Entscheidungsstichwort (Thema)

Ersatzansprüche der Sozialhilfeträger gegen die KK

 

Leitsatz (redaktionell)

Ersatzansprüche der Sozialhilfeträger gegen die KK bei Erkrankung an Tuberkulose richten sich nach BSHG § 59 Abs 2 S 2 in der bis zum 1969-09-30 geltenden Fassung, wenn der dem Ersatzanspruch zugrundeliegende Sachverhalt allein im Geltungszeitraum des alten Rechts liegt.

 

Normenkette

BSHG § 59 Abs. 2 S. 2; RVO § 1532 Fassung: 1924-12-15

 

Verfahrensgang

LSG Niedersachsen (Entscheidung vom 06.07.1971)

SG Hannover (Entscheidung vom 22.09.1970)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 6. Juli 1971 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Der Kläger als überörtlicher Träger der Sozialhilfe (§ 96 Abs. 2 des Bundessozialhilfegesetzes - BSHG -) begehrt von der beklagten Landwirtschaftlichen Krankenkasse - als Rechtsnachfolgerin der ursprünglich beklagten Landkrankenkasse (vgl. § 99 des Gesetzes über die Krankenversicherung der Landwirte vom 10. August 1972 - BGBl I 1433) - die Erstattung der vollen Kosten (7.038,10 DM), die er für die stationäre Behandlung der an Lungentuberkulose erkrankten Versicherten in der Zeit von 2. Juni 1967 bis zum 6. Februar 1968 vorläufig nach § 59 Abs. 1 BSHG übernommen hat. Die Beklagte lehnte die Kostenerstattung zunächst in vollem Umfang ab, weil die Erkrankung schon zur Zeit des Beitritts der Versicherten zu ihr bestanden habe (§ 310 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung - RVO -). In dem 1968 eingeleiteten Klageverfahren hat die Beklagte nach Beweiserhebung ihre Erstattungspflicht im Jahre 1970 anerkannt, aber nur im Rahmen der §§ 1531 bis 1543 RVO iVm § 59 Abs. 2 BSHG in der vor Inkrafttreten des Zweiten Änderungsgesetzes zum BSHG vom 14. August 1969 (2. ÄndG, BGBl I 1153) geltenden Fassung. Der nach § 1533 Nr. 2 iVm 1524 Abs. 1 Sätze 2 - 4 RVO aus 7/8 des Grundlohns von 12,- DM errechnete Erstattungsbetrag beläuft sich auf 2.625,- DM. Das Sozialgericht (SG) Hannover hat die auf den Restbetrag von 4.413,10 DM gerichtete Klage abgewiesen (Urteil vom 22. September 1970). Das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen (Urteil vom 6. Juli 1971) hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Der Sachverhalt, der dem Erstattungsanspruch zugrunde liege, habe im Zeitpunkt des Inkrafttretens der neuen Fassung des § 59 Abs. 2 BSHG - 1. Oktober 1969, Art. 2 § 9 des 2. ÄndG - abgeschlossen vorgelegen. Eine spätere Gesetzesänderung könne nur berücksichtigt werden, wenn ein entsprechender Geltungswille des Gesetzes erkennbar sei. Das sei auch unter Berücksichtigung der Tatsache nicht der Fall, daß nur für besondere Erstattungsfälle die Anwendung des alten Rechts ausdrücklich vorgeschrieben sei (Art. 2 § 2 des 2. ÄndG), für § 59 Abs. 2 BSHG aber nicht.

Der Kläger hat die zugelassene Revision eingelegt: Es sei zwar richtig, daß der Sachverhalt am 1. Oktober 1969 vollendet vorgelegen habe. Das hindere aber nicht die Anwendung des § 59 Abs. 2 BSHG in der von dieser Zeit an geltenden Fassung. Denn entgegen der Meinung des LSG müsse aus Art. 2 § 2 des 2. ÄndG im Wege des Umkehrschlusses gefolgert werden, daß das neue Recht anzuwenden sei. Außerdem habe er eine Leistungsklage erhoben, und in diesem Fall müsse auch nach Meinung der Kommentatoren zu der Verwaltungsgerichtsordnung das Gericht die Rechtslage zugrunde legen, die zur Zeit der Entscheidung gegeben sei. Neuerdings habe auch der 4. Senat des Bundessozialgerichts (Urteil vom 17.4.1973 - 4 RJ 121/72) in einem vergleichbaren Fall das neue Recht angewendet. Der Kläger beantragt,

die Urteile des SG Hannover vom 22. September 1970 und des LSG Niedersachsen vom 6. Juli 1971 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an ihn weitere 4.413,10 DM zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für richtig.

II

Die Revision ist nicht begründet.

Zu Recht haben die Vorinstanzen entschieden, daß die am 1. Oktober 1969 in kraft getretene Fassung des § 59 Abs. 2 BSHG, auf die sich der geltend gemachte Erstattungsanspruch allein stützt, nicht anzuwenden ist. Denn der Anspruch war zu dieser Zeit bereits aufgrund von § 59 Abs. 2 BSHG aF. entstanden, weil er auf Leistungen beruht, die der Kläger vorher gemäß § 59 Abs. 1 BSHG erbracht hatte. Da der dem Anspruch zugrundeliegende Sachverhalt allein im Geltungszeitraum des alten Rechts liegt, kann die Rechtsänderung grundsätzlich keine Einwirkung auf das - abgeschlossen vorliegende - Rechtsverhältnis zwischen den Beteiligten ausüben.

Von diesem allgemein anerkannten und auch von dem Kläger nicht in Zweifel gezogenen Grundsatz wäre nur abzuweichen, wenn sich das neue Recht erkennbar Geltung auch für früher entstandene Erstattungsansprüche beilegte. Auf einen solchen Willen weist, entgegen der Meinung des Klägers, die Übergangsvorschrift des Art. 2 § 2 des 2. ÄndG nicht hin. Hier ist zwar durch den Hinweis auf § 144 BSHG angeordnet, daß hinsichtlich neu geregelter Erstattungsansprüche zwischen den Sozialhilfeträgern (§§ 105 Satz 2 und 108 Abs. 1 BSHG) noch das alte Recht dann anzuwenden ist, wenn die Erstattung für Leistungen verlangt wird, die für eine vor Inkrafttreten des Gesetzes liegende Zeit gewährt worden sind (§ 144 Nr. 1. 1 BSHG). Aus dieser dem oben genannten Grundsatz entsprechende Regelung kann aber ein Umkehrschluß auf den Erstattungsanspruch nach § 59 Abs. 2 BSHG nicht gezogen werden. Denn abgesehen davon, daß ein solcher Schluß schon wegen der Verschiedenartigkeit der Erstattungsansprüche bedenklich wäre, wird durch den Hinweis auf § 144 BSHG die Anwendung des alten Rechts auch auf Fälle angeordnet (§ 144 Nr. 2 BSHG), bei denen sich diese Rechtsfolge nicht schon ohne weiteres aus dem oben genannten Grundsatz ergibt.

Die Meinung des Klägers, bei Leistungsklagen sei - unabhängig von dem materiell-rechtlichen Geltungsbereich neuen Rechts - immer das zur Zeit der Entscheidung geltende Recht anzuwenden, trifft nicht zu. Ist eine Leistungsklage auf einen in der Vergangenheit liegenden abgeschlossenen Sachverhalt gegründet, so ändert auch das Prozeßrecht nichts an dem Grundsatz, daß Rechtsänderungen nur zu berücksichtigen sind, wenn sie sich erkennbar Geltung auch für solche Sachverhalte beilegen. Das gilt entgegen der Ansicht des Klägers in gleicher Weise für das verwaltungsgerichtliche Verfahren.

Die Revision des Klägers war daher als unbegründet zurückzuweisen (§ 170 Abs. 1 Satz 1 SGG). Diese Entscheidung entspricht der von dem erkennenden Senat bereits in seinem Urteil vom 17. April 1970 - 3 RK 62/66 - (BSG 31, 112, 114) zu § 59 Abs. 2 BSHG geäußerten Rechtsansicht.. Das Urteil des 4. Senats vom 23. März 1973 - 4 RJ 121/72 -, in dem im wesentlichen über die Frage zu entscheiden war, ob in einem Tuberkulosehilfefall der Kranken- oder der Rentenversicherungsträger erstattungspflichtig sei, weicht hiervon nicht ab; die Höhe des Erstattungsbetrages war damals außer Streit.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1650188

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