Leitsatz (amtlich)
Die Einschränkungen in den AVG §§ 97 und 98 für die Zahlung von Renten bei Aufenthalt außerhalb des Geltungsbereichs des AVG gelten auch für einen Ausländer, der sich unfreiwillig im Ausland aufhält.
Normenkette
AVG § 94 Fassung: 1957-02-23, § 97 Fassung: 1953-08-07, § 98 Fassung: 1953-08-07; FreundschVtr USA Art. 4 Fassung: 1954-10-29; RVO § 1315 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 24. November 1961 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
Der Kläger, der seit 1951 in den USA lebt und deren Staatsangehörigkeit besitzt, war als kaufmännischer Angestellter von 1923 bis 1939 125 Monate in der Danziger-Rentenversicherung, von 1940 bis 1944 60 Monate in der Deutschen Rentenversicherung in Danzig, von 1946 bis 1951 22 Monate in der Rentenversicherung im Bereich der Bundesrepublik Deutschland und 1948 5 Monate in der Sowjetischen Besatzungszone versichert. Im Dezember 1958 beantragte er bei der Beklagten Rente wegen Berufsunfähigkeit. Die Beklagte lehnte den Rentenantrag zunächst ab, weil der Kläger noch nicht berufsunfähig sei. Seine Klage vor dem Sozialgericht (SG) blieb erfolglos. Während des Berufungsverfahrens erkannte die Beklagte auf Grund eines neuen ärztlichen Gutachtens den Rentenanspruch des Klägers an, jedoch erst ab 1. Juli 1959. Die Höhe der Rente errechnete sie für die Zeit bis Ende 1960 auf monatlich 16,-- DM und vom 1. Januar 1961 an auf monatlich 16,90 DM. Für die Auszahlung eines höheren Rentenbetrages fehle es an den gesetzlichen Voraussetzungen. Da sich der Kläger als Staatsangehöriger der USA dort freiwillig gewöhnlich aufhalte und nach Art. IV des Deutsch-Amerikanischen Freundschafts-, Handels- und Schiffahrtsvertrages vom 29. Oktober 1954 dem Inländer gleichgestellt sei, seien auf ihn die für Deutsche geltenden Vorschriften der §§ 97, 98 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) anzuwenden. Eine Rentenzahlung nach § 100 AVG scheide wegen Abs. 4 dieser Vorschrift aus, weil nach dem genannten Freundschaftsvertrag Inländerbehandlung nur hinsichtlich der im Bundesgebiet geltenden Gesetze über soziale Sicherheit gewährleistet sei.
Der Kläger dagegen meint, daß die §§ 97, 98 AVG auf ihn nicht anzuwenden seien, weil er sich als Ausländer unfreiwillig gewöhnlich außerhalb des Geltungsbereichs des AVG aufhalte; deswegen hätte er, wenn er nicht den Inländern gleichgestellt wäre, Anspruch auf Auszahlung der vollen Rente. Er hielt deshalb seine Berufung insoweit aufrecht, als ihm die Beklagte nicht den vollen Rentenbetrag - wie er sich bei der Berücksichtigung seiner gesamten Beitragszeiten ergebe - ausbezahlt.
Das Landessozialgericht (LSG) wies die Berufung zurück, weil die Gewährung einer höheren Rente weder nach § 100 AVG noch nach §§ 97, 98 AVG gerechtfertigt sei. Die Revision wurde zugelassen (Urteil vom 24. November 1961).
Der Kläger legte Revision ein mit dem Antrag, die Beklagte zur Zahlung von Rente aus sämtlichen zur Rentenversicherung entrichteten Beiträgen zu verurteilen. Er rügte, daß das LSG seine Entscheidung zu Unrecht auf die Vorschriften der §§ 97 und 98 AVG gestützt habe. Diese Bestimmungen dürften - so meint der Kläger - bei Rentenzahlungen an Ausländer dann nicht herangezogen werden, wenn es an den Voraussetzungen für das Ruhen der Rente nach § 94 AVG fehle; dies sei aber bei ihm der Fall, weil er sich unfreiwillig in den USA aufhalte. Deshalb sei seine Rente auch ins Ausland unbeschränkt zahlbar.
Die Beklagte beantragte, die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten erklärten sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).
Die Revision ist zulässig, aber unbegründet. Die nur teilweise Auszahlung der Renten an den Kläger ist nicht zu beanstanden.
