Leitsatz (amtlich)

1. In die - die Versicherungspflicht eines Handwerkers begrenzende - Zahl von 216 Monatsbeiträgen " für eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit" (HwVG § 1 Abs 1) sind Beiträge, die auf Grund des HVG § 10 Abs 1 für Zeiten vor dem 1939-01-01 zur Angestelltenversicherung nachentrichtet worden sind, nicht einzurechnen.

2. Die Vergünstigung des HwVG § 4 Abs 4, wonach für die in HwVG § 3 Abs 2 aufgeführten Zeiten keine Beiträge entrichtet zu werden brauchen, gilt nicht nur für sogenannte Kleinhandwerker (HwVG § 4 Abs 5 Nr 2), sondern für alle Handwerker.

 

Normenkette

HwVG § 4 Abs. 4 Fassung: 1960-09-08, § 3 Abs. 2 Fassung: 1960-09-08, § 4 Abs. 5 Nr. 2 Fassung: 1960-09-08, § 10 Abs. 1, § 1 Abs. 1 Fassung: 1960-09-08

 

Tenor

Das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 17. November 1964 wird insoweit aufgehoben, als die auf Aufhebung der Beitragsanforderung der Beklagten gerichtete Klage für mehr als drei Monatsbeiträge abgewiesen worden ist. In diesem Umfang wird der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Gründe

Der Kläger ist seit 1936 als selbständiger Bäckermeister in der Handwerksrolle eingetragen. Er beschäftigt in seinem Betrieb mehrere Gesellen, einen Lehrling, Ladenhilfen und Brotfahrer. Seit 1953 bezieht er eine Rente wegen Berufsunfähigkeit aus der Angestelltenversicherung (AnV). Der Berechnung dieser Rente liegen 213 Monatsbeiträge zugrunde, davon 36 Monatsbeiträge, die der Kläger auf Grund des § 10 Abs. 1 des Gesetzes über die Altersversorgung für das Deutsche Handwerk vom 21. Dezember 1938 (HVG) für Zeiten vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes nachentrichtet hat.

Nach der Verkündung des Handwerkerversicherungsgesetzes vom 8. September 1960 (HwVG), das die Handwerkerversicherung neu geordnet und auf die Rentenversicherung der Arbeiter übergeleitet hat, prüfte die beklagte Landesversicherungsanstalt die Versicherungspflicht des Klägers nach neuem Recht. Mit Bescheid vom 16. Oktober 1962 stellte sie fest, daß der Kläger erst 177 Monatsbeiträge für eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit entrichtet habe und somit - bis zur Erreichung von 216 Monatsbeiträgen (§ 1 Abs. 1 HwVG) - noch der Versicherungspflicht unterliege und weitere 39 Monatsbeiträge entrichten müsse. Vier Lebensversicherungsverträge, welche der Kläger mit verschiedenen Lebensversicherungsunternehmungen abgeschlossen hatte, sah die Beklagte nicht als geeignet an, zur Versicherungsfreiheit nach § 6 Abs. 1 und 3 HwVG in Verbindung mit §§ 3, 4 HVG zu führen.

Mit dem hiergegen erhobenen Widerspruch machte der Kläger Versicherungsfreiheit auf Grund der Lebensversicherungsverträge geltend. Außerdem beantragte er Befreiung von der Beitragspflicht nach § 4 Abs. 4 HwVG, weil er seit 1953 "arbeitsunfähig krank bzw. über 50 v.H. erwerbsunfähig und damit Rentenempfänger" sei.

Den Widerspruch wies die Widerspruchsstelle der Beklagten durch Bescheid vom 25. November 1963 zurück mit der Begründung, die Lebensversicherungsverträge genügten nicht den Anforderungen des Gesetzes zur Befreiung von der Versicherungspflicht, und der Kläger könne als Arbeitgeber mehrerer versicherungspflichtiger Arbeitnehmer auch nicht von der Entrichtung von Beiträgen für Zeiten der Arbeitsunfähigkeit befreit werden (§ 4 Abs. 4 HwVG, § 1259 Abs. 1 Nr. 1 der Reichsversicherungsordnung - RVO -).

Die auf Aufhebung der Bescheide und Feststellung der Beitragsfreiheit des Klägers gerichtete Klage ist in den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht (LSG) hat zur Begründung seines Urteils vom 17. November 1964, mit dem es die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 19. März 1964 zurückgewiesen hat, ausgeführt: Der Kläger unterliege der Versicherungspflicht nach § 1 Abs. 1 HwVG, weil er noch nicht für 216 Kalendermonate Beiträge für eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit entrichtet habe. Seine Lebensversicherungsverträge seien nicht geeignet, Versicherungsfreiheit zu begründen. Beiträge brauchten allerdings nach § 4 Abs. 4 HwVG für die in § 3 Abs. 2 HwVG genannten Zeiten - ua Zeiten der Arbeitsunfähigkeit i.S. des § 1259 Abs. 1 Nr. 1 RVO - auf Antrag nicht entrichtet zu werden. Durch die Verweisung auf § 4 Abs. 5 Nr. 2 HwVG sei jedoch klargestellt, daß die Beitragsfreiheit nur für sog. Kleinhandwerker eintrete, nämlich Handwerker, die in ihrem Gewerbebetrieb mit Ausnahme eines Lehrlings oder eines Verwandten ersten Grades keine Personen beschäftigten, die wegen dieser Beschäftigung rentenversicherungspflichtig seien. Zu diesem Personenkreis gehöre der Kläger aber nicht. - Weiter hat das LSG die Auffassung der Beklagten gutgeheißen, daß die von dem Kläger auf Grund des § 10 Abs. 1 HVG für die Zeit vor dem 1. Januar 1939 nachentrichteten Beiträge nicht in die - die Versicherungspflicht begrenzende - Zahl von 216 Monatsbeiträgen (§ 1 Abs. 1 HwVG) einzurechnen seien, weil sie nicht für eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit entrichtet worden seien, sondern freiwillige Beiträge dargestellt hätten.

Das LSG hat die Revision zugelassen.

Der Kläger hat das Rechtsmittel form- und fristgerecht eingelegt mit dem Antrag,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils die ergangenen Bescheide der Beklagten und ihrer Widerspruchsstelle aufzuheben, soweit die Anrechnung von 36 Monatsbeiträgen unterblieben ist.

Zur Begründung der Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 10 HVG und des § 1 Abs. 1 HwVG. Er meint, Beiträge, die - wenn auch freiwillig - nach § 10 Abs. 1 HVG nachentrichtet worden seien, müßten im Rahmen des § 1 Abs. 1 HwVG berücksichtigt werden; denn die Zahlung sei "als Folge der versicherungspflichtigen Tätigkeit geschehen". Rechne man die 36 Beiträge an, so habe der Kläger nur noch drei Beiträge - diese hat er inzwischen nachentrichtet - zu zahlen brauchen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie pflichtet der Auffassung des Berufungsgerichts bei.

Die Revision ist zulässig. Sie hat insofern Erfolg, als der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden muß.

In der Revisionsinstanz greift der Kläger die im Verwaltungsverfahren ergangenen Bescheide und die Urteile der Vorinstanzen insoweit nicht mehr an, als festgestellt worden ist, daß er mit dem Inkrafttreten des HwVG der Versicherungspflicht unterworfen war. Er wendet sich nur noch dagegen, daß er für die Zeit seit dem 1. Januar 1962 nicht nur drei, sondern weitere 36 Monatsbeiträge entrichten soll. Dies ergibt sich aus seinem Revisionsantrag in Verbindung mit der Revisionsbegründung und aus der Tatsache, daß er während des Verfahrens drei Monatsbeiträge entrichtet hat. Es geht somit nicht mehr um die - vom LSG verneinte - Rechtsfrage, ob die vom Kläger abgeschlossenen Lebensversicherungsverträge geeignet waren, zur Versicherungsfreiheit auf Grund des § 6 Abs. 1 HwVG in Verbindung mit §§ 3, 4 HVG zu führen. Zu entscheiden ist vielmehr nur noch, ob die auf Grund des § 10 Abs. 1 HVG für Zeiten vor dem 1. Januar 1939 nachentrichteten 36 Monatsbeiträge im Rahmen des § 1 Abs. 1 HwVG anzurechnen sind und - falls diese Frage zu verneinen ist - ob der Kläger auf Grund des § 4 Abs. 4 HwVG von der Beitragspflicht befreit ist.

Nach § 1 Abs. 1 HwVG sind Handwerker, die in die Handwerksrolle eingetragen sind, in der Rentenversicherung der Arbeiter versichert, solange sie nicht für 216 Kalendermonate Beiträge "für eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit" entrichtet haben. Die Zahl von 216 Monatsbeiträgen hätte der Kläger nur dann erreicht, wenn die 36 Monatsbeiträge, welche er auf Grund des § 10 Abs. 1 HVG für Zeiten vor dem 1. Januar 1939 nachentrichtet hat, im Rahmen des § 1 Abs. 1 HwVG anzurechnen wären. Dies ist, wie das LSG richtig entschieden hat, nicht der Fall.

Mit dem Begriffsinhalt der rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung (oder Tätigkeit) hat sich der erkennende Senat in seiner Entscheidung vom 18. Februar 1964 (BSG 20, 184) auseinandergesetzt. Darin hat er aufgezeigt, daß das Gesetz es zur Erfüllung des Begriffs zuweilen genügen läßt, wenn eine "ihrer Art nach" rentenversicherungspflichtige Beschäftigung ausgeübt wird, daß aber andere Vorschriften mit dem gleichen Begriff eine Beschäftigung im Auge haben, die "im konkreten Falle" die Versicherungspflicht nach sich zieht; schließlich ist in einer dritten Gruppe von Fällen zur Erfüllung des Tatbestandes zu fordern, daß nicht nur eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung ausgeübt wird, sondern dafür auch Beiträge entrichtet werden. Trotz der Verschiedenheit des Begriffsinhalts in den verschiedenen Vorschriften ist aber als Mindesterfordernis festzustellen, daß es sich um eine Beschäftigung oder Tätigkeit handeln muß, die ihrer Art nach der Versicherungspflicht in der deutschen Rentenversicherung unterliegt. Dies wird durch die zu § 25 Abs. 3 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) idF vor dem Rentenversicherungs-Änderungsgesetz (RVÄndG) vom 9. Juni 1965 ergangene Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 25. Mai 1965 - 1 RA 350/61 - (SozR Nr. 34 zu § 1248 RVO) nicht widerlegt, vielmehr bestätigt; darin ist ausgeführt, daß die - inzwischen geänderte - Fassung der Vorschrift irreführend sei, weil sie den Eindruck erwecke, als bedürfe es nur des Aufgebens einer "rentenversicherungspflichtigen" Beschäftigung oder Tätigkeit, um - beim Vorliegen der sonstigen gesetzlichen Voraussetzungen - in den Genuß des vorzeitigen Altersruhegeldes für weibliche Versicherte zu gelangen. An der somit zu fordernden Mindestvoraussetzung fehlt es bei der Tätigkeit, für welche der Kläger die in Rede stehenden 36 Monatsbeiträge nachentrichtet hat. Er hat sie für eine selbständige handwerkliche Tätigkeit aus der Zeit vor 1939 entrichtet; diese zog damals keine Rentenversicherungspflicht nach sich. Das HVG hat auch nicht etwa rückwirkend bis 1924 die Versicherungspflicht eingeführt, sondern lediglich den selbständigen Handwerkern die Befugnis zugesprochen, für gewisse Zeiten Beiträge nachzuentrichten. Die auf Grund des § 10 Abs. 1 HVG nachentrichteten Beiträge können infolgedessen keine Pflichtbeiträge gewesen sein. Dementsprechend ist in § 9 Abs. 4 der Durchführungsverordnung zum HVG ausgesprochen, daß die nach § 10 Abs. 1 HVG nachzuentrichtenden Beiträge "für die Erfüllung der Wartezeit als Pflichtbeiträge gelten". Mit dem Wort "gelten" ist zum Ausdruck gebracht, daß die Beiträge den Pflichtbeiträgen, obwohl sie dies nicht sind, gleichstehen. Die Gleichstellung ist indessen eingeschränkt; sie gilt nur "für die Erfüllung der Wartezeit". Diese Regelung war für Handwerker, die auf Grund ihres Alters oder aus sonstigen Gründen mit baldiger Invalidität rechnen mußten, insofern von großer Bedeutung, als die Wartezeit nach damaligem Recht mit Pflichtbeiträgen schneller erfüllt werden konnte als mit freiwilligen Beiträgen (§ 31 AVG idF des Ausbaugesetzes vom 21. Dezember 1937, § 1262 RVO aF). In anderer Hinsicht als für die Erfüllung der Wartezeit gelten die nach § 10 Abs. 1 HVG nachentrichteten Beiträge nicht als Pflichtbeiträge, so beispielsweise nicht für die außerordentliche Möglichkeit des § 35 Abs. 2 AVG idF vor dem Ausbaugesetz, eine erloschene Anwartschaft durch Entrichtung von 24 bzw. 48 Monatsbeiträgen "auf Grund der Versicherungspflicht ..." wiederaufleben zu lassen, und auch nicht hinsichtlich der Vorschriften über das Ruhen der Renten nach § 40 AVG aF und §§ 1274 ff RVO aF (vgl. RVA, grunds.Entsch. Nr. 5396, AN 1940, 451; Haaß/Glanzmann, Handwerkerversorgungsgesetz, § 10 Anm. 52; Schraft, Die Innungskrankenkasse 1939, 347 und 1940, 7, 9). Der Auffassung, daß die nach § 10 Abs. 1 HVG nachentrichteten Beiträge nur für die Erfüllung der Wartezeit als Pflichtbeiträge gelten, steht nicht entgegen, daß man mit solchen Beiträgen erloschene Anwartschaften durch Ausfüllen von Beitragslücken, die in der Vergangenheit entstanden waren, oder durch Herstellung der Halbdeckung (§ 32 AVG, § 1265 RVO idF von 1938) wieder wirksam machen konnte. Hierzu waren freiwillige Beiträge ebensowohl geeignet wie Pflichtbeiträge.

Die Auffassung des Senats, daß die nach § 10 Abs. 1 HVG nachentrichteten Beiträge nicht für eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit i.S. des § 1 Abs. 1 HwVG entrichtet worden sind, wird durch die Regelung der Nachversicherung nach §§ 1232, 1402 RVO gestützt. In diesen Fällen werden Beiträge nachentrichtet für Beschäftigungen, die - im Unterschied zur selbständigen Tätigkeit der Handwerker vor der Einführung der Handwerkerversicherung - bereits zur Zeit ihrer Verrichtung "ihrer Art nach" der Versicherungspflicht unterlagen. Obwohl man also schon hieraus die Berechtigung herleiten könnte, nach dem Wegfall der Versicherungsfreiheit eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung für die Vergangenheit anzunehmen, hat der Gesetzgeber sich zu dem Ausspruch veranlaßt gesehen, daß eine Beschäftigung oder Tätigkeit, für die im Wege der Nachversicherung Beiträge nachentrichtet worden sind, "einer rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit gleichsteht" (§ 1232 Abs. 5a RVO) und daß die nachzuentrichtenden Beiträge "als rechtzeitig entrichtete Pflichtbeiträge gelten" (§ 1402 Abs. 4 RVO). Im Gegensatz hierzu hat der Gesetzgeber von 1939 in einem Falle, in dem ein Ausspruch über eine völlige Gleichstellung von nachentrichteten Beiträgen mit den vom Inkrafttreten des Gesetzes an zu entrichtenden Pflichtbeiträgen unerläßlich gewesen wäre, sich darauf beschränkt, jene Beiträge "(nur) für die Erfüllung der Wartezeit" als Pflichtbeiträge gelten zu lassen.

Da bei der Neuregelung der Handwerkerversicherung durch das HwVG die Begrenzung der Zeit der Pflichtversicherung ua damit begründet worden ist, daß die Handwerker im Alter nicht ausschließlich auf ein Renteneinkommen angewiesen seien, drängt sich die Frage auf, ob nicht in jedem Falle eine Beitragszeit von 216 Kalendermonaten als ausreichende Grundlage für die Rente anzusehen und der Handwerker demgemäß nicht gezwungen sein soll, darüber hinaus noch weiterhin der Versicherung anzugehören. Dies würde bedeuten, daß nicht nur die nach § 10 Abs. 1 HVG nachentrichteten Beiträge im Rahmen des § 1 Abs. 1 HwVG berücksichtigungsfähig wären, sondern auch diejenigen, welche ein Handwerker zwischen 1924 und 1939 - also zu einer Zeit, als noch mit keiner Handwerkerversicherung zu rechnen war - für Zeiten seiner Selbständigkeit freiwillig entrichtet hatte; denn auch diese Beiträge gelten kraft gesetzlichen Ausspruchs "für die Erfüllung der Wartezeit als Pflichtbeiträge" (§ 10 Abs. 3 HVG). Daß eine so weitgehende Absicht bestanden hätte, ist nicht ohne weiteres anzunehmen; jedenfalls hat ein solcher Wille, zumal im Hinblick auf den entgegenstehenden Wortlaut des § 10 Abs. 1 HVG und des § 1 Abs. 1 HwVG, im Gesetz keinen hinreichenden Niederschlag gefunden. Allein die Befugnis zum "Beitragseinkauf" nach § 10 Abs. 1 HVG mit der Wirkung, daß dadurch ein sofortiger oder jedenfalls baldiger Versicherungsschutz eintreten konnte, ist als eine sehr bedeutsame Begünstigung des Handwerkers angesehen und gepriesen worden (vgl. Schraft aaO S. 347 ff). Daß sich die Beitragsnachentrichtung darüber hinaus auf die Pflichtversicherungszeit der Handwerker, deren Begrenzung auf 18 Jahre ohnehin für die pflichtversicherten Arbeitnehmer während der Beratung des Gesetzes ein Stein des Anstoßes gewesen war (vgl. BT-Drucks. III, 1379 A I zu Ziff. 3), in einer entsprechenden Verkürzung auswirken sollte, läßt sich aus dem Gesetz nicht herleiten.

Im Schrifttum wird die Auffassung des Senats, daß die auf Grund des § 10 Abs. 1 HVG für Zeiten vor dem 1. Januar 1939 nachentrichteten Beiträge im Rahmen des § 1 HwVG nicht zu berücksichtigen sind, soweit ersichtlich, einhellig geteilt (vgl. Kommentar zur RVO, Viertes und Fünftes Buch, herausgegeben vom Verband Deutscher Rentenversicherungsträger, Anhang E S. 14 Buchst. b; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Band III, 786; Kahmann/Jahn/Hoernigk, Das Handwerkerversorgungsrecht, § 1 HwVG Anm. 3 S. K 10; Jorks, Handwerkerversicherungsgesetz, § 1 Anm. 48; Mitteilungen der Landesversicherungsanstalt Oberfranken und Mittelfranken 1965 S. 70, 72).

Das LSG hat es hiernach mit Recht abgelehnt, die streitigen 36 Monatsbeiträge in die nach § 1 Abs. 1 HwVG maßgebende Zahl von 216 Monatsbeiträgen einzurechnen.

In der Frage, ob der Kläger auf seinen am 15. November 1962 an die Beklagte gerichteten Antrag hin gemäß § 4 Abs. 4 HwVG von der Beitragsentrichtung freizustellen ist, hat der Senat die Rechtsauffassung der Vorinstanzen nicht gebilligt. Seiner Freistellung steht nicht schon die Tatsache entgegen, daß der Kläger mehrere rentenversicherungspflichtige Arbeitnehmer beschäftigt, also kein sog. Klein- oder Alleinhandwerker ist. Nach § 4 Abs. 4 HwVG brauchen "für die in § 3 Abs. 2 aufgeführten Zeiten" auf Antrag keine Beiträge entrichtet zu werden. Nach § 3 Abs. 2 HwVG werden ua Zeiten der Krankheit i.S. des § 1251 Abs. 1 und der Arbeitsunfähigkeit i.S. des § 1259 Abs. 1 Nr. 1 RVO bei Anwendung dieser Vorschriften nur dann berücksichtigt, also Ersatz- bzw. Ausfallzeiten nur dann angerechnet, wenn der Handwerker während dieser Zeiten keine anderen als die in § 4 Abs. 5 Nr. 2 HwVG genannten Personen - einen Lehrling oder einen Verwandten ersten Grades - beschäftigt hat. Aus der in § 4 Abs. 4 HwVG enthaltenen Verweisung auf § 3 Abs. 2 hat das LSG zu Unrecht gefolgert, daß auch der Nebensatz "wenn der Handwerker während dieser Zeiten keine anderen ... beschäftigt hat" im Rahmen des § 4 Abs. 4 HwVG zu berücksichtigen sei. Schon der Wortlaut dieser Vorschrift legt eine gegenteilige Deutung nahe. Es wird nämlich nur auf die in § 3 Abs. 2 "aufgeführten Zeiten" - also Zeiten der Krankheit, Arbeitsunfähigkeit usw. - verwiesen, nicht aber etwa gesagt: "unter den in § 3 Abs. 2 angeführten Voraussetzungen". Widerlegt wird die Auffassung der Beklagten und des Berufungsgerichts durch die Materialien zum HwVG, insbesondere den Schriftlichen Bericht des Ausschusses für Sozialpolitik (20. Ausschuß - BT-Drucks. III 1379). Nachdem der mitberatende Ausschuß für Mittelstandsfragen zur Frage der Beitragsbelastung der Handwerker darauf hingewiesen hatte, daß auch für Handwerker, die mehrere Lehrlinge oder einen Gesellen beschäftigen, bei ungünstiger Geschäftslage oder durch Krankheitsfälle Härten entstehen könnten, hat der federführende 20. Ausschuß eine Milderung der Beitragsbelastung abgelehnt mit der Begründung, daß ein zeitweiliges Übergewicht der Betriebsausgaben gegenüber den Einnahmen schon nach bisherigem Recht die Versicherungspflicht nicht berührt habe, im übrigen aber "für die Zeit längerer mit Arbeitsunfähigkeit verbundener Krankheit eine Beitragsbefreiung vorgesehen" sei (BR-Drucks. aaO S. 3). Dieser erklärende Hinweis bezieht sich eindeutig nicht nur auf sog. Kleinhandwerker, sondern auf alle Handwerker. Der Gesetzgeber hat demnach allen Handwerkern die Möglichkeit einräumen wollen, sich ua während länger dauernder Arbeitsunfähigkeit von der Beitragspflicht befreien zu lassen. Dieser Wille ist im Gesetz hinreichend deutlich zum Ausdruck gekommen. Dem steht nicht entgegen, daß bei der Anrechnung von Ersatz- und Ausfallzeiten nach § 3 Abs. 2 HwVG nur sog. Kleinhandwerker eine bevorzugte Sonderstellung genießen, weil nur sie bei längerer Krankheit oder Arbeitsunfähigkeit in der Regel einen ins Gewicht fallenden Einkommensausfall aufzuweisen haben. Bei der Freistellung von der Beitragspflicht kann die Gleichbehandlung aller Handwerker damit erklärt werden, daß die Beitragsfreiheit eine weniger weitgehende Vergünstigung darstellt als die Anrechnung von Ersatz- und Ausfallzeiten; mit der Befreiung von der Beitragspflicht ist nämlich ein Ausfall an Beitragszeiten und damit auch an späteren Versicherungsleistungen verbunden.

Ob der Kläger den Tatbestand des § 1259 Abs. 1 Nr. 1 RVO idF vor dem RVÄndG - Unterbrechung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit durch eine infolge Krankheit oder Unfall bedingte länger als sechs Wochen andauernde Arbeitsunfähigkeit - seit 1953 ununterbrochen oder auch nur zeitweise erfüllt hat, steht trotz des Rentenbezugs des Klägers bisher nicht fest. Das LSG ist der dahingehenden Behauptung des Klägers nicht nachgegangen, weil es von seinem Rechtsstandpunkt aus hierzu nicht gezwungen war. Die fehlenden Feststellungen kann das BSG nicht treffen. Der Rechtsstreit muß deshalb unter Aufhebung des angefochtenen Teils des Berufungsurteils zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen werden.

Über die Kosten des Revisionsverfahrens wird das LSG in seinem abschließenden Urteil mit zu befinden haben.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2373482

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