Leitsatz (amtlich)
Eine nach Beginn der Rente wegen Erwerbsunfähigkeit liegende Zeit der durch Krankheit oder Unfall bedingten Unfähigkeit des Versicherten, die iS der Krankenversicherung zuletzt verrichtete oder eine ähnliche Beschäftigung oder Tätigkeit auszuüben, ist keine Ausfallzeit iS des RVO § 1259 Abs 1 Nr 1.
Normenkette
RVO § 1259 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1965-06-09; RKG § 57 Nr. 1 Fassung: 1965-06-09; RVO § 1247 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23; RKG § 47 Abs. 2 Fassung: 1957-05-21
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 16. Juli 1971 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten um die Höhe des dem Kläger zustehenden Knappschaftsruhegeldes (Gesamtleistung). Im einzelnen geht es um die Frage, ob ein Versicherter während des Bezuges einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit eine Ausfallzeit nach § 1259 Abs. 1 Nr. 1 der Reichsversicherungsordnung - RVO - (= § 57 Nr. 1 des Reichsknappschaftsgesetzes - RKG -) zurücklegen kann.
Dem 1903 geborenen, seit 22. Mai 1964 arbeitsunfähig erkrankt gewesenen Kläger hatte die beklagte Knappschaft im Jahre 1965 rückwirkend ab 1. Mai 1964 die Knappschaftsrente wegen Erwerbsunfähigkeit (Gesamtleistung) bewilligt. Vom 12. Mai bis 9. September 1967 arbeitete der Kläger versicherungspflichtig als Golfplatzwärter. Mit Bescheid vom 3. September 1968 hat die Beklagte die Erwerbsunfähigkeitsrente des Klägers unter zusätzlicher Berücksichtigung der Beitragszeit im Jahre 1967 in das Knappschaftsruhegeld umgewandelt.
Im Dezember 1968 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Anrechnung der Zeit seiner Arbeitsunfähigkeit von Mai 1964 bis April 1967 als Ausfallzeit im Wege der Erteilung eines Zugunstenbescheides. Mit dem streitigen Bescheid vom 22. Januar 1969, bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 22. April 1969, lehnte die Beklagte den Antrag ab.
Mit seiner hiergegen erhobenen Klage hatte der Kläger in den Vorinstanzen keinen Erfolg. In dem angefochtenen Urteil vom 16. Juli 1971 hat das Landessozialgericht (LSG) die Berufung des Klägers gegen das klageabweisende Urteil des Sozialgerichts (SG) zurückgewiesen und ausgeführt: Der Kläger hätte nur dann Anspruch auf den von ihm beantragten Zugunstenbescheid, wenn sich die Beklagte als im Sinne des § 93 Abs. 1 RKG überzeugt behandeln lassen müßte, daß die streitige Zeit einer Arbeitsunfähigkeit des Klägers als Ausfallzeit anzurechnen sei. Das sei aber schon deswegen nicht der Fall, weil die höchstrichterliche Rechtsprechung zu dieser Frage noch nicht gefestigt sei. Mit dem Beginn der Rente wegen Erwerbsunfähigkeit müsse die versicherungspflichtige Beschäftigung des Klägers nicht nur als durch Krankheit unterbrochen, sondern als beendet angesehen werden.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die zugelassene Revision des Klägers. Er trägt vor: Die streitige Zeit seiner Arbeitsunfähigkeit im Jahre 1967 sei von wirksamen Beitragszeiten "umrahmt". Sein Erwerbsleben sei mit dem Beginn der Erwerbsunfähigkeitsrente nicht beendet, sondern nur unterbrochen gewesen.
Der Kläger beantragt,
unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung, des Urteils des Sozialgerichts Kiel vom 16. Oktober 1970 sowie des Bescheides der Beklagten vom 3. September 1968 (22. Januar 1969), in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 22. April die Beklagte zu verurteilen, ihm das Altersruhegeld unter Anrechnung der Zeit vom 22. Mai 1964 bis 11. Mai 1967 als Ausfallzeit zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Sie ist der Auffassung, daß der Kläger mit Eintritt der Erwerbsunfähigkeit dauernd aus der rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeschieden sei, eine solche Beschäftigung oder Tätigkeit im vorliegenden Falle also nicht "unterbrochen" im Sinne des § 1259 Abs. 1 Nr. 1 RVO sei.
II.
Die Revision des Klägers ist zulässig, in der Sache aber nicht begründet. Die beklagte Knappschaft brauchte sich im Sinne des § 93 Abs. 1 RKG (§ 1300 RVO) nicht davon zu überzeugen, daß sie mit dem nicht angefochtenen, bindend gewordenen Bescheid vom 3. September 1968 das Altersruhegeld des Klägers zu niedrig festgestellt hat.
Nach § 1259 Abs. 1 Nr. 1 RVO (= § 57 Nr. 1 RKG) sind rentensteigernde Ausfallzeiten im Sinne des § 1258 Abs. 1 RVO (= § 56 Abs. 1 RKG) Zeiten. in denen eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit durch eine infolge Krankheit oder Arbeitsunfall bedingte Arbeitsunfähigkeit mindestens einen Kalendermonat unterbrochen worden ist, wenn sie in den Versicherungskarten oder sonstigen Nachweisen bescheinigt ist. Dem Kläger ist zwar darin zuzustimmen, daß der Begriff der Arbeitsunfähigkeit im Sinne dieser Bestimmung kein dem Recht der gesetzlichen Rentenversicherung eigener Rechtsbegriff ist, sondern dem Recht der gesetzlichen Krankenversicherung entstammt. Da § 1259 Abs. 1 Nr. 1 RVO Wirkungen ausschließlich für den Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung entfaltet, muß allerdings der Begriff der Arbeitsunfähigkeit bei Anwendung dieser Bestimmung den rentenrechtlichen Besonderheiten einer Ausfallzeit Rechnung tragen (vgl. die Entscheidung des erkennenden Senats vom 27. Februar 1973 - 5 RKn 35/71 -; vgl. ferner BSG 29, 77, 79; 32, 232, 233). Sinn und Zweck einer auf die Zahl der anrechnungsfähigen Versicherungsjahre anrechenbaren Ausfallzeit (§ 1258 RVO) ist es, dem Versicherten einen Ausgleich dafür zu geben, daß er infolge von ihm nicht zu vertretenden Umständen - der Ausfalltatbestände des § 1259 RVO - daran gehindert war, durch Verrichtung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit rentensteigernde Pflichtbeitragszeiten zurückzulegen. Das bedeutet, daß eine Zeit, während der der Versicherte infolge Krankheit gehindert war, seine bisherige oder eine ähnliche Tätigkeit auszuüben, dann nicht als Zeit einer Arbeitsunfähigkeit im Sinne des § 1259 Abs. 1 Nr. 1 RVO angesehen werden kann, wenn sie nach dem Zeitpunkt liegt, zu welchem der Versicherte erkennbar aus dem Arbeits- und Versicherungsleben dauernd ausgeschieden ist oder doch nach der generalisierenden Betrachtungsweise des Gesetzgebers als ausgeschieden gilt: In diesem Falle ist kein des rentenrechtlichen Ausgleichs bedürftiger Ausfall von Beitragszeiten gegeben. Das Gesetz trägt diesem Grundgedanken im Wortlaut des § 1259 Abs. 1 Nr. 1 RVO dadurch Rechnung, daß es von einer "Unterbrechung" der versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit u. a. durch eine Arbeitsunfähigkeit spricht, also davon ausgeht, daß trotz Eintritts der Arbeitsunfähigkeit das Arbeits- und Versicherungsleben des Versicherten noch nicht auf Dauer beendet ist.
Der Zeitpunkt des auf Dauer angelegten Ausscheidens aus dem Arbeits- und Versicherungsleben in dem dargelegten Sinn fällt mit dem Zeitpunkt zusammen, von dem an dem Versicherten zeitlich unbegrenzt Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zugebilligt worden ist: Zum einen ist der Versicherte von da an infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder von Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte so weit in seiner Erwerbsfähigkeit gemindert, daß er auf nicht absehbare Zeit eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit nicht mehr ausüben oder nicht mehr als nur geringfügige Einkünfte durch eine Erwerbstätigkeit erzielen kann (§ 1247 Abs. 2 RVO = § 47 Abs. 2 RKG); zum anderen erhält der Versicherte - unter gleichzeitigem Wegfall eines etwa bis dahin bestehenden Anspruchs auf Krankengeld (§ 183 Abs. 3 Satz 1 RVO) - ab diesem Zeitpunkt als Ersatz für das ausgefallene Arbeitseinkommen die mit dem höchsterreichbaren Steigerungssatz ausgestattete (§ 1253 Abs. 2 RVO = § 53 Abs. 2 RKG) Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung, also die in der Rentenversicherung für den Fall der Beendigung des Erwerbs- und Versicherungslebens als Lohnersatz vorgesehene finanzielle "Vollsicherung". Daß der Gesetzgeber den Rentenversicherten mit Beginn der Rente wegen Erwerbsunfähigkeit generell als auf Dauer aus dem Arbeits- und Versicherungsleben ausgeschieden betrachtet, bekräftigt im übrigen der Umstand, daß selbst eine nach diesem Zeitpunkt eingetretene Arbeitsunfähigkeit im streng krankenversicherungsrechtlichen Sinn ihre Bedeutung sogar für das Leistungsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung weithin eingebüßt hat: In diesem Fall besteht der im Grundsatz zeitlich unbegrenzte Anspruch auf Krankengeld (§ 183 Abs. 2 RVO) nur noch für höchstens sechs Wochen (§ 184 Abs. 4 RVO). Erst recht muß für den Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung gefolgert werden, daß sich eine nach Zubilligung der Rente wegen Erwerbsunfähigkeit liegende Arbeitsunfähigkeit nicht weiter rentensteigernd auswirken kann.
An diesem rechtlichen Ergebnis ändert auch die Tatsache nichts daß der Kläger im Jahre 1967 noch einige Monate als Golfplatzwärter gearbeitet und für diese Zeit Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung entrichtet hat. Der Umstand, daß der Empfänger einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ausnahmsweise noch - und möglicherweise auf Kosten seiner Gesundheit - eine Arbeit leistet und Rentenversicherungsbeiträge entrichtet, vermag die generelle Annahme des Gesetzgebers nicht zu entkräften, daß der Versicherte nach Zubilligung der Rente als auf Dauer aus dem Arbeits- und Versicherungsleben ausgeschieden zu erachten ist.
Nach alledem hat der Kläger nach Zubilligung der Rente wegen Erwerbsunfähigkeit im Sinne des § 1259 Abs. 1 Nr. 1 RVO keine versicherungspflichtige Beschäftigung durch eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit unterbrochen (vgl. dazu auch BSG aaO). Das angefochtene Urteil trifft daher zu, so daß die Revision des Klägers hiergegen als unbegründet zurückzuweisen war.
Der Kostenausspruch beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen