Leitsatz (amtlich)

Ist die Arbeitsfähigkeit eines Versicherten auf dem allgemeinen Arbeitsfeld (leichte bis mittelschwere Tätigkeiten im Sitzen, im Stehen und im Umhergehen in geschlossenen Räumen und im Freien) aus gesundheitlichen Gründen soweit eingeschränkt, daß er nur noch halbschichtig leichte Tätigkeiten in geschlossenen Räumen im Sitzen verrichten kann, so ist das Arbeitsfeld iS von Abschnitt C 5 2b) des Beschlusses des GrS vom 1969-12-11 - GS 4/69 - jedenfalls dann stark eingeschränkt und dem Versicherten der Arbeitsmarkt praktisch verschlossen, wenn er keine ausgesprochenen Maschinenarbeiten mehr verrichten kann.

 

Normenkette

RVO § 1246 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23, § 1247 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23

 

Tenor

Das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 7. Juli 1967 wird aufgehoben.

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 2. Juni 1966 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Gründe

I

Streitig ist die Gewährung der Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU).

Auf Antrag des im Jahre 1903 geborenen Klägers gewährte die Beklagte ihm Rente wegen Berufsunfähigkeit (BU) für die Zeit ab 1. Juli 1963.

Mit der gegen diesen Bescheid gerichteten Klage begehrt der Kläger die Gewährung der Rente wegen EU ab 1. Juli 1963.

Das Sozialgericht (SG) hat durch Urteil vom 2. Juni 1966 die Beklagte zur Gewährung von Erwerbsunfähigkeitsrente für die Zeit ab 1. Juli 1963 verurteilt. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen durch Urteil vom 7. Juli 1967 das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen; es hat die Revision zugelassen.

Das LSG ist der Auffassung, daß dem Kläger keine Rente wegen EU zustehe, weil er nicht erwerbsunfähig sei. Er könne noch - so sind seine Feststellungen zu verstehen - täglich halbschichtig leichte Tätigkeiten in geschlossenen Räumen im Sitzen verrichten, doch sei dabei zu berücksichtigen, daß er nicht schwer heben und tragen dürfe sowie nicht in gebückter Körperhaltung, nicht auf Gerüsten und nicht unter Einwirkung von Hitze tätig sein dürfe; insbesondere sei er nicht in der Lage, ausgesprochene Maschinenarbeiten und Akkordtätigkeiten zu verrichten. Mit solchen Tätigkeiten könne der Kläger noch mehr als nur geringfügige Einkünfte erzielen. Es sei ohne Bedeutung, ob es für solche Tätigkeiten Arbeitsplätze in nennenswertem Umfang gebe.

Gegen dieses Urteil hat der Kläger Revision eingelegt. Er ist entgegen der Auffassung des LSG der Auffassung, daß ein Versicherter auf Tätigkeiten nur verwiesen werden könne, wenn es für sie Arbeitsplätze in nennenswertem Umfang gebe.

Er beantragt,

unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Duisburg zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend.

Beide Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.

II

Die zulässige Revision des Klägers ist begründet. Zu Unrecht hat das LSG entschieden, daß dem Kläger die EU-Rente nicht zusteht. Entgegen der Auffassung des LSG ist der Kläger ab 1. Juli 1963 erwerbsunfähig.

Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des LSG kann der Kläger noch vier Stunden, d.h. praktisch noch halbschichtig leichte Tätigkeiten in geschlossenen Räumen im Sitzen verrichten. Er ist insofern allerdings darüber hinaus in seiner Arbeitsfähigkeit eingeschränkt, als er nicht in gebückter Körperhaltung, nicht auf Gerüsten und nicht unter Einwirkung von Hitze arbeiten kann und daß ihm ausgesprochene Maschinenarbeiten und Akkordarbeiten verboten sind.

Entscheidend ist, ob ein Versicherter auf Teilzeittätigkeiten ohne Rücksicht darauf verwiesen werden kann, ob und in welchem Umfang es für diese Arbeitsplätze gibt. Diese Rechtsfrage hat der Große Senat durch Beschluß vom 11. Dezember 1969 in Sachen B ./. LVA R - GS 2/68 - dahin entschieden, daß es bei Anwendung des § 1247 Abs. 2 RVO erheblich ist, daß Arbeitsplätze, die der Versicherte mit der ihm verbliebenen Leistungsfähigkeit noch ausüben kann, seien sie frei oder besetzt, vorhanden sind, und daß der Versicherte auf solche Tätigkeiten nicht verwiesen werden kann, wenn ihm das Arbeitsfeld praktisch verschlossen ist, d.h. wenn das Verhältnis der im Verweisungsgebiet vorhandenen, für ihn in Betracht kommenden Teilzeitarbeitsplätze zur Zahl der Interessenten für solche Beschäftigungen ungünstiger ist als 75 zu 100. Des weiteren hat der Große Senat in Abschn. C V 1 des o.a. Beschlusses i.V. mit Abschn. C V 2 des Beschlusses vom gleichen Tage in Sachen M ./. LVA B - GS 4/69 - Grundsätze dafür aufgestellt, wann in diesem Sinne das Arbeitsfeld in der Regel als verschlossen angesehen werden kann. Im vorliegenden Fall kann der Kläger im Sinne des Abschn. C V 2b aa) und bb) des letztgenannten Beschlusses auf die für ihn in Betracht kommenden Teilzeittätigkeiten nicht verwiesen werden, wenn gegenüber dem allgemeinen Teilzeitarbeitsfeld eine starke Einschränkung besteht, es sei denn, daß die Arbeitsbehörde oder der Rentenversicherungsträger dem Kläger einen entsprechenden Arbeitsplatz anbietet, gleichgültig, ob er von diesem Angebot Gebrauch macht oder wenn er anderweitig einen solchen Arbeitsplatz - nicht nur vergönnungsweise - erhalten hat. Es kann hier dahingestellt bleiben, ob das uneingeschränkte Teilzeitarbeitsfeld hier im Sinne von Abschn. C V 2b bb) des o.a. Beschlusses dadurch stark eingeschränkt ist, daß der Kläger nur noch leichte Tätigkeiten im Sitzen in geschlossenen Räumen verrichten kann. Denn jedenfalls ist seine Einsatzfähigkeit im Sinne des Abschn. C V 2b aa) des o.a. Beschlusses stark eingeschränkt. Wenn auch einige dieser zusätzlichen Einschränkungen für leichte Tätigkeiten im Sitzen in geschlossenen Räumen keine praktische Bedeutung haben, da sie ohnedies einer solchen Tätigkeit fremd sind, so ergeben sich doch im übrigen starke zusätzliche Einschränkungen. Zwar mag auch der Umstand, daß der Kläger nicht in gebückter Körperhaltung, nicht unter Einwirkung von Hitze und nicht im Akkord arbeiten kann, für leichte sitzende Tätigkeit keine sehr erhebliche Bedeutung haben, doch hat der Umstand, daß der Kläger keine ausgesprochene Maschinenarbeit verrichten kann, eine starke Einschränkung seiner Einsatzfähigkeit zur Folge, die zumindest zusammen mit den übrigen Einschränkungen zu dem Ergebnis führt, daß das Arbeitsfeld dem Versicherten praktisch verschlossen ist. Da der Kläger hiernach seit dem 1. Juli 1963 erwerbsunfähig ist, steht ihm die EU-Rente ab Antragstag zu, wie das SG in Duisburg im Ergebnis zu Recht entschieden hat.

Daher war das angefochtene Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1669596

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