Beteiligte
Kläger und Revisionsbeklagter |
Beklagte und Revisionsklägerin |
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Beigeladene W … (W.), der seit 1974 Vorsteher des klagenden Amtes und zugleich ehrenamtlicher Bürgermeister der amtsangehörigen Gemeinde D … ist, während der streitigen Zeit (1. Dezember 1974 bis 28. Februar 1977) kranken- und angestelltenversicherungspflichtig war.
W. erhielt während dieser Zeit für seine Tätigkeiten als Amtsvorsteher des Klägers, eine Aufwandsentschädigung von monatlich: 730,18 DM und als Bürgermeister der Gemeinde D ... eine solche in Höhe von 708,71 DM monatlich; hiervon waren 360,-- bzw. 170,-- DM monatlich steuerfrei. Der übersteigende Betrag wurde, soweit es sich um die Aufwandsentschädigung für die Tätigkeit als Bürgermeister handelte, als Einkommen aus selbständiger Tätigkeit versteuert.
Die Beklagte hat in dem dem Kläger erteilten Bescheid vom 16. März 1977 und in ihrem Widerspruchsbescheid vom 12. Januar 1978 beide Tätigkeiten als kranken- und angestelltenversicherungspflichtig angesehen und für die Tätigkeit des Beigeladenen W. als Bürgermeister Beiträge zur Kranken- und zur Angestelltenversicherung im Gesamtbetrage von 4.227,58 DM gefordert. Diese Bescheide hat der Kläger angefochten, soweit sie die Tätigkeit des Beigeladenen W. als Bürgermeister betreffen.
Das Sozialgericht (SG) hat mit Urteil vom 4. September 1978 die vorgenannten Bescheide in dem angefochtenen Umfange aufgehoben; es hat zur Begründung ausgeführt, seit der Änderung der Schleswig-Holsteinischen Amtsordnung (AmtsO) durch das Änderungsgesetz vom 24. Mai 1966 (GVB1 für Schleswig-Holstein S. 91 -AmtsOÄndG-) seien die ehrenamtlichen Bürgermeister der amtsangehörigen Gemeinden im wesentlichen nur noch von Verwaltungsaufgaben befreite Repräsentanten der Gemeinde. Als Ehrenbeamte seien sie nicht den Angestellten in einem Unternehmen gleichzustellen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die - vom SG zugelassene - Sprungrevision der Beklagten. Sie macht zur Begründung geltend, auch nach dem Inkrafttreten des AmtsOÄndG stünden die ehrenamtlichen Bürgermeister der amtsangehörigen Gemeinden in Schleswig-Holstein in einem der Sozialversicherungspflicht unterliegenden abhängigen Beschäftigungsverhältnis zur Gemeinde. Daran ändere auch ihre Stellung als Ehrenbeamte der Gemeinde nichts; diese führe insbesondere nicht zur Versicherungsfreiheit nach §§ 169, 172 Abs. 1 Nr. 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) und des § 6 Abs. 1 Nrn. 2 und 3 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG).
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 4. September 1978 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beigeladenen haben zur Sache nicht Stellung genommen und keine Anträge gestellt.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist im Sinne der Zurückverweisung begründet; ob der Beigeladene W. während der streitigen Zeit, in der er ehrenamtlicher Bürgermeister der amtsangehörigen Gemeinde D … war, in der Kranken- und der Angestelltenversicherung pflichtversichert war, ist nach (en Feststellungen des SG noch nicht abschließend zu entscheiden.
Die Auffassung des SG, ein ehrenamtlicher Bürgermeister einer amtsangehörigen Gemeinde in Schleswig-Holstein habe seit der Änderung der Amtsordnung im Jahre 1966 im wesentlichen nur noch Repräsentationsaufgaben zu erfüllen, diese Tätigkeit mache ihn jedoch nicht zum Verwaltungsangestellten, außerdem sei ein Ehrenbeamter einem Arbeitnehmer nicht gleichzustellen, ist in mehrfacher Hinsicht nicht bedenkenfrei.
Der Senat kann dem SG zunächst insoweit nicht folgen, als dieses offenbar einen begrifflichen Unterschied zwischen Arbeitnehmern und Ehrenbeamten machen will und den Unterschied für so wesentlich hält, daß allein schon deswegen ein Ehrenbeamter nicht einem leitenden Angestellten eines Unternehmens gleichgestellt werden könne. Dabei hat das SG übersehen, worauf die Beklagte mit Recht hingewiesen hat, daß auch Beamte - trotz des öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnisses zu ihrem Dienstherrn - grundsätzlich zu den Beschäftigten i.S. des Sozialversicherungsrechts gehören und nur dann nicht der Versicherungspflicht unterliegen, wenn dies ausdrücklich im Gesetz bestimmt ist oder wenn sie, was namentlich für Ehrenbeamte zutreffen kann, im Einzelfall nach der Art ihrer Tätigkeit nicht als Beschäftigte anzusehen sind. Die Sondervorschriften, die Beamte wegen einer ihnen gewährleisteten Versorgungsanwartschaft ausdrücklich von der Versicherungspflicht ausnehmen (vgl. für die Krankenversicherung § 169 RVO, für die Rentenversicherung § 1229 Abs. 1 Nr. 3 RVO und § 6 Abs. 1 Nr. 3 AVG), sind auf Ehrenbeamte nicht anwendbar, da ihnen keine Versorgungsanwartschaft gewährleistet ist (vgl. für den Bereich des Bundes § 177 i.V.m. § 82ff. des Bundesbeamtengesetzes). Ob Ehrenbeamte wegen der Art ihrer Tätigkeit nicht versicherungspflichtig sind, kann nur von Fall zu Fall entschieden werden; ihre Rechtsstellung als Ehrenbeamte stellt sie jedenfalls nicht allgemein von der Versicherungspflicht frei.
Auch daß Ehrenbeamte, wie der Beigeladene W., für ihre Tätigkeit lediglich eine "Aufwandsentschädigung'' erhalten, schließt eine entgeltliche und damit versicherungspflichtige Beschäftigung nicht in jedem Falle aus. Soweit die Aufwandsentschädigung nicht nur den mit der ehrenamtlichen Tätigkeit verbundenen - erhöhten - Aufwand abgelten soll, sondern eine durch die Tätigkeit entstandene Einkommenseinbuße, insbesondere einen Verdienstausfall, ersetzt, insoweit also an die Stelle von entgangenem Einkommen tritt, ist sie Entgelt i.S. der Sozialversicherung (vgl. die umfassende Definition des Entgeltbegriffs in dem - hier noch anzuwendenden - § 160 Abs. 1 RVO aF, dem § 14 Abs. 1 des Sozialgesetzbuches - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - vom 23. Dezember 1976 im wesentlichen entspricht; vgl. dazu auch Krause/v. Maydell/Merten/Meydam, Gemeinschaftskommentar zum SGB IV, § 14 RdNr. 30). Der erkennende Senat hat deshalb in einem Urteil vom 30. November 1978 die einem ehrenamtlichen Vorsteher eines öffentlich-rechtlichen Wasser- und Bodenverbandes gezahlte Aufwandsentschädigung als Entgelt angesehen, soweit sie den durch die ehrenamtliche Tätigkeit verursachten tatsächlichen Aufwand überstieg (BSGE 47, 201, 207). Inwieweit letzteres auch beim Beigeladenen W. der Fall war, hat das SG von seinem abweichenden rechtlichen Ausgangspunkt nicht geprüft; diese Prüfung wird aber nachzuholen sein, wenn W. als ehrenamtlicher Bürgermeister nach der Art seiner Tätigkeit zu den Arbeitnehmern gehört haben sollte. Dabei kann für die Ermittlung des in der Aufwandsentschädigung enthaltenen Entgeltteils als Anhalt dienen, in welchem Umfange die Aufwandsentschädigung zu versteuern war.
Ob ein Ehrenbeamter einer Gemeinde zugleich deren Organ ist oder einem Gemeindeorgan angehört, ist für die Frage seiner Versicherungspflicht nicht entscheidend. Insofern gelten für Organmitglieder bei öffentlich-rechtlichen Körperschaften keine anderen Grundsätze wie bei juristischen Personen des Privatrechts (vgl. das schon genannte Urteil des Senats, BSGE 47, 201, 205). Auch der Beigeladene W. war deshalb nicht schon deswegen versicherungsfrei, weil er als Bürgermeister den Vorsitz in der Gemeindevertretung hatte und darüber hinaus gesetzlicher Vertreter der - Gemeinde war (vgl. Gemeindeordnung für Schleswig-Holstein i.d.F. vom 6. April 1973, GVBI für Schleswig-Holstein S. 90, §§ 55 Abs. 1 und 57 Abs. 1).
Hatte hiernach nicht schon der Status als Ehrenbeamter, der Bezug einer Aufwandsentschädigung und die Stellung als Gemeindeorgan Versicherungsfreiheit für den Beigeladenen W. zur Folge, so hängt die Entscheidung über seine Versicherungspflicht davon ab, wie seine Tätigkeit als ehrenamtlicher Bürgermeister nach Art und Inhalt gestaltet war. Insofern hat das SG angenommen, daß ein ehrenamtlicher Bürgermeister dann keine versicherungspflichtige Beschäftigung ausübe, wenn er im wesentlichen nur Repräsentationsaufgaben zu erfüllen habe. Dieser - vom SG nicht näher begründeten Rechtsauffassung ist im Ergebnis beizutreten.
Schon der 3. Senat des BSG hat in einem Urteil vom 21. Januar 1969 die Versicherungspflicht eines ehrenamtlichen Bürgermeisters im Saarland damit begründet, daß er nicht nur Repräsentationsfunktionen gehabt habe, sondern zugleich die Spitze der Gemeindeverwaltung gewesen sei (Breithaupt 1969, 823). Das Schrifttum ist dieser Auffassung gefolgt (vgl. Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 9. Auflage bis einschließlich 52. Nachtrag, S. 308e und f. mwN). Auch der erkennende Senat hat sich ihr in dem schon genannten Urteil vom 30. November 1978 angeschlossen und hat deshalb einen ehrenamtlichen Vorsteher eines Wasser- und Bodenverbandes für versicherungspflichtig gehalten, weil er nicht nur "Willensorgan" des Verbandes gewesen sei, sondern auch an der Spitze der Selbstverwaltung des Verbandes gestanden, also eine dem allgemeinen Erwerbsleben zugängliche Tätigkeit ausgeübt habe (BSGE 47, 201, 206). An dieser Rechtsprechung ist trotz der von der Beklagten dagegen erhobenen Einwände festzuhalten. Daß ein ehrenamtlicher Bürgermeister, der sowohl Repräsentations- als auch Verwaltungsaufgaben zu erfüllen hat, ein "einheitliches'' Ehrenamt ausübt, wie die Beklagte meint, mag zutreffen, schließt jedoch nicht aus, beide Aufgabenbereiche begrifflich zu trennen und je nachdem, ob das eine oder das andere überwiegt, Versicherungspflicht anzunehmen oder zu verneinen. Das gilt erst recht, wenn einer der beiden genannten Aufgabenbereiche das Bild der Tätigkeit des ehrenamtlichen Bürgermeisters entscheidend prägt.
Das SG hat dazu - im Anschluß an ein Urteil des Schleswig-Holsteinischen LSG vom 9. Dezember 1971 - ausgeführt, ehrenamtliche Bürgermeister amtsangehöriger Gemeinden in Schleswig-Holstein hätten seit der Änderung der Amtsordnung im Jahre 1966 im wesentlichen nur noch Repräsentationsaufgaben (einschließlich der gesetzlichen Vertretung der Gemeinde nach außen) wahrzunehmen; die faktische Verwaltungsarbeit sei ihnen seitdem von den Ämtern abgenommen; persönlich zu treffende Eilentscheidungen oder eine Beanstandung von Beschlüssen der Gemeindevertretung kämen nur selten vor und fielen daher arbeitsmäßig nicht ins Gewicht.
Worauf sich diese - teils rechtlichen, teils tatsächlichen - Feststellungen des SG gründen, ist dem angefochtenen Urteil nicht zu entnehmen; insbesondere ist nicht erkennbar, ob das SG auch die Vorschrift in § 3 Abs. 1 Satz 2 der Amtsordnung für Schleswig-Holstein i.d.F. vom 24. Mai 1966 (GVBI S. 90) berücksichtigt hat, wonach die Gemeinde mit Zustimmung der Kommunalaufsichtsbehörde beschließen kann, einzelne Selbstverwaltungsangelegenheiten selbst durchzuführen. Von Bedeutung könnte ferner sein, daß nach der Gemeindeordnung i.d.F. vom 6. April 1973 (GVBI S. 90) auch Bürgermeister von ehrenamtlich verwalteten Landgemeinden die Gemeindeverwaltung nach den Grundsätzen und Richtlinien der Gemeindevertretung zu leiten sowie die Beschlüsse der Gemeindevertretung durchzuführen hatten und für die sachliche Erledigung der Geschäfte verantwortlich waren (§ 56 Abs. 1). Ob diese Bestimmungen mit der zeitlich früheren Regelung in § 3 Abs. 1 Satz 1 der Amtsordnung i.d.F. vom 24. Mai 1966 vereinbar waren - danach führt das Amt nach den Beschlüssen der Gemeinde die Selbstverwaltungsangelegenheiten der amtsangehörigen Gemeinden durch -, erscheint nicht unzweifelhaft. Die genannten Bestimmungen wurden erst durch das Gesetz zur Änderung des kommunalen Verfassungsrechts vom 5. August 1977 (GVBI S. 210) der Regelung in § 3 Abs. 1 Satz 1 der Amtsordnung angepaßt (vgl. jetzt § 55 Abs. 5 i.V.m. § 49 Abs. 1 der Gemeindeordnung für Schleswig-Holstein i.d.F. vom 11. November 1977, GVBI S. 410). Während der hier streitigen Zeit galten sie mithin noch in der alten, unveränderten Fassung. Da es sich bei allen diesen Vorschriften um Vorschriften des irrevisiblen Landesrechts handelt (§ 162 SGG), hat der Senat davon abgesehen sie selbst auszulegen, auch soweit eine ihn bindende Auslegung durch das SG nicht vorliegt; er hat die Auslegung vielmehr dem zuständigen LSG überlassen, an das der Rechtsstreit unter Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils verwiesen worden ist (§ 170 Abs. 4 SGG).
Das LSG wird ggf. auch zu prüfen haben; ob der Beigeladene W. die Voraussetzungen der Versicherungsfreiheit nach § 168 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Buchst b RVO und nach § 4 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 2 Buchst b AVG in der hier noch anzuwendenden alten Fassung vom 9. Juni 1965 bzw. 23. Februar 1957 erfüllte. Das LSG wird ferner prüfen müssen, ob die angefochtenen Bescheide der Beklagten, soweit sie den Beigeladenen W. in seiner Eigenschaft als Bürgermeister der Gemeinde D … betrafen, richtig an das Amt D … adressiert waren; insofern könnte von Bedeutung sein, ob die Ämter auch insofern die Verwaltungsgeschäfte der Gemeinden zu führen haben, als es sich um die Feststellung der Versicherungspflicht von Personen handelt, die im Dienste der Gemeinden stehen. Das LSG hat schließlich über die Kosten des Rechtsstreits zu entscheiden.
Fundstellen