Leistungen ein Verfahren eingeleitet worden sei, nämlich am 11. Januar 1967, dem Zeitpunkt seiner Festnahme.

Die Beklagte und die Beigeladene beantragen,

die Revision zurückzuweisen.

Die Beklagte macht sich die Ausführungen in den Urteilen des SG und des LSG zu eigen und trägt weiter vor, das LSG sei jedoch dem § 10 Abs. 4 HHG nicht gerecht geworden. Die Erteilung der Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 HHG durch die zuständige Verwaltungsbehörde - in Hamburg die Bezirksämter - sei Voraussetzung dafür, daß nach § 4 HHG die Bestimmungen des Kriegsopferrechts entsprechend angewendet werden könnten. Diese Bescheinigung sei durch einen Verwaltungsakt der erlassenden Behörde hinfällig geworden. Dieser Verwaltungsakt sei unanfechtbar geworden; damit sei eine Grundvoraussetzung für die Gewährung von Leistungen nach dem HHG entfallen. Für die Beklagte stehe bindend fest, daß dem Kläger Leistungen nach § 4 HHG nicht zuständen.

Die Beigeladene führt ergänzend aus, das LSG habe § 2 Abs. 1 Nr. 3 iVm Abs. 5 HHG richtig angewendet. Das angefochtene Urteil stehe auch nicht im Widerspruch zu der Entscheidung des BSG in BSG 32, 31 ff, weil sich das BSG dort nicht mit der neuen Rechtslage nach dem 3. ÄndG befaßt habe. Die neue Vorschrift des § 2 Abs. 5 HHG habe zu einer terminologischen Klärung geführt. Die Worte "nicht gewährt" in § 2 Abs. 1 HHG umschlössen nicht allein die Versagung erstmals beantragter, sondern auch die Einstellung bereits gewährter Leistungen. In beiden Fällen sei Voraussetzung für die Nichtgewährung eine rechtskräftige Verurteilung, die vorangegangen sein müsse. Die Verwendung des Perfekts sei daher logisch und stehe im Einklang mit der Legalinterpretation in § 2 Abs. 5 HHG. Die Einfügung des Absatzes 5 sei notwendig gewesen, um der Verwaltungsbehörde nach der Einleitung eines Strafverfahrens eine vorläufige Einstellung zu ermöglichen. Das Rechtsstaatsprinzip sei hierdurch nicht verletzt, weil nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) ein gesetzlicher Eingriff ausnahmsweise zulässig sei, wenn das Vertrauen auf eine bestimmte Rechtslage sachlich nicht gerechtfertigt und daher nicht schutzwürdig sei.

Der Kläger hat innerhalb der Revisionsfrist (§ 164 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) das Armenrecht beantragt (vgl. BSG in SozR Nr. 1 zu § 167). Nachdem ihm durch Beschluß des erkennenden Senats vom 15. Dezember 1972 das Armenrecht bewilligt worden war, mußte ihm auf seinen Antrag nach § 67 SGG Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Fristen zur Einlegung und Begründung der Revision gewährt werden (vgl. aaO Nr. 10 zu § 67), weil er durch seine Armut, also ohne Verschulden, außerstande war, diese Prozeßhandlungen rechtzeitig in der nach § 166 Abs. 2 SGG erforderlichen Form vorzunehmen. Der Kläger hat seinen Antrag auf Wiedereinsetzung rechtzeitig nach Zustellung des Armenrechtsbeschlusses gestellt und gleichzeitig die versäumten Prozeßhandlungen formgerecht nachgeholt (§ 67 Abs. 2 SGG). Die durch Zulassung gemäß § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG statthafte Revision ist danach zulässig; sie konnte aber in der Sache keinen Erfolg haben, weil dem Kläger vom 1. Juni 1969 an keine Leistungen nach dem HHG mehr zustehen.

Das SG hat die angefochtenen Bescheide erst mit Wirkung vom 1. Juni 1969 an aufgehoben und dem Kläger demgemäß für die davor liegende Zeit Versorgung zugesprochen. Da nur der Kläger Berufung eingelegt hatte, ist das Urteil des SG rechtskräftig geworden, soweit dieser obgesiegt hat, d. h. soweit es die Gewährung von Leistungen für die Zeit bis zum 31. Mai 1969 betrifft. Im weiteren Verfahren - und auch im Revisionsverfahren - ist somit nur noch darüber zu entscheiden, ob die Entziehung der Leistungen nach dem HHG mit Wirkung vom 1. Juni 1969 an gerechtfertigt ist. - Auch der im Verfahren vor dem LSG erklärte Verzicht der Beklagten auf jegliche Rückforderung hat lediglich für die nach diesem Zeitpunkt, also in den Monaten Juni bis September 1969 gewährten Leistungen Bedeutung. - Auf den Streitfall ist daher das HHG in der Fassung anzuwenden, die es durch das Dritte Gesetz zur Änderung und Ergänzung des HHG (vom 30. Mai 1969 BGBl I ... S. 451 - 3. ÄndG -) erhalten hat. Die Neufassung ist gemäß Art. 6 des Gesetzes am 1. Juni 1969 in Kraft getreten. Die Auffassung des Klägers, daß nur die zur Zeit der Bewilligung geltende Fassung maßgebend sein könne, findet im Gesetz keine Stütze. Da der Kläger die Gewährung einer fortlaufenden Leistung begehrt, ist das Gesetz in seiner jeweils geltenden Fassung anzuwenden.

Die Entziehung der fortlaufenden Leistungen kann allerdings nicht schon, wie die Beklagte meint, damit begründet werden, daß die nach § 10 Abs. 4 HHG erforderliche Bescheinigung des Bezirksamtes Hamburg-Bergedorf iS von § 10 Abs. 7 HHG für ungültig erklärt worden ist. Das Bezirksamt hat die genannte Bescheinigung lediglich durch die Worte gekennzeichnet: "Die Unterlagen stehen den Betreuungsdienststellen zur Einsicht zur Verfügung". Aus diesem Zusatz ist aber für den Betroffenen - und ebenso für andere nicht eingeweihte Personen - nicht erkennbar, daß ihm die Leistungen aberkannt werden sollen. Das geht schon daraus hervor, daß das Bezirksamt es für notwendig hielt, das Versorgungsamt auf die mit dieser Kennzeichnung verbundenen Rechtswirkungen hinzuweisen (vgl. Blatt 52 der Versorgungsakten). Mit rechtsstaatlichen Grundsätzen ist es aber nicht zu vereinbaren, den Bürger, der wegen des erwähnten Wortlauts keinen Anlaß zur Einlegung eines Rechtsbehelfs gesehen hat, später damit zu überraschen, daß der Bescheid inzwischen bindend geworden sei. Ein anderer Grund kommt noch hinzu. Nach § 10 Abs. 4 HHG ist die für die Ausstellung der Bescheinigung zuständige Behörde nur für den Nachweis dafür zuständig, daß die Voraussetzungen entweder des § 1 Abs. 1 oder des § 1 Abs. 1 und des § 9 Abs. 1 vorliegen und daß Ausschließungsgründe nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 und 2 HHG nicht gegeben sind. Hier ist dagegen der Ausschließungsgrund des § 2 Abs. 1 Nr. 3 HHG im Streit. Daß die Nichtaufführung der Nr. 3 in § 10 Abs. 4 HHG kein Versehen, sondern in der Sache begründet ist, ergibt sich daraus, daß der Gesetzgeber die Würdigung so spezieller Tatbestandsmerkmale wie "aus politischen und nach freiheitlich-demokratischer Auffassung von ihnen nicht zu vertretenden Gründen in Gewahrsam genommen" (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 HHG), "die in den Gewahrsamsgebieten dem dort herrschenden politischen System erheblich Vorschub geleistet haben" (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 HHG) und "die gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit oder Menschlichkeit verstoßen haben (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 HGG), durch die die Leistungen nach dem HHG gewährenden Behörden (Versorgungsämter) weder für zweckmäßig noch für zumutbar hielt. Diese Würdigung sollte vielmehr den durch die Durchführung des Bundesvertriebenengesetzes hiermit vertrauten Flüchtlingsbehörden (§ 10 Abs. 6 Satz 7 HHG) überlassen werden (vgl. BT-Drucks. II/1450 S. 10). Im vorliegenden Fall mußte dagegen geprüft werden, ob nach dem 8. Mai 1945 durch deutsche Gerichte wegen vorsätzlicher Straftaten eine rechtskräftige Verurteilung zu Freiheitsstrafen von insgesamt mehr als 3 Jahren ausgesprochen worden ist (so § 2 Abs. 1 Nr. 3 HHG). Diese Frage erfordert keine besondere Sachkunde auf dem Gebiet des Vertriebenenrechts und kann von der Versorgungsverwaltung ohne weiteres selbst bewältigt werden; die Zuständigkeit der Flüchtlingsbehörden ist deshalb ausdrücklich auf die Fälle des § 2 Abs. 1 Nr. 1 und 2 HHG beschränkt worden (vgl. BT-Drucks. aaO). Da somit für den Nachweis des anfänglichen Vorliegens des Ausschließungsgrundes des § 2 Abs. 1 Nr. 3 HHG die in § 10 Abs. 4 Satz 7 genannten Behörden nicht zuständig sind, können sie mangels einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung auch nicht für das nachträgliche Eintreten eines solchen Ausschließungsgrundes zuständig sein. Die oben erwähnte Kennzeichnung der Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 HHG enthält daher insoweit nur einen Hinweis; ihr kommt aber keine rechtsvernichtende Wirkung im Verhältnis zu der Versorgungsbehörde zu.

Das LSG hat aber zutreffend entschieden, daß die Beklagte berechtigt war, dem Kläger die Versorgung nach dem HHG gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 3 des Gesetzes zu entziehen. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift liegen beim Kläger vor, weil er durch das rechtskräftig gewordene Urteil des Landesgerichts Hamburg wegen vorsätzlicher Straftaten zu einer Gefängnisstrafe von 3 Jahren und 6 Monaten verurteilt worden ist. Der 9. Senat des BSG hat zwar in seinem in BSG 32, 31 ff veröffentlichten Urteil entschieden, daß der (absolute) Ausschließungsgrund des § 2 Abs. 1 Nr. 3 HHG nur dann gegeben ist, wenn die rechtskräftige Verurteilung vor der Bewilligung der Leistungen nach dem HHG ausgesprochen worden ist. Der 9. Senat hat jedoch ausdrücklich betont, daß sein Urteil nur für den bis zum Erlaß des 3. ÄndG geltenden Rechtszustandes, d. h. also bis zum 31. Mai 1969, ergangen ist (vgl. BSG 32, S. 33 letzter Absatz). Demgemäß hat er die unter dem Leitsatz angegebene Rechtsnorm des § 2 Abs. 1 Nr. 3 HHG besonders gekennzeichnet durch den Klammerzusatz: "(idF vom 25.7.1960)". Von einer Prüfung des neuen Rechts hat der 9. Senat ausdrücklich abgesehen (vgl. aaO S. 37 letzter Absatz), weil dessen Voraussetzungen schon aus anderen Gründen (Höhe des Strafmaßes) nicht gegeben waren. Dagegen kommt es im vorliegenden Fall nur noch darauf an, ob die Leistungen für die Zeit vom 1. Juni 1969 an entzogen werden konnten. Maßgebend ist daher, wie bereits dargelegt, allein die neue Fassung des § 2 HHG, die am 1. Juni 1969 in Kraft getreten ist (vgl. Art. 6 des 3. ÄndG) und über die der 9. Senat ausdrücklich nicht entschieden hat. In der späteren Bekanntmachung des Gesetzes vom 29. September 1969 (BGBl I S. 1793) ist § 2 Abs. 1 Nr. 3 HHG nur insoweit geändert worden, als die (einjährige) Zuchthausstrafe als Ausschließungsgrund weggefallen ist. Das ist hier angesichts der gegen den Kläger verhängten Strafe ohne Belang.

