Leitsatz (amtlich)
1. Zur Frage der Feststellung von Trunkenheit bei der Teilnahme am öffentlichen Verkehr. Es gibt keinen Erfahrungssatz des Inhalts, daß die Methode der Blutalkoholbestimmung 1944 noch nicht zuverlässig gewesen sei und deshalb keinen Beweiswert habe.
2. Die Ausübung militärischen Dienstes schließt nicht aus, daß der Soldat daneben gleichzeitig eine andere Tätigkeit vollzieht, die keine Ausübung militärischen Dienstes darstellt (Anschluß BSG 1958-11-25 10 RV 1055/55 = BSGE 8, 264).
3. Folgen eines Verkehrsunfalles, den ein Soldat während der Ausübung militärischen Dienstes infolge Trunkenheit erleidet, sind in der Regel der privaten Lebensführung des Soldaten zuzurechnen, nicht dem militärischen Dienst. Sie sind daher nicht versorgungsrechtlich geschützt.
Orientierungssatz
Der Beweis des ersten Anscheins ist in der Sozialgerichtsbarkeit eine erlaubte Beweisart.
Normenkette
SGG § 128 Fassung: 1953-09-03; BVG § 1 Abs. 1 Fassung: 1950-12-20; KBLG BY Art. 1 Abs. 1
Tenor
Das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts in München vom 16. Februar 1956 wird aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen.
Gründe
Der Kläger war 1944 als Oberzahlmeister beim Ersatzverpflegungsmagazin in F tätig. Am Abend des 25. März 1944 nahm er im Hotel R in N an einer Zusammenkunft der Beamten seiner Dienststelle teil. Etwa um 23:00 Uhr wollte er mit der Straßenbahn zu seiner Unterkunft in F zurückfahren. Der benutzte Straßenbahnzug wurde jedoch wegen Betriebsschluß unterwegs in das Straßenbahndepot eingefahren. Hierbei erlitt der Kläger einen Unfall, der den Verlust des linken Unterarms zur Folge hatte.
Die Versorgungsbehörde hat mit Bescheid vom 15. Mai 1950 Versorgung nach dem Bayerischen Gesetz über Leistungen an Körperbeschädigte (KBLG) abgelehnt, weil der Kläger keinen Dienstunfall erlitten habe. Er habe unter Alkoholeinfluß gestanden und sei nicht mehr fähig gewesen, sich sicher im Verkehr zu bewegen. Das Oberversicherungsamt (OVA.) L hat die Berufung (alten Rechts) des Klägers mit Urteil vom 17. April 1952 zurückgewiesen. Auf Rekurs, übergegangen als Berufung neuen Rechts, hat das Landessozialgericht (LSG.) mit Urteil vom 16. Februar 1956 das Urteil des OVA. und den angefochtenen Bescheid aufgehoben und den Beklagten verpflichtet, Rente nach dem KBLG nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE.) um 50 v.H. ab 1. Februar 1947 zu gewähren. Es hat ausgeführt, der Kläger habe sich bei der Zusammenkunft sowie auf dem Hin- und Rückweg hierzu im militärischen Dienst befunden. Ob er sich durch Trunkenheit vom Dienst gelöst habe, brauche nicht geprüft zu werden, da eine Trunkenheit nicht wahrscheinlich sei. Der Vermerk im Schlußbericht der Verkehrsunfallbereitschaft über einen Blutalkoholgehalt von 2,622 0 / 00 reiche zum Nachweis der Trunkenheit nicht aus. Weder die Zeugen, die an der Zusammenkunft teilgenommen hatten, noch die im Ermittlungsverfahren der Städtischen Werke gehörten Personen hätten eine Trunkenheit wahrgenommen. Es sei gerichtsbekannt, daß die Methodik der Blutalkoholbestimmung 1944 noch nicht zuverlässig gewesen sei. Der der Blutuntersuchung zugrunde liegende Befund mit dem Namen des Sachverständigen fehle. Auch die Einstellung des gegen den Kläger aus Anlaß des Unfalls eingeleiteten kriegsgerichtlichen Verfahrens und die 1945 erfolgte Übernahme in die Offizierslaufbahn spreche gegen ein erhebliches Selbstverschulden. Ein Verschulden des Klägers an dem Unfall sei überdies unerheblich, weil nur eine absichtlich herbeigeführte Gesundheitsschädigung einen Versorgungsanspruch ausschließe. Revision wurde nicht zugelassen.
Der Beklagte hat Revision eingelegt. Er hat beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des OVA. L vom 17. April 1952 zurückzuweisen, hilfsweise die Sache an das LSG. zurückzuverweisen. Er rügt, das LSG. habe seine Sachaufklärungspflicht verletzt und die Grenzen des Rechts zur freien Beweiswürdigung überschritten. Da das LSG. den Hinweis in den Unfallakten auf einen Blutalkoholgehalt von 2,622 0 / 00 nicht als ausreichenden Nachweis für eine Trunkenheit angesehen habe, hätte es Zeugen hören müssen, und zwar die Zeugin Fröhlich, die in den Unfallakten der Städtischen Werke angegeben habe, sie habe beim Einrücken der Straßenbahn einen Mann von der fahrenden Straßenbahn abspringen sehen, und den Zeugen H, der im Verfahren vor dem OVA. ausgesagt habe, ihm sei damals erzählt worden, der Kläger sei, als er merkte, daß die Straßenbahn ins Depot fuhr, abgesprungen. Das LSG. habe sein Recht zur freien Beweiswürdigung überschritten, weil es sich mit den bisherigen Aussagen der Zeugen nicht auseinandergesetzt und entgegen der Feststellung im Schlußbericht der Verkehrsunfallbereitschaft eine Trunkenheit des Klägers nicht angenommen habe. Es seien keine zwingenden Gründe vorhanden, daß der Blutalkoholgehalt von 2,622 0 / 00 nicht den Tatsachen entspreche. Die Alkoholeinwirkung und das Abspringen von der fahrenden Straßenbahn seien die nach der Kausaltheorie der Kriegsopferversorgung (KOV.) allein wesentlichen Ursachen der Gesundheitsschädigung, denen gegenüber es unerheblich sei, daß der Kläger sich beim Rückweg vom Kameradschaftsabend noch im militärischen Dienst befunden habe.
Der Kläger hat Verwerfung der Revision beantragt.
Die Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 164, 166 SGG). Sie ist auch statthaft, weil der gerügte wesentliche Verfahrensmangel der fehlerhaften Beweiswürdigung des LSG. vorliegt (§ 162 Abs. 1 Nr. 2 in Verbindung mit § 128 SGG, BSG. 1 S. 150).
Das Gericht hat die erhobenen Beweise zu würdigen (§ 128 SGG) und zu entscheiden, welche Tatsachen es als bewiesen ansieht, wobei es in der Beweiswürdigung - vorbehaltlich einer Verletzung von Denkgesetzen und Erfahrungssätzen - frei ist. Überschreitet das Gericht die gesetzlichen Grenzen seines Rechts auf freie Beweiswürdigung, so leidet das Verfahren an einem wesentlichen Mangel (BSG. 2 S. 236; SozR. SGG § 128 Bl. Da 7 Nr. 16). Das LSG. hat die Gründe, die für seine Überzeugung leitend gewesen sind, im Urteil anzugeben (§ 128 Abs. 1 Satz 2 SGG). Dadurch ist es dem Revisionsgericht möglich zu prüfen, ob die Vorinstanz die Grenzen des Beweiswürdigungsrechts eingehalten hat.
