Leitsatz (amtlich)
Ist eine Rente von 20 vH der Vollrente vor dem Inkrafttreten des 5. Gesetzes über Änderungen in der Unfallversicherung vom 1939-02-17 (RGBl 1 1939, 267) nach 2 Jahren auf Grund der 4. NotV § 3 Fünfter Teil Kap 2 Abschn 1 vom 1931-12-08 ((RGBl i 1931, 699, hier S 720) weggefallen, so besteht nach dem 5. UVÄndG Art 3 § 3 Abs 1 iVm der 4. NotV § 2 Abs 2 S 3 nur dann ein Anspruch auf Wiedergewährung der Rente, wenn die Erwerbsfähigkeit infolge einer wesentlichen Verschlimmerung der Unfallfolgen für länger als drei Monate um mehr als ein Viertel gemindert ist (Anschluß an RVA GE Nr 5286 AN 1939, 190 Leitsatz 17).
Normenkette
RVO § 608 Fassung: 1924-12-15; NotV 4 § 3 Teil 5 Kap 2 Abschn. 1, § 2 Abs. 2 S. 3; UVGÄndG 5 Art. 3 § 3 Abs. 1
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 24. April 1956 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
I
Der Kläger bezog für die Folgen eines Arbeitsunfalls vom Juni 1933 eine Rente, die zuletzt 20 v.H. der Vollrente betrug. Diese Rente ist im Jahre 1937 nach zweijährigem Bezug auf Grund der 4. Notverordnung vom 8. Dezember 1931 (RGBl. I S. 699 - 4. NotVO) weggefallen.
Am 15. Mai 1952 beantragte der Kläger die Wiedergewährung dieser Rente und machte zur Begründung geltend, daß die Folgen des Unfalls sich wesentlich verschlimmert hätten. Die Beklagte lehnte durch Bescheid vom 29. September 1952 die Wiedergewährung der Rente mit der Begründung ab, die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE.) betrage nach wie vor nur 20 v.H.; Voraussetzung für den Anspruch auf Wiedergewährung der Rente sei jedoch, daß eine Verschlimmerung eingetreten sei und die MdE. mehr als ein Viertel, also mindestens 30 v.H. betrage. Die vom Kläger gegen diesen Bescheid beim Oberversicherungsamt Hamburg eingelegte Berufung ist nach Inkrafttreten des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) auf das Sozialgericht (SG.) Hamburg übergegangen (§ 215 Abs. 2 SGG). Dieses hat durch Urteil vom 5. Juli 1954 die Beklagte verurteilt, dem Kläger vom 1. Juni 1952 an eine Unfallrente nach einer MdE. um 20 v.H. zu gewähren.
Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG.) Hamburg durch Urteil vom 24. April 1956 das Urteil des SG. aufgehoben und den Bescheid der Beklagten vom 29. September 1952 wiederhergestellt. Zur Begründung hat das LSG. im wesentlichen folgendes ausgeführt: Das SG. habe verkannt, daß § 2 Abs. 2 Satz 3 des 5. Teils, Kap. II, Abschn. 1 der 4. NotVO gemäß Art. 3 § 3 Abs. 2 des Fünften Gesetzes über Änderungen in der Unfallversicherung vom 17. Februar 1939 (RGBl. I S. 267) (5. ÄndG) nur "für den Geltungsbereich dieses Gesetzes" außer Kraft gesetzt worden sei. Da das 5. ÄndG nach Art. 3 § 1 mit Wirkung vom 1. Januar 1939 in Kraft getreten sei, gelte § 2 Abs. 2 Satz 3 der 4. NotVO weiter für alle Unfälle, die sich vor diesem Zeitpunkt ereigneten. Der Anspruch des Klägers sei unbegründet, da seine Erwerbsfähigkeit nicht infolge einer wesentlichen Verschlimmerung der Unfallfolgen für länger als drei Monate um mehr als ein Viertel gemindert sei, sondern lediglich eine MdE. von 20 v.H. bestehe. Ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 des Grundgesetzes (GG) sei nicht darin zu erblicken, daß im 5. ÄndG die Aufrechterhaltung der strengeren Anforderungen der 4. NotVO an die Wiedergewährung einer Rente wegen Verschlimmerung der Unfallfolgen für Unfälle vor dem 1. Januar 1939 aufrechterhalten worden seien. Die unterschiedliche Behandlung gleichgelagerter Fälle stelle nur dann einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz dar, wenn die Regelung als willkürlich bezeichnet werden müsse. Es habe aber im Ermessen des Gesetzgebers des 5. ÄndG gestanden, die ungünstigen Vorschriften der 4. NotVO zu beseitigen. Die Aufrechterhaltung gewisser nachteiliger Vorschriften sei nicht als willkürlich anzusehen.