Für die vorliegende Entscheidung kann dahinstehen, ob das 3. ÄndG eine echte Rechtsänderung gebracht hat. Ebenso kann dahinstehen, ob der § 2 Abs. 5 HHG nur eine Verfahrensvorschrift darstellt oder ob ihm darüber hinaus auch eine unmittelbare materiell-rechtliche Wirkung zukommt. Denn jedenfalls läßt die Anfügung des Absatzes 5, der dem § 8 Abs. 3 KgfEG weitgehend nachgebildet ist und spezielle Regelungen für die Ausschließungsgründe des § 2 Abs. 1 Nr. 2 und 3 und des Absatzes 2 HHG trifft, deutlich erkennen, wie der Gesetzgeber diese Vorschriften jedenfalls mit Wirkung vom Inkrafttreten des 3. ÄndG an (1. Juni 1969) angewandt und ausgelegt wissen will. Nach § 2 Abs. 5 Satz 1 HHG sind, solange wegen einer Straftat, die zu einem Ausschluß nach Abs. 1 Nr. 2 und 3 oder Abs. 2 führen kann, ein Ermittlungsverfahren oder Strafverfahren schwebt, Entscheidungen über Anträge nach diesem Gesetz zurückzustellen. Der Gesetzgeber will durch diese Vorschrift verhindern, daß während eines einschlägigen, aber noch nicht abgeschlossenen Strafverfahrens Leistungen bewilligt werden. Die von dem Kläger angesprochene "Unschuldsvermutung" wird also vom Gesetzgeber - soweit es sich um die Zuerkennung von Leistungen handelt - offensichtlich nicht geteilt. Insoweit liegt jedoch kein Verstoß gegen verfassungsrechtliche Grundsätze vor, denn es wird dem Betroffenen lediglich zugemutet, den rechtskräftigen Abschluß eines Verfahrens, das zum Ausschluß der Leistungen führen kann, abzuwarten.

Darüber hinaus bestimmt Satz 2 dieser Vorschrift: "Wird ein solches Verfahren eingeleitet, nachdem der Anspruch auf Leistungen zuerkannt ist, so ist die Auszahlung einmaliger Leistungen auszusetzen; wiederkehrende Leistungen können ausgesetzt werden". Diese Regelung ist nach Auffassung des Senats eindeutig. Wenn unter § 2 Abs. 1 Nr. 3 HHG nur solche rechtskräftigen Verurteilungen fallen sollten, die vor der Bewilligung von Leistungen ergangen sind, so wäre es unmöglich, daß danach noch ein Strafverfahren iS des § 2 Abs. 5 Satz 2 HHG "eingeleitet wird". Ebensowenig kann angenommen werden, daß der Gesetzgeber die Aussetzung von wiederkehrenden Leistungen angeordnet hat, wenn diese Leistungen, da der Anspruch auf Leistungen nun einmal zuerkannt ist, nach der rechtskräftigen Verurteilung ohnehin nachgezahlt werden müßten. Eine derart sinnwidrige Anordnung kann dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden. Mag auch, wie der Kläger meint und was hier offen bleiben kann, § 2 Abs. 5 HHG eine Verfahrensvorschrift sein, so hat der Gesetzgeber jedenfalls kein Verfahren eröffnen wollen, dem die entsprechende materiell-rechtliche Grundlage fehlt. Dafür spricht auch, daß die Ausdrücke "zurückstellen" und "aussetzen" in § 2 Abs. 5 HHG nur vorläufige Maßnahmen ansprechen, die durch endgültige Regelungen, die nur in § 2 Abs. 1 und 2 HHG ihre Grundlagen haben können, abgelöst werden müssen. § 2 Abs. 1 Nr. 3 HHG ist daher iVm Abs. 5 dieser Vorschrift, d. h. jedenfalls für die Zeit seit dem Inkrafttreten des 3. ÄndG, dahin auszulegen, daß auch diejenigen Verurteilungen zu einem Ausschluß führen können, die erst nach der Zuerkennung von Leistungen nach dem HHG ausgesprochen worden sind. Diese Auslegung wird durch den Wortlaut des § 2 Abs. 1 Nr. 3 HHG jedenfalls nicht ausgeschlossen. Die Perfektform "verurteilt worden sind" ist sprachlich korrekt und macht deutlich, daß nur eine rechtskräftige Verurteilung zum Ausschluß der Leistungen führt. Diese Verurteilung muß entweder der den Versorgungsantrag erstmals ablehnenden Entscheidung oder auch einem späteren Einstellungsbescheid zeitlich vorausgehen.