Das LSG. ist von der zutreffenden sachlich-rechtlichen Auffassung ausgegangen, daß sich der Kläger bei der Zusammenkunft der Beamten des Ersatzverpflegungsmagazins und bei der Rückkehr von dieser in sein Quartier im militärischen Dienst befunden hat. Ob sich der Kläger vom Dienst dadurch gelöst hat, daß er sich bei dieser Zusammenkunft in einen erheblichen Rauschzustand versetzte, hat das LSG. nur deshalb nicht geprüft, weil es eine Trunkenheit des Klägers aus mehreren Gründen verneinte. Das LSG. hat festgestellt, in dem in den Akten der Straßenbahnwerke enthaltenen Schlußbericht der Verkehrsunfallbereitschaft vom 5. Mai 1944 befinde sich unter Bezug auf ein in diesen Akten nicht mehr enthaltenes Blatt (11) der Satz, daß der Kläger unter mittelgradiger Alkoholeinwirkung gestanden habe, wobei ein Blutalkoholgehalt von 2,622 0 / 00 angegeben ist. Diese Feststellung und der Hinweis, daß der den Blutuntersuchung zugrunde liegende ärztliche Befund mit dem Namen des Sachverständigen fehle, erwecken den Anschein, als ob das LSG. der Meinung war, dieses Blatt 11 habe ursprünglich zu den Unfallakten der Städtischen Werke gehört und sei später entfernt worden und dadurch leide die Glaubwürdigkeit der Angabe über den Alkoholgehalt des Blutes im Schlußbericht. Eine solche Auffassung des LSG. wäre unrichtig. In den Unfallakten der Städtischen Werke befindet sich nur eine Abschrift des Schlußberichts der Verkehrsunfallbereitschaft. Die Blatthinweise in dem Schlußbericht müssen sich daher auf die Akten der Verkehrsunfallbereitschaft (Polizeipräsidium) beziehen, nicht auf die Unfallakten der Städtischen Werke. Die Akten der Verkehrsunfallbereitschaft haben dem LSG. nicht vorgelegen. Das Polizeipräsidium N hat dem LSG. mitgeteilt. daß sämtliche Unfallakten bis 1945 infolge des Krieges zu Verlust gegangen sind. Da aus den Ausführungen des Urteils nicht klar zu erkennen ist, ob das LSG. sich bewußt war, daß das genannte Blatt 11 über die Blutalkoholbestimmung nie Bestandteil der Unfallakten der Städtischen Werke war, besteht die Möglichkeit, daß das LSG. bei seiner Beweiswürdigung von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist. Hat aber das LSG. dem Schlußbericht der Verkehrsunfallbereitschaft deshalb keine Beweiskraft zugemessen, weil es den im Schlußbericht liegenden Urkundenbeweis durch die gehörten Zeugen für widerlegt gehalten hat, so hat es verkannt, daß auch der Urkundenbeweis über fremde Wahrnehmungen als die schwächste Form dieses Beweismittels (§ 118 SGG i.V. mit § 418 Abs. 1 und 3 ZPO) nur durch erschöpfende Sachaufklärung (§ 103 SGG) widerlegt werden kann. Um dem zu genügen, hätte das LSG. versuchen müssen, den Reserveleutnant der Schutzpolizei L, der den Schlußbericht der Verkehrsunfallbereitschaft verantwortlich gezeichnet hat, zu ermitteln und zu vernehmen.
Das LSG. ist zwar der Ansicht, der Vermerk über einen Blutalkoholgehalt von 2,622 0 / 00 werde dadurch entkräftet, daß die Zeugen eine Trunkenheit des Klägers nicht wahrgenommen haben. Diese Ausführungen zeigen aber, daß das LSG. verkannt hat, daß die Erscheinungsformen von Trunkenheit verschieden sein können. Zwar ist bei einem Fußgänger für die Verkehrstüchtigkeit nicht allgemein ein absoluter Grenzwert des Blutalkoholgehalts wie bei Kraftfahrern mit 1,5 0 / 00 anzunehmen. Es sind vielmehr beim Fußgänger die besonderen Umstände, wie Alkoholverträglichkeit, Alter, Tag- oder Nachtzeit u.ä. zu berücksichtigen (vgl. Ponsold, Lehrbuch der gerichtlichen Medizin, 2. Aufl. 1957, S. 268, Cremerius, Versicherungsschutz bei Trunkenheit und Übermüdung im Straßenverkehr in DVZ 1959 S. 109 (114)). Nehmen unter zahlreichen Anwesenden zwei Zeugen - hier: M und H - die Trunkenheit einer dritten Person nicht wahr, so beweist das Fehlen einer solchen Beobachtung allein noch nicht, daß dieser Zustand nicht vorgelegen hat. Trunkenheit tritt für die Umwelt keineswegs immer offen zutage. Sehr häufig zeigen sich die Wirkungen des Alkohols erst, wenn es auf eine schnelle und richtige Reaktion ankommt (BGH. v. 8.7.1957 - II ZR 177/56 in BB 1957 S. 945; Lindenmaier-Möhring, ZPO § 286 (C) Nr. 29). Eine solche für die Verkehrstüchtigkeit des Klägers schwierige Lage entstand beim Aussteigen oder Abspringen von der Straßenbahn oder beim Ausweichen in der Dunkelheit an einer Stelle, die keine Haltestelle ist. Mit dem bloßen Hinweis, daß zwei andere Teilnehmer an dem Gesellschaftsabend von einer Trunkenheit des Klägers nichts wissen und daß dem Straßenbahnpersonal kein betrunkener Fahrgast aufgefallen ist, konnte das LSG. daher eine Trunkenheit noch nicht verneinen; denn diese Zeugen haben den Kläger nicht bei Handlungen beobachtet, die eine Verkehrstüchtigkeit erforderten.