Die Revision ist vom LSG. zugelassen worden.
Gegen das am 12. Mai 1956 zugestellte Urteil hat der Kläger am 6. und 11. Juni 1956 Revision eingelegt und diese am 23. Juni 1956 begründet. Er beantragt,
das Urteil des LSG. aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger vom 1. Juni 1952 an eine Unfallrente nach einer MdE. um 20 v.H. zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II
Die Revision ist in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden und durch Zulassung statthaft. Sie ist somit zulässig, hatte jedoch keinen Erfolg.
Nach dem im Zeitpunkt des Unfalls geltenden NotVO-Recht fiel die Rente von 20 v.H. der Vollrente, die der Kläger für die Folgen des Unfalls vom Juni 1933 bezogen hatte, nach zweijährigem Bezug weg (4. NotVO, 5. Teil, Kap. II, Abschn. 1 § 3 Abs. 1). Ein Anspruch auf Wiedergewährung der Rente bestand nach § 3 Abs. 2 in Verbindung mit § 2 Abs. 2 Satz 3 der 4. NotVO nur, wenn die Erwerbsfähigkeit infolge einer wesentlichen Verschlimmerung für länger als drei Monate um mehr als ein Viertel gemindert war.
Wie das LSG. zutreffend ausgeführt hat, sind die Vorschriften der 4. NotVO durch das 5. ÄndG grundsätzlich nur für Versicherungsfälle außer Kraft gesetzt worden, die sich nach dem Inkrafttreten des 5. ÄndG (1.1.1939) ereignet haben (vgl. Art. 3 des 5. ÄndG; Grundsätzliche Entscheidung des Reichsversicherungsamts 5286, AN. 1939 S. 190, Leitsatz 16 sowie das Urteil des erkennenden Senats vom 5. April 1960 - 2 RU 190/59 - das zur Veröffentlichung bestimmt ist).
§ 3 der 4. NotVO ist allerdings nach Art. 3 § 3 Abs. 1 5. ÄndG vom Inkrafttreten des 5. ÄndG an nicht mehr anwendbar, d.h., im Zeitpunkt des Inkrafttretens noch laufende Renten von 20 v.H. der Vollrente sind nicht mehr nach zweijährigem Bezug weggefallen. Der Gesetzgeber hat aber im letzten Halbsatz des Art. 3 § 3 Abs. 1 5. ÄndG bestimmt, daß bereits weggefallene Renten von 20 v.H. der Vollrente mit dem Inkrafttreten des 5. ÄndG nicht wieder aufleben, es vielmehr bei diesem Wegfall "bewendet". Eine ausdrückliche Regelung der Frage, unter welchen Voraussetzungen in derartigen Fällen ein Anspruch auf Wiedergewährung von Rente besteht, enthält das 5. ÄndG nicht. Wie das Reichsversicherungsamt in der Grundsätzlichen Entscheidung 5286 (Leitsatz 17) ausgeführt hat, ergibt sich jedoch aus dem Weitergelten des NotVO-Rechts für die Versicherungsfälle vor dem 1. Januar 1939, daß in einem solchen Falle auch für den Anspruch auf Wiedergewährung das bisherige Recht gilt. Infolgedessen besteht ein Anspruch auf Rente - wie bisher - nach § 2 Abs. 2 Satz 3 der 4. NotVO (auf den in § 3 Abs. 2 verwiesen war) nur, wenn die Erwerbsfähigkeit infolge einer wesentlichen Verschlimmerung der Unfallfolgen für länger als drei Monate um mehr als ein Viertel gemindert ist.
Dieses Ergebnis verstößt auch, wie das LSG. zutreffend ausgeführt hat, nicht gegen verfassungsrechtliche Normen. Der erkennende Senat hat bereits in verschiedenen Entscheidungen näher dargelegt, daß es keine willkürliche gegen den Gleichheitssatz (Art. 3 GG) verstoßende Regelung ist, wenn der Gesetzgeber die Auswirkung günstigerer Regelungen auf die Versicherungsfälle nach deren Inkrafttreten beschränkt (vgl. z.B. das Urteil vom 5.4.1960 - 2 RU 203/56).
Nach den von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des LSG. (§ 163 SGG) beträgt die durch Folgen des Unfalls vom Jahre 1933 verursachte MdE. des Klägers nur 20 v.H. Der Kläger hat infolgedessen keinen Anspruch auf Wiedergewährung einer Rente. Das LSG. hat die Klage gegen den Bescheid vom 29. September 1959 ohne Rechtsirrtum abgewiesen.
Die Revision war infolgedessen als unbegründet zurückzuweisen.
Die Entscheidung über die Kosten ergeht auf Grund von § 193 SGG.
Fundstellen