Leitsatz (redaktionell)
Auch nach der Ergänzung, die DV § 30 Abs 3 und 4 BVG § 6 Abs 2 S 1 durch die Neufassung der DV vom 1968-02-28 erfahren hat, bleibt die Anwendung dieser Vorschrift auf die Ausnahmefälle beschränkt, in denen der überdurchschnittliche Berufserfolg in seiner wirtschaftlichen Bedeutung so erheblich ist, daß er durch die pauschalierte Regelung des DV § 5, die grundsätzlich sowohl die über als auch die unter dem Durchschnitt liegenden Einkommen erfaßt, nicht ausreichend berücksichtigt und daher eine Sonderregelung geboten ist.
Normenkette
BVG § 30 Abs 3; BVG § 30 Abs. 3 u 4 DV § 5 Fassung: 1968-02-28
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 27. November 1969 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Die Klägerin bezieht Hinterbliebenenversorgung nach ihrem im Laufe des letzten Krieges als Soldat verschollenen und für tot erklärten Ehemann. Im Februar 1965 beantragte sie die Gewährung von Schadensausgleich nach § 40 a des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) und gab an, ihr Ehemann sei nach dem Besuch der Volksschule, ohne eine Berufsausbildung durchzumachen, von 1936 bis zu seiner Einberufung zum Wehrdienst am 27. August 1939 selbständiger Fuhrunternehmer gewesen; in seinem Betriebe habe er einen Mann beschäftigt. Durch Bescheid vom 16. März 1966 lehnte das Versorgungsamt den Antrag ab, weil ihr Einkommen nicht um wenigstens 50 DM geringer sei als die Hälfte des Einkommens, das ihr Ehemann ohne die Schädigung erzielt hätte. Dabei ging es davon aus, daß für den Ehemann als selbständigen Fuhrunternehmer ohne Berufsausbildung das Endgehalt der Besoldungsgruppe A 5 maßgebend sei. Der Widerspruch, mit dem Eingruppierung in die Besoldungsgruppe A 7 begehrt wurde, blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 12. Mai 1967), weil der angefochtene Bescheid zu Recht von der Besoldungsgruppe A 5 ausgegangen sei und die Ausnahmevorschrift des § 6 der Durchführungsverordnung zu § 30 Abs. 3 und 4 BVG (DVO) nicht angewendet werden könne, denn bei einem Fuhrunternehmer in einem Einmannbetrieb könne von einer herausragenden wirtschaftlichen Bedeutung der selbständigen Tätigkeit gegenüber anderen vergleichbaren Unternehmern mit Volksschulbildung ohne abgeschlossene Berufsausbildung nicht ausgegangen werden.
Mit der Klage hat die Klägerin den beruflichen Werdegang ihres Ehemannes nochmals geschildert und den Gewinn aus dem Fuhrgeschäft monatlich mit etwa 800 bis 1200 RM angegeben. Das Sozialgericht (SG) hat Beweis erhoben, durch Vernehmung des Bruders der Klägerin als Zeugen über seine Mitarbeit sowie die Gewinne im Betriebe des Ehemannes der Klägerin und durch Einholung einer Auskunft des Finanzamts über den Gewinn aus dem Fuhrunternehmen in den Jahren 1938 und 1939. Durch Urteil vom 12. Dezember 1967 hat es die Klage abgewiesen.
Die Klägerin hat Berufung eingelegt und vorgetragen, das SG habe zu Unrecht den vom Finanzamt angegebenen Gewinn halbiert. Das Landessozialgericht (LSG) hat Beweis erhoben durch Einholung einer Auskunft vom Finanzamt. Durch Urteil vom 27. November 1969 hat es die Berufung zurückgewiesen und die Revision zugelassen. Maßgebend sei nur die Eingruppierung nach § 5 Abs. 1 DVO zu § 30 Abs. 3 und 4 BVG, also die Besoldungsgruppe A 5. Eine höhere Einstufung über § 6 Abs. 2 DVO sei nicht gerechtfertigt. Es komme nicht allein auf die Höhe des erzielten Gewinns an, sondern auch darauf, ob der Ehemann der Klägerin eine deutlich herausragende besondere Stellung im Rahmen seiner Berufs- oder Wirtschaftsgruppe erreicht habe. Außerdem müsse die erreichte Stellung gesichert und gefestigt gewesen sein. Beides sei nicht der Fall. Es habe sich vielmehr um ein ausgesprochenes Kleinunternehmen gehandelt. Die verhältnismäßig hohen Gewinne für die Jahre 1938 und 1939 seien auf den damaligen Aufbau der Reichswerke in Salzgitter, für die er Fuhren ausgeführt habe, zurückzuführen, damit konjunkturbedingt und von vorübergehender Natur gewesen. Dieser außergewöhnliche wirtschaftliche Erfolg sei somit nicht als so sicher und dauerhaft anzusehen, daß er im Rahmen des § 6 DVO berücksichtigt werden könne.
Die Klägerin hat Revision eingelegt und beantragt,
unter Aufhebung der Urteile des LSG Niedersachsen vom 27. November 1969 und des SG Hannover vom 12. Dezember 1967 sowie des Bescheides vom 16. März 1966 idF des Widerspruchsbescheides vom 12. Mai 1967 nach dem Berufungsantrag zu erkennen.
Sie rügt mit näherer Begründung eine Verletzung des § 6 DVO zu § 30 Abs. 3 und 4 BVG und ist der Ansicht, der nachgewiesene überdurchschnittliche Gewinn müsse als Maßstab des besonderen Berufserfolges berücksichtigt werden. Der Aufbau der Reichswerke sei auch nicht nur von vorübergehender Natur gewesen.
Der Beklagte beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
II
Die Klägerin hat die durch Zulassung statthafte Revision form- und fristgerecht eingelegt und begründet. Ihr zulässiges Rechtsmittel konnte keinen Erfolg haben.
Nach seiner beruflichen Stellung als selbständiger Fuhrunternehmer mit Volksschulbildung und ohne abgeschlossene Berufsausbildung kommt für die Feststellung des Durchschnittseinkommens des Ehemannes der Klägerin gemäß § 5 Abs. 1 DVO zu § 30 Abs. 3 und 4 BVG idF vom 30. Juli 1964 (BGBl I, 574) die Besoldungsgruppe A 5 in Betracht. Die Klägerin ist demgegenüber der Auffassung, gemäß § 6 DVO müsse ein besonderer Berufserfolg ihres Ehemannes berücksichtigt werden. § 6 aaO welcher gemäß § 11 aaO hier anzuwenden ist, betrifft die Ermittlung des Durchschnittseinkommens in besonderen Fällen. Abs. 1 behandelt die unselbständig Tätigen in der privaten Wirtschaft und im öffentlichen Dienst und setzt voraus, daß der Beschädigte nachweislich in dem vor Eintritt der Schädigung oder vor Auswirkung der Folgen der Schädigung ausgeübten Beruf eine Stellung erreicht hat, welche durch die Vorschriften der §§ 3 und 4 nicht ausreichend berücksichtigt wird. Absatz 2 bestimmt sodann, daß Absatz 1 für selbständig Tätige (§ 5) entsprechend gilt. In der DVO idF vom 28. Februar 1968 (BGBl I, 194) ist hinzugefügt worden, daß dies gelte, wenn die wirtschaftliche Bedeutung der in dem nach Absatz 1 Satz 1 maßgebenden Zeitpunkt ausgeübten selbständigen Tätigkeit durch die Vorschrift des § 5 nicht ausreichend berücksichtigt werde. Zu Recht haben die Vorinstanzen hier nicht den Gewinn aus dem Fuhrunternehmen allein maßgebend sein lassen, sondern für entscheidend gehalten, daß der Umfang des Fuhrunternehmens an sich nur gering gewesen ist und die Gewinne auf der besonderen Konjunkturlage des Aufbaus der Reichswerke in Salzgitter beruht haben. Die Feststellungen der Vorinstanz über die Betriebsgröße und die Umstände, welche zu einem besonderen Gewinn geführt haben, sind mit Revisionsrügen nicht angegriffen. Mit dem Vorbringen, der Aufbau der Reichswerke sei nicht nur vorübergehender Natur gewesen, sollte offenbar ein Verfahrensmangel nicht gerügt werden; ein solcher wäre auch nicht hinreichend substantiiert (§ 164 Abs. 2 Satz 2 SGG). Die Feststellungen des LSG sind daher nach § 163 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) für das Revisionsgericht bindend.
Die Rechtsauffassung des LSG über die Voraussetzungen für die entsprechende Anwendung des § 6 Abs. 1 DVO bei Streitfällen, welche nach § 6 Abs. 2 DVO zu beurteilen sind, ist frei von Rechtsirrtum und steht mit der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) in Einklang. Der 10. Senat des BSG hat in der Entscheidung vom 11. November 1969 - 10 RV 570/67 - (BVBl 1970 S. 92), in welcher der Streit um die Anwendung des § 6 Abs. 2 DVO für die Witwe eines Rechtsanwalts gegangen ist, folgendes ausgeführt:
Nach § 6 Abs. 2 DVO (idF vom 30. Juli 1964) gilt Abs. 1 für selbständig Tätige (§ 5) "entsprechend"; dabei ist lediglich bei der Ermittlung der angemessenen Besoldungsgruppe der nachgewiesene durchschnittliche Gewinn aus Gewerbe oder selbständiger Arbeit in den letzten drei Jahren vor Eintritt der Schädigung ... zugrunde zu legen, jedoch nur insoweit, als er auf die eigene Tätigkeit des Beschädigten zurückzuführen ist. Die entsprechende Anwendung des Abs. 1 kann nur bedeuten, daß auch bei selbständig Tätigen ein überdurchschnittlicher, aus dem Durchschnitt der betreffenden Berufsgruppe hervorgehobener individueller Berufserfolg vorgelegen haben muß, um die Anwendung des § 6 Abs. 2 DVO zu rechtfertigen; denn der durchschnittliche Berufserfolg wird auch bei selbständig Tätigen bereits bei der pauschalierten und generalisierten Regelung des § 5 DVO berücksichtigt. Der Begriff "Durchschnittseinkommen" in § 5 DVO macht deutlich, daß darunter grundsätzlich alle Betroffenen fallen, also nicht nur diejenigen, deren Einkommen wahrscheinlich unter dem Durchschnitt, sondern auch diejenigen, deren Einkommen über dem Durchschnitt gelegen hätte ... Ihre Stellung muß sich demnach, um die Anwendung des § 6 DVO rechtfertigen und die nicht ausreichende Berücksichtigung nach § 5 DVO dartun zu können, aus dem Durchschnitt ihrer Berufsgruppe deutlich herausgehoben haben, wobei im Regelfall der individuelle Berufserfolg aus dem erheblich über dem Durchschnitt liegenden Gewinn aus selbständiger Arbeit herzuleiten sein wird.
Diese Auffassung, die der erkennende Senat im wesentlichen teilt, wird bestätigt durch den zweiten Halbsatz, der in § 6 Abs. 2 Satz 1 durch die DVO idF vom 28. Februar 1968 angefügt worden ist. Nach dieser Vorschrift gilt Abs. 1 nunmehr für selbständig Tätige entsprechend, "wenn die wirtschaftliche Bedeutung der in dem nach Absatz 1 Satz 1 maßgebenden Zeitpunkt ausgeübten selbständigen Tätigkeit durch die Vorschrift des § 5 nicht ausreichend berücksichtigt wird". Wenn hier auf die "wirtschaftliche Bedeutung" - nicht jedoch auf einen einfachen Vergleich zwischen dem tatsächlich erzielten Einkommen und der entsprechenden Besoldungsgruppe abgestellt wird, so kann daraus nur gefolgert werden, daß weiterhin in § 6 DVO auch bei selbständig Tätigen der überdurchschnittliche Berufserfolg mit bedeutsamen Auswirkungen auf das Einkommen maßgebend sein soll. Somit bleibt auch nach der Ergänzung, die § 6 Abs. 2 Satz 1 durch die Neufassung der DVO vom 28. Februar 1968 erfahren hat, die Anwendung dieser Vorschrift auf die Ausnahmefälle beschränkt, in denen der überdurchschnittliche Berufserfolg in seiner wirtschaftlichen Bedeutung so erheblich ist, daß er durch die pauschalierte Regelung des § 5 DVO, die grundsätzlich sowohl die über als auch die unter dem Durchschnitt liegenden Einkommen erfaßt, nicht ausreichend berücksichtigt und daher eine Sonderregelung geboten ist (vgl. hierzu den nichtveröffentlichten Teil der Entscheidung des 10. Senats vom 11. November 1969).
Da der Ehemann der Klägerin nach den bindenden Feststellungen des LSG "vor seiner Einberufung zum Wehrdienst ein nur kleines Fuhrunternehmen betrieben" hat, konnte das LSG im vorliegenden Fall die Voraussetzungen des § 6 Abs. 2 DVO verneinen. Der vorliegende Rechtsstreit gibt keinen Anlaß, darauf näher einzugehen, daß die in SozR Nr. 7 zu § 6 DVO vom 30. Juli 1964 abgedruckte Entscheidung des 9. Senats des BSG vom 5. Mai 1970 mit der vorstehend zitierten Entscheidung des 10. Senats nicht völlig übereinstimmt. Der 9. Senat hat darauf hingewiesen, daß nach § 6 Abs. 2 Satz 2 der DVO bei der Ermittlung der angemessenen Besoldungsgruppe der nachgewiesene durchschnittliche Gewinn aus Gewerbe oder selbständiger Tätigkeit in den letzten drei Jahren vor Eintritt der Schädigung usw. zugrunde zu legen ist, und daraus gefolgert, daß hier der Nachweis eines ausreichend hohen Durchschnittseinkommens nicht nur eine Anspruchsvoraussetzung für die höhere Einstufung sein dürfte, sondern daß an dem höheren Durchschnittseinkommen auch allein der besondere Berufserfolg gemessen werden solle und daß er deshalb nicht - wie nach § 6 Abs. 1 DVO - auf eine im Vergleich zu den Berufskollegen herausgehobene Stellung des Beschädigten ankommen könne. Im vorliegenden Rechtsstreit hat das LSG aber weiter-für das BSG bindend- festgestellt, daß die verhältnismäßig hohen Gewinne von 6671 RM im Jahre 1938 und von 5000 RM im Jahre 1939 auf den damaligen Aufbau der Reichswerke in Salzgitter zurückzuführen, damit konjunkturbedingt und von vorübergehender Natur gewesen seien, weshalb sie im Rahmen des § 6 DVO nicht berücksichtigt werden könnten. Dies ist rechtlich nicht zu beanstanden. Es stimmt außerdem mit der Rechtsprechung des 9. Senats des BSG - (SozR Nr. 6 zu § 6 DVO aaO und SozR Nr. 8 zu § 40 a BVG) überein. Dieser hat das Erfordernis der Kontinuität in der Ausübung derselben Berufstätigkeit betont und auf das BMA-Rundschreiben vom 16. April 1962 (BVBl 1962, 54) hingewiesen, wonach der außergewöhnliche Berufserfolg "nicht lediglich Ausdruck eines vorübergehenden hohen Konjunkturgewinnes" sein darf. Wenn das LSG sonach darauf abgehoben hat, daß die vom Ehemann der Klägerin in den Jahren 1938 und 1939 tatsächlich erzielten Gewinne nur durch die damaligen besonderen Konjunkturverhältnisse ermöglicht worden seien, ohne daß angenommen werden könne, daß sich diese außergewöhnlichen Gewinne auf seine allgemeine berufliche Stellung nachhaltig ausgewirkt hätten, so hat es die aus dem Sinn und Zweck des Schadensausgleichs sich ergebenden Grenzen der Ausnahmevorschrift des § 6 DVO (vgl. BSG, SozR Nr. 8 zu § 40 a BVG am Ende) zutreffend erkannt und den auf § 6 Abs. 2 DVO gestützten Anspruch der Klägerin ohne Rechtsirrtum verneint.
Da die angefochtene Entscheidung nach alledem nicht zu beanstanden ist, war die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen