Verfahrensgang
LSG Hamburg (Urteil vom 30.04.1957) |
Tenor
Die Revision der Klägerinnen gegen das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 30. April 1957 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Tatbestand
I
Der Ehemann und Vater der Klägerinnen, der Werkmeister Wilhelm St… (St.), erlitt am 13. September 1954 gegen 20.30 Uhr einen tödlichen Verkehrsunfall. Er befand sich auf dem Heimweg von dem Betrieb, in dem er beschäftigt war. Die Arbeitsschicht war zwar bereits um 17 Uhr beendet; anschließend hatte St. aber mit zwei Angehörigen der Betriebsverwaltung in der Werkskantine noch etwa drei Stunden Skat gespielt. Dabei handelte es sich um einen der Skatabende, die in den Kantinenräumen nach der Arbeitszeit für Betriebsangehörige alle zwei Wochen stattfanden und in der Regel bis 20 Uhr dauerten. Die Teilnehmerzahl schwankte zwischen 3 und 15 Belegschaftsmitgliedern. In dem Unternehmen waren damals etwa 150 Arbeitnehmer beschäftigt. Die Betriebsleitung stellte den Spielern die sonst um diese Zeit geschlossenen Kantinenräume zur Verfügung. In diesen Räumen wurde einmal im Jahre auch ein Preisskat für die Betriebsangehörigen abgehalten, zu dem der Betrieb die Preise stiftete. Am Unfalltag hatte St. nach Beendigung des Skatabends die Betriebsstätte kurz nach 20 Uhr verlassen und sich mit seinem Fahrrad auf den Weg nach Hause begeben. Unterwegs ereignete sich der Unfall.
Die Beklagte lehnte durch Bescheid vom 27. Oktober 1954 die Gewährung einer Entschädigung mit der Begründung ab, der Unfall sei auf dem Weg von einer privaten Zusammenkunft der Betriebsangehörigen eingetreten.
Diesen Bescheid haben die Klägerinnen angefochten und geltend gemacht: Bei den Skatabenden habe es sich um Betriebsgemeinschaftsveranstaltungen gehandelt. Außerdem sei St. vor Antritt des Heimwegs für den Betrieb tätig geworden, indem er auftragsgemäß noch die Betriebsräume abgeschlossen und die Heizungsanlage kontrolliert habe.
Das Sozialgericht (SG.) Hamburg … zu dem Vorbringen der Klägerinnen den Betriebsleiter Dr. St. als Zeugen vernommen. Daraufhin hat es durch Urteil vom 17. April 1956 die Klage abgewiesen: Die Skatabende seien von nur wenigen Teilnehmern besucht worden. Schon deshalb habe es sich dabei nicht um Betriebsgemeinschaftsveranstaltungen gehandelt. Die Betriebsleitung habe die Benutzung der Katinenräume nach Betriebsschluß lediglich aus Wohlwollen gestattet. Soweit St. nach Beendigung der Skatabende für das ordnungsmäßige Verlassen der Betriebsstätte habe sorgen müssen, habe er nur die Bedingungen erfüllt, welche die Betriebsleitung an die Benutzung der Kantinenräume geknüpft habe. Die Erfüllung der Bedingungen habe aber mit betrieblicher Arbeit nicht zusammengehangen.
Die von den Klägerinnen hiergegen eingelegte Berufung ist durch Urteil des Landessozialgerichts (LSG.) Hamburg vom 30. April 1957 zurückgewiesen worden. Das Berufungsgericht ist mit näheren Ausführungen den Entscheidungsgründen des SG. unter besonderem Hinweis auf das Mißverhältnis zwischen der Zahl der Teilnehmer an den Skatabenden und der Zahl der Belegschaft des Unternehmens gefolgt. Es ist der Ansicht, daß durch die Bereitstellung der erforderlichenfalls geheizten Kantinenräume lediglich ein zufällig örtlicher, rechtlich aber unerheblicher Zusammenhang zwischen den Belangen des Unternehmens und den Skatabenden bestanden habe. Die zum ordnungsmäßigen Verlassen der Betriebsstätte gehörenden Verrichtungen St's., die er sonst bereits um 17 Uhr habe vornehmen müssen, seien an den Spielabenden durch den im privaten Interesse der Mitspieler liegenden Aufenthalt in der Kantine bedingt und daher nicht geeignet gewesen, die innere Verbindung zum Betrieb wiederherzustellen.
Das LSG. hat die Revision zugelassen.
Die Klägerinnen haben gegen das ihnen am 4. Juni 1957 zugestellte Urteil am 19. Juni 1957 Revision eingelegt und diese am 25. Juni 1957 wie folgt begründet.
Bei den Skatabenden habe es sich um die Vorbereitung des jährlich im Betrieb einmal stattfindenden Preisskats gehandelt, der alle Merkmale einer betrieblichen Gemeinschaftsveranstaltung aufweise. Derartige vorbereitende Tätigkeiten stünden unter Versicherungsschutz, wie schon das Reichsversicherungsamt (RVA.) für ähnliche Tatbestände angenommen habe. Der Umstand, daß der unfallbringende Heimweg erst mehrere Stunden nach Arbeitsschluß ohne zwischenzeitliche Betriebstätigkeit angetreten worden sei, stehe, wie der erkennende Senat in früheren Entscheidungen bereits ausgesprochen habe, der Annahme des Versicherungsschutzes nicht entgegen. Auf diese in SozR. RVO § 543 Bl. Aa 4 Nr. 7 und BSG. 10 S. 226 veröffentlichten Entscheidungen werde Bezug genommen. Die im Anschluß an die Spielabende verrichtete betriebliche Tätigkeit, insbesondere der Heizungsdienst, hätte in Abwesenheit St's. von dem Fabrikpförtner verrichtet werden müssen, so daß sie in jedem Falle dem Betrieb zuzurechnen sei.
Die Klägerinnen beantragen,
die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben und die Beklagte zur Zahlung der Hinterbliebenenrente zu verurteilen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie nimmt im wesentlichen auf das angefochtene Urteil Bezug.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision ist durch Zulassung statthaft (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes –SGG–); sie ist auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, somit zulässig. Ihr war jedoch der Erfolg zu versagen.
Das LSG. hat mit Recht verneint, daß der Ehemann und Vater der Klägerinnen einem Arbeitsunfall im Sinne des § 543 Abs. 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) erlegen sei. Es hat ohne Rechtsirrtum angenommen, daß der zum Unfall führende Heimweg St's. mit seiner versicherten Betriebstätigkeit nicht in einem rechtlich wesentlichen Zusammenhang gestanden habe. St. hatte am Unfalltag nach Beendigung seiner Arbeitsschicht an einem der regelmäßig alle zwei Wochen in der Werkskantine für die Angehörigen seines Beschäftigungsbetriebs stattfindenden Skatabende teilgenommen, etwa drei Stunden lang gespielt und anschließend den Heimweg angetreten. Obwohl die Betriebsleitung diese Skatabende billigte und ihre Durchführung auch unterstützte, stellten sie, wie in dem angefochtenen Urteil zutreffend ausgeführt ist, keine dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung unterliegenden betrieblichen Gemeinschaftsveranstaltungen dar. Die gegenteilige Ansicht, die übrigens auch von der Revision nicht mehr geltend gemacht wird, läßt sich schon deshalb nicht begründend weil bei dem eindeutigen Mißverhältnis zwischen der Zahl der Spielteilnehmer an diesen Abenden, die zwischen 3 und höchstens 15 schwankte – am Unfalltag betrug sie nur drei – und der Zahl der Gesamtbelegschaft des Unternehmens von mindestens 150 Arbeitnehmern der Charakter einer Betriebsgemeinschaftsveranstaltung nicht gewahrt ist (vgl. BSG. 1 S. 179; 7 S. 249). Der Versicherungsschutz für die Teilnahme an diesen Skatabenden läßt sich aber auch nicht unter dem von der Revision herausgestellten Gesichtspunkt rechtfertigen, es habe sich bei diesen geselligen Zusammenkünften um vorbereitende Betätigungen für versicherte Gemeinschaftsveranstaltungen gehandelt, und zwar jeweils für den einmal im Jahre ebenfalls in den Kantinenräumen von der Betriebsleitung veranstalteten Preisskat. Es konnte unentschieden bleiben, ob diese mit dem Betrieb enger verbundenen Jahresveranstaltungen den Voraussetzungen betrieblicher Gemeinschaftsveranstaltungen entsprachen. Denn jedenfalls bestanden entgegen der Meinung der Klägerinnen zwischen den turnusmäßigen Spielabenden und dem Preisskat keine so engen Beziehungen, daß die Frage des Versicherungsschutzes nur einheitlich beurteilt werden müßte. Nach den vom LSG. getroffenen, nicht angegriffenen Feststellungen deckte sich der Kreis der Teilnehmer an den laufend abgehaltenen Skatabenden nicht mit dem, der bei der Durchführung des Preisskates mitwirkte. Die Teilnahme an dem Preisskat war nicht etwa von der Beteiligung an den alle zwei Wochen stattfindenden Skatabenden abhängig. Allein dieser Umstand spricht überzeugend gegen die Meinung der Revision, daß die Skatspieler an den Abenden regelmäßig zusammenkämen, um sich unter Wettbewerbsbedingungen mit ihren künftigen Spielpartnern für den Preisskat einzuspielen. Es ist kein ausreichender Anhalt dafür ersichtlich, daß sich die Teilnehmer der Skatrunden zusammengefunden hätten, um für die Planung und Durchführung des Preisskats tätig zu werden. Jedenfalls war die Teilnahme an den Spielabenden nicht wesentlich auf die Ausgestaltung des Preisskats gerichtet. Vielmehr handelte es sich, dabei um Zusammenkünfte, welche allenfalls der Pflege der Kameradschaftlichkeit der Arbeitnehmer des Betriebes untereinander dienten. Das reicht aber nicht aus, um die Teilnahme an ihnen einer betrieblichen Betätigung gleichzustellen. Dem steht nicht entgegen, daß der Betrieb die Kantinenräume und Spielkarten bereitstellte. Auch der Umstand 9 daß der Betriebsleitung, die verständlicherweise auf ein gutes Einvernehmen ihrer Belegschaftsangehörigen untereinander bedacht war, durch derartige geselligen Zusammenkünfte genützt wurde, macht die Beteiligung an ihnen nicht ohne weiteres zur Angelegenheit des Betriebs. Die Teilnahme an den regelmäßigen Skatabenden stand somit nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Der Hinweis der Klägerinnen, daß die Skatabende zu einer traditionsmäßigen Einrichtung des Betriebs geworden und daher mit unfallversicherungsrechtlich geschützten Richtfesten vergleichbar seien, geht schon deshalb fehl, weil Richtfeste (Hebefeiern) einem handwerklichen Brauch entsprechen, der altüberkommen ist und im Bauhandwerk allgemein gewahrt wird; bei den Skatveranstaltungen in der hier geübten Weise hingegen handelt es sich allenfalls um vereinzelte Gepflogenheiten die mit dem Wesen des Betriebs nichts zu tun haben. Dem vom RVA. in EuM. 49 S. 1 entschiedenen Fall, auf den sich die Revision beruft, lag ein wesentlich anderer Sachverhalt zugrunde. Damals wurden die üblichen, der Betriebstätigkeit gleichgestellten Betriebsfeiern von Singgruppen mit ausgestaltet. Deshalb hatte das RVA. die Bildung einer Gesangsabteilung im Betrieb nicht bloß als einen kameradschaftlichen Zusammenschluß angesehen, sondern ihr einen im „ausgesprochenen Interesse des Betriebes” liegenden Zweck zuerkannt. Die Ausgestaltung des Preisskats hingegen war nicht auf die Mitwirkung solcher Skatspieler angewiesen, die im Laufe des Jahres zusammen geübt hatten; vor allem sollten nicht etwa besonders aufeinander eingespielte Skatrunden als eine bestimmte Spielertruppe auftreten.
Hiernach war auch der am Unfalltag abgehaltene Skatabend keiner versicherten Gemeinschaftsveranstaltung gleichzuerachten. Mit Rücksicht auf seine dreistündige Dauer hält auch der erkennende Senat die Annahme des LSG. für gerechtfertigt, daß der innere ursächliche Zusammenhang des gegen 20 Uhr angetretenen Heimwegs St's. mit seiner um 17 Uhr beendeten Arbeitsschicht nicht nur unterbrochen, sondern endgültig gelöst war. Zu einem anderen Ergebnis führt auch nicht die Beurteilung des vorliegenden Sachverhalts unter den rechtlichen Gesichtspunkten, welche der erkennende Senat in seiner Entscheidung vom 3. April 1958 (SozR. RVO § 543 Bl. Aa 4 Nr. 7) entwickelt hat. Danach kommt es zwar bei der Entscheidung der Frage, ob der Zusammenhang des Heimwegs St's. mit seiner vorangegangenen Betriebsarbeit durch seine Teilnahme an dem Skatabend lediglich unterbrochen worden war, sodaß der Versicherungsschutz für den Weg nach Hause fortbestanden hätte, oder ob dieser Zusammenhang durch die dazwischen liegende private Betätigung endgültig gelöst worden war, so daß auch der Heimweg unversichert geblieben wäre, nicht entscheidend auf die Dauer der Unterbrechung an. Zu berücksichtigen sind vielmehr die näheren Umstände, welche die Art der Unterbrechung im gegebenen Fall kennzeichnen und von denen die Dauer der Unterbrechung nur eines ihrer mehreren Wesenselemente ist. In der angeführten Streitsache war der Versicherungsschutz für die unfallbringende Heimfahrt des Verletzten bejaht worden, weil die Teilnahme an einer etwa zweistündigen Geburtstagsfeier von Arbeitskameraden in unmittelbarer Nähe des Betriebsgeländes in ihrer Beziehung zur versicherten Tätigkeit nach Lage des Falles nicht so entfernt war, daß eine Lösung des Zusammenhangs mit der Folge der Versagung des Versicherungsschutzes für den Heimweg anzunehmen war. Auch in der von den Klägerinnen zur Stützung ihrer Revision erwähnten Entscheidung des erkennenden Senats vom 30. Juli 1959 (BSG. 10 S. 226) bestand eine ausreichende Beziehung der Heimfahrt zur versicherten Tätigkeit. Der Verletzte hatte nachts etwa fünf Stunden eine Motorradreparatur abgewartet, um Gelegenheit zu erhalten, seinen 10 km weiten Heimweg, für den keine sonstige Fahrgelegenheit um diese Zeit bestand, zurücklegen zu können. In dem hier zu entscheidenden Streitfall hingegen ist kein Anhalt dafür ersichtlich, daß die Skatabende – vor allem der am Unfalltag – durch rechtserhebliche Rücksichten auf die betriebliche Verbundenheit der Teilnehmer bestimmt waren. Im Unterschied gerade zu dem angeführten Fall der Geburtstagsfeier, der sich die Arbeitskameraden mit Rücksicht auf ihre betriebliche Zugehörigkeit nur schwerlich hätten entziehen können, bestanden hier keine derartigen auf eine gemeinsame Betriebsarbeit zurückzuführenden Bindungen.
St. hat schließlich seine betriebliche Tätigkeit auch nicht dadurch wieder aufgenommen, daß er im Auftrag der Betriebsleitung nach Beendigung der Skatabende die Dampfheizung abstellte, das Licht ausschaltete, sonstige Betriebseinrichtungen (Kessel und Lagertanks) kontrollierte und die Türen verschloß. Diese Verrichtungen gehörten zu seinen täglichen Aufgaben, die ihm als Werkmeister nach Arbeitsschluß oblagen. Daß er sie an den Skatabenden erst nach deren Beendigung vornehmen konnte, hing ausschließlich mit der seinem privaten Lebensbereich zuzurechnenden Teilnahme an den Spielabenden zusammen. Die dem ordnungsmäßigen Verlassen der Betriebsstätte dienenden Tätigkeiten waren zwar betrieblicher Art; sie stellten aber nur eine selbstverständliche Abschlußtätigkeit der privaten geselligen Zusammenkünfte dar. Daran ändert auch nichts, daß St. dabei Betriebseinrichtungen bedienen mußte. Eine solche Abschlußtätigkeit war, wie das LSG. zutreffend angenommen hat, jedenfalls nicht geeignet, nach der eingetretenen Lösung den rechtlich wesentlichen Zusammenhang zwischen dem Heimweg St's. und seiner gegen 17 Uhr beendeten Betriebstätigkeit wiederherzustellen.
Die Revision war somit als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Unterschriften
Brackmann, Demiani, Hunger
Fundstellen