Leitsatz (amtlich)
1. Die 4. NotV § 2 Abs 2 S 3, § 3 Teil 5 Kap 2 Abschn 1 vom 1931-12- 08 (RGB, 1 1931, 699, hier S 720) regelt nur den Anspruch auf Wiedergewährung von Renten, die nach Satz 2 dieser Vorschrift weggefallen sind, und von weggefallenen oder entzogenen Renten, die zuletzt in Höhe von 20 vH der Vollrente bezogen worden waren (4. NotV § 3 Abs 2 aaO).
2. Auch bei Unfällen, die sich vor dem Inkrafttreten des 5. Gesetzes über Änderungen in der Unfallversicherung vom 1939-02-17 (RGBl 1 1939, 267) ereignet haben, ist diese Sondervorschrift nicht anwendbar, wenn die Rente, deren Wiedergewährung beansprucht wird, zuletzt in Höhe von mehr als 20vH der Vollrente bezogen worden ist.
Normenkette
RVO § 608 Fassung: 1924-12-15; NotV 4 § 3 Teil 5 Kap 2 Abschn. 1; UVGÄndG 5 Art. 3 § 3 Abs. 1; NotV 4 § 2 Abs. 2 S. 3, § 3 Abs. 2
Tenor
Das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 26. Juni 1956 wird aufgehoben.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 2. August 1954 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
I
Der Kläger hatte von der Beklagten für die Folgen eines am 15. Juni 1931 erlittenen Arbeitsunfalls bis zum 23. August 1932 Rente bezogen.
Am 26. September 1952 beantragte er bei der Beklagten, ihm wieder eine Rente zu gewähren, und brachte zur Begründung vor, die Blutstauungen im rechten Oberschenkel, die Unfallfolge seien, und die damit verbundenen Schmerzen hätten sich laufend verschlimmert und er könne seinen Beruf als Schlachter nicht mehr ausführen.
Die Beklagte lehnte diesen Antrag durch Bescheid vom 24. März 1953 ab und berief sich zur Begründung darauf, daß nach der Vierten Notverordnung (4. NotVO) vom 8. Dezember 1931 (RGBl. I S. 699) ein Anspruch auf Wiedergewährung einer Rente nur bestehe, wenn die Erwerbsfähigkeit infolge einer wesentlichen Verschlimmerung der Unfallfolgen für länger als drei Monate um mehr als ein Viertel gemindert sei.
Die Berufung des Klägers gegen diesen Bescheid ist nach Inkrafttreten des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) auf das Sozialgericht (SG.) Hamburg übergegangen (§ 215 Abs. 2 SGG). Dieses hat durch Urteil vom 2. August 1954 den Bescheid der Beklagten aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger Unfallrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE.) von 20 v.H. zu gewähren.
Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG.) Hamburg durch Urteil vom 26. Juni 1956 das Urteil des SG. aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Die Revision ist vom LSG. zugelassen worden.
Gegen das Urteil, das am 9. Juli 1956 zugestellt worden ist, hat der Kläger am 26. Juli 1956 Revision eingelegt und sie am 31. Juli 1956 begründet.
Der Kläger beantragt,
unter Aufhebung des Urteils des LSG. die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG. Hamburg zurückzuweisen und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Unfallrente nach einer MdE. von 20 v.H. zu gewähren, soweit der Kläger nicht inzwischen klaglos gestellt ist.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II
Die in der gesetzlichen Form und Frist eingelegte und durch Zulassung statthafte Revision ist zulässig. Sie ist auch begründet.
Nach den Feststellungen des LSG., die von der Revision nicht angegriffen worden sind (vgl. § 163 SGG), haben sich die Auswirkungen des Unfalls vom Jahre 1931 bis zum Zeitpunkt des Antrags auf Wiedergewährung der Rente (26.9.1952) so weit verschlimmert, daß die Erwerbsfähigkeit des Klägers durch den wechselnden Zustand durchschnittlich um 20 v.H. gemindert ist.
Das LSG. ist der Auffassung, daß der Kläger nur dann einen Rentenanspruch haben würde, wenn seine Erwerbsfähigkeit für länger als drei Monate um mehr als ein Viertel - also um mindestens 30 v.H. - gemindert wäre. Es hat die Klage abgewiesen, weil diese Voraussetzung nach seinen Feststellungen nicht gegeben war.
Dabei ist das LSG. rechtlich zutreffend davon ausgegangen, daß § 2 im 5. Teil Kap. II Abschn. 1 der 4. NotVO durch Art. 3 § 3 Abs. 2 des Fünften Gesetzes über Änderungen in der Unfallversicherung (5. ÄndG) vom 17. Februar 1939 (RGBl. I S. 267) nur für Versicherungsfälle nach dem Inkrafttreten des 5. ÄndG (1. Januar 1939) außer Kraft gesetzt worden und infolgedessen auf die Ansprüche des Klägers aus dem Unfall vom Jahre 1931 grundsätzlich noch anzuwenden ist (vgl. Grundsätzl. Entscheidung des Reichsversicherungsamts - RVA. - 5286 AN. 1939 S. 190 Leitsatz 16 sowie das Urteil des erkennenden Senats vom 5. April 1960 - 2 RU 190/59 -, das zur Veröffentlichung bestimmt ist).
Ebenso ist es nach der Auffassung des Senats zutreffend, daß in den Fällen, in denen vor dem Inkrafttreten des 5. ÄndG eine Rente von 20 v.H. der Vollrente nach § 3 a.a.O. der 4. NotVO weggefallen war, nur dann ein Anspruch auf Wiedergewährung der Rente besteht, wenn die Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 Satz 3 der 4. NotVO gegeben sind (vgl. Grundsätzl. Entscheidung des RVA. 5286 Leitsatz 17 sowie das gleichfalls am 27. April 1960 verkündete Urteil des erkennenden Senats - 2 RU 143/56 -, das zur Veröffentlichung bestimmt ist).
Das LSG. hat jedoch verkannt, daß § 2 Abs. 2 Satz 3 der 4. NotVO eine Sondervorschrift ist. Sie gilt nicht allgemein für alle Fälle, in denen nach § 608 der Reichsversicherungsordnung ein Anspruch auf Wiedergewährung einer Rente geltend gemacht wird, sondern regelt nur den Anspruch auf Wiedergewährung von Renten (sog. "Kleinrenten"), die nach Satz 2 dieses Abs. weggefallen waren. Darüber hinaus galt § 2 Abs. 2 Satz 3 nur im Rahmen der Verweisung in § 3 Abs. 2 der 4. NotVO, d.h. nur für Renten von 20 v.H. der Vollrente, auf die sich der Abs. 1 des § 3 bezieht. Im einzelnen wird hierzu auf die Entscheidungen des RVA. in EuM. Bd. 33 S. 158 und 164, Bd.50 S. 16 verwiesen, denen der erkennende Senat auch hinsichtlich der Begründung beitritt. Der vom LSG. zitierte Bescheid des RVA. vom 14. September 1940 (AN. 1940 S. 370 = EuM. Bd. 47 S. 9) bezieht sich ebenso wie die Entscheidung in EuM. Bd. 49 S. 142 lediglich auf die Sonderfrage, ob § 2 Abs. 2 Satz 3 der 4. NotVO nach dem Inkrafttreten des 5. ÄndG auf Renten in Höhe von 20 v.H. der Vollrente anzuwenden ist, die nicht nach § 3 Abs. 1 der 4. NotVO nach zweijährigem Bezug weggefallen, sondern deshalb entzogen worden waren, weil die Unfallfolgen beseitigt waren oder die Erwerbsfähigkeit nicht mehr um mindestens 20 v.H. gemindert war.
Nach den Feststellungen des LSG. hat der Kläger weder eine durch Ansprüche aus anderen Unfällen gestützte "Kleinrente" im Sinne des § 2 Abs. 2 der 4. NotVO noch eine den Sondervorschriften des § 3 der 4. NotVO unterliegende Rente von 20 v.H. der Vollrente bezogen. Die von der Beklagten für die Folgen des Unfalls vom 15. Juni 1931 bis zum 23. August 1932 gewährte Rente wechselte vielmehr in ihrer Höhe und betrug zeitweise 25 v.H., zeitweise, so insbesondere zuletzt, sogar 100 v.H. der Vollrente. Infolgedessen kann die Sondervorschrift des § 2 Abs. 2 Satz 3 der 4. NotVO, wie dargelegt, im Falle des Klägers nicht angewendet werden. Ein Anspruch auf Rentengewährung besteht vielmehr schon dann, wenn infolge einer Verschlimmerung des unfallbedingten Zustandes die Erwerbsfähigkeit um 20 v.H. gemindert ist.
Da diese Voraussetzung nach den Feststellungen des LSG. sowohl im Zeitpunkt der Antragstellung als auch im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem LSG. gegeben war, mußte das Urteil des LSG. aufgehoben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG. Hamburg zurückgewiesen werden.
Das Vorbringen des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat, er beziehe seit dem 22. Dezember 1958 von der Beklagten für die Folgen des Unfalls vom 15. Juni 1931 eine Rente von 30 v.H. der Vollrente, war im Revisionsverfahren nach § 171 Abs. 2 SGG nicht zu berücksichtigen.
Die Entscheidung über die Kosten ergeht auf Grund § 193 SGG.
Fundstellen