Leitsatz (amtlich)
Zur Frage des Unfallversicherungsschutzes eines während des 2. Weltkrieges bei der Organisation Todt als Frontarbeiter im Gebiet der Sowjetunion beschäftigten belgischen Staatsangehörigen.
Normenkette
RVO § 548 Abs. 1 Fassung: 1963-04-30; SozSichAbk BEL Art. 43 Fassung: 1957-12-07
Tenor
Die Urteile des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 9. Februar 1971 und des Sozialgerichts Oldenburg vom 10. Februar 1970 sowie der Bescheid der Beklagten vom 6. Juli 1967 werden aufgehoben.
Die Beklagte wird verurteilt, dem Verletzten E. I Verletztenrente zu gewähren, und zwar an den Kläger, soweit der Anspruch auf ihn übergegangen ist.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Der belgische Staatsangehörige E. A. I (I.) wurde während des 2. Weltkriegs von der deutschen Polizei in Frankreich festgenommen und im Juni 1941 in Trier zur Organisation Todt (OT) verpflichtet. Er kam zur OT-Einheit Nr. 47 in Polen. Mit den vorrückenden deutschen Truppen gelangte die Einheit, die im Straßen- und Brückenbau eingesetzt wurde, in die Sowjetunion. Dort trat I. am 9. September 1942 bei der Arbeit auf eine Mine. Durch die dadurch ausgelöste Explosion verlor er den rechten Unterschenkel. Die Reichsausführungsbehörde für Unfallversicherung (RAfU) erkannte den Unfall mit Bescheid vom 11. August 1944 als Arbeitsunfall an und bewilligte I. vom 11. März 1943 an eine Teilrente von 70 v.H. und vom 1. Januar 1944 an eine Teilrente von 60 v.H. der Vollrente. Die Rente wurde wegen der Kriegsverhältnisse nicht mehr ausgezahlt.
Wegen der Folgen dieses Unfalls erhält I. vom Königreich Belgien durch das Ministerium für Volksgesundheit und Familie, Abteilung "Kriegszivilopfer", eine Rente.
Im Oktober 1963 beantragte das belgische Ministerium für Volksgesundheit und Familie bei der deutschen Verbindungsstelle (Hauptverwaltung der Bergbau-Berufsgenossenschaft) unter Bezugnahme auf das deutsch-belgische Sozialversicherungsabkommen, I. eine Rente aus der deutschen gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren. Mit dem an I. gerichteten Bescheid vom 6. Juli 1967 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Zur Begründung führte sie aus: Nach dem Allgemeinen Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Belgien über Soziale Sicherheit vom 7. Dezember 1957 (Allgem. Abk.) - BGBl II 1963, 404 ff (406 ff) - seien die Träger der Unfallversicherung in der Bundesrepublik Deutschland zur Gewährung von Leistungen nur verpflichtet, wenn das schädigende Ereignis im Sinne der Reichsversicherungsordnung (RVO) im Gebiet der heutigen Bundesrepublik oder im Gebiet von Berlin (West) oder außerhalb dieser Gebiete, jedoch im Zusammenhang mit einer Beschäftigung im Bundesgebiet oder in Berlin (West) eingetreten sei. Der Einsatz des Verletzten als Frontarbeiter bei der OT in Rußland habe nicht im Zusammenhang mit einer Tätigkeit im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland oder des Landes Berlin (West) gestanden.
Gegen diesen Bescheid hat das Königreich Belgien unter Hinweis auf das ihm in Art. 7 Abs. 3 der Dritten Zusatzvereinbarung zum Allgem. Abk. zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Belgien über Soziale Sicherheit vom 7. Dezember 1957 (3. ZV) - BGBl II 1963, 404 ff (438 ff) - eingeräumte Recht Klage erhoben. Es hat im Laufe des Rechtsstreits eine Vollmacht des Verletzten vorgelegt, in der dieser den belgischen Minister für Volksgesundheit ermächtigt, gegen den Bescheid vom 6. Juli 1967 Klage zu erheben und seine Rechte wahrzunehmen. Mit der Klage hat das Königreich Belgien geltend gemacht: Die Voraussetzungen für die Gewährung einer Entschädigung aus der deutschen gesetzlichen Unfallversicherung seien erfüllt. Der Unfall habe sich im Zusammenhang mit einer Beschäftigung im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland oder des Landes Berlin (West) ereignet. Die OT habe ihren Sitz in Berlin (West) gehabt. Außerdem habe I. zur Zeit des Unfalls als OT-Angehöriger für die Firma O Bau gearbeitet, die ihren Sitz in Aschaffenburg, also im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland, gehabt habe.
Das Sozialgericht (SG) Oldenburg hat die Klage durch Urteil vom 10. Februar 1970 abgewiesen: Ein sogenannter Ausstrahlungsfall liege nicht vor. Der Sitz der Zentralstelle der OT in Berlin könne nicht als Beschäftigungsort des Verletzten angesehen werden.
Das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen hat die Berufung des Königreichs Belgien durch Urteil vom 9. Februar 1971 zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt:
Der geltend gemachte Anspruch sei nach Art. 50 iVm Anhang G Abschnitt I A Nr. 1 Buchst. a und b und Abschnitt G der Verordnung Nr. 3 des Rates der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft über die Soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer vom 25. September 1958 (EWG-VO Nr. 3 - BGBl II 1959, 473 ff) zu beurteilen, da die EWG-VO Nr. 3 nach ihrem Art. 5 an die Stelle des Allgem. Abk. und der ZVen getreten sei. Ein sogenannter Ausstrahlungsfall sei jedoch nicht gegeben. I. habe als Angehöriger der OT in Rußland keine Tätigkeit ausgeübt, die im Zusammenhang mit einer Beschäftigung im Gebiet der jetzigen Bundesrepublik Deutschland oder des Landes Berlin (West) gestanden habe. Es möge zutreffen, daß I. zur Zeit des Unfalls mit Angehörigen der Firma O Bau, Aschaffenburg, zusammengearbeitet habe. Er sei jedoch bei dieser Firma nicht beschäftigt und damit auch nicht bei der für diesen Betrieb zuständigen Bayerischen Bau-Berufsgenossenschaft gegen Arbeitsunfall versichert gewesen. Die Zentrale der OT habe ihren Sitz zwar im Gebiet des heutigen Landes Berlin (West) gehabt. I. sei aber nicht Arbeitnehmer dieser Zentrale gewesen. Die Zentralverwaltung der OT könne nicht als Beschäftigungsort für alle OT-Angehörigen angesehen werden. I. sei niemals bei der OT-Zentrale in Berlin beschäftigt gewesen. Beschäftigungsort sei nach § 153 RVO der Ort, an dem die Beschäftigung tatsächlich stattgefunden habe. Im übrigen sei im Juni 1941 noch nicht abzusehen gewesen, wie lange I. außerhalb der Gebiete der heutigen Bundesrepublik Deutschland und des Landes Berlin (West) habe arbeiten sollen. Bei einer auf unbestimmte Zeit im Ausland zu verrichtenden Tätigkeit liege aber - wie Art. 13 der EWG-VO Nr. 3 zeige - ein Ausstrahlungsfall nicht mehr vor. Die Beklagte sei an den Bescheid der RAfU vom 11. August 1944 nicht gebunden. Das EWG-Recht begründe selbständige, gegenüber dem früheren Recht neue Leistungsansprüche. Auch nach der VO zur Überführung der Ausführungsbehörde für Unfallversicherung in der britischen Zone vom 14. März 1951 (Überführungs-VO - BGBl I S. 190) komme nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) eine Haftung der Beklagten aus dem Gesichtspunkt der Rechts- oder Funktionsnachfolge nicht in Betracht. Die Überführungs-VO enthalte eine ausschließlich organisatorische Regelung in dem Sinne, daß die Beklagte die für die Feststellung neuer Leistungen und die Zahlung laufender Renten zuständige Stelle sein soll.
Das LSG hat die Revision zugelassen.
Der Kläger hat dieses Rechtsmittel eingelegt und es im wesentlichen wie folgt begründet: Die Entscheidung des LSG stütze sich zum Nachteil des Klägers zu Unrecht auf die EWG-VO Nr. 3. Das LSG habe das deutsch-belgische Sozialversicherungsabkommen, das durch die EWG-VO Nr. 3 nicht an Bedeutung verloren habe, außer acht gelassen. Der Arbeitsunfall sei von der Beklagten schon deswegen zu entschädigen, weil sie aufgrund der Bindungswirkung des Bescheides der RAfU vom 11. August 1944 nach Art. 54 Abs. 3 Buchst. b des Allgem. Abk. zur Leistung verpflichtet gewesen sei. Nach Art. 4 Abs. 3 der 3. ZV seien Rentennachzahlungsanträge belgischer Berechtigter, sofern der früher zuständig gewesene deutsche Versicherungsträger nicht mehr bestehe, von der belgischen Verbindungsstelle an die zuständigen Träger weiterzuleiten. Als zuständiger Träger könne nur die Bundesausführungsbehörde für Unfallversicherung (BAfU) angesehen werden. Diese Auslegung entspreche dem Sinn des Allgem. Abk., den belgischen Berechtigten Wiedergutmachung zu gewähren. Wenn die Beklagte die Bindungswirkung des Bescheids der RAfU nicht gegen sich gelten lassen müsse, sei sie gemäß Art. 43 Abs. 1 Buchst. a des Allgem. Abk. zur Gewährung einer Entschädigung verpflichtet, weil der Arbeitsunfall sich im Zusammenhang mit einer Beschäftigung im Gebiet der Bundesrepublik oder des Landes Berlin (West) ereignet habe. Aus Art. 3 Abs. 1 der 3. ZV ergebe sich eindeutig, daß die Entschädigungsfälle erfaßt werden sollten, die sich vor Errichtung der Bundesrepublik Deutschland ereignet hätten. Eine Einschränkung des Ausstrahlungsprinzips sei nicht beabsichtigt gewesen. Bei sinngemäßer Auslegung des Art. 43 Abs. 1 Buchst. a Allgem. Abk. könne der Unfall jedenfalls nicht von der mit dieser Vereinbarung beabsichtigten Wiedergutmachung ausgeschlossen werden.
In der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Senat hat der Kläger ausgeführt, daß auch der Verletzte am Rechtsstreit als Kläger beteiligt sei; dies ergebe sich aus der in den Akten befindlichen Vollmacht,
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung der Urteile 2. und 1. Instanz und des Bescheids der Beklagten zu verurteilen, dem Verletzten I für die Folgen des Arbeitsunfalls vom 9.9.1942 eine dem Grad der unfallbedingten Minderung der Erwerbsfähigkeit angemessene Verletztenrente ab 1.10.1944 zu gewähren und ihr aufzugeben, dem Verletzten die außergerichtlichen Kosten des gesamten Rechtsstreits zu erstatten,
hilfsweise:
den Rechtsstreit unter Aufhebung des angefochtenen Urteils an das Landessozialgericht Niedersachsen zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen,
weiter hilfsweise:
das Verfahren auszusetzen, um den Rechtsstreit nach Art. 52 Abs. 2 des Allgem. Abkommens einem Schiedsgericht zu unterbreiten.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
II
Entgegen der Ansicht des Königreichs Belgien ist nur dieses als Kläger am Rechtsstreit beteiligt, in welchem es sowohl aus eigenem als auch aus übergegangenem Recht klagt (Art. 7 Abs. 3 der 3. ZV). Der Verletzte hat zwar dem sachlich zuständigen Minister des Königreichs Vollmacht zur Verfolgung seiner Rechte erteilt. Dieses hat von ihr in den Vorinstanzen jedoch keinen Gebrauch gemacht, sondern - wie die jeweils gestellten Prozeßanträge erkennen lassen - lediglich aufgrund seiner ihm durch Art. 7 Abs. 3 der 3. ZV eingeräumten Rechte den Rechtsstreit geführt.
In der Revisionsinstanz ist eine Einbeziehung des Verletzten in den Rechtsstreit als Kläger ausgeschlossen (§ 168 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).
In der Sache hat die Revision Erfolg.
Zutreffend geht das Berufungsgericht in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats davon aus, daß die Beklagte nicht schon aufgrund des Bescheids des RAfU vom 11. August 1944 nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 der Verordnung zur Überführung der Ausführungsbehörde für Unfallversicherung (UV) in der britischen Zone zur Leistung verpflichtet ist (BSG 15, 295, 297; BG 1965, 237; Urteile des erkennenden Senats vom 14.12.1960 - 2 RU 253/57 - und vom 31.1.1967 - 2 RU 11/64). Ob die Ansicht der Revision zutrifft, daß die Beklagte zur Übernahme der von der RAfU festgestellten Unfallentschädigung aufgrund des Art. 54 Abs. 3 Buchst. b des Allgem. Abk., welcher allerdings nicht unter den weitergeltenden Vorschriften im Anhang D der EWG-VO Nr. 3 aufgeführt ist, verpflichtet sei, braucht nicht entschieden zu werden. Ebenso kann dahingestellt bleiben, ob dem Verletzten nicht schon nach § 5 Abs. 1 Nr.1, Abs. 4 Satz 1 des Fremdrentengesetzes (FRG) ein Rechtsanspruch zusteht und dessen Ruhen nach § 12 FRG aufgrund des Art. 4 Abs. 1 des Allgem. Abk. ausgeschlossen ist. Es bedarf auch keiner Entscheidung, ob Art. 43 Abs. 1 des Allgem. Abk. eine Einschränkung des in Art. 4 Abs. 1 enthaltenen Grundsatzes, daß der Wohnsitz oder gewöhnliche Aufenthalt außerhalb des Gebiets der Bundesrepublik Deutschland versicherungsrechtlich unschädlich ist, bedeutet ("soweit ..."). Schließlich ist auch nicht darüber zu entscheiden, ob in der vorliegenden Sache Art. 4 Abs. 1, 43 Abs. 1 des Allgem. Abk. oder Art. 10 Abs. 1, Art. 50 der EWG-VO Nr. 3 iVm deren Anhang G I Buchst. a Nr. 1 Buchst. b anzuwenden sind. Zwischen diesen Vorschriften des Allgem. Abk. und der EWG-VO Nr. 3 besteht, soweit der vorliegende Sachverhalt zu beurteilen ist, inhaltlich kein wesentlicher Unterschied. Der Anspruch des Verletzten ist jedenfalls nach Art. 4 Abs. 1, 43 Abs. 1 des Allgemeinen Abkommens (Art. 10 Abs. 1, Art. 50 der EWG-VO Nr. 3 iVm deren Anhang G I Buchst. A Nr. 1 Buchst. b) gegeben.
Danach kommt es darauf an, daß der Unfall, den der Verletzte im Jahre 1942 in der Sowjetunion erlitten hat, im Zusammenhang mit einer Beschäftigung im Gebiet der Bundesrepublik oder des Landes Berlin (West) eingetreten ist. Diese Fassung des Gesetzes zwingt, jedenfalls soweit es sich um Fälle handelt, welche - wie hier - in einer durch besondere Verhältnisse gekennzeichneten Vergangenheit liegen, nicht dazu, ihren Anwendungsbereich auf Fälle der von der Rechtsprechung entwickelten Ausstrahlungstheorie zu beschränken, welche in Durchbrechung des Territorialitätsprinzips den Geltungsbereich der deutschen Sozialversicherung unter bestimmten Voraussetzungen über die Staatsgrenzen hinaus erweitert (BSG 7, 257, 264 ff; 17, 173, 179; 20, 69, 70 ff). Sie trägt dem Umstand Rechnung, daß das Deutsche Reich während des 2. Weltkrieges, möglicherweise über die Grenze des Art. 43 der Anlage zur Haager Landkriegsordnung vom 18. Oktober 1907 (RGBl 1910, S. 107) hinaus (Näheres s. BSG 7, 257, 267 ff), in den von ihm besetzten Gebieten nicht nur Einheimische, sondern auch - in besonderem Maße in den sogenannten besetzten Ostgebieten - deutsche und ausländische Staatsangehörige als Hilfskräfte der besetzenden Truppen eingesetzt und sie der deutschen Sozialversicherung unterworfen hat.
Die Verordnung über Sozialversicherung in den besetzten Gebieten vom 4. August 1941 (RGBl I S. 486 = AN S. II 319) bezog lediglich in diesen Gebieten beschäftigte deutsche Staatsangehörige in die deutsche Sozialversicherung ein. Die Verordnung zur Durchführung und Ergänzung dieser Verordnung vom 10. Februar 1943 (RGBl I S. 90 = AN S. II 72) dehnte den Personenkreis weiter aus, auch auf Ausländer, die auf Veranlassung deutscher Stellen in den besetzten Gebieten tätig waren (§ 1 Abs. 1 Buchst. f); sie galt aber nicht in den besetzten Ostgebieten (§ 8 Abs. 1 Satz 2). Für diese sollten, soweit sie der Verwaltung des Reichsministers für die besetzten Ostgebiete unterstellt waren, besondere Durchführungsbestimmungen erlassen werden (Bogs, AN 1943 S. II 110). Allerdings hatte der Reichsarbeitsminister (RAM) bereits im Erlaß vom 23. Dezember 1941 (mitgeteilt bei Lauterbach, BG 1942, 62, 67) angeordnet, daß ausländische auf Veranlassung deutscher Stellen in den besetzten Ostgebieten eingesetzte Arbeitskräfte nach den Vorschriften der deutschen UV zu behandeln seien. Im Erlaß vom 17. März 1943, welcher in den AN 1943 S. II 132 veröffentlicht, jedoch ebenfalls nur an die Träger der UV, deren Aufsichtsbehörden und Verbände gerichtet ist, ersuchte der RAM - im Einvernehmen mit dem Reichsminister für die besetzten Ostgebiete und im Vorgriff auf eine beabsichtigte Rechtsverordnung - die reichsgesetzlichen UV-Vorschriften entsprechend der Verordnung vom 10. Februar 1943 in den besetzten Ostgebieten anzuwenden. Im Erlaß vom 29. März 1944 (AN S. II 77) schließlich bestimmte er, ebenfalls im Einvernehmen mit dem Reichsminister für die besetzten Ostgebiete, zur Behebung von Zweifeln - vorbehaltlich einer endgültigen Regelung im Verordnungswege -, daß über die UV hinaus das gesamte Sozialversicherungsrecht auf die in § 1 der Verordnung vom 10. Februar 1943 näher bezeichneten Beschäftigten in den besetzten Ostgebieten anzuwenden sei. Insgesamt gesehen sind diese Erlasse des RAM, unter Berücksichtigung der damaligen staatsrechtlichen Gegebenheiten (BVerfG 9, 63, 69; BSG 12, 157, 158 ff; 18, 93, 95 ff), als eine ausreichende Rechtsgrundlage für den UV-Schutz des Verletzten im Zeitpunkt seines Unfalls anzusehen. Dies wird auch dadurch deutlich, daß die RAfU im Bescheid vom 11. August 1944 einen Arbeitsunfall als vorliegend erachtet und eine Entschädigung bewilligt hat.
Der Auffassung des LSG, die von der Beklagten geteilt wird, ein Entschädigungsanspruch nach dem hier anzuwendenden Recht entfalle, weil der Verletzte lediglich außerhalb des Gebiets der Bundesrepublik und Berlins (West) beschäftigt gewesen, somit der erforderliche Zusammenhang mit einer Beschäftigung in diesen Gebieten nicht gegeben sei, wird nicht gefolgt. Es muß als ausreichend angesehen werden, daß der Verletzte im Gebiet der Bundesrepublik in ein der gesetzlichen UV unterliegendes Beschäftigungsverhältnis zur OT, einem Unternehmen des Reichs mit dem Sitz in West-Berlin, verpflichtet worden ist und, ohne hier eine Beschäftigung auszuüben, lediglich außerhalb der Grenzen der Gebiete der Bundesrepublik und des Landes Berlin Arbeiten verrichtet hat. Insofern liegt ein vergleichbarer Sachverhalt vor, wie er dem Art. 13 Buchst. a der EWG-VO Nr. 3 zugrunde liegt; in dieser Vorschrift hat der Gedanke der bereits erwähnten Ausstrahlung eines Beschäftigungsverhältnisses über die Staatsgrenzen hinweg seinen Niederschlag gefunden. Nach dem Beschluß der Verwaltungskommission der EWG vom 18. September 1959 (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften 1959, 1245) gilt diese Vorschrift "nicht nur für die Arbeitnehmer, die bereits in dem Land, aus dem sie entsandt worden sind, beschäftigt waren, sondern auch für diejenigen, die in diesem Land versichert gewesen wären, wenn sie dort von dem Unternehmen beschäftigt worden wären, das sie zur vorübergehenden Beschäftigung im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedsstaates eingestellt hat".
Da, wie von den Beteiligten nicht bezweifelt wird, die Voraussetzungen eines Arbeitsunfalls (§ 542 RVO in der damals geltenden Fassung) erfüllt sind und die Beklagte für die Entschädigung zuständig ist, ist der Klageanspruch dem Grunde nach begründet.
Deshalb war die Beklagte - unter Aufhebung ihres Bescheids und der Entscheidungen der Vorinstanzen-zu verurteilen, Verletztenrente zu gewähren.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 Abs. 4 SGG.
Fundstellen