Für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits kommt es auch nicht darauf an, ob - wie der Kläger meint - § 2 Abs. 5 HHG hier schon deshalb unanwendbar ist, weil gegen den Kläger bereits vor Zuerkennung der Leistungen ein Strafverfahren eingeleitet worden ist, nämlich mit dem Zeitpunkt seiner Festnahme am 11. Januar 1967. Der Streit wird hier nicht um die Anwendung des § 2 Abs. 5 HHG (vorläufige Aussetzung von wiederkehrenden Leistungen), sondern um den endgültigen Ausschluß von Leistungen nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 HHG geführt. Die neugeschaffene Vorschrift des § 2 Abs. 5 HHG enthält aber neben der rein verfahrensrechtlichen Regelung eine authentische Interpretation, die zeigt, wie das Gesetz vom 1. Juni 1969 an auszulegen und anzuwenden ist. Im Zeitpunkt der Erteilung des Bewilligungsbescheides an den Kläger gab es noch nicht die durch § 2 Abs. 5 Satz 1 HHG ermöglichte Zurückstellung der Entscheidung. Die Versorgungsverwaltung mußte also, nachdem dem Kläger die Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 HHG erteilt worden war und da eine rechtskräftige Verurteilung nicht vorlag, die beantragten Leistungen gewähren. Diese Regelung hatte sich offenbar als unpraktisch erwiesen, so daß das Gesetz nunmehr die Zurückstellung der Entscheidung bzw. die Aussetzung der Leistungen bis zur endgültigen Klärung der Ausschließungsgründe vorsieht.

Durch die nachträgliche Aberkennung bindend zugesprochener Leistungen wird auch nicht in unzulässiger, verfassungswidriger Weise in die Rechtsposition des Klägers eingegriffen. Die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG schützt nicht solche öffentlich-rechtlichen Ansprüche, die der Staat in Erfüllung seiner Fürsorgepflicht gewährt, ohne daß sie ein Äquivalent eigener Leistung des Berechtigten darstellen (vgl. BVerfG 2, 380, 402 ff; 4, 219, 240 ff; 14, 288, 294; 18, 385, 397; BSG 5, 40, 43). Dazu gehören auch die Leistungen nach dem HHG, die allein auf staatlicher Gewährung beruhen. Der Kläger vermag sich auch nicht auf eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes gegenüber den Kriegsopfern zu berufen. Die Beschädigtenversorgung und die Durchführung des HHG sind zwar weitgehend dem Versorgungsrecht nachgebildet (vgl. § 4 und § 10 Abs. 1 HHG); die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen sind aber ganz anders gestaltet. Die Kriegsbeschädigten erhalten Versorgung für ein auf staatlichem Zwang (Militärdienst) beruhendes Sonderopfer, während das HHG eine Entschädigung für die aus politischen Gründen zu Unrecht erlittenen Haftzeiten gewähren will (vgl. § 1 HHG). Wenn die Bundesrepublik Deutschland (BRD) sich für die Opfer dieser nicht in ihren Verantwortungsbereich fallenden Haftzeiten verantwortlich fühlt, so muß ihr auch das Recht zustehen, diese Leistungen wieder zu entziehen, wenn die politischen Voraussetzungen für eine Entschädigung nicht mehr gegeben sind (vgl. Bekämpfung der freiheitlichen, demokratischen Grundordnung der BRD; freiwillige Rückkehr in die Gewahrsamsgebiete) oder wenn sich der Begünstigte schwerwiegende Verstöße gegen die Rechtsordnung der BDR zuschulden kommen läßt.

Für die hier noch streitige Zeit vom 1. Juni 1969 an folgt somit aus § 2 Abs. 1 Nr. 3 iVm Abs. 5 HHG idF des 3. ÄndG, daß die Leistungen nach dem HHG auch wegen einer Verurteilung zu einer entsprechenden Freiheitsstrafe entzogen werden können, die erst nach der Zuerkennung von Leistungen ausgesprochen worden ist. Das LSG hat sonach im Ergebnis zutreffend entschieden. Die Revision des Klägers ist daher unbegründet und mußte zurückgewiesen werden (§ 170 Abs. 1 Satz 1 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 206

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