Nach § 94 AVG ruht die Rente eines berechtigten Ausländers, solange er sich freiwillig gewöhnlich außerhalb des Geltungsbereichs des AVG aufhält (die zweite Alternative ist für den vorliegenden Fall ohne Bedeutung). Ist der berechtigte Ausländer Angehöriger eines Staates, mit dem ein Sozialversicherungsabkommen besteht, so gelten für die Auszahlung der Rente an ihn die darüber im Abkommen getroffenen Vereinbarungen. Auf den Rentenanspruch des Klägers finden die Vorschriften des Freundschafts-, Handels- und Schiffahrtsvertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den USA vom 29. Oktober 1954 - für die Bundesrepublik Deutschland verbindlich auf Grund des Gesetzes vom 7. Mai 1956 (BGBl II 487) - Anwendung. Nach Art. IV Nr. 2 dieses Vertrages wird den Staatsangehörigen eines Vertragsteiles Inländerbehandlung hinsichtlich der Anwendung der im Gebiet des anderen Vertragsteiles geltenden Gesetze und sonstigen Vorschriften über Soziale Sicherheit gewährt, die ohne Nachprüfung der Bedürftigkeit Leistungen u. a. bei Berufsunfähigkeit vorsehen. Nach Art. XXV Abs. 1 des genannten Vertrages ist unter Inländerbehandlung zu verstehen "die innerhalb des Gebietes eines Vertragsteils gewährte Behandlung, die nicht weniger günstig ist als diejenige, die dort unter gleichartigen Voraussetzungen den Staatsangehörigen ... dieses Vertragsteils gewährt wird". Der Kläger ist somit wie ein deutscher Anspruchsberechtigter, der sich außerhalb des Geltungsbereichs des AVG aufhält, zu behandeln. Sein Anspruch unterliegt deshalb auch der Begrenzung der Rentenzahlung nach den §§ 97, 98 AVG, wie sie von der Beklagten vorgenommen wurde. Die Meinung des Klägers, bei ihm müsse die Begrenzung der Auszahlung nach den §§ 97, 98 AVG entfallen, weil er sich unfreiwillig gewöhnlich im Ausland aufhalte, und ihm müsse deshalb - im Umkehrschluß aus § 94 AVG - die Rente in vollem Umfang ausgezahlt werden, ist rechtsirrig. Nach Ansicht des Senats ist dieser Umkehrschluß weder geboten noch zulässig.
Das LSG ließ die Frage offen, ob bei der Gleichstellung des Klägers mit deutschen Staatsangehörigen überhaupt noch Raum sei für die Anwendung von § 94 AVG; es hat auch nicht geprüft, ob und inwieweit die Behauptung des Klägers, er halte sich unfreiwillig in den USA auf, zutrifft oder nicht. Es hielt eine Entscheidung über die Anwendbarkeit des § 94 AVG im vorliegenden Rechtsstreit sowie Feststellungen über die Unfreiwilligkeit des Aufenthalts des Klägers für entbehrlich, weil dieser - auch wenn beiden Fragen zu bejahen wären - die Auszahlung einer höheren Rente in das Ausland nicht verlangen könnte. Das LSG schließt aus dem Wortlaut des § 96 AVG - insbesondere aus dem dort gebrauchten Wort "auch" -, daß die §§ 97 und 98 AVG die Auszahlung der Rente sowohl für Deutsche als auch für Ausländer regeln. Dieser Auffassung tritt der Senat im Ergebnis bei, wobei offen bleiben kann, ob dem Wort "auch" in § 96 AVG die entscheidende Bedeutung beizumessen ist, die ihm das LSG im angefochtenen Urteil gibt. Auch nach der Meinung des Senats kommt es deshalb auf eine Klärung der vom LSG offen gelassenen Fragen nicht an.
Das Gesetz trifft zwar in § 94 AVG eine Regelung für die Auszahlung der Rente an einen freiwillig sich im Ausland aufhaltenden Ausländer, nicht dagegen für den Fall, daß ein unfreiwilliger Aufenthalt vorliegt. Es wird nicht gesagt, daß im letzteren Falle die Rente in vollem Umfang auszuzahlen sei; es fehlt aber auch eine Bestimmung darüber, daß dann die für Deutsche geltenden Vorschriften (§§ 96 ff AVG) entsprechend anzuwenden seien. Nach der Ansicht des Senats läßt die Systematik der gesetzlichen Regelung über die Zahlung von Leistungen bei Aufenthalt außerhalb des Geltungsbereichs des AVG ebensowenig wie der Wortlaut der Vorschriften eine eindeutige Auslegung in diesem oder jenem Sinne zu. Es ist daher von dem Sinn und Zweck der Regelung auszugehen. Hiernach aber erscheint es nicht sinnvoll, die vom Gesetzgeber für erforderlich gehaltene Begrenzung der Verpflichtungen der bundesgesetzlichen Rentenversicherung, d. h. die §§ 97 ff AVG, bei einem berechtigten Ausländer nicht anzuwenden, während ihr der Inländer - auch wenn er sich unfreiwillig im Ausland aufhält - unterliegt. Es stünde auch in Widerspruch zur Regelung in anderen Sozialversicherungsabkommen (z. B. Art. 17 des zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland abgeschlossenen Sozialversicherungsabkommens vom 20. April 1960), wenn dem Angehörigen eines Staates, mit dem ein solches Abkommen nicht besteht, unter Umständen eine Besserstellung gegenüber dem als Inländer zu behandelnden Ausländer zuteil würde. Nach der Ansicht des Senats muß deshalb die im Gesetz bestehende Lücke in dem Sinne ausgefüllt werden, daß auch bei einem berechtigten Ausländer, der sich unfreiwillig gewöhnlich außerhalb des Geltungsbereichs des AVG aufhält, die für Deutsche geltenden Vorschriften der §§ 97 ff AVG entsprechend anzuwenden sind, unabhängig davon, ob er Angehöriger eines Staates ist, mit dem ein Sozialversicherungsabkommen besteht oder auf den die Verordnungen der EWG Anwendung finden. Der von Jantz/Zweng/Eicher (Das neue Fremdrenten- und Auslandsrentenrecht, 2. Aufl. S. 142) und im Verbandskommentar (6. Aufl. zu § 1315 RVO Anm. 1) vertretenen Auffassung, daß für diesen Fall eine Auszahlung der Rente in vollem Umfang gewollt sei, kann sich der Senat nicht anschließen. Die hiergegen geltend gemachten und an Hand von Beispielen belegten Bedenken von Ludwig (Deutsche Versicherungszeitschrift 1960 S. 290) und von Dähle (Die Sozialversicherung, 1961 S. 71) erscheinen berechtigt. Der Auffassung des LSG, daß die §§ 97 und 98 Abs. 2 u. 3 AVG den Umfang der Rentenzahlung ins Ausland sowohl für Deutsche als auch für Ausländer regeln, deren Rente nach § 94 AVG nicht ruht, ist daher im Ergebnis beizutreten. Im Falle des Klägers bedeutet dies, daß er - selbst wenn sein Aufenthalt in den USA als unfreiwillig anzusehen wäre - die Auszahlung der Rente nur in der Höhe beanspruchen kann, wie sie auch einem Deutschen zu gewähren ist. Dies aber richtet sich nach §§ 97 ff AVG.
Das LSG hat die Voraussetzungen für eine höhere Rentenzahlung an den Kläger nach §§ 97, 98 Abs. 2 u. 3 AVG zu Recht verneint. Der Kläger hat nur 22 Beitragsmonate im Geltungsbereich dieses Gesetzes zurückgelegt; diese sind von der Beklagten bei der Festsetzung des auszuzahlenden Rentenbetrages im Rahmen des § 97 Abs. 1 Satz 1 AVG berücksichtigt worden. Die ihm insgesamt anzurechnenden Beiträge sind nicht überwiegend im Geltungsbereich des AVG geleistet worden (§ 98 Abs. 2 a AVG); eine Feststellung der Rente für Zeiten, in denen sich der Kläger in der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten hat, kommt nicht in Betracht (§ 98 Abs. 2 b AVG). Der Kläger erfüllt auch nicht die Voraussetzungen des § 98 Abs. 3 AVG; diese Vorschrift setzt eine Beitragszeit von mindestens 60 Monaten im Geltungsbereich dieses Gesetzes voraus; an diesem Erfordernis fehlt es jedoch. Zugunsten des Klägers kann auch nicht auf die Vorschrift des § 100 AVG zurückgegriffen werden. Der Kläger zählt nicht zu dem in Betracht kommenden Personenkreis (Abs. 1 u. 2); im übrigen gilt die Rente nach § 100 Abs. 1 bis 3 AVG - wie in Abs. 4 dieser Vorschrift ausdrücklich bestimmt wird - nicht als Leistung der sozialen Sicherheit. Inländerbehandlung wird aber nach dem Deutsch-Amerikanischen Freundschaftsvertrag nur hinsichtlich der im Bundesgebiet geltenden Gesetze über soziale Sicherheit gewährleistet.
Die Revision des Klägers muß daher als unbegründet zurückgewiesen werden (§ 170 Abs. 1 SGG).
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.
Fundstellen