Auch die weitere Begründung im Urteil des LSG., die Methodik der Blutalkoholbestimmung sei 1944 noch nicht zuverlässig gewesen, gibt zu Bedenken Anlaß. § 81a Strafprozeßordnung in der 1944 geltenden Fassung enthielt bereits die Bestimmung, daß die Entnahme von Blutproben zulässig ist. Diese Vorschrift wäre sinnlos, wenn nicht schon damals Blutuntersuchungen von den Gerichten als beweiserheblich angesehen worden wären. Tatsächlich bestand bereits 1937/38 die einheitliche Auffassung, daß die Blutalkoholbestimmung als Beweis maßgeblich, wenn nicht entscheidend, herangezogen und berücksichtigt werden muß (Kallfelz, Die Blutalkoholbestimmung nach Widmark und ihre forensische Bedeutung in JW 1937 S. 2336; Schöffengericht Cottbus in JW 1938 S. 2664 Nr. 4 mit Literaturangaben). Mit einem nicht veröffentlichten Erlaß von 1932 war die Blutuntersuchung auf Alkohol im Bereich der Polizeiverwaltung Berlin versuchsweise eingeführt worden. Auf Grund der Erfahrungen wurde sie mit Runderlaß des RuPrMdI. vom 25. September 1936 (RMBliV. Sp. 1277) allgemein für die staatlichen Polizeiverwaltungen Preußens angeordnet und die Widmarksche Methode vorgeschrieben. Mit dem Runderlaß des RFSSuChdDtPol. vom 19. Juli 1938 (Deutsche Justiz S. 1378) wurden die Vorschriften über die Blutuntersuchung auf Alkohol auf die gesamte staatliche und kommunale Polizei ausgedehnt und genaue Anordnungen über die Durchführung der Alkoholblutuntersuchung gegeben. Auf diesen Erlaß wird auch heute noch hingewiesen (s. Müller, Straßenverkehrsrecht, 20. Aufl., 1957 S. 499). Für Angehörige der Wehrmacht wurde die Blutuntersuchung auf Alkohol nach Widmark gesondert eingeführt (s. Vfg. vom 25.1.1936 i.d.F. vom 25.4.1938, Deutsche Justiz S. 1379). Daß Fehler bei der Ermittlung des Alkoholgehalts im Blut möglich sind, insbesondere bei Benutzung nicht einwandfreier Geräte, und daß die Genauigkeit des Widmarkschen Verfahrens nicht über die erste Dezimale hinausreicht (s. Elbel/Schleyer, Blutalkohol, 2. Aufl. 1956 S. 128), steht dem grundsätzlichen Beweiswert der Blutalkoholbestimmung nicht entgegen. Das LSG. geht demnach bei seinen Ausführungen, es sei gerichtsbekannt, daß die Methodik der Blutalkoholbestimmung 1944 noch nicht zuverlässig war, von einer unrichtigen Annahme aus. Zwar bedürfen gerichtskundige konkrete Tatsachen keines Beweises und keiner Begründung (§ 291 ZPO); aber Erfahrungssätze, die der Richter eigener Sachkunde entnimmt, unterliegen als Rechtssätze der Nachprüfung auf ihre inhaltliche Richtigkeit durch das Revisionsgericht (Schwinge, Grundlagen des Revisionsrechts (1935) S. 181 f.). Das LSG. hat somit bei der Feststellung, eine Trunkenheit sei nicht nachgewiesen, insbesondere bei der Bewertung der Angabe über einen Blutalkoholgehalt des Klägers von 2,622 0 / 00 die gesetzlichen Grenzen seines Rechts auf freie Beweiswürdigung überschritten. Die Revision ist daher nach § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG in Verbindung mit § 128 SGG statthaft. Da schon die Rüge dieses Fehlers in der Beweiswürdigung durchgreift, brauchte der Senat nicht mehr zu prüfen, ob etwa die Revision noch aus einem anderen Grunde statthaft ist.
Die Revision ist auch begründet (§ 162 Abs. 2 SGG); denn es ist möglich, daß das Gericht bei einer fehlerfreien Beweiswürdigung zur Bejahung der Trunkenheit gelangt wäre und aus diesem Grunde eine Lösung des Klägers vom militärischen Dienst angenommen hätte (BSG. 2 S. 197).
Da die Revision begründet ist, hat der Senat das angefochtene Urteil in vollem Umfang sachlich-rechtlich nachzuprüfen (BSG. 3 S. 180 (185 f)).
Die Auffassung des LSG., Soldaten und Wehrmachtsbeamte befänden sich als Angehörige der Wehrmacht grundsätzlich ständig im Dienst, ist in dieser Allgemeinheit nicht zutreffend (vgl. BSG. 7 S. 19 und 75). Insbesondere hat das Urteil des Bundessozialgerichts vom 25. November 1958 (SozR. BVG § 1 Bl. Ca 11 Nr. 32) sich ausführlich mit dem Verhältnis zwischen militärischem Dienst und Teilnahme an einem Kameradschaftsabend befaßt. Wie das LSG. noch zutreffend angenommen hat, ist der Begriff "anläßlich militärischen Dienstes" in Art. 1 Abs. 1 Bayer. KBLG dem Tatbestandsmerkmal "während der Ausübung militärischen Dienstes" in § 1 Abs. 1 BVG gleichzusetzen (vgl. hierzu Urteil des erkennenden Senats in BSG. 7, S. 19 (22)). Der Heimweg des Klägers steht daher grundsätzlich, aber nicht in jeder Hinsicht, unter versorgungsrechtlichem Schutz. Der Unfall muß dem Kläger zu einer Zeit zugestoßen sein, in der er gerade militärischen Dienst ausgeübt hat. Er darf den Dienst nicht durch eine dienstfremde Tätigkeit unterbrochen haben; dies wäre der Fall, wenn der Kläger zur Zeit des Unfalls durch eine persönliche, der privaten Lebenssphäre zuzurechnenden Tätigkeit so in Anspruch genommen wurde, daß er dabei seinen Dienst nicht mehr ausüben konnte. In dieser Weise hat der Kläger zwar seinen Dienst nicht unterbrochen. Das BSG. hat aber in seiner oben zitierten Entscheidung vom 25. November 1958 (a.a.O. Ca 15 R) auch ausgesprochen, daß gleichzeitig zwei oder mehr Tätigkeiten ausgeübt werden können, von denen nur die eine als Ausübung militärischen Dienstes anzusehen ist. Ob und inwieweit die Dienstausübung noch eigenverantwortliche private Tätigkeit zuläßt, hängt nach dieser, auch vom erkennenden Senat gebilligten Auffassung davon ab, welcher Art der militärische Dienst und die private Tätigkeit ist. Stellt das LSG. auf Grund der neuen Würdigung des Sachverhalts fest, daß der Kläger im trunkenen Zustande die Straßenbahn benutzt hat, so ergeben sich damit zwei Gefahrenkreise: der versorgungsrechtlich geschützte Gefahrenkreis der Rückkehr vom Kameradschaftsabend zur Unterkunft, unabhängig von einer etwaigen Trunkenheit, und der von der Trunkenheit beeinflußte Gefahrenkreis des nicht oder nicht vollständig verkehrstüchtigen Teilnehmers am Straßenverkehr. Der Senat rechnet allerdings nicht wie Ewald (KOV. Nr. 5/1959 S. 95) die Trunkenheit zu den "kausalitätsbehindernden und rechtshindernden Tatsachen". Auch eine Unterbrechung des ursächlichen Zusammenhangs zwischen Wehrdienst und Unfall hat außer Betracht zu bleiben, weil der Wehrdienst nicht die wesentliche Ursache des im Dienst erlittenen Unfalls sein muß, um den Versorgungsanspruch zu begründen (so die frühere Rechtsprechung, vgl. Urt. d. Bayer. LVAmts v. 22.2.1950 in AMBl. 1950 S. 483 Nr. 134 EuM. Bd. 46 S. 405). Bei einem Zusammentreffen beider Gefahrenkreise wie im vorliegenden Fall ist entscheidend, daß die der Trunkenheit zuzurechnende Gefahrerhöhung zu Lasten der privaten Lebenssphäre des Verkehrsteilnehmers geht und daher den Versorgungsschutz ausschließt. Dienstausübung sind nur Verrichtungen innerhalb der militärischen Berufspflichten oder dienstlichen Befugnisse (RVGer. 3, 158 (161)). Dies bedeutet hier, daß alle diejenigen Handlungen und Unterlassungen des Klägers auf dem Weg zur Unterkunft nicht mehr zur Ausübung des Dienstes rechnen können, die Folge der Trunkenheit gewesen sind.
Der Genuß alkoholischer Getränke in einem Maße, das zur Trunkenheit und damit zur Verkehrsuntüchtigkeit führt, stellt in der Regel ein Handeln dar, das nicht der militärischen Dienstausübung zugerechnet werden kann. Dies gilt auch dann, wenn auf Kameradschaftsabenden häufig oder regelmäßig reichlich Alkohol genossen wurde. Ob im Einzelfall besondere Umstände, wie z.B. Alkoholgenuß unmittelbar während der Kampfhandlungen eine andere rechtliche Beurteilung rechtfertigen können, kann hier außer Betracht bleiben. Auch die Möglichkeit eines etwaigen weiteren durch Handlungen dritter Personen oder durch höhere Gewalt geschaffenen Gefahrenkreises brauchte nicht geprüft zu werden, weil das LSG. Einwirkungen dritter Personen oder höherer Gewalt nicht festgestellt hat.
Das LSG. wird demnach, falls es eine Trunkenheit des Klägers feststellt, zu prüfen haben, ob das zum Unfall führende Verhalten des Klägers auf dem Heimweg (Übersehen oder Überhören der Endstation, schnelles Verlassen der Straßenbahn, Bewegung auf dem Gelände der Straßenbahnschienen) dieser Trunkenheit und damit allein seiner Person und seiner Privatsphäre zuzurechnen ist. Auf ein Verschulden, das weder Vorsatz noch Absicht ist, kommt es dabei, wie das LSG. mit Recht ausgeführt hat, nicht an. Entscheidend ist nur, ob dieses Verhalten des Klägers seinen Grund in der durch Trunkenheit verursachten Verkehrsuntüchtigkeit hatte, oder ob der Kläger, unabhängig vom vorausgegangenen Alkoholgenuß, infolge anderer Umstände verunglückt ist.
Bei Prüfung der Frage, ob ein zum Unfall führendes Verhalten des Klägers Folge einer Trunkenheit war, wird das LSG. auch zu erwägen haben, ob die im Zivilprozeß entwickelten Grundsätze vom Beweis des ersten Anscheins gemäß § 118 i.V. mit § 202 SGG im sozialgerichtlichen Verfahren entsprechend anzuwenden sind (vgl. Peters-Sautter-Wolff, Komm. SGG § 128 Erl. 2 Buchst. b Abs. 5; Rohwer-Kahlmann, SGG § 128 Anm. 19; Haueisen, DOK 1957 S. 3). Ein nach dem Anscheinsbeweis ermittelter Tatbestand könnte nur dadurch widerlegt werden, daß bestimmte Tatsachen es wahrscheinlich machen, daß auch ein Nüchterner eine gleiche Gefahrenlage bei Aufwendung der zumutbaren Aufmerksamkeit nicht gemeistert hätte (BGHZ. 18, 311 (319); BGH. v. 8.7.1957 in BB. 1957 S. 945).
Da die Revision begründet ist, war das angefochtene Urteil aufzuheben (§ 170 Abs. 2 SGG). Der Senat konnte nicht selbst entscheiden, weil Feststellungen tatsächlicher Art zu treffen sind, die dem Revisionsgericht verschlossen sind.
Das LSG. wird unter Beachtung der Rechtsauffassung des Revisionsgerichts den Sachverhalt nochmals zu erforschen und danach zu entscheiden haben.
Die Kostenentscheidung bleibt dem den Rechtsstreit abschließenden Urteil vorbehalten.
Fundstellen