Leitsatz (amtlich)
Ist die Bundesausführungsbehörde für Unfallversicherung nach FRG § 9 Abs 2 anstelle einer landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft für die Feststellung und Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung zuständig, so besteht gegebenenfalls auch für sie der Erstattungsanspruch nach RVO § 942 iVm § 941 Fassung: 1942-03-09 Abs 2 (RVO § 788) gegen einen Träger der allgemeinen Unfallversicherung.
Normenkette
RVO § 941 Abs. 2 Fassung: 1942-03-09, § 942 Fassung: 1942-03-09; FRG § 9 Abs. 1 Fassung: 1960-02-25, Abs. 2 Fassung: 1960-02-25
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 8. Juli 1971 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Es ist darüber zu entscheiden, ob die Klägerin, die gemäß § 9 Abs. 2 des Fremdrentengesetzes (FRG) anstelle einer landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft für die Feststellung und Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung an den Beigeladenen zuständig ist, gegen die Beklagte einen Erstattungsanspruch nach § 942 der Reichsversicherungsordnung (RVO) aF (§ 788 RVO) hat.
Der Beigeladene ist deutscher Volkszugehöriger. Er war im Jahre 1957 im oberschlesischen Steinkohlenrevier auf der Grube Sosnitza der "Vereinigten H Kohlen-Industrie" über Tage als Arbeiter in der Sortieranlage beschäftigt. Nach seinen Angaben wurde er Anfang Oktober 1957 mit 11 anderen auf der Kohlengrube S beschäftigten Übertagearbeitern nach Pommern geschickt, um dort bei der Kartoffelernte zu helfen. Ab 2. Oktober 1957 war er in Pommern als Erntehelfer in einem staatlichen Gutsbetrieb tätig; hierbei erlitt er am 17. Oktober 1957 einen Arbeitsunfall. Beim Sturz von einem mit Pferden gezogenen Wagen zog er sich eine Beckenquetschung und eine Wirbelsäulenverletzung zu. Nachdem er wegen Erreichens der Altersgrenze aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden war, siedelte er im Juni 1960 in die Bundesrepublik Deutschland um. Mit Bescheid vom 3. Februar 1965 gewährte die Klägerin dem Beigeladenen wegen der Folgen des Arbeitsunfalls für die Zeit vom 22. Juni 1960 an eine Verletztenrente von 30 v. H. der Vollrente. Der Rente legte sie den von dem Beigeladenen in den letzten 12 Monaten vor dem Arbeitsunfall als Grubenarbeiter erzielten Jahresarbeitsverdienst zugrunde. Mit Schreiben vom 20. Juli 1965 machte sie bei der Beklagten für die Zeit vom 22. Juni 1960 bis zum 31. August 1965 einen Erstattungsbetrag nach § 942 RVO aF in Höhe von 1 612,72 DM geltend, weil insoweit die Rentenzahlungen über das hinausgingen, was für einen mit gleichen Arbeiten dauernd in der Landwirtschaft Beschäftigten mit dem dann geringer anzusetzenden Jahresarbeitsverdienst zu leisten wäre. Die Beklagte lehnte es ab, diese Forderungen zu erfüllen, weil ein solcher Lastenausgleich nur für eine landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft, nicht aber für die Klägerin in Betracht komme. Die deshalb erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) Hannover mit Urteil vom 30. Oktober 1968 abgewiesen.
Gegen das Urteil hat die Klägerin Berufung bei dem Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen eingelegt und geltend gemacht, für die Entschädigung des Beigeladenen aus Anlaß des Arbeitsunfalls am 17. Oktober 1957 sei nicht sie, sondern die Beklagte zuständig. Hilfsweise begehrte sie aber weiter - wie in dem Verfahren vor dem SG - die Erstattung ihrer Mehraufwendungen. Das LSG hat mit Urteil vom 8. Juli 1971 auf den von der Klägerin hilfsweise gestellten Antrag das Urteil des SG aufgehoben und festgestellt, die Beklagte sei verpflichtet, der Klägerin die dem Beigeladenen wegen der Folgen des Arbeitsunfalls am 17. Oktober 1957 seit dem 22. Juni 1960 gewährten und noch zu gewährenden Leistungen zu erstatten, soweit diese über die Leistungen nach einem Jahresarbeitsverdienst eines landwirtschaftlichen Arbeiters hinausgehen. Hinsichtlich des Hauptantrages hat es die Klage abgewiesen. Zur Begründung des Urteils hat das LSG u. a. ausgeführt, nach § 942 RVO aF, der inhaltlich dem jetzigen § 788 RVO entspreche, habe der Versicherungsträger der allgemeinen Unfallversicherung (hier die Beklagte) dem Versicherungsträger der landwirtschaftlichen Unfallversicherung (hier der Klägerin) Leistungen zu erstatten, wenn der Verletzte in seiner hauptberuflichen Tätigkeit bei einem Träger der allgemeinen Unfallversicherung versichert sei, soweit die Leistungen über das hinausgehen, was nach den sonstigen Vorschriften der landwirtschaftlichen Unfallversicherung zu leisten sei. Zwar sei die Klägerin keine landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft, ihr seien jedoch im Rahmen des § 9 Abs. 1 und 2 FRG die Rechte und Pflichten einer landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft übertragen worden. Das habe zur Folge, daß sie insoweit als landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft im Sinne des § 942 RVO aF (§ 788 RVO) anzusehen sei. § 9 Abs. 2 FRG solle nur dazu dienen, den dort genannten Unfallversicherungsträgern die Kriegsfolgelasten zu nehmen und sie dem Bund aufzuerlegen. Es handle sich lediglich um eine Zuständigkeitsregelung, mit der der Gesetzgeber die gewerblichen Berufsgenossenschaften nicht von ihrer Ausgleichspflicht habe befreien wollen. § 9 Abs. 1 FRG bestimme sogar ausdrücklich, daß für Voraussetzungen, Art, Höhe und Dauer der Leistungen die übrigen Vorschriften der gesetzlichen Unfallversicherung gelten. Gegen das Urteil hat das LSG die Revision zugelassen.
Von der Möglichkeit, Revision einzulegen, hat nur die Beklagte Gebrauch gemacht. Sie ist der Ansicht, daß nach dem Wortlaut des § 942 RVO aF (§ 788 RVO) ein Lastenausgleich nur zwischen Trägern der allgemeinen Unfallversicherung und einer landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft stattfinden könne. Die Klägerin sei aber keine landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft. Wenn aufgrund der Zuständigkeitsregelung des § 9 Abs. 2 FRG die Klägerin an die Stelle der an sich zuständigen landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft getreten sei, so bedeute das nicht, daß sie nun auch hinsichtlich eines Anspruchs nach § 942 RVO aF (§ 788 RVO) die Rechtsposition der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft einnehme. Das bestimme das Gesetz nicht. Der § 9 Abs. 2 FRG begründe einen eigenständigen Anspruch. Die Klägerin könne daher ihren Entscheidungen nur die Vorschriften zugrunde legen, die allgemein für die gewerblichen Berufsgenossenschaften gelten. Damit scheide eine Anwendung des § 942 RVO aF (§ 788 RVO) aus. Auch eine entsprechende Anwendung dieser Vorschrift sei nicht möglich, denn der Zweck dieser Vorschrift sei es, die Landwirtschaft und den Gartenbau zu entlasten. Die Aufwendungen der Beklagten würden aber gerade nicht von der Landwirtschaft und dem Gartenbau, sondern vom Bund getragen.
Die Beklagte beantragt,
das angefochtene Urteil insoweit abzuändern, als es eine Verpflichtung der Beklagten festgestellt habe, der Klägerin Leistungen zu erstatten und insoweit die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 30. Oktober 1968 zurückzuweisen.
Die Klägerin und der Beigeladene beantragen,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Nach Ansicht der Klägerin entspricht der ihr zugebilligte Ausgleichsanspruch dem Gesetz. Nach § 942 RVO aF finde ein Lastenausgleich zwischen den Trägern der allgemeinen Unfallversicherung und den landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften statt. In dieses Ausgleichsverhältnis trete für den Bereich des Fremdrentenrechts gemäß § 9 Abs. 2 FRG die Klägerin ein, wenn nach der Regelung des § 9 Abs. 1 FRG eine landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft zuständig wäre. Ihre durch den Eintritt entstandene Rechtsposition der Klägerin beinhalte alle Rechte und Pflichten einer an sich zuständigen landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft, weil insoweit keine gesetzlichen Einschränkungen vorhanden seien.
Der Beigeladene bezieht sich in erster Linie auf die Ausführungen im Urteil des LSG.
II
Die zulässige Revision der Beklagten ist nicht begründet.
Nach § 942 in Verbindung mit § 941 Abs. 2 RVO aF (§ 788 RVO) hat bei Unfällen von Personen, die vorübergehend in der Landwirtschaft eingesetzt, aber in ihrer hauptberuflichen Tätigkeit bei einem Träger der allgemeinen Unfallversicherung versichert sind, dieser der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft die Leistungen zu erstatten, die über das hinausgehen, was nach den Vorschriften der landwirtschaftlichen Unfallversicherung zu leisten wäre. Diese Vorschrift dient einem allgemeinen Lastenausgleich zwischen den Versicherungsträgern. Die landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft muß in derartigen Fällen die Entschädigung feststellen und die Leistungen aus der Unfallversicherung erbringen. Hierbei muß sie eine Vergleichsberechnung anstellen und feststellen, was eine Person, die ständig in der Landwirtschaft tätig ist, bei der unfallbringenden Tätigkeit in dem landwirtschaftlichen Unternehmen bei einem Unfall gleicher Art zu beanspruchen hätte. Da hierbei in der Regel der Jahresarbeitsverdienst geringer als bei Personen ist, die in ihrer hauptberuflichen Tätigkeit bei einem Träger der allgemeinen Unfallversicherung versichert sind, kann die landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft ihre Aufwendungen, soweit sie über ihre eigene normale Leistungspflicht hinausgehen, von dem Träger der allgemeinen Unfallversicherung ersetzt verlangen. Es handelt sich also nicht um eine Vorschrift, die den Trägern der landwirtschaftlichen Unfallversicherung aus dem Rahmen fallende besondere Vorteile verschafft. Der Lastenausgleich ist vielmehr in erster Linie deshalb vorgeschrieben, weil die gewerbliche Berufsgenossenschaft der von den bei ihr versicherten Unternehmern zu zahlenden Umlagen nach den höheren Arbeitseinkommen der Versicherten erhält, und diese nunmehr zu höheren Leistungen der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft an den Verletzten führen, als diese sonst gewähren müßte. Der Umstand, daß es diese Regelung nur im Verhältnis der Träger der allgemeinen Unfallversicherung zu den landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften gibt, erklärt sich daraus, daß vorübergehende Tätigkeiten in der Landwirtschaft besonders häufig vorkommen (§ 941 Abs. 2 RVO aF nannte ausdrücklich die als Erntehelfer oder sonst vorübergehend in der Landwirtschaft eingesetzte Personen) und daß der Lohnunterschied zwischen landwirtschaftlichen und sonstigen gewerblichen Betrieben in der Regel erheblich größer als zwischen den verschiedenen gewerblichen Betrieben ist. Es bestand daher kein Bedürfnis, für derartige Fälle zwischen den verschiedenen gewerblichen Berufsgenossenschaften einen Lastenausgleich vorzusehen, während ein besonderes Bedürfnis dafür vorhanden war, ihn zwischen gewerblichen Berufsgenossenschaften und landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften einzuführen.
Für Fremdrenten enthält § 9 FRG eine Zuständigkeitsregelung für die Feststellung und die Gewährung von Leistungen. Nach § 9 Abs. 1 FRG ist hierfür der Träger der Unfallversicherung zuständig, der nach Art des Unternehmens, in dem sich der Arbeitsunfall ereignet hat, zuständig wäre, wenn sich der Arbeitsunfall an dem für das anzuwendende Recht maßgeblichen Ort ereignet hätte. Ergibt sich hierbei aber die Zuständigkeit einer landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft, so ist nach § 9 Abs. 2 FRG die Bundesausführungsbehörde für Unfallversicherung zuständig. Der Gesetzgeber hat mit der in § 9 Abs. 1 FRG erfolgten Regelung den Unfallversicherungsträgern als öffentlich-rechtlichen Körperschaften Kriegsfolgelasten auferlegt, jedoch bei den landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften von dieser Auferlegung abgesehen. Sie sind nicht mit derartigen Fremdrenten belastet worden, insoweit hat die Bundesrepublik Deutschland die Rentenlasten zu tragen. Diese Regelung erfolgte im Hinblick auf die schwierige finanzielle Lage der Landwirtschaft. Gleichartige Erwägungen, wie sie für sonstige Unterstützungen an die Landwirtschaft maßgebend sind, hat den Gesetzgeber veranlaßt, auch hier eine besondere Vergünstigung für die Landwirtschaft einzuführen. Dieser Sinn und Zweck rechtfertigt es aber nicht, die Bundesausführungsbehörde für Unfallversicherung schlechter zu stellen als die landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften gestellt wären, wenn es die Ausnahmeregelung des § 9 Abs. 2 FRG nicht geben würde oder umgekehrt, die gewerblichen Berufsgenossenschaften besser zu stellen, als sie gegenüber den landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften stehen würden, wenn die Ausnahmeregelung des § 9 Abs. 2 FRG nicht vorhanden wäre.
Richtig ist, daß nach dem Wortlaut des § 788 RVO nur ein Erstattungsanspruch der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften gegenüber dem Träger der allgemeinen Unfallversicherung besteht. Wie aber bereits dargelegt, soll dieser Erstattungsanspruch nicht, wie § 9 Abs. 2 FRG, den landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften besondere aus dem Rahmen fallende Vorteile verschaffen, die entfallen müßten, wenn ein anderer Versicherungsträger an die Stelle der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften tritt. Nur wenn auch § 788 RVO seine Rechtfertigung ausschließlich darin finden würde, die landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften finanziell zu entlasten, wäre es gerechtfertigt, den auf dieser Vorschrift beruhenden Erstattungsanspruch in den Fällen zu versagen, in denen nach § 9 Abs. 2 FRG die Bundesausführungsbehörde für Unfallversicherung an die Stelle der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft getreten ist. Da das aber nicht der Fall ist, muß nach dem Sinn und Zweck der Regelung des § 788 RVO davon ausgegangen werden, daß die Rechte aus dieser Vorschrift auch die Bundesausführungsbehörde für Unfallversicherung hat, wenn diese im Rahmen des § 9 Abs. 2 FRG Leistungen übernimmt, die nach § 9 Abs. 1 FRG von den landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften zu tragen wären